BGH,
Urt. v. 23.8.2007 - 4 StR 295/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 295/07
vom
23.8.2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
23.8.2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Prof. Dr. Kuckein,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible als beisitzende Richter,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das
Urteil des Landgerichts Dortmund vom 10. November 2006 werden verworfen.
2. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die
Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die
dadurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne
Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der
Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren Revisionen, mit denen
sie die Verletzung sachlichen Rechts rügen. Während
der Angeklagte sein Rechtsmittel wirksam auf die Versagung der
Strafaussetzung beschränkt hat, erstrebt die
Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel eine Verurteilung des
Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts. Beide
Rechtsmittel erweisen sich als unbegründet.
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I.
Das Landgericht hat festgestellt:
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Opfer der Tat ist die Ehefrau des Angeklagten. Die in der
Türkei geschlossene Ehe war von Anfang an dadurch belastet,
dass der Angeklagte, ob-
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wohl er in Deutschland geboren und aufgewachsen war, dem traditionellen
patriarchalischen Weltbild seiner Heimat verhaftet war und er sich in
der Ehe alle Freiheiten herausnahm, die er seiner Ehefrau nicht
zugestand. Auch wurde er ihr gegenüber mehrfach
tätlich, sodass sie schließlich im Jahr 2003
zusammen mit ihren beiden Kindern vorübergehend in ein
Frauenhaus flüchtete. Am frühen Morgen des Tattages
kam es wiederum zu einer heftigen verbalen Auseinandersetzung zwischen
beiden. Aus Angst, der Angeklagte könne wiederum gegen sie
tätlich werden, suchte sie den im Nachbarhaus lebenden Bruder
des Angeklagten und dessen Ehefrau auf, die die Geschädigte
bei sich aufnahmen. Der Angeklagte folgte ihr wütend, wurde
jedoch von seinem Bruder zunächst nicht ins Haus gelassen.
Außer sich vor Wut entfernte sich der Angeklagte kurzzeitig,
kehrte jedoch alsbald mit einem einseitig geschliffenen
Küchenmesser mit einer ca. 18 cm langen Klinge
zurück. Mit dem Ausruf, er werde sie umbringen, eilte der
aufgebrachte Angeklagte unmittelbar auf seine Ehefrau, die sich in der
im Keller des Hauses befindlichen Küche befand, zu und
versuchte, mit dem Messer auf sie einzustechen. Dies gelang ihm jedoch
nicht, weil sein Bruder sofort einschritt, seinen Arm ergriff und ihn
festhielt und so zumindest erhebliche Verletzungen der
Geschädigten verhinderte. Während der Angeklagte das
Messer weiter fest umklammert hielt und mehrfach Stichbewegungen in
Richtung seiner Ehefrau ausführte, rief er "lass mich los, ich
bring sie um". Bei seinen Versuchen, auf sie einzustechen, wurde die
Geschädigte einmal von dem Messer getroffen, was allerdings
lediglich zu einer streifigen Verletzung in Form einer leichten Ritzung
bzw. Rötung der Haut im Bereich der rechten Hüfte
führte. Die Geschädigte war sogleich, als sie den
Angeklagten mit dem Messer auf sich zukommen sah, von ihrem Platz
aufgesprungen und vermochte, ohne weitere Verletzungen erlitten zu
haben, zu flüchten. Erst als ihr dies gelungen war, gelang es
dem Bruder des Angeklagten, ihn zu veranlassen, das Messer loszulassen.
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Nach Auffassung der Schwurgerichtskammer handelte der Angeklagte
mindestens in der Vorstellung, seine Ehefrau in seinem Zorn mit dem
Messer erheblich zu verletzen. Es spreche zwar eine
"überwiegende Wahrscheinlichkeit" für einen zumindest
bedingten Tötungsvorsatz. Eine sichere Überzeugung
hiervon vermochte sich die Schwurgerichtskammer indes nicht zu
verschaffen. Das Landgericht hat den Angeklagten deshalb "nur" der
gefährlichen Körperverletzung in der Tatalternative
des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Körperverletzung mittels
einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs)
für schuldig befunden.
