BGH,
Urt. v. 23.6.2009 - 5 StR 149/09
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
StGB §§ 55, 63
Ist der Angeklagte rechtskräftig bestraft und im
psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden, so ist bei einer
Verurteilung wegen einer zuvor begangenen Tat, die zur
nachträglichen Gesamtstrafbildung nach § 55 StGB
führt, allein die Aufrechterhaltung der Maßregel
geboten, hingegen die erneute Anordung der Unterbringung nach
§ 63 StGB nicht zulässig (im Anschluss an BGHSt 30,
305).
BGH, Urteil vom 23. Juni 2009 - 5 StR 149/09
LG Braunschweig -
5 StR 149/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 23. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Brandstiftung u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23.
Juni 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Braunschweig vom 9. Dezember 2008 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und
die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
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Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen fahrlässiger
Brandstiftung in Tateinheit mit fahrlässiger
Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs
Monaten festgesetzt und ihn unter Einbeziehung einer anderweit
rechtskräftig gegen ihn verhängten Strafe (ein Jahr
und drei Monate Freiheitsstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
zwei Jahren verurteilt. Die gegen den Angeklagten in dem genannten
rechtskräftigen Urteil wegen schweren sexuellen Missbrauchs
eines Kindes zugleich angeordnete Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht aufrechterhalten.
Die vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Revision der
Staatsanwaltschaft richtet sich gegen die Annahme nur
fahrlässiger Brandstiftung und die Ablehnung einer
wiederholten Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen
Krankenhaus. Das Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Am Abend des 30. Mai 2007 hielt sich der Angeklagte gemeinsam mit dem
rechtskräftig wegen Schuldunfähigkeit
freigesprochenen Heranwachsenden W. in seiner Wohnung in einer
betreuten Wohnanlage für Behinderte auf, wo sie
zunächst mit Mitbewohnern Bier tranken. Gegen 22.00 Uhr
begannen sie, Gegenstände aus den Fenstern des vierten Stocks
zu werfen. Etwa zwei bis drei Stunden später fassten sie den
Plan, „etwas anzuzünden“. Dazu gingen sie
in den Keller, wobei der Angeklagte Feuerzeuggas mitnahm. Damit
entzündeten sie auf einem alten Sofa liegende Zeitungen. Das
Sofa stand in einem Kellerraum, welcher von den Fluren des Kellers mit
einer Holztür und mit einer Brandschutztür abgetrennt
war. Nachdem sie die Flammen beobachtet hatten, gingen sie
zurück in die Wohnung des Angeklagten. Dort fragte W. den
Angeklagten, ob das Feuer auch zu ihnen hochkommen könne, was
jener verneinte, so dass sich beide schlafen legten. Sie gingen
möglicherweise davon aus, dass das Feuer ersticken werde,
nachdem der Sperrmüll abgebrannt sei.
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Die Holzkellertür geriet in Brand und die Versorgungsleitungen
„brannten“ bis in den ersten Stock. Flure und
Wohnungen waren bis in den vierten Stock hinauf verqualmt und
verrußt. Alle Bewohner einschließlich der
Täter konnten rechtzeitig das Haus verlassen, zehn Personen
erlitten leichte Rauchvergiftungen, es entstand ein Schaden von 200.000
Euro. Das Haus, dessen Reparatur mehrere Monate in Anspruch genommen
hätte, wurde aus wirtschaftlichen Gründen abgerissen,
die Bewohner wurden umgesiedelt.
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Der u. a. wegen Mordes vorbestrafte Angeklagte leidet an einer
dissozialen Persönlichkeitsstörung und an einer
Borderline-Störung in „extremer Form“. Die
Symptome dieser Störungsbilder belasteten den Angeklagten
vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen wie dies bei
einer unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen
Störung fallenden Erkrankung der Fall wäre. Aufgrund
dieser schweren anderen seelischen Abartigkeit war
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der Angeklagte bei der Tat in seiner Steuerungsfähigkeit
sicher erheblich vermindert.
