BGH,
Urt. v. 23.10.2007 - 5 StR 318/07
5 StR 318/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
23.10.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23.
Oktober 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 14. Dezember 2006 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei
Fällen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und
sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die zu
Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revisi-on der Staatsanwaltschaft
mit einer Verfahrens- und der Sachrüge. Das vom
Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verband den zur Tatzeit 20
Jahre und zwei Monate alten Angeklagten mit seinem späteren
Opfer, dem etwa gleichaltrigen P. B. , seit der Kindheit eine besonders
enge Freundschaft. Diese wurde jedoch durch die seit zwei Jahren
andauernde Beziehung des Angeklagten zu der Prostituierten B. belastet.
Während der Angeklagte sehr an dieser Frau hing und er ihr mit
Hilfe eines erschlichenen Kredits sogar ein beachtliches monatliches
Einkommen vortäuschte, um sie an sich zu binden, lehnte P. B.
sie ab und äußerte sich vulgär und
beleidigend über sie, da er sie wegen ihrer Tätigkeit
als Prostituierte verachtete.
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Der Angeklagte fühlte sich hierdurch gedemütigt und
verletzt, setzte sich jedoch nicht zur Wehr.
Gegen 2.00 Uhr am Morgen des 21. April 2006 gingen der Angeklagte und
P. B. nach einem gemeinsam verbrachten Abend zur Wohnung P. B. s, wo
sie auf dessen Mitbewohner, seinen nur um wenige Jahre älteren
Onkel A. B. trafen. Die jungen Männer aßen eine
Pizza, das hierbei benutzte Messer wurde auf einem Beistelltisch
abgelegt. Nachdem A. B. sich zurückgezogen hatte, entbrannte
zwischen dem Angeklagten und P. B. ein heftiger Streit. Anlass
hierfür war, dass der Angeklagte aus Geldmangel die Bitte P.
B. s, ihm 550 Euro zu leihen, abgelehnt hatte. Der daraufhin
verärgerte P. B. warf dem Angeklagten vor, als
Zuhälter für seine Freundin zu arbeiten. Dessen
Beteuerungen, B. habe die Prostitution aufgegeben, beachtete P. B.
nicht und schlug vor, er und der Angeklagte könnten sich
gemeinsam als Zuhälter von B. und ihrer Freundin
betätigen. Im Verlauf der Auseinandersetzung wurde P. B. immer
ausfallender und äußerte sich in
äußerst abfälliger sexualbezogener Weise
über B. .
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Der Angeklagte wollte schließlich gehen, wurde jedoch von P.
B. auf dem Weg zur Tür zweimal geschubst, so dass er hinfiel.
Der in körperlichen Auseinandersetzungen unerfahrene
Angeklagte wurde wütend und wehrte sich nun. Im Rahmen des
Handgemenges geriet er in von ihm „nicht mehr
vollständig beherrschbare
Erregungszustände“, fasste das Pizzamesser und
versetzte P. B. damit einen Stich in den Oberkörper, woraufhin
dieser zusammenbrach. Der aufmerksam gewordene A. B. betrat nun das
Zimmer, erfasste die Situation und warf sich auf den Angeklagten.
Dieser stieß auch A. B. mit voller Wucht das Messer in den
Oberkörper. Dennoch kämpfte A. - noch auf dem Boden
liegend - mit dem Angeklagten und konnte ihm das Messer entwinden. Dem
Angeklagten gelang es aber, aufzustehen und in den Flur zu laufen. Von
dort hastete er in die Küche, durchsuchte fieberhaft
sämtliche Schränke, nahm weitere Messer
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und einen Wetzstahl an sich und kehrte in das Zimmer, in dem seine
wehrlosen Opfer lagen, zurück. Wie besessen stach er auf diese
weiter ein, versetzte beiden in wenigen Minuten nahezu 100 Stiche,
wobei in seiner Vorstellung A. B. zu einem zweiten P. B. verschwamm. P.
B. und A. B. verstarben kurz darauf an ihren Verletzungen. Auf seinem
Nachhauseweg warf der Angeklagte seine blutdurchtränkte
Oberbekleidung in die Spree.
2. Der Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft, das Gericht habe
die Feststellungen zu den Verletzungen der Getöteten und ihrer
Ursachen nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung
geschöpft, ist offensichtlich unbegründet. Denn die
hierzu getroffenen Feststellungen können auf der Einlassung
des Angeklagten beruhen, der Tatablauf und -erfolg zur
Überzeugung der Jugendkammer glaubhaft geschildert hat. Diese
Verfahrenslage hat offensichtlich auch der Sitzungsvertreter der
Staatsanwaltschaft nicht anders beurteilt, da er vor seinem
Schlussantrag auf Verurteilung wegen zweier vollendeter
Kapitalverbrechen keine weiteren Beweiserhebungen beantragt hat.
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3. Die Überprüfung des Schuld- und
Rechtsfolgenausspruchs deckt keine Rechtsfehler auf. Insbesondere die
von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Erwägungen, mit denen
die Jugendkammer eine erhebliche Verminderung der
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21
StGB angenommen hat, halten rechtlicher Prüfung stand.
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Das durch einen psychiatrischen Sachverständigen beratene
Tatgericht ist davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte bei dem
jeweils ersten Messerstich gegen beide Opfer in einem hochgradigen
Affektzustand befand und deswegen seine Steuerungsfähigkeit
erheblich vermindert war. Für den nachfolgenden Gewaltexzess
konnte es die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit
aufgrund möglichen Fortwirkens des Affekts nicht
ausschließen.
