BGH,
Urt. v. 23.1.2003 - 4 StR 267/02
4 StR 267/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
23. Januar 2003
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 23.
Januar 2003, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Maatz,
Athing, Richterinnen am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic,
Sost-Scheible als beisitzende Richter, Bundesanwalt in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt bei der Verkündung als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Rechtsanwalt als Nebenklägervertreter, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1.
Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des
Landgerichts Dessau vom 14. September 2001 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht
zuständige Strafkammer des Landgerichts Magdeburg
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Tatvorwurf des Totschlags aus
Rechtsgründen freigesprochen. Mit ihren Revisionen, mit denen
sie die Verletzung materiellen Rechts rügen, erstreben die
Nebenkläger die Aufhebung des freisprechenden Urteils. Das
Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Die Revisionen der Nebenkläger, die nur die nicht
ausgeführte Sachrüge erhoben haben, sind
zulässig. § 400 Abs. 1 StPO steht hier nicht
entgegen, da ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag
gestellt wurde und der Angeklagte nur wegen des - nach § 395
Abs. 2 Nr. 1 StPO zur Nebenklage der Beschwerdeführer als
Eltern des Getöteten berechtigenden - Delikts des Totschlags
nach § 212 Abs. 1 StGB angeklagt, hiervon jedoch
freigesprochen worden ist (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1
Zulässigkeit 3; § 401 Abs. 1 S. 1
Zulässigkeit 2; BGH bei Becker NStZ-RR 2002, 104; Beschl. vom
19. September 2001 - 3 StR 336/01).
II.
1. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts trennte sich Ng. , die
damalige Lebensgefährtin des Angeklagten, von diesem und zog
im Frühjahr/Sommer 1999 in eine Wohnung nach D. , wo sie in
der Folgezeit mit ihren zwei Kindern lebte. Auch das spätere
Tatopfer T. , mit dem Ng. im Jahr 1998 ein Verhältnis begonnen
hatte, hielt sich dort regelmäßig auf. Der
Angeklagte, der sich mehrfach vergeblich um die Rückkehr
seiner Lebensgefährtin bemüht hatte, wußte
dies. Sch. , die frühere Lebensgefährtin des T. , die
von diesem vor etwa sechs Jahren verlassen worden war, wollte diesen
ebenfalls zurückgewinnen. Sie überredete den
Angeklagten im Juni 1999, sie zusammen mit ihren Kindern sowie zwei
weiteren Erwachsenen, der Zeugin C. und dem Zeugen Th. , zu der ihr
unbekannten Wohnung in D. zu begleiten, um eine Aussprache mit T.
herbeizuführen.
Dementsprechend betraten der Angeklagte und Th. in der Tatnacht gegen
23.00 Uhr die D. er Wohnung. Letzterer fertigte - wie zuvor gemeinsam
beabsichtigt - im Schlafzimmer zwei Lichtbilder von dem dort
schlafenden T. zum Beweis seiner Beziehung zu Ng. . Daraufhin wurden
die Eindringlinge von der Wohnungsinhaberin der Wohnung verwiesen. Der
Angeklagte, der den ihm körperlich überlegenen T.
fürchtete und deshalb stets zur Verteidigung zwei
Küchenmesser in seinen Hosentaschen mit sich führte,
kehrte wenig später allein in die Wohnung zurück und
nahm aus der Küche ein weiteres Messer mit, um es - so
ersichtlich seine Einlassung, der das Landgericht gefolgt ist - vor T.
zu verstecken. Anschließend wartete er mit seinen Begleitern
vor dem Haus.
Dorthin folgte ihm T. , der inzwischen geweckt worden war. Er war wegen
des Erscheinens der Besucher sowie der Anfertigung der Fotos erregt und
rannte erst dem Zeugen Th. und dann dem Angeklagten hinterher, ohne
jedoch einen der beiden zu erreichen. Die Zeugin Sch. , die T.
beschimpft, am Arm gepackt und ins Gesicht geschlagen hatte und daher
von diesem ebenfalls ins Gesicht geschlagen worden war, zog ihre
Tochter schützend vor sich und trommelte nunmehr mit den
Fäusten auf den Oberkörper des T. ein.
