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BGH, Urteil vom 25. August 2005 - 5 StR 255/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 25.8.2005 - 5 StR 255/05
5 StR 255/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
25.08.2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. August
2005, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Ministerialrat
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt P
als Verteidiger des Angeklagten A K ,
Rechtsanwalt L
als Verteidiger des Angeklagten C K ,
Rechtsanwälte D und G
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers
wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom
21. Dezember 2004
a) dahin abgeändert, dass der Angeklagte C
K - unter Freisprechung im Übrigen - wegen
gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem
Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe
verurteilt ist,
b) im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
3. Der Nebenkläger hat die Kosten seiner den Angeklagten
A K betreffenden Revision und die diesem
Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
4. Zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die Strafe
gegen den Angeklagten C K , auch über
die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und der
diesen Angeklagten betreffenden Revision des Nebenklägers,
wird die Sache an eine allgemeine Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
- 4 -
G r ü n d e
Von den Anklagevorwürfen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung
und gemeinschaftlich versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung hat das Schwurgericht die Angeklagten aus tatsächlichen,
den Angeklagten C K im zweiten Tatkomplex auch aus
rechtlichen Gründen freigesprochen. Allein wegen unerlaubten Führens einer
halbautomatischen Kurzwaffe ist der Angeklagte C K zu einer
Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100 € verurteilt worden; dies betrifft die
weitere Tatbegehung nach dem mit der Waffe vorgenommenen, gemäß tatgerichtlicher
Auffassung durch Nothilfe gerechtfertigten Angriff auf den Nebenkläger.
Die - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft
richtet sich mit der Sachrüge allein gegen die Freisprechung des
Angeklagten C K im zweiten Tatkomplex; die Beschwerdeführerin,
die insoweit auch die tatgerichtlichen Feststellungen angreift und die
Aufhebung des Urteils begehrt, beanstandet die Annahme eines Rechtfertigungsgrundes
und die Verneinung des Tötungsvorsatzes. Die Revisionen
des Nebenklägers wenden sich mit der Sachrüge gegen die Freisprechung
beider Angeklagter im zweiten Tatkomplex. Die Freisprüche der Angeklagten
vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung im ersten Tatkomplex sind
mithin rechtskräftig.
Hinsichtlich des Angeklagten C K haben die Revisionen
einen Teilerfolg: Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen
war das Tatverhalten dieses Angeklagten im zweiten Tatkomplex
nicht gerechtfertigt. Dies führt insoweit zur Aufhebung des Freispruchs und
zum Schuldspruch gegen diesen Angeklagten wegen tateinheitlicher gefährlicher
Körperverletzung. Die weitergehenden Revisionen sind unbegründet.
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1. Das Schwurgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
In den frühen Morgenstunden des 13. Mai 2004 verließen die Angeklagten,
zwei Brüder, mit zwei Begleitern und zwei Begleiterinnen eine Diskothek
am Kurfürstendamm in Berlin, vor der es zu einer körperlichen Auseinandersetzung
zwischen dem Nebenkläger und A K kam. Anlass
waren vermutlich die Beziehungen der beiden Männer zu einer der Begleiterinnen.
Nach Ende der Auseinandersetzung, in die C K und
ein weiterer Begleiter möglicherweise schlichtend eingegriffen hatten, holte
der Nebenkläger aus seinem Fahrzeug einen Teleskopschlagstock, mit dem
er unvermittelt zunächst auf C K losging. Er hieb ihm mit dem
Totschläger so kräftig auf den Kopf, dass dieser eine stark blutende Kopfplatzwunde
davontrug. Anschließend schlug der Nebenkläger mit dem Totschläger
auch auf A K ein, der seinem Bruder zu Hilfe eilte.
A K , der von einem weiteren Begleiter unterstützt wurde, gelang
es schließlich, dem wild um sich schlagenden Nebenkläger den Totschläger
zu entwinden; zuvor hatte auch er eine Kopfplatzwunde durch einen
Schlag des Nebenklägers erlitten. Eben zu diesem Zeitpunkt, als es A
K gelang, dem Nebenkläger den Schlagstock zu entwinden, hob
C K eine erlaubnispflichtige geladene Pistole vom Boden auf.
Woher die Waffe stammte, etwa aus dem Pkw des Nebenklägers oder aus
dem der Angeklagten, blieb ungeklärt. Da der Nebenkläger mit unverminderter
Energie versuchte, A K den Schlagstock wieder abzunehmen,
gab C K , um seinem Bruder zu helfen, in schneller Folge
drei oder vier Schüsse ab. Der in der Waffenbenutzung ungeübte Angeklagte
traf den Nebenkläger, obgleich er auf seine Beine zielte, im Lendenbereich
und am Ellenbogen. Den Tod des Nebenklägers nahm C K
bei Abgabe der Schüsse nicht billigend in Kauf. Mit dem Begleiter des
Bruders flüchteten die Angeklagten anschließend, C K unter
Mitnahme der Waffe, die er später in die Havel warf. Der Nebenkläger, der
drei Steckschüsse im linken Flankenbereich erlitten hatte, überlebte nach
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mehrstündiger Notoperation. Auch er hatte im Rahmen der Auseinandersetzung
eine Kopfplatzwunde davongetragen.
