BGH,
Urt. v. 23.2.2000 - 3 StR 595/99
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 595/99
vom
23. Februar 2000
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23.
Februar 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Kutzer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr.
Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach,
Winkler, von Lienen als beisitzende Richter, Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Stade vom 8. Juli 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht Stade hat den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt,
gemäß § 63 StGB die Unterbringung des
Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen. Gegen
diese Entscheidung richtet sich die auf die Verletzung formellen und
sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft.
Die vom Generalbundesanwalt vertretene Sachrüge hat Erfolg.
Auf die Verfahrensrüge kommt es daher nicht an.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts drohte der bisher
strafrechtlich nicht in Erscheinung getretene Beschuldigte im
schuldunfähigen Zustand mehrmals den Polizeibeamten an, sie
mit einem mitgeführten Brötchenmesser zu erstechen.
Er glaubte, Jesus zu sein und fühlte sich auch vom Teufel
verfolgt. Er widersetzte sich den Anweisungen der Polizeibeamten, das
Messer wegzulegen und aus seinem Pkw herauszukommen.
Schließlich bewegte er sich mit hoch erhobener Hand, in der
er das Brötchenmesser zustechbereit hielt, immer schneller auf
die Polizeibeamten zu, bis ein Beamter gezielte Schüsse aus
seiner Dienstwaffe auf ihn abgab. Dieses Verhalten des Beschuldigten
hat das Landgericht rechtlich zutreffend als tateinheitlich
zusammentreffende rechtswidrige Straftaten der Bedrohung, des
Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und der versuchten
gefährlichen Körperverletzung gewertet.
Die Strafkammer ist - sachverständig beraten -
rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß der Beschuldigte bei
Begehung der Tat ohne Schuld gehandelt hat, weil er wegen einer
schweren krankhaften seelischen Störung nicht
einsichtsfähig (und auch nicht steuerungsfähig)
gewesen sei. Der Beschuldigte leide an einer paranoid -
halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Die
Krankheit, die im Jahre 1983 begonnen habe, sei auf
Drogenmißbrauch zurückzuführen. Mehrfache
Therapieversuche seien an der nicht dauerhaft vorhandenen
Krankheitseinsicht des Beschuldigten gescheitert. Infolge eines akuten
psychotischen Schubs seien bei ihm zum Tatzeitpunkt akute
Wahnvorstellungen aufgetreten, weshalb er sich von den Polizeibeamten
akut bedroht gefühlt habe.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen steht der
Beschuldigte aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Langen vom 18.
Mai 1999 unter Betreuung mit den Aufgabenbereichen
Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung
einschließlich der Entscheidung über die
Unterbringung und über unterbringungsähnliche
Maßnahmen sowie der Vermögenssorge.
2. Das Urteil hält sachlich-rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
a) Die Staatsanwaltschaft macht mit der Sachrüge geltend, bei
der Gefährlichkeitsprognose des § 63 StGB
dürfe nicht berücksichtigt werden, daß die
von dem Täter ausgehende Gefährlichkeit für
die Allgemeinheit durch eine medikamentöse Behandlung
ausgeschlossen oder eingeschränkt werden könne. Dies
habe erst Bedeutung für die Prüfung, ob die
Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67
b StGB zur Bewährung auszusetzen sei.
b) Die Voraussetzungen für eine Unterbringung des
Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus
gemäß § 63 StGB hat das Landgericht mit
folgender Begründung verneint:
Die schwere krankhafte seelische Störung dauere heute noch
fort. Bei der Gesamtwürdigung des Täters und seiner
Tat müsse davon ausgegangen werden, daß die bei der
Anlaßtat gezeigte realitätsferne, wahnhafte
Erlebnisverarbeitung ein typisches Merkmal der Grunderkrankung des
Beschuldigten sei. Sofern er nicht medikamentös behandelt
werde oder eine bestehende Behandlung (noch) nicht angeschlagen habe,
sei deshalb in Zeiten eines akuten Krankheitsschubs - auch in einer
objektiv alltäglichen, harmlosen Situation - mit aggressiven
Durchbrüchen und der Gefahr vergleichbarer, gewaltbetonter
Taten mit nicht kontrollierten Auswirkungen für Leib und Leben
anderer zu rechnen (UA S. 16).