Während es der Zeugin C. gelang, die Tochter wegzuziehen, kam
der Angeklagte, "um der Zeugin Sch. zu helfen," auf T. zu, wobei er
zwei der mitgeführten Messer mit nach oben gerichteten Klingen
in den Händen hielt. T. schlug dem Angeklagten daraufhin mit
der Hand ins Gesicht. Da der Angeklagte fürchtete, T.
könne ihm die Messer entreißen und gegen ihn
verwenden, stach er 31 mal mit beiden Messern frontal auf dessen Rumpf
und Arme ein. Der Geschädigte versuchte, die Stiche mit den
Händen abzuwehren, und lief auf die gegenüberliegende
Straßenseite. Dort brach er kurz darauf zusammen und verstarb
später infolge der Stichverletzungen durch Verbluten.
2. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit wegen Totschlags verneint, da
bei bestehender eigener Notwehrlage des Angeklagten ein Messereinsatz
erforderlich und geboten im Sinne des § 32 StGB gewesen sei.
Zwar sei die Beibringung von insgesamt 31 Messerstichen nicht
erforderlich gewesen. Die Überschreitung der Grenzen der
Notwehr sei jedoch wegen Verwirrung erfolgt, so daß sein Tun
nach § 33 StGB entschuldigt sei. Hilfsweise sei der Angeklagte
- ebenfalls entsprechend § 33 StGB - wegen
Überschreitung einer Putativnothilfe zu Gunsten der Zeugin
Sch. entschuldigt.
III.
Die vom Landgericht vorgenommene Würdigung begegnet
durchgreifenden Bedenken.
1. Ein Notwehrexzess liegt nicht vor. § 33 StGB
begründet Straffreiheit nur für denjenigen, der als
rechtswidrig Angegriffener in Überschreitung seiner
Notwehrbefugnisse den Angreifer aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken
verletzt oder gar tötet; er setzt mithin das Bestehen einer
Notwehrlage voraus (vgl. BGH NStZ 1987, 20; StV 1997, 291, 292 m.w.N.;
NStZ-RR 2002, 203, 204).
Nach den Urteilsfeststellungen lag ein gegenwärtiger
rechtswidriger Angriff des Tatopfers gegen den Angeklagten nicht vor.
Zwar geht die Strafkammer ohne nähere Begründung
davon aus, daß es sich bei dem Schlag, den T. dem Angeklagten
ins Gesicht versetzte, um einen derartigen Angriff gehandelt habe.
Dabei übersieht sie jedoch, daß dieser Schlag eine
durch Notwehr gebotene Handlung darstellte, weil er in dem Augenblick
erfolgte, als der Angeklagte mit zwei Messern in den Händen
auf T. losging, worin objektiv ein Angriff auf diesen zu sehen ist. Bei
zeitlich aufeinanderfolgenden, wechselseitigen Angriffen der
Beteiligten bedarf es zur Prüfung der Notwehrlage einer
Gesamtbetrachtung unter Einschluß des der Tathandlung
vorausgegangenen Geschehens; derjenige kann sich nicht auf ein
Notwehrrecht berufen, der zuvor einen anderen rechtswidrig angegriffen
hat, so daß dieser seinerseits aus Notwehr handelt (vgl.
BGHSt 39, 374, 376 f.; BGH NStZ 2001, 143, 144 m.w.N.). Dies hat das
Landgericht verkannt.
