BGH,
Urt. v. 25.6.2002 - 5 StR 103/02
5 StR 103/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 25. Juni 2002
in der Strafsache gegen
1.
2.
3.
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 25.
Juni 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger, Richter Basdorf, Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Schaal als beisitzende Richter, Richterin am Landgericht als
Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwältin G als
Verteidigerin für den Angeklagten R , Rechtsanwalt U als
Verteidiger für den Angeklagten B , Rechtsanwalt Br als
Verteidiger für den Angeklagten S , Rechtsanwältin F
als Beistand des Nebenklägers, Justizoberinspektorin als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das
Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Juli 2001 werden mit
der Maßgabe verworfen, daß die Angeklagten des
versuchten Mordes in Tateinheit mit wissentlicher schwerer
Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung sowie der
gefährlichen Körperverletzung schuldig sind.
2. Die Angeklagten B und S haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die
dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen. Bei dem Angeklagten R wird von der Auferlegung von
Kosten und Auslagen abgesehen.
3. Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie die den
Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt
die Staatskasse.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in
Tateinheit mit schwerer Körperverletzung und
Freiheitsberaubung sowie wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und
zehn Monaten (R ) und zu Gesamtfreiheitsstrafen von 14 Jahren (S ) und
15 Jahren (B ) verurteilt. Gegen das Urteil wenden sich sowohl die
Angeklagten als auch die Staatsanwaltschaft; keine der Revisionen hat
letztlich Erfolg.
I.
Die Angeklagten gehören der sogenannten Skinheadszene an, in
der rechtsradikale, im wesentlichen durch
Ausländerhaß und Gewaltbereitschaft
geprägte Vorstellungen vertreten werden.
Am Abend des 15. Januar 2001 trafen sich die drei
Beschwerdeführer mit weiteren Gesinnungsgenossen, den
Nichtrevidenten H und Sch , in der Wohnung des Zeugen Z , wo sie
Alkohol tranken und "rechte" Musik hörten. Im Verlaufe des
Abends kam das Gespräch auf eine vermeintlich gegen eines der
Gruppenmitglieder wegen Körperverletzung erstattete
Strafanzeige. Als mutmaßlicher Anzeigenerstatter geriet der
Nebenkläger Re in Verdacht, den alle Anwesenden aus dem
nahegelegenen Wohnheim für junge ehemalige Strafgefangene
kannten. H schlug vor, Re zur Rede zu stellen. Daraufhin begaben sich R
und B in das Wohnheim, weckten Re auf, befahlen ihm, sie zu begleiten,
weil man sich mit ihm unterhalten wolle. Nach einem vergeblichen
Fluchtversuch des Zeugen erreichte man zwischen 0.00 und 0.30 Uhr die
Wohnung Z . Dort versetzte H dem Zeugen einen Schlag ins Gesicht und
fragte ihn, ob er die fragliche Anzeige erstattet habe. Obwohl der
Zeuge dies bestritt, wurde er in den nächsten Stunden
wiederholt von allen Anwesenden getreten und geschlagen, wobei H die
treibende Kraft war. Infolge der Mißhandlungen erlitt Rei
Hautrötungen, Hämatome und deutliche Schwellungen im
Gesicht.
In den frühen Morgenstunden äußerte H die
Befürchtung, daß Re sie wegen dieser Handlungen
anzeigen könne, er müsse deshalb beseitigt werden.
Alle Angeklagten stimmten zu und stellten Überlegungen an, auf
welche Weise dies geschehen könne. Wiederum auf Vorschlag von
H einigte man sich nach längerer Diskussion darauf, Re zu
verbrennen, weil dieser "ganz weg müsse", um
"sämtliche Beweise der Mißhandlungen zu vernichten".
In Gegenwart des verzweifelten Zeugen wurde auch noch
erörtert, ob man mit Benzin einen Menschen völlig
verbrennen könne und "wieviel Benzin fürs Abbrennen"
erforderlich sei.
Gegen 4.30 Uhr brachte man den Zeugen zu einem abgelegenen Ort in der
Nähe von Bahngleisen. Dort forderte H den Zeugen auf, sich
auszuziehen, da er "dann besser brenne". Re weinte und flehte um sein
Leben, was keinen der Angeklagten beeindruckte. Auf Geheiß
von H schlug R den Zeugen zu Boden und Sch goß etwa einen
Liter Benzin auf den nackten Körper des Zeugen aus. Danach
hielt R wieder auf Geheiß des H ein Feuerzeug an die
Füße des Zeugen. Nach einigen Sekunden
entzündete sich eine Flamme, die den Körper des
Zeugen ergriff; Re brannte. Durch Hin- und Herwälzen auf dem
Boden konnte er das Feuer nach kurzer Zeit jedoch löschen,
aufstehen und davonlaufen. Als die Angeklagten, die sich bereits einige
Meter vom Tatort entfernt hatten, dies bemerkten, liefen B und S auf
entsprechenden Zuruf des H dem Zeugen nach. Diesem gelang es jedoch,
sich zunächst zu verstecken und alsdann im Schutze der
Dunkelheit eine nahegelegene Tankstelle zu erreichen, wo ein
Rettungswagen verständigt wurde.
