BGH,
Urt. v. 23.10.2007 - 1 StR 238/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 238/07
vom
23.10.2007
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
23.10.2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Hochschullehrer
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der
Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 5.
Dezember 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird
verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch
entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in
Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu Geldstrafe
verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit der auf
Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützten
Revision gegen seine Verurteilung. Die zu Ungunsten des Angeklagten
eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der
Nebenkläger rügen die Verletzung materiellen Rechts
und begehren die Verurteilung des Angeklagten wegen
Körperverletzung mit Todesfolge.
1
- 4 -
Anders als das Rechtsmittel des Angeklagten haben die Revisionen der
Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Erfolg.
2
I.
3
1. Festgestellt ist:
4
Der Angeklagte, ein niedergelassener Arzt, betrieb ab Anfang 1996 neben
seiner Praxis eine Therapiestation zur Behandlung von
Drogenabhängigen. Bis zum Januar 1999 führte er dort
an 75 Patienten einen narkosegestützten Opiat- und
Arzneimittelentzug (sog. "Turboentzug") durch. Am 15. Januar 1999 ab
14.30 Uhr erfolgte ein solcher "Turboentzug" auch bei dem damals
33-jährigen Patienten R. K. , der während der
Behandlung verstarb.
R. K. hatte seit seiner Jugend Betäubungs- und
Arzneimittelmissbrauch, insbesondere phasenweise massiven Heroinkonsum
betrieben. Zwei stationäre Klinikaufenthalte mit dem Ziel
eines Entzugs hatte er abgebrochen; eine weitere stationäre
Therapie hatte nur vorübergehenden Erfolg. Zuletzt wurde R. K.
mit Methadon substituiert; hinzu trat ein unkontrollierter Beikonsum
von anderen Betäubungsmitteln.
5
Im Vorfeld der Behandlung übersandte der Angeklagte zweimal
von ihm selbst gefertigte Merkblätter, in denen
wahrheitswidrig angegeben war, "alle bisher …
durchgeführten narkosegestützten Entgiftungen
… (sind) komplikati-onsfrei verlaufen". Bei zwei Telefonaten
fragte die Mutter des R. K. ausdrücklich, ob "bei einem
Turboentzug schon einmal etwas passiert sei, insbesondere …
jemand gestorben sei"; dies verneinte der Angeklagte jeweils. Zuvor war
jedoch eine andere Patientin anlässlich eines "Turboentzugs"
in den Praxisräumen des Angeklagten verstorben, wobei dieser
selbst die Todesbe-
6
- 5 -
scheinigung dahingehend ausgefüllt hatte, dass nicht
aufgeklärt sei, ob ein natürlicher oder ein
nichtnatürlicher Tod vorliege.
7
R. K. stellte sich am 28. Dezember 1998 beim Angeklagten vor. Der
Angeklagte äußerte, dass er Methadon nur schwer
entziehen könne und deshalb bis zum vorgesehenen Termin am 11.
Januar 1999 eine Umstellung auf Dihydrocodein erfolge. Weiterhin
verordnete er R. K. insbesondere auch das Medikament Temgesic mit dem
Wirkstoff Buprenorphin. Er hielt vor dem "Turboentzug" die sichere
Einstellung des Patienten auf ein "Opiat" nicht für
erforderlich. Zum vorgesehenen Termin erschien R. K. beim Angeklagten,
der ihm mitteilte, dass der Termin auf den 15. Januar 1999 verschoben
werden müsse, weil eine Nachtschwester erkrankt sei. Am 12.
Januar 1999 unterzeichnete der Patient eine schriftliche
"Erklärung zur Einwilligung in den Drogenentzug".