2. Der Schuldspruch begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Soweit
das Landgericht sich nicht davon überzeugen konnte, dass der
Angeklagte bei dem Entzünden des Sperrmülls im Keller
des Mehrfamilienhauses vorsätzlich hinsichtlich der
Brandstiftung handelte, hält sich dies noch im Rahmen
tatrichterlicher Würdigung und ist revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden. Dem Umstand, dass sich der Angeklagte in dem von der
Brandstiftung betroffenen Haus schlafen legte, durfte das Landgericht
maßgebliche - freilich negative - Bedeutung für die
Vorsatzbildung bezüglich der Inbrandsetzung wesentlicher
Gebäudeteile des Wohnhauses zuerkennen. Denn hätte
der Angeklagte erkannt, dass die von ihm im Kellerraum in Brand
gesetzten Gegenstände geeignet waren, das Feuer auf andere,
wesentliche Gebäudeteile übergreifen zu lassen,
wäre ein solches Verhalten wegen der damit verbundenen
bewussten Gefährdung der eigenen körperlichen
Unversehrtheit schwerlich zu erklären. Das Landgericht hat
ausreichend erörtert, ob die Indizwirkung des unbesorgt
erscheinenden Verhaltens des Angeklagten nach der Tat nicht dadurch
entkräftet wird, dass er sich im vierten Stock des Hauses
aufgehalten hat und sich nur wegen der Entfernung zum Brandherd sicher
gefühlt habe, dies aber letztlich ausgeschlossen.
Nachvollziehbar hat es diese Würdigung damit
begründet, dass der - im Gegensatz zu seinem Mittäter
- mit einer „hinreichenden Intelligenz“
ausgestattete Angeklagte nicht davon ausgegangen sein könne,
dass sich ein auf wesentliche Gebäudeteile
übergegriffenes Feuer sicher auf die unter seiner Wohnung
gelegenen Stockwerke beschränken ließe.
Weitergehende ausdrückliche Überlegungen zu
Möglichkeiten bedingt vorsätzlicher Inbrandsetzung
ohne gleichzeitige bewusste Selbstgefährdung waren in diesem
Zusammenhang nicht unerlässlich (vgl. zu den tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB durch Feuerlegen
in Kellerräumen BGH NStZ 2007, 270). Gleiches gilt letztlich
ebenso für die Tatbestandsalternative des Zerstörens,
weswegen das Landgericht auch einen darauf gerichteten Vorsatz
rechtsfeh-
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lerfrei abgelehnt hat. Die Überlegung des Landgerichts
rechtfertigt konsequent ohne weiteres das Fehlen
ausdrücklicher Erörterungen zum
Tötungsvorsatz zum Nachteil der Bewohner des Hauses, der sich
bei Annahme bedingten Brandstiftungsvorsatzes aufgedrängt
hätte. Gleichwohl hatte die Revisionsführerin die
Sache nicht etwa bei der Jugendkammer in Schwurgerichtsbesetzung
(§ 33b Abs. 2 Satz 1 JGG) angeklagt.
3. Auch der Rechtsfolgenausspruch kann bestehen bleiben. Der
Strafausspruch ist rechtsfehlerfrei. Zwar ist der Revision zuzugeben,
dass das Landgericht rechtsfehlerhafte Erwägungen zur
Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angestellt hat. Dies kann
indes von vornherein nicht zur Aufhebung des Urteils insoweit
führen, da eine erneute Anordnung der Unterbringung im
psychiatrischen Krankenhaus im Hinblick auf § 55 Abs. 2 Satz 1
StGB ausgeschlossen ist.