Nach den getroffenen Feststellungen hat der später
Geschädigte weder Anlaß zu der Auseinandersetzung
gegeben, noch seinerseits die Grenzen des ihm zustehenden Notwehrrechts
überschritten. Die Konfrontation war nicht von ihm, sondern
von der Zeugin Sch. und ihren männlichen Begleitern
ausgegangen. Indem sich der Angeklagte und der Zeuge Th. ohne
sachlichen Grund zur Nachtzeit in die auch von T. bewohnte Wohnung
begaben und Th. Lichtbilder von dem schlafenden T. fertigte, griffen
sie in dessen durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG
geschütztes Persönlichkeitsrecht, insbesondere in den
Schutz der Privatsphäre und das Recht am eigenen Bild, ein
(vgl. BVerfGE 101, 361, 379, 381 f. = NJW 2000, 1021, 1022; BGHZ 131,
332, 340 jeweils m.w.N.). Auf diese Provokation reagierte T. , indem er
zunächst dem Zeugen Th. und anschließend dem
Angeklagten schimpfend nachlief, ohne einen von ihnen zu erreichen.
Unabhängig davon, daß hierin noch kein Angriff
gesehen werden kann, der dem Angeklagten angesichts seines
Vorverhaltens sofortige Trutzwehr erlaubt hätte (vgl. BGHSt
39, 374, 376; 42, 97, 100 f. m.w.N.; BGHR StGB § 32 Abs. 2
Verteidigung 2, 3), war diese Verfolgung - für den Angeklagten
erkennbar - spätestens dann beendet, als T. in eine verbale
und tätliche Auseinandersetzung mit der Zeugin Sch. verwickelt
war. Als der Angeklagte in dieser Situation zurückkehrte und
mit den Messern in den Händen auf den ihm körperlich
zwar überlegenen, aber unbewaffneten T. zuging, bestand
für ihn mithin keine Notwehrlage. Eine solche war vielmehr
für T. gegeben, wobei es nicht darauf ankommt, ob der
Angeklagte - was den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen ist -
schon zu diesem Zeitpunkt mit den Messern auf T. einstechen wollte.
Auch wenn er dies nicht beabsichtigte, war der ihm von T. versetzte
Schlag ins Gesicht durch Notwehr gerechtfertigt, da es insoweit nur auf
die äußere Gefährlichkeit des abzuwehrenden
Verhaltens ankommt (vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1).
2. Soweit die Strafkammer den Freispruch hilfsweise mit dem Vorliegen
eines Putativnothilfeexzesses begründet, hält dies
ebenfalls rechtlicher Prüfung nicht stand.
Das Landgericht hat angenommen, daß zu dem Zeitpunkt, als der
Angeklagte nach seiner Einlassung der Zeugin Sch. zur Hilfe kommen
wollte, zwar objektiv keine Nothilfelage vorgelegen, der Angeklagte
sich aber insoweit in einem unvermeidbaren Irrtum befunden habe;
außerdem habe er aus Verwirrung die Grenzen der
erforderlichen Nothilfehandlung überschritten. Es ist der
Ansicht, daß "in diesem Fall die analoge Anwendung des
§ 33 StGB gerechtfertigt" sei, die zur Straffreiheit
führe.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Auf den sogenannten
Putativnotwehrexzess ist § 33 StGB nach herrschender Meinung
nicht anwendbar (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 203, 204 m.w.N.; siehe auch
Nachweise bei Lenckner/Perron in Schönke/Schröder
StGB 26. Aufl. § 33 Rdn. 8).
Unabhängig davon begegnet aber bereits die
Beweiswürdigung hinsichtlich eines Irrtums des Angeklagten
über eine Nothilfelage durchgreifenden rechtlichen Bedenken,
da sie Lücken aufweist, insbesondere nicht alle im Urteil
festgestellten und für den Vorsatz wesentlichen
Umstände berücksichtigt (vgl. BGHR StPO §
261 Beweiswürdigung 11 und 27; BGH, Urt. vom 09. Juli 2002
- 1 StR 88/02; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 337
Rdn. 29 m.w.N.). Das Landgericht hat einen - wegen der vorangegangenen
eigenen Verfolgung durch T. "unvermeidbar(en)" - Irrtum des Angeklagten
darauf gestützt, daß nach seiner Einlassung nicht
auszuschließen sei, er habe nur den Schlag des T. gegen die
Zeugin, nicht aber deren vorangegangene Tätlichkeit gegen T.