Am 15. Januar 1999 gegen 10.00 Uhr wurden R. K. auf Verordnung des
Angeklagten zahlreiche Medikamente verabreicht, darunter Temgesic und
Dihydrocodein. Um 14.30 Uhr wurde durch die Gabe zahlreicher weiterer
Medikamente die Narkose eingeleitet. Nachdem zwei Mitarbeiter des
Angeklagten ihren Dienst beendet hatten, war ab ca. 22.10 Uhr der
Angeklagte zur Überwachung des Patienten allein in den
Praxisräumen, was diesem verschwiegen worden war. Der Tubus,
der dem Patienten um 18.30 Uhr gesetzt worden war, wurde um 22.00 Uhr
entfernt; um 2.00 Uhr des Folgetages entfernte der Angeklagte auch den
Fingersensor, mit dem die Sauerstoffsättigung des Blutes
gemessen werden konnte. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt war die
Überwachung des Patienten unzureichend; eine
Überwachung der Atemfrequenz sowie der
Sauerstoffsättigung des Blutes erfolgte nicht mehr.
8
- 6 -
Bei R. K. entwickelte sich in diesem Zeitraum ein
hämorrhagisches Lungenödem. Er hatte vor
Behandlungsbeginn zahlreiche "Giftstoffe" (Doxepin, Diazepam, Methadon,
Dihydrocodein) aufgenommen, wobei insbesondere das Dihydrocodein im
hochtoxischen Bereich selbst für körperlich
Schwerstabhängige lag. Durch das Medikament Temgesic konnten
diese "Giftstoffe" zunächst nicht zur Wirkung gelangen. Erst
durch das allmähliche Nachlassen der Wirkung von dessen
Wirkstoff Buprenorphin konnten die anderen "Giftstoffe" Wirkung zeigen.
Daneben entwickelte sich bei R. K. eine Lungenentzündung als
Folge einer Aspiration von Erbrochenem während der Narkose.
9
Um 4.00 Uhr bemerkte der Angeklagte die Unterversorgung des Patienten.
Rettungsbemühungen blieben allerdings erfolglos; um 5.27 Uhr
wurde der Tod von R. K. festgestellt. Ob das Lungenödem oder
die Lungenentzündung todesursächlich war, hat das
Landgericht nicht festzustellen vermocht; eine andere Todesursache hat
es allerdings ausgeschlossen.
10
Bei adäquater Überwachung hätte die
aspirationsbedingte Lungenentzündung ebenso wie das
hämorrhagische Lungenödem infolge der
"Opiatintoxikation" entdeckt werden können. Der Todeseintritt
auf Grund der "Opiatintoxikation" wäre bei
Überwachung auch sicher verhinderbar gewesen. An der
Lungenentzündung wäre R. K. bei - auf eine
frühzeitige Entdeckung hin erfolgter - intensiv-medizinischer
Versorgung zwar möglicherweise ebenfalls verstorben, jedoch
erst nach einem mehrtägigen bis mehrwöchigen
Intensivaufenthalt in einer Klinik.
11
R. K. hätte sich nicht am 15. Januar 1999 einem "Turboentzug"
unterzogen, wenn er darüber unterrichtet worden wäre,
dass es bereits früher zu einem Todesfall gekommen war, dass
ab 22.10 Uhr eine Überwachung al-
12
- 7 -
lein durch den Angeklagten stattfand und dass der Angeklagte unter den
Anhängern dieser Außenseitermethode eine
Mindermeinung einnimmt, nämlich dahingehend, dass die
vorherige sichere Einstellung auf ein "Opiat" nicht erforderlich sei.
Der Angeklagte hielt es seinerseits für möglich und
nahm es billigend in Kauf, dass R. K. von der Behandlung Abstand
genommen hätte, wenn er dementsprechend unterrichtet gewesen
wäre.
2. Die Schwurgerichtskammer hat die festgestellte Tat rechtlich wie
folgt bewertet:
13
a) Der Tatbestand der Körperverletzung nach § 223
Abs. 1 StGB sei bereits deshalb erfüllt, weil der Angeklagte
R. K. willentlich unter Narkose gesetzt und ihm den Körper
erheblich belastende Medikamente verabreicht habe.