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a) Das sachverständig beratene Landgericht hat
rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die bei dem Angeklagten
diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen und ihr
Einfluss auf seine soziale Anpassungsfähigkeit so stark
ausgeprägt sind, dass sie - was für die angegebenen
Störungsbilder nur in besonderen Fällen anzunehmen
ist (vgl. hierzu BGHSt 42, 385, 388; 49, 45, 52; BGH NStZ-RR 2003, 165,
166; 2008, 70, 71) - den sicheren Schluss auf eine erheblich
verminderte Schuldfähigkeit bei der Tat aufgrund eines
dauerhaften Zustands tragen. Auf der Grundlage dieser Feststellungen
durfte jedoch die Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen
Krankenhaus nicht mit dem Hinweis auf einen nicht feststellbaren
„unwiderstehlichen Zwang“ zur Begehung der Tat
abgelehnt werden. Hierbei hat das Landgericht verkannt, dass die -
zudem für den Bereich der erheblich verminderten
Schuldfähigkeit nicht ganz eindeutig - formulierte
Anforderung, es müsse für die Anordnung der
Maßregel feststehen, dass der Täter aus einem mehr
oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt habe (BGHSt 42,
385, 388; BGH NStZ-RR 2008, 70, 71), auf die Feststellung eines
dauerhaften Zustands im Sinne einer schweren anderen seelischen
Abartigkeit ge-
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richtet ist. Hiermit sollen solche psychischen Auffälligkeiten
aus dem Anwendungsbereich des § 63 StGB ausgeschieden werden,
die nur Eigenschaften und Verhaltensweisen darstellen, die
übliche Ursachen für strafbares Handeln darstellen
(BGH NStZ-RR 2008, 70, 71). Steht aber - wie hier - fest, dass die
dauerhafte, nicht pathologisch bestimmte Störung den
für die Annahme erheblich verminderter
Schuldfähigkeit erforderlichen Schweregrad erreicht hat, so
kann eine solche Störung entgegen der Ansicht des Landgerichts
uneingeschränkt Grund für die Anordnung der
Maßregel des § 63 StGB sein.
b) Angesichts der erheblichen Gefährlichkeit der ungeachtet
fehlenden Brandstiftungsvorsatzes mit dem vorsätzlichen Legen
von Feuer verbundenen Anlasstat wären die Voraussetzungen des
§ 63 StGB im vorliegenden Fall auch im Übrigen ohne
weiteres belegt. Dies führt dennoch nicht zur
revisionsgerichtlichen Beanstandung des Unterbleibens eines erneuten
Maßregelausspruchs, da für die Anordnung einer
weiteren neuen Maßregel nach § 63 StGB neben der
Aufrechterhaltung dieser Maßregel aus dem anderweitigen
Erkenntnis, dessen Strafe einzubeziehen ist, kein Raum ist. Neben der
gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB zutreffend
erfolgten Aufrechterhaltung der Anordnung der Unterbringung im
psychiatrischen Krankenhaus ist die erneute - doppelte - Anordnung
einer Maßregel mit gleichem Inhalt nicht zulässig
(vgl. BGHSt 30, 305, 307; 42, 306, 309; BGHR StGB § 55 Abs. 2
Aufrechterhalten 4; BGH NZV 1997, 183; NStZ 1998, 79; BGH,
Beschlüsse vom 8. November 1991 - 2 StR 409/91 und vom 22.
Juli 2005 - 2 StR 258/05). Denn der Täter soll auch insoweit
entsprechend dem Grundgedanken des § 55 StGB so gestellt
werden, wie er bei gleichzeitiger Aburteilung aller Taten gestanden
hätte (Rissing-van Saan in LK StGB 12. Aufl. § 55
Rdn. 58; vgl. auch Fischer, StGB 56. Aufl. Rdn. 31;
Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27.
Aufl. Rdn. 58a). Bei gleichzeitiger Aburteilung wäre die
Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nur einmal angeordnet
worden. Auf die Frage der Berechtigung einer wiederholten Anordnung
unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten
(vgl. hierzu BGHSt 50, 199, 205; BGH
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NStZ-RR 2007, 8, 9) kommt es hier nicht an, da eine solche im
Anwendungsbereich des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB
gänzlich ausscheidet. Durch das Hinzutreten einer weiteren,
die Unterbringung bereits für sich rechtfertigenden Anlasstat
verändert sich die Maßregel nicht. Vielmehr
entspricht sie in jeder Hinsicht der bereits angeordneten Unterbringung
im psychiatrischen Krankenhaus.
Der freilich durch das Hinzutreten der hier ausgeurteilten weiteren
Anlasstat entgegen der abweichenden Wertung der Strafkammer fraglos
beträchtlich gesteigerten Gefährlichkeit des
Angeklagten wird die zuständige Strafvollstreckungskammer im
Rahmen der gemäß § 67 Abs. 5, §
67d Abs. 2 StGB zu treffenden Entscheidungen Rechnung zu tragen haben.
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Basdorf Brause Schaal
Schneider König |