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II.
Revision der Staatsanwaltschaft
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Die Staatsanwaltschaft beanstandet, dass das Landgericht das Vorliegen
eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes beim Angeklagten
verneint hat. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die
Schwurgerichtskammer habe die Anforderungen an die tatrichterliche
Überzeugung zur subjektiven Tatseite überspannt. Mit
ihrem Angriff gegen die Beweiswürdigung des angefochtenen
Urteils bleibt der Revision indes im Ergebnis der Erfolg versagt.
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Die Rüge, das Landgericht habe zu Unrecht die Voraussetzungen
eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes verneint, es habe
sich nicht hinreichend und widerspruchsfrei mit allen für
einen solchen Vorsatz sprechenden Beweisanzeichen hinreichend
auseinandergesetzt und überspannte Anforderungen an die
Überzeugungsbildung von der Schuld des Angeklagten gestellt,
ist unbegründet. Die Beweiswürdigung ist Sache des
Tatrichters; das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn diese
rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie
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Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist, oder
mit Denkgesetzen nicht vereinbar ist. Solche Fehler liegen nicht schon
deshalb vor, weil die Schlussfolgerungen, die der Tatrichter hier zu
Gunsten des Angeklagten gezogen hat, nicht zwingend sind oder weil die
Würdigung des Beweisergebnisses auch zu einem anderen Ergebnis
hätte führen können. Insbesondere ist es
entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht
widersprüchlich, wenn das Landgericht einen zumindest
bedingten Tötungsvorsatz nicht festzustellen vermochte,
während es von einem direkten Vorsatz des Angeklagten, seine
Ehefrau erheblich zu verletzen, ausgegangen ist. Denn angesichts der -
wie der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung
wiederholt - hohen Hemmschwelle gegenüber der Tötung
eines Menschen sind beide Annahmen ohne Weiteres miteinander vereinbar.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte nach
den Feststellungen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Tatgeschehen
gedroht hat, seine Ehefrau umzubringen (vgl. Senat, Beschluss vom 25.
September 2001 - 4 StR 353/01). Angesichts der zur Wucht und zur
Richtung der vom Angeklagten geführten Stichbewegungen
unsicheren Tatsachengrundlage und der letztlich nur
geringfügigen Verletzungen lässt sich aus dem
Vorgehen des Angeklagten eine Indizwirkung für einen
Tötungsvorsatz nicht ohne Weiteres herleiten.
III.
Revision des Angeklagten
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Die Angriffe des Beschwerdeführers gegen Versagung der
Strafaussetzung zur Bewährung im angefochtenen Urteil erweisen
sich als unbegründet.
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Das Landgericht hat dem Angeklagten bereits keine positive
Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) zu stellen vermocht und im
Übrigen auch keine besonderen Umstände gesehen, die
eine Strafaussetzung zu rechtfertigen vermögen (§ 56
Abs. 2 StGB). Diese in erster Linie dem Tatrichter obliegende
Bewertung, die vom Revisionsgericht nur begrenzt
überprüft werden kann (vgl. Lackner/Kühl
StGB 26. Aufl. § 56 Rdn. 14, 21, 22 m.N.), weist keinen
Rechtsfehler auf. Insbesondere stellt es entgegen der Auffassung der
Revision keinen Widerspruch dar, wenn das Landgericht dem Angeklagten
als Erstverbüßer im Rahmen der Strafzumessung zwar
Straf- und Haftempfindlichkeit zugute gehalten hat und davon
ausgegangen ist, dass er durch die erlittene Untersuchungshaft
beeindruckt ist, es gleichwohl namentlich unter
Berücksichtigung seiner impulsiv aggressiven
Persönlichkeit und seiner - wenn auch länger
zurückliegenden - einschlägigen Vorverurteilung nicht
die Erwartung gewinnen konnte, dass der Angeklagte ohne die Einwirkung
des Strafvollzugs nicht erneut straffällig wird.
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Tepperwien Maatz Kuckein
Ernemann Sost-Scheible |