14
Die Einwilligung des Patienten in die konkrete Behandlung (vgl.
§ 228 StGB) hat die Kammer als unwirksam erachtet, da die
Aufklärung durch den Angeklagten unter drei Gesichtspunkten
mangelhaft gewesen sei: Er habe der Wahrheit zuwider erklärt,
alle bei ihm durchgeführten narkosegestützten
Entgiftungen seien komplikationsfrei verlaufen, und dabei den
früheren Todesfall verschwiegen. Er habe den Irrtum erregt, es
sei durchgängig eine Nachtschwester anwesend. Ferner habe er
den Patienten nicht darüber aufgeklärt, dass er den
"Turboentzug" nicht nach den gängigen Kriterien derjenigen
durchführe, die diese Außenseitermethode betrieben.
Diese Aufklärungsmängel seien auch
ursächlich für die Einwilligung gewesen.
15
b) Der Tatbestand der fahrlässigen Tötung nach
§ 222 StGB sei ebenfalls verwirklicht, weil er durch
unzureichende Überwachung in der Tatnacht von 2.00 Uhr bis
4.00 Uhr fahrlässig den Tod des Patienten verursacht habe.
16
- 8 -
c) Allerdings könnten die gesetzlichen Merkmale einer
Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1
StGB nicht angenommen werden. Es fehle an der hierfür
erforderlichen Ursächlichkeit der Körperverletzung
für die Todesfolge. Weil R. K. nämlich bereits vor
Behandlungsbeginn - ohne Kenntnis des Angeklagten - zahlreiche
"Giftstoffe" zu sich genommen habe, sei nach dem Zweifelssatz zu dessen
Gunsten davon auszugehen, dass R. K. auch dann an einem
hämorrhagischen Lungenödem als Folge einer "normalen
Opiatintoxikation" verstorben wäre, wenn kein "Turboentzug"
durchgeführt worden wäre.
17
II.
Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos.
18
1. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift
des Generalbundesanwalts vom 29. Juni 2007 dargelegten Gründen
nicht durch. Ergänzend bemerkt der Senat:
19
a) Die Rüge, zwei Befangenheitsgesuche seien zu Unrecht - als
unzulässig - verworfen worden (§ 338 Nr. 3,
§§ 24 ff. StPO), ist ihrerseits bereits
unzulässig (vgl. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn die
Revision teilt das Prozessgeschehen nicht mit, das dem ersten der
beiden zusammenhängenden Gesuche vorausging. Hierzu hat die in
der Sache unwidersprochen gebliebene Revisionsgegenerklärung
der Staatsanwaltschaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) unter
Vorlage von dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden, des
Berichterstatters und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft
vorgetragen, der Vorsitzende habe in der Hauptverhandlung vor Stellung
des Gesuchs erläutert, dass der Beschluss über die
Ablehnung der Beweisanträge am Tag vor seiner
Verkündung lediglich entworfen worden war; die Beratung und
Fassung war jedoch
20
- 9 -
unter Mitwirkung aller Kammermitglieder einschließlich der
Schöffen am Tag der Verkündung erfolgt.
21
Dieses Prozessgeschehen ist hier für die Beurteilung der
Unzulässigkeit der Gesuche nach § 26a Abs. 1 Nr. 2
StPO ("völlige Ungeeignetheit") relevant. Denn ein solches
Vorgehen kann auf keine rechtlichen Bedenken stoßen; vielmehr
ist es - zumal in Fällen der Bescheidung komplexer
Beweisanträge - regelmäßig sachgerecht.
b) Die Rüge, ein Beweisantrag sei rechtsfehlerhaft wegen
Bedeutungslosigkeit abgelehnt worden (§ 244 Abs. 3 Satz 2
StPO), hat der Generalbundesanwalt zu Recht als unzulässig
bewertet, weil sich der - von der Revisionsbegründung als
"Anlage 11" in Bezug genommene - Ablehnungsbeschluss vom 21. November
2006 nicht im Anlagenkonvolut befindet.
