BGH,
Urt. v. 23.5.2000 - 1 StR 56/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 56/00
vom
23. Mai 2000
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Mai
2000, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgerichtshof Dr. Maul
als Vorsitzender und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Granderath,
Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Schluckebier, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 2. November 1999 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit
die Vollstreckung der Unterbringung des Beschuldigten nicht zur
Bewährung ausgesetzt wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Beschuldigten,
die das Urteil - ausgenommen die Feststellungen zum Tatgeschehen - mit
der Sachrüge angreift, hat teilweise Erfolg.
1. Die Unterbringung des Beschuldigten gemäß
§ 63 StGB hält der rechtlichen Nachprüfung
stand.
Die Gefährlichkeitsprognose setzt zwar grundsätzlich
eine Gesamtwürdigung der Person und des Vorlebens des
Beschuldigten, insbesondere seiner bisherigen Straftaten voraus (BGHSt
27, 246, 248; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 12).
Insoweit weist das angefochtene Urteil Mängel auf, worauf der
Generalbundesanwalt zutreffend hinweist; allerdings betrafen die wegen
Schuldunfähigkeit eingestellten Vorverfahren, soweit das dem
landgerichtlichen Urteil überhaupt zu entnehmen ist, nur
geringfügige Gesetzesverletzungen, die für die Frage
einer Unterbringung ohne Bedeutung gewesen wären.
Folgerichtig hat das Landgericht daher nur die Anlaßtat des
vorliegenden Verfahrens zur Grundlage seiner Prognoseentscheidung in
bezug auf die zukünftige Gefährlichkeit des
Beschuldigten gemacht; dagegen sind grundsätzlich rechtliche
Einwände nicht zu erheben (vgl. BGHR StGB § 63
Gefährlichkeit 12). Insoweit hat das Landgericht in dem
fortbestehenden Wahn des Beschuldigten ein eindeutiges Indiz
dafür gesehen, daß ohne eine weitere effektive
Behandlung jederzeit wieder mit erheblichen Straftaten des
Beschuldigten zu rechnen ist. Damit ist das Landgericht
zunächst von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab
ausgegangen; die bloße Möglichkeit, daß
von dem Beschuldigten in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu
erwarten seien, worauf die psychiatrische Sachverständige
abgehoben hat, wäre nicht ausreichend gewesen (BGHR StGB
§ 63 Gefährlichkeit 26).
In tatsächlicher Hinsicht ist die Erwartung künftiger
erheblicher Straftaten ausreichend belegt.
Nach dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen liegt
beim Beschuldigten eine sich zunehmend chronifizierende
paranoid-halluzina-torische Schizophrenie vor, die zu einem derart
ausgeprägten Wahnsystem geführt hat, daß
der Beschuldigte den Wahn als Realität erlebt und
demgemäß auch Erlebnisse in diesem Wahnsystem
interpretiert. Kern dieses Wahnsystems ist, daß in dem Haus
A. straße in L. , wo der Beschuldigte wohnt, Raub, Raubmord
und Kindsmord durch Mitbewohner an der Tagesordnung seien und dort auch
seine leibliche Tochter festgehalten werde. Demgemäß
hat der Beschuldigte auch der Sachverständigen berichtet, er
sei mit seinem Angriff lediglich einem jungen Mädchen zu Hilfe
gekommen, das gefangen gehalten, vergewaltigt und zur Prostitution
gezwungen worden sei; er habe den Hilferuf des Mädchens
gehört, und es sei auch geschossen worden, so daß er
den später Geschädigten aufgefordert habe, seine
Waffe abzugeben.
Bei einem derart konkret ausgeprägten, mit anhaltenden
akustischen Halluzinationen verbundenen Wahnsystem, das den
Beschuldigten unter einen ständigen Handlungsdruck setzt, ist
daher die Gefahr sich daraus entwickelnder Straftaten zutreffend bejaht
worden; es kann nicht entscheidend darauf ankommen, daß es in
der Vergangenheit zu wesentlichen Straftaten trotz der bereits seit
1974 bestehenden Erkrankung noch nicht gekommen ist.
Die infolge des bestehenden Wahnsystems zu erwartenden vergleichbaren
Taten wären auch erheblich. Das Tatopfer erlitt durch den
Angriff des Beschuldigten eine Schulterprellung, ein
HWS-Schleudertrauma, eine Schädelprellung sowie Kontusionen
des linken Jochbeins und der linken Orbita. Auf Grund der Verletzungen
war eine ambulante Behandlung in einem Krankenhaus erforderlich; der
Verletzte mußte eine Schanzsche-Krawatte tragen und sich
schließlich zur weiteren Behandlung für zweieinhalb
Monate in eine Rehabilitationsklinik begeben. Sowohl diese Tat wie zu
erwartende vergleichbare Taten sind vom Landgericht daher zu Recht als
erheblich eingestuft worden.
2. Die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nach
§ 67b Abs. 1 StGB hat das Landgericht wegen fehlender
Therapiemotivation abgelehnt. Der Beschuldigte habe sich bisher
geweigert, sich die erforderlichen Medikamente verabreichen zu lassen;
soweit er in der Hauptverhandlung eingelenkt habe, bestünden
an der Ernsthaftigkeit des Anerbietens erhebliche Zweifel. Diese
Erwägungen tragen die Ablehnung der Aussetzung nicht. Nach den
Feststellungen war der Beschuldigte zum Zeitpunkt, als das
landgerichtliche Urteil erging, aufgrund eines
Unterbringungsbeschlusses des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht -
Landshut gemäß dem Bayerischen Unterbringungsgesetz
seit 7. Mai 1999 stationär im Bezirkskrankenhaus Landshut
untergebracht. Das Urteil macht keine Ausführungen dazu,
welchen Erfolg die dortige Therapie hatte, für welchen
Zeitraum sie vorgesehen war und welche Folgerungen hieraus für
die Beantwortung der Frage zu ziehen sind, ob die Vollstreckung der
Maßregel zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl.
BGHR StGB § 67b Abs. 1 besondere Umstände 5). Eine
anderweitige Unterbringung kann ein besonderer Umstand im Sinne des
§ 67 Abs. 1 Satz 1 StGB sein (BGHSt 34, 313, 316; BGHR StGB
§ 67b Abs. 1 besondere Umstände 3). Daneben
wäre auch die Möglichkeit einer Betreuung
außerhalb einer stationären Unterbringung zu
erörtern gewesen. So könnte die Möglichkeit
bestehen, daß sein Betreuer den Beschuldigten mit
gerichtlicher Genehmigung in einem Heim oder einer Einrichtung
betreuten Wohnens unterbringt, wo auch die
regelmäßige Einnahme der erforderlichen Medikamente
gewährleistet wird.
Maul Granderath Wahl
Boetticher Schluckebier |