Allein wegen des der Schießerei nachfolgenden Führens der Waffe
hat das Schwurgericht den Angeklagten C K verurteilt. Die
Schussabgabe, mithin auch das Führen der Waffe hierbei, hat es hingegen
wegen Nothilfe als gerechtfertigt angesehen. Irgendeine Mitwirkung des Mitangeklagten
A K an den Schüssen hat das Schwurgericht nicht
festgestellt.
2. Die Feststellungen des Schwurgerichts sind aus Rechtsgründen
nicht zu beanstanden.
a) Wie der Gesamtzusammenhang des Urteils ergibt, stehen die richterlichen
Geständnisse der Angeklagten, die sich in der Hauptverhandlung
nicht eingelassen haben, im Wesentlichen im Einklang mit den getroffenen
Feststellungen. Eine nähere Wiedergabe des Inhalts jener Geständnisse war
daher nicht unerlässlich.
b) Im Übrigen stehen die Feststellungen insgesamt im Einklang mit
den Bekundungen mehrerer Augenzeugen, letztlich nicht einmal in wesentlichem
Widerspruch zu den Angaben des Nebenklägers. Insbesondere ist die
„Kampflage“ in dem Moment, als C K auf den Nebenkläger
schoss, ausreichend geklärt. Das Schwurgericht durfte sich für die Feststellung,
dass A K zu diesem Zeitpunkt dem Nebenkläger den Totschläger
bereits entwunden hatte, maßgeblich auf dessen eigene Angaben,
mit denen er seinen Bruder ersichtlich nicht begünstigte, stützen. Gleichwohl
dauerte der rechtswidrige Angriff des Nebenklägers auf A K ,
wie sich aus den Beobachtungen der Augenzeugen ergab, zu diesem Zeitpunkt
fort. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Nothilfesituation waren
mithin gegeben.
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c) Auch die Annahme, dass C K lediglich mit Verletzungs-,
nicht mit Tötungsvorsatz handelte, ist ausreichend belegt. Ein unbeteiligter
Zeuge hatte ausdrücklich bestätigt, dass der Schütze lediglich auf die
Beine des Nebenklägers gezielt hatte. Den Umstand, dass C K
ersichtlich nicht bestrebt war, das Leben seines Bruders zu gefährden, und
dennoch wiederholt Schüsse in Richtung der bewegten Personengruppe abgab,
durfte das Schwurgericht ungeachtet der hohen Lebensgefährlichkeit
dieses Verhaltens ausschlaggebend zur Annahme eines bloßen Verletzungsvorsatzes
heranziehen. Sachlich-rechtlich fehlerhaft ist diese tatrichterliche
Beweiswürdigung nicht; zwingend muss sie nicht sein.
d) Die Freisprechung des Angeklagten A K unterliegt bei
dem festgestellten Geschehen keinerlei sachlich-rechtlichen Bedenken.
3. Indes fehlt es auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen für die Annahme des Rechtfertigungsgrundes der Nothilfe
bezogen auf die Schüsse des Angeklagten C K an der Erforderlichkeit
solcher Verteidigung (§ 32 Abs. 2 StGB). Ungeachtet des heftig
bewegten Tatgeschehens und der Vehemenz der Angriffe des Nebenklägers
auch unmittelbar nach seiner Entwaffnung hätte der Angeklagte - insbesondere
da die Einwirkungsmöglichkeiten des Nebenklägers zum gegebenen
Zeitpunkt nicht mehr derart akut gefährlich waren - vor Abgabe gezielter
Schüsse auf den Körper des Nebenklägers den Einsatz der Waffe zunächst
androhen müssen, insbesondere etwa durch einen Warnschuss (vgl. BGHR
StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 5 und 11, Verhältnismäßigkeit 2). Diese
Einschränkung des Notwehrrechts durch Begrenzung der Erforderlichkeit der
Verteidigung bezieht sich auf jeglichen gefährlichen Einsatz einer Schusswaffe,
nicht etwa nur auf einen mit (mindestens bedingtem) Tötungsvorsatz
geführten. Dass die Abgabe eines zweiten und eines dritten Schusses zur
Verteidigung des angegriffenen Bruders nicht erforderlich war, liegt ohnehin
auf der Hand. Die Feststellung des Schwurgerichts, der Nebenkläger habe
auf die - schnell nacheinander abgegebenen - Schüsse zunächst nicht rea-
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giert, setzt die Annahme mangelnder Erforderlichkeit der Verteidigung in der
festgestellten Kampflage nicht durchgreifenden Zweifeln aus. Eine alsbaldige
ungehinderte Flucht vom Ort des Geschehens war den angeklagten Brüdern
und dem Begleiter unmittelbar nach Abgabe der Schüsse ohne weiteres
möglich. Bezogen auf die zuvor gegebene Situation ist auszuschließen, dass
ein kurzes Abwarten der Wirkung einer Androhung der Schusswaffenverwendung,
insbesondere eines Warnschusses, dann auch des ersten Schusses,
die Verteidigungssituation von A K maßgeblich gefährdet
hätte. Anhaltspunkte, dass die Abgabe mehrerer Schüsse auf die Ungeübtheit
des Angeklagten C K in der Handhabung der Waffe zurückzuführen
sein könnte, sind nicht erkennbar.