22
2. In sachlich-rechtlicher Hinsicht ebenfalls ohne Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten ist sowohl die Verurteilung wegen
Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB (nachfolgend
a) als auch diejenige wegen fahrlässiger Tötung nach
§ 222 StGB (nachfolgend b):
23
a) Ärztliche Heileingriffe - hier das willentliche Versetzen
des Patienten in Narkose und das Verabreichen den Körper
erheblich belastender Medikamente durch den "Turboentzug" -
erfüllen den Tatbestand der vorsätzlichen
Körperverletzung und bedürfen daher
grundsätzlich der Einwilligung des Patienten, um
rechtmäßig zu sein. Die Einwilligung kann aber
wirksam nur erteilt werden, wenn der Patient in gebotener Weise
über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten,
Risiken und mögliche Behandlungsalternativen
aufgeklärt worden ist (vgl. BGHR StGB § 223 Abs. 1
Heileingriff 4; BGH, Urt. vom 5. Juli 2007 - 4 StR 549/06 - Rdn. 16).
24
- 10 -
Die Kammer hat zu Recht die Aufklärung durch den Angeklagten
unter den drei im Urteil genannten Gesichtspunkten - früherer
Todesfall, fehlende Nachtschwester, keine Einstellung auf nur ein
"Opiat" (vgl. oben I. 2. a)) - als mangelhaft und die daraufhin
erteilte Einwilligung als unwirksam erachtet. Ebenso zutreffend hat sie
das verwirklichte Risiko vom Schutzzweck der verletzten
Aufklärungspflichten umfasst angesehen (UA S. 36; vgl. BGHR
aaO).
25
Zu Unrecht meint der Beschwerdeführer, das Verschweigen des
früheren Todesfalls begründe deshalb keinen
relevanten Aufklärungsmangel, weil die Patientin auch
"zufällig im Zusammenhang mit der Behandlung" verstorben sein
könnte. Der Zweifelssatz ist hier kein tauglicher
Maßstab für den Umfang der den Angeklagten
treffenden Aufklärungspflicht. Diese Pflicht bestand
unabhängig davon, ob die "konkrete Todesursache"
abschließend geklärt ist. Die Aufklärung
soll nämlich den Patienten gerade in die Lage versetzen, eine
autonome Entscheidung darüber zu treffen, ob er sich dem
körperlichen Eingriff unterzieht, und etwaige - auch unklare -
Risiken zu beurteilen. Deswegen hat die Kammer zutreffend darauf
abgestellt, dass bereits eine frühere Behandlung entgegen den
Äußerungen des Angeklagten nicht komplikationsfrei
verlief und die Patientin in seinen Praxisräumen verstarb,
zumal er selbst die "konkrete Todesursache" als nicht geklärt
ansah (UA S. 21).
26
Unter dem Gesichtspunkt einer von der Revision behaupteten
hypothetischen Einwilligung (hierzu BGHR StGB § 223 Abs. 1
Heileingriff 2; 4; 7) ist zudem zu beachten, dass sich eine
Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff - jedenfalls bei
Fehlen einer weitergehenden Aufklärung - nur auf eine nach dem
Stand der medizinischen Wissenschaft ("lege artis")
durchgeführte Heilbehandlung bezieht. Die Prüfung
einer hypothetischen Einwilligung in den "Turboentzug" gerade am 15.
Januar 1999 hat daher zu unterstellen, R. K. hätte um die
unzureichende Überwachung durch den Angeklagten am Folgetag
27
- 11 -
ab 2.00 Uhr gewusst (vgl. BGH, Urt. vom 5. Juli 2007 - 4 StR 549/06 -
Rdn. 18 f. m.w.N.). Dann hätte er aber zumindest auf "eine
weitere Verschiebung (des Termins) … Wert gelegt" (UA S. 25).