Gleichwohl sei in Übereinstimmung mit dem
Sachverständigen die Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen Krankenhaus nicht erforderlich, da dieser für
die Allgemeinheit nicht gefährlich sei. Die günstige
Prognose ergebe sich daraus, daß die Krankheit unter
medikamentöser Behandlung nicht zutage trete, die
Fortführung der begonnenen Behandlung gesichert sei und daher
derzeit und in absehbarer Zukunft keine weiteren erheblichen
rechtswidrigen Taten des Beschuldigten zu erwarten seien (UA S. 15,
17 - 19). Die angeordnete, nicht fristgebundene Betreuung
gewährleiste zuverlässig, daß die aktuelle,
positiv einzuschätzende Situation des Beschuldigten, der trotz
seiner Erkrankung bis zur Anlaßtat viele Jahre lang nicht mit
Straftaten in Erscheinung getreten sowie sozial integriert gewesen sei,
über einen langjährigen Zeitraum bestehen bleiben
werde. Der Betreuer könne und werde, wenn sich das Verhalten
des Beschuldigten ändern und dieser erneut die
gegenwärtig vorhandene Krankheitseinsicht vermissen lassen
sollte, zur Beherrschung aller in Betracht kommenden Situationen
ausreichende Mittel einsetzen, um die Fortdauer der ärztlichen
Behandlung zu veranlassen und notfalls zu erzwingen.
c) Diese Begründung ist nicht rechtsfehlerfrei. Die
Strafkammer verkennt, daß im Falle der
Gefährlichkeit des Täters für die
Allgemeinheit die Notwendigkeit einer Unterbringung
gemäß § 63 StGB nicht durch minder
einschneidende Maßnahmen außerhalb des Bereichs der
strafrechtlichen Maßregeln aufgehoben wird (BGHR StGB
§ 63 Beweiswürdigung 1 und Gefährlichkeit 6;
Horn in SK-StGB 8. Lfg. § 63 Rdn. 19; Stree in
Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 63 Rdn.
19 und § 67 b Rdn. 5; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl.
§ 67 b Rdn. 2; a.A. Hanack in LK 11. Aufl. vor § 61
Rdn. 61 ff. und § 63 Rdn. 82 ff. m.w.Nachw.), weil bei den
freiheitsentziehenden Maßregeln der Sicherung das
Subsidiaritätsprinzip nur für die Frage der
Vollstreckung, nicht aber für die Frage der Anordnung gilt.
Für die Entscheidung, ob die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen ist, ist es unerheblich, ob die
von dem Beschuldigten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit
durch eine konsequente medizinische Behandlung, für die ein
Betreuer bestellt ist, abgewendet werden kann. Ein solches
täterschonendes Mittel - seine Wirksamkeit vorausgesetzt -
erlangt vielmehr Bedeutung erst für die Frage, ob die
Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67
b StGB zur Bewährung auszusetzen ist (BGHR StGB § 63
Beweiswürdigung 1 und Gefährlichkeit 6; Horn aaO
§ 63 Rdn. 19; Stree aaO § 63 Rdn. 19 und §
67 b Rdn. 5; Tröndle/Fischer aaO § 67 b Rdn. 2). Nur
auf diese Weise wird der von dem Beschuldigten ausgehenden Gefahr
effektiv entgegengewirkt und die Allgemeinheit ausreichend
geschützt. Durch die Möglichkeit, eine angeordnete,
aber zur Bewährung ausgesetzte Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus zu widerrufen, wird Druck auf den
gefährlichen Täter ausgeübt und eine
wirksame Kontrolle darüber ermöglicht, ob die
medizinische Behandlung zur Gefahrenbeseitigung tatsächlich
ausreicht (Stree aaO § 63 Rdn. 19; vgl. auch Hanack aaO vor
§ 61 Rdn. 63). Auch die Gegenmeinung, die unter Berufung auf
das verfassungsrechtliche Übermaßverbot das
Subsidiaritätsprinzip bereits bei der Anordnung der
Maßregel berücksichtigen will (vgl. Hanack aaO vor
§ 61 Rdn. 61 und § 63 Rdn. 82 ff. m.w.Nachw.), sieht
die Bestellung eines Betreuers nicht als eine bereits bei der
Anordnungsentscheidung zu berücksichtigende ausreichende
mildere Maßnahme an, weil diese nicht dem Schutz der
Allgemeinheit, sondern dem Schutz des kranken Täters dient
(vgl. Hanack aaO § 63 Rdn. 84).
3. Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers unterliegt das Urteil insgesamt
der Aufhebung. Da der Beschuldigte es trotz der festgestellten Begehung
rechtswidriger Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit (vgl.
§ 11 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 3 Nr. 3 BZRG) nicht
hätte anfechten können (BGHSt 16, 374;
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. Vor § 296
Rdn. 11; a.A. Kuckein in KK 4. Aufl. § 337 Rdn. 41), scheidet
die Möglichkeit, ihn belastende Feststellungen zum
äußeren Tathergang teilweise aufrechtzuerhalten, von
vornherein aus (vgl. BGH, Beschl. vom 15. Dezember 1999 - 5 StR 537/99;
Kuckein aaO § 353 Rdn. 24). Die Sache bedarf insgesamt neuer
tatrichterlicher Überprüfung und Entscheidung.
Kutzer Rissing-van Saan Miebach
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