4. Es ist nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe auch
nicht ersichtlich, dass C K die für die Beurteilung der Erforderlichkeit
der Nothilfe herangezogenen maßgeblichen Umstände nicht überschaut
hätte. Ferner sind ernstliche Anhaltspunkte für eine schuldausschließende
Notwehrüberschreitung sowie für einen Ausschluss oder eine erhebliche
Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten angesichts der getroffenen
Feststellungen zu dessen psychischem Zustand während der Auseinandersetzung
mit dem Nebenkläger - auch eingedenk einer gewissen
Alkoholisierung und eigener Verletzungen - wie angesichts der Feststellungen
zu seinem Nachtatverhalten nicht gegeben. Danach sieht sich der Senat
nicht gehindert, auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen des
Schwurgerichts zum Schuldspruch auf gefährliche Körperverletzung, begangen
mittels einer Waffe und einer das Leben gefährdenden Behandlung
(§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB), durchzuentscheiden. Die Tat ist entgegen
der Auffassung des Schwurgerichts nicht gerechtfertigt und auch nicht
entschuldigt; sie steht daher mit dem vom Schwurgericht allein ausgeurteilten
Vergehen nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 lit. b WaffG - wie angeklagt - in Tateinheit;
das Führen der Waffe dauerte von ihrer nicht gerechtfertigten Benutzung bis
zu ihrer Entledigung durchgehend an.
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Dieser umfassenden Beurteilungsmöglichkeit des Revisionsgerichts
bei der vorliegenden Fallgestaltung ist auch die Verteidigung des Angeklagten
C K in der Revisionshauptverhandlung nicht entgegengetreten;
der Verteidiger hat hilfsweise für den Fall, dass den Urteilsfeststellungen
eine Rechtfertigung oder Entschuldigung dieses Angeklagten nicht zu
entnehmen sei, eine Durchentscheidung auf einen Schuldspruch wegen gefährlicher
Körperverletzung beantragt. Eine - durch Rechtsfehler im angefochtenen
Urteil nicht veranlasste - Aufhebung der Feststellungen im Zusammenhang
mit der Schießerei allein mit Rücksicht darauf, dass der insoweit
freigesprochene Angeklagte C K das Urteil in diesem
Punkt selbst nicht anfechten konnte, ist bei dieser Sachlage ausnahmsweise
nicht veranlasst. Sie zöge die Beseitigung diesen Angeklagten begünstigender,
rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen nach sich: So wurde ihm - im
Einklang mit seiner früheren eigenen Einlassung - kein Tötungsvorsatz angelastet
und eine Nothilfesituation bei Tatbegehung zugebilligt.
5. Für den vom Revisionsgericht erkannten Schuldspruch hat ein neues
Tatgericht eine Strafe zu finden. Der Senat verweist die Sache an eine
nach § 74 Abs. 1 GVG zuständige Strafkammer zurück. Neben der erneuten
Anwendung des § 52 Abs. 6 WaffG wird auch die Annahme eines minder
schweren Falles der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 StGB,
zweiter Halbsatz) im Blick auf die gegebene Nothilfesituation und eine Parallelwertung
zu § 213 StGB, erste Alternative, nicht fernliegen. Auch wird auf
eine in der Tatsituation selbstverständlich gegebene gewisse Einschränkung
der Schuldfähigkeit Bedacht zu nehmen sein.
Bei der Straffindung ist das neue Tatgericht an die bislang rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen gebunden. Es kann lediglich ergänzende
Feststellungen treffen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen. Solche
werden namentlich hinsichtlich der Verletzungsfolgen des Nebenklägers
in Betracht kommen, eventuell auch für die persönlichen Verhältnisse des
Angeklagten C K .
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6. Mit der Aufhebung des Freispruchs entfällt der Entschädigungsausspruch
zugunsten des Angeklagten C K ; damit erledigt sich
die insoweit eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft.
Basdorf Häger Raum
Brause Schaal



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