28
b) Daneben hat die Kammer auch zutreffend angenommen, dass die vom
Angeklagten pflichtwidrig verursachte unzulängliche
Überwachung des Patienten zumindest dazu führte, dass
dessen Tod - für den Angeklagten vorhersehbar - vorzeitig
eintrat (hierzu Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis 3. Aufl. Rdn.
221 ff. m.w.N.), so dass der Angeklagte auch den Tatbestand der
fahrlässigen Tötung rechtswidrig und schuldhaft
verwirklicht hat.
III.
Die auf die Sachbeschwerde gestützten Revisionen der
Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben
demgegenüber Erfolg. Im Urteil ist nicht unter allen gebotenen
Gesichtspunkten erörtert, ob sich der Angeklagte wegen
Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1
StGB strafbar gemacht hat.
29
1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Grundlage
dieser Prüfung allein die Körperverletzung ist, die
der Angeklagte dadurch beging, dass er R. K. willentlich Medikamente
verabreichte und ihn unter Narkose setzte (vgl. oben I. 2. a)).
Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Landgericht davon abgesehen, auch
die unzureichende Überwachung als durch Unterlassen begangene
vorsätzliche Körperverletzung zu bewerten. Zwar trat
auch insoweit ein Körperverletzungserfolg ein, weil sich der
Gesundheitszustand von R. K. während der unzureichenden
Überwachung erheblich verschlechterte. Das Landgericht hat
jedoch einen - zumindest bedingten - Verletzungsvorsatz nicht
festgestellt. Ein solcher Vorsatz ist nach den Feststellungen auch fern
liegend, insbesondere weil die Überwachung durch den
Angeklagten bis 2.00 Uhr zureichend war, dieser den verschlechterten
Zustand um 4.00 Uhr
30
- 12 -
bemerkte und sofort geeignete, wenngleich erfolglose
Rettungsbemühungen entfaltete. Vielmehr liegt es nahe, dass
der Angeklagte - wenngleich pflichtwidrig - darauf vertraute, die
weitere Behandlung verlaufe komplikationsfrei. Daher ist es
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Urteil einen etwaigen
Körperverletzungsvorsatz im Hinblick auf die unzureichende
Überwachung nicht erörtert.
2. Auf der Grundlage der Feststellungen kann allerdings nicht
abschlie-ßend beurteilt werden, ob der Angeklagte gerade mit
dem Heileingriff eine zurechenbare Ursache für den Tod des R.
K. setzte. Dies hätte näherer Erörterung
bedurft.
31
Die Kammer ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass
bei fahrlässigen Erfolgsdelikten, zu denen im Sinne von
§ 18 StGB auch die erfolgsqualifizierten Delikte
gehören, der ursächliche Zusammenhang zwischen dem
pflichtwidrigen Verhalten und dem Tötungs- und
Verletzungserfolg entfällt, wenn der gleiche Erfolg auch bei
pflichtgemäßem Verhalten des Täters
eingetreten wäre, der Erfolg also für ihn
unvermeidbar gewesen wäre (vgl. BGHSt 49, 1, 4;
Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. vor § 13 Rdn. 18e).
Wäre die Körperverletzung nicht in diesem Sinne
ursächlich für den Tod von R. K. geworden, so
hätte sich auch die tatbestandsspezifische Gefahr nicht darin
unmittelbar niederschlagen können (vgl. BGHSt 48, 34, 37;
Tröndle/Fischer aaO § 227 Rdn. 2a ff. m.w.N.).