wahrgenommen. Diese Würdigung zum Vorstellungsbild des
Angeklagten, die lediglich auf den Beginn dieser körperlichen
Auseinandersetzung und nicht auf den Zeitpunkt des Eingreifens des
Angeklagten abstellt, greift zu kurz:
Für die Putativnothilfe entsprechend §§ 32,
16 Abs. 1 S. 1 StGB ist nicht nur die für den Angeklagten zur
Tatzeit ungeklärte und allenfalls für die
Rechtswidrigkeit eines Angriffs des T. relevante Frage entscheidend,
wer die tätliche Auseinandersetzung begonnen hatte, sondern
auch, ob es nach der Vorstellung des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat
einen unmittelbar bevorstehenden (vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 2
Angriff 1) oder noch andauernden rechtswidrigen Angriff (vgl. BGHSt 45,
378, 384) abzuwehren galt. Ein einzelner, bereits erfolgter Schlag des
unbewaffneten T. gegen Sch. begründet für sich noch
nicht die Annahme, weitere - auch angesichts der von der Zeugin Sch.
gesuchten Konfrontation und vorsätzlichen Provokation - nicht
hinnehmbare Beeinträchtigungen und Verletzungen (vgl. BGHSt
24, 356, 359) würden folgen. Daß der Angeklagte die
Fortsetzung entsprechender Gewalt von T. gegen dessen ehemalige
Lebensgefährtin erwartete, hat das Schwurgericht weder
dargelegt noch drängt sich dies nach den Feststellungen zum
Tathergang auf. Das Landgericht hat insbesondere
unberücksichtigt gelassen, daß die Zeugin Sch.
zwischenzeitlich unter Zuhilfenahme ihres Kindes "als Schutzschild" mit
den Fäusten auf den Oberkörper des nicht mehr
zurückschlagenden T. "eintrommelte", bis der Angeklagte mit
zwei Messern auf diesen zuging. Demnach ist nicht nachvollziehbar,
daß der Angeklagte nach seiner anfänglichen Flucht
zwar den Schlag des T. gegen die Zeugin Sch. gesehen, nicht aber das
weitere Geschehen wahrgenommen haben soll. Bei entsprechender Kenntnis
dieser Lage, in der von T. gegen die weiter zuschlagende Zeugin keine
Tätlichkeit mehr ausging, würde eine Putativnothilfe
zu deren Gunsten schon mangels eines aus der Sicht des Angeklagten
abzuwendenden Angriffs ausscheiden.
3. Das Schwurgericht hat auch den erforderlichen Verteidigungswillen
(vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 1 Putativnotwehr 1; Abs. 2
Erforderlichkeit 2 und 9; NJW 1998, 465, 466) nicht hinreichend belegt.
Ein solcher wird zwar nicht generell durch die den Angeklagten
mitbeherrschenden "Haß- und Wutgefühle"
ausgeschlossen (vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille
1; NStZ 2000, 365, 366). Der Verteidigungswille hätte hier
aber trotz der - nur mit der körperlichen
Überlegenheit des T. und ohne Angaben über dessen
früheres Verhalten unzureichend begründeten - Furcht
des Angeklagten vor dem - später - Geschädigten
näherer Erörterung bedurft. Ein solcher Wille liegt
angesichts der vom Angeklagten und Sch. gemeinsam erfolgten
Provokation, der Entwendung des Küchenmessers, der Vielzahl
der Stiche und der relativ geringfügigen Gewaltanwendung des
Geschädigten fern (vgl. BGH NJW 1990, 2263, 2264). Auch die
Einlassung eines Angeklagten zur subjektiven Tatseite ist anhand des
Gesamtgeschehens zu überprüfen und nicht ohne
weiteres als unwiderlegbar zugrundezulegen (vgl. BGHR StPO §
261 Einlassung 6).
IV.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat
macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1
StPO Gebrauch und
verweist die Sache an eine als Schwurgericht zuständige
Strafkammer des Landgerichts Magdeburg zurück.
Tepperwien Maatz Athing Solin-Stojanovic Sost-Scheible |