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Die vom Landgericht - nach eigener Prüfung den
Ausführungen des Sachverständigen folgend -
für die Annahme eines Affekts im Sinne einer tiefgreifenden
Bewusstseinsstörung genannten Umstände sind geeignet,
diese Wertung zu tragen. Der tatrichterlichen Würdigung
lässt sich auf der Grundlage der als glaubhaft erachteten
Tatversion des Angeklagten - wogegen auch die Revision keine
tragfähigen Einwände vorgebracht hat - eine Vielzahl
von Kriterien entnehmen, die für die Annahme eines Affekts
sprechen. So ist dort ausgeführt, dass sich im Vorfeld der Tat
bei dem aggressionsgehemmten Angeklagten bedingt durch die intensive
Beziehung zu P. B. und den Konflikt um B. eine chronische
Affektspannung aufgebaut habe. Diese habe sich angesichts der massiven
verbalen Provokation in der Tatnacht, die der Angeklagte als Bedrohung
seiner Liebesbeziehung empfunden habe, entladen. Die tätliche
Auseinandersetzung mit dem als wesensverändert erlebten P. B.
sei ein weiterer wichtiger Faktor für die Auslösung
des Affekts gewesen, dies um so mehr, als es sich für den
Angeklagten um eine erstmals erlebte körperliche Konfrontation
gehandelt habe. Diese psychische Reaktion sei durch den - wenn auch
nicht rechtswidrigen - Angriff A. B. s noch verstärkt worden.
Auch der abrupte Tatbeginn mit elementarer Wucht in der
Tatausführung, die in einem Gewaltexzess endete,
stützt die Annahme eines die Steuerungsfähigkeit
erheblich mindernden Affekts.
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Dem Ergebnis der Jugendkammer steht auch nicht entgegen, dass der
Angeklagte nach den beiden ersten Messerstichen neue Tatwerkzeuge
herbeigeholt hat. Dass das Geschehen hierdurch ein zweiphasiges
Gepräge erhalten hat, hat sie gesehen und in noch
ausreichender Weise erörtert. Vor allem angesichts des
folgenden Gewaltexzesses, der mit einer Opferkonfusion verbunden war,
war sie aus Rechtsgründen auch nicht gehalten, diesem Umstand
ein den schuldmindernden Affekt ausschließendes Gewicht
beizumessen. Bei dem Herbeiholen des neuen Tatwerkzeugs handelt es sich
um eine einfache Tätigkeit, die vom Angeklagten keine
intensiven Entscheidungs- und Steuerungselemente erfordert und deswegen
- anders als ein komplexes, mehraktiges Geschehen - nicht gegen einen
Affekt spricht (vgl. auch BGHR StGB § 21 Be-
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wusstseinsstörung 1; BGH, Beschluss vom 12. Juni 2007 - 4 StR
187/07). Soweit die Revision die fehlende Erörterung einer
angeblich zielgerichteten Gestaltung des Tatablaufs und des
Nachtatverhaltens als gegen einen Affekt sprechendes Kriterium
beanstandet, liegt darin ebenfalls kein Rechtsfehler. Denn auch ein
Täter, der in einem hochgradigen affektiven Ausnahmezustand
handelt, kann gemessen an der Verfolgung seines deliktischen Ziels
durchaus folgerichtig und zielgerichtet handeln (BGHR StGB §
20 Bewusstseinsstörung 6, § 21 Affekt 10; BGH,
Beschluss vom 12. Juni 2007 - 4 StR 187/07). Bei der intakten
Erinnerung des Angeklagten an das Tatgeschehen handelt es sich zwar um
ein gegen einen Affekt sprechendes, wenn auch keinesfalls zwingendes
Indiz, welches bei Vorliegen gegenläufiger Anzeichen
entkräftet werden kann (BGH, Beschluss vom 31. Januar 2007 - 5
StR 504/06 m.w.N.). Die fehlende Erörterung dieses Indizes ist
angesichts der gewichtigen und aussagekräftigen Besonderheiten
in der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten, die zur
Annahme eines Affekts geführt haben, noch vertretbar.
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Ungewöhnlich knapp hat das Landgericht allerdings angesichts
des zutreffend beschriebenen Befundes, das „nahezu
hundertfache, ebenso wahllose wie sinnlose Einstechen auf die Opfer,
namentlich den besten Freund, dräng(e) den Eindruck des Werkes
eines Wahnsinnigen auf“ (UA S. 13), die Frage abgehandelt, ob
bei dem früher wegen eines ADH-Syndroms behandelten,
überaus planlos lebenden Angeklagten eine krankhafte seelische
Störung oder eine andere seelische Abartigkeit vorliegt. In
diesem von der Revision nicht aufgegriffenen Punkt nimmt der Senat hin,
dass das Landgericht lediglich unter Berufung auf die Sachkunde des
gehörten psychiatrischen Sachverständigen dessen
negativen Befund im Ergebnis mitteilt.
Die Höhe der verhängten Jugendstrafe ist angesichts
der - vom Landgericht freilich gesehenen (UA S. 16) -
außerordentlich schweren Tatfolgen über-
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aus niedrig, aus Rechtsgründen aber noch nicht zu beanstanden.
Die zum Nachteil der Nebenkläger getroffene für den
Senat nicht nachvollziehbare Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil
unterliegt nicht seiner revisionsgerichtlichen Prüfung.
Basdorf Gerhardt Raum
Brause Schaal |