32
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die Kammer hinsichtlich der
beiden alternativ in Betracht kommenden Todesursachen zu Gunsten des
Angeklagten davon ausgegangen, dass R. K. nicht an der
aspirationsbedingten Lungenentzündung, sondern an dem
hämorrhagischen Lungenödem verstarb. Hätte
die Lungenentzündung als Folge einer Aspiration
während der
33
- 13 -
Narkose zum Tod des Patienten geführt, wäre die
Verursachung durch den Heileingriff evident. Wird hingegen angenommen,
R. K. sei an dem hämorrhagischen Lungenödem als Folge
einer "Opiatintoxikation" verstorben, weil er bereits vor
Behandlungsbeginn ohne Kenntnis des Angeklagten zahlreiche "Giftstoffe"
zu sich genommen hatte, ist mit der Kammer grundsätzlich in
Betracht zu ziehen, dass der Tod auch dann eingetreten wäre,
wenn sich R. K. im Fall mangelfreier Aufklärung nicht dem
Heileingriff unterzogen hätte.
Im Hinblick auf die Todesursächlichkeit einer "normalen
Opiatintoxikati-on" hat die Kammer allerdings nicht erkennbar bedacht,
dass der Heileingriff nicht nur daraus bestand, den Patienten in
Narkose zu versetzen, sondern auch daraus, dass "vor und
während der Narkose … den Körper erheblich
belastende Medikamente verabreicht" wurden. Der Heileingriff ist jedoch
als Ganzes zu betrachten. Insbesondere die mehrtägige Gabe des
mit einer hohen Rezeptoraffinität ausgestatteten Wirkstoffs
Buprenorphin könnte hier geeignet gewesen sein, R. K. erst zu
einem erhöhten Beikonsum von toxischen Substanzen zu
veranlassen. Daneben könnte von Bedeutung sein, in welchem
Umfang die zusätzliche Verabreichung von Dihydrocodein durch
den Angeklagten zur letalen Dosis an "Opiaten" beitrug.
Schließlich war dem Angeklagten bekannt, dass sein Patient
schwerstabhängig war. Gerade deswegen hätte es
abhängig von Wirkung und Risiken der Medikation und den
sonstigen konkreten Umständen geboten sein können,
diesen über die Wirkung der verabreichten Medikamente -
insbesondere von Temgesic - zu informieren und ihn über
mögliche Risiken aufzuklären. Dies gilt umso mehr,
als der Angeklagte darauf verzichtete, seinen Patienten sicher auf ein
"Opiat" einzustellen. Im Fall einer derartigen Aufklärung
könnte R. K. naheliegenderweise auf den erhöhten
Beikonsum verzichtet haben. Allgemein bestehen Zweifel, ob ein
ambulanter "Turboentzug" unter diesen vom Landgericht festgestellten
Bedingungen überhaupt
34
- 14 -
- unabhängig von dem Überwachungsverschulden - als
ein "lege artis" durchgeführter Heileingriff zu bewerten ist.
Zu all dem verhält sich das Urteil nicht, obwohl eine
Erörterung hier geboten gewesen wäre.
35
Derartige Feststellungen selbst zu treffen, ist dem Revisionsgericht
verwehrt. Der Senat bemerkt allerdings, dass die Annahme eines
fehlenden Zusammenhangs zwischen Körperverletzung und
Todesfolge in Anbetracht der bereits getroffenen Feststellungen eher
fern liegt. Auch war es insoweit weder im Hinblick auf den Zweifelssatz
noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Sachverhaltsvarianten zu
unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten
Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., vgl. nur Senatsurt. vom 19.
Dezember 2006 - 1 StR 326/06 - Rdn. 25 m.w.N.).
3. Auf dem Erörterungsmangel beruht das Urteil, weil der
Angeklagte möglicherweise wegen Körperverletzung mit
Todesfolge verurteilt worden wäre, wenn die Kammer bei der
Prüfung des ursächlichen und gefahrspezifischen
Zusammenhangs nicht erkennbar den Blick auf das In-Narkose-Versetzen
verengt hätte.
36
Nack Wahl Kolz
Hebenstreit Graf |