Re mußte vielfach operiert werden. Sein gesamter
Oberkörper wie auch die Beine und Arme sind massiv vernarbt.
Infolge der Hauttransplantationen hat er Schwierigkeiten, die
Körpertemperatur entsprechend den äußeren
Einflüssen zu regeln. Die geschädigten Hautpartien
dürfen keiner Sonnenbestrahlung ausgesetzt werden und
benötigen täglich einen hohen Pflegeaufwand. Der
Zeuge wird für immer deutlich sichtbare Kennzeichen der
erlittenen schweren Brandverletzungen behalten, die geeignet sind, auch
auf sein seelisches Wohlbefinden dauerhaft einzuwirken. Infolge der
verbleibenden Schäden werden seine
Berufsmöglichkeiten künftig eingeschränkt
bleiben.
II.
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet. Das Urteil
weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführer
auf.
Die vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Verletzung sachlichen
Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft bleiben im
Ergebnis ebenfalls ohne Erfolg.
1. Allerdings rügt die Staatsanwaltschaft hinsichtlich aller
Angeklagten zu Recht, daß die Strafkammer das Inbrandsetzen
des Zeugen als versuchten Mord in Tateinheit mit (nur) schwerer
Körperverletzung gemäß § 226 Abs.
1 Nr. 3 StGB bewertet, den qualifizierten Fall der schweren
Körperverletzung gemäß § 226 Abs.
2 StGB aber nicht geprüft hat.
Der Qualifikationstatbestand des § 226 Abs. 2 StGB ist unter
anderem dann verwirklicht, wenn der Täter eine der in
§ 226 Abs. 1 StGB bezeichneten Folgen wissentlich verursacht.
Das Landgericht hat hierzu festgestellt, daß Re sein Leben
lang sichtbare Kennzeichen der durch die Tat verursachten schweren
Brandverletzungen an Oberkörper, Armen und Beinen behalten
wird und hat deshalb das Vorliegen des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB
rechtsfehlerfrei bejaht.
Wissentliches Handeln im Sinne des § 226 Abs. 2 StGB bedeutet,
daß der Täter die schwere Folge als sicheres
Resultat seiner Handlungen voraussieht (Tröndle/Fischer, StGB
50. Aufl. § 226 Rdn. 19 m. w. N.). Dazu bedarf es
entsprechender Feststellungen zur inneren Tatseite, die das Landgericht
ausdrücklich allerdings nicht getroffen hat. Sie lassen sich
dem angefochtenen Urteil aber ohne weiteres entnehmen: Die Angeklagten
hatten sich nach längeren Überlegungen dazu
entschlossen, den Zeugen "ganz" zu verbrennen, um sämtliche
Spuren der Mißhandlungen zu vernichten. Entsprechend diesem
Tatplan haben sie den nackten Körper ihres Opfers mit Benzin
übergossen und in Brand gesetzt. Daß ein solches
massives Vorgehen die Hautoberfläche ganz oder teilweise
zerstört, im Falle des Todes bis zur Unkenntlichkeit des
Leichnams führen kann und im Falle des Überlebens
dauerhaft entstellende Vernarbungen hinterläßt,
liegt auf der Hand. Dessen waren sich die Angeklagten gerade aufgrund
ihrer vorausgegangenen Diskussion durchaus bewußt.
Der Annahme des § 226 Abs. 2 StGB steht auch nicht entgegen,
daß die Angeklagten mit direktem Tötungsvorsatz
gehandelt haben (BGHR StGB § 226 Abs. 2 schwere Folge 1). Denn
zur Tatbestandserfüllung reicht es aus, daß der
Täter - alternativ zur beabsichtigten Tötung - die
schwere Folge als sichere Auswirkung seiner Handlung voraussieht (BGHR
StGB aaO), er - wie hier - die schwere Folge durch die
gewählte Art und Weise der Tötung als notwendiges
Durchgangsziel erkennt. Dementsprechend hat der Senat den Schuldspruch
geändert.
2. Der festgestellte Rechtsfehler hat sich jedoch nicht auf die
jeweiligen Rechtsfolgenaussprüche ausgewirkt. Der Senat
schließt entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft aus,
daß der Tatrichter bei Berücksichtigung der
Qualifikation bei den Angeklagten B und S die für den
versuchten Mord gewährte Strafrahmenverschiebung nach den
§§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB und eine entsprechende
Milderung der Jugendstrafe bei dem Angeklagten R nicht vorgenommen
hätte.
Die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB verlangt
eine Gesamtschau, die neben der Persönlichkeit des
Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei
insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte einbezieht wie
Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs
und eingesetzte kriminelle Energie (vgl. BGHR StGB § 23 Abs. 2
Strafrahmenverschiebung 12 m. w. N.). Eine sorgfältige
Abwägung dieser Umstände ist namentlich dann geboten,
wenn - wie hier bei B und S - nur die versuchsbedingte Milderung
zeitige Freiheitsstrafe ermöglicht (BGHR StGB § 23
Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8).
Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des Landgerichts
zur Versuchsmilderung gerecht.
Die Strafkammer hat die wesentlichen straferschwerenden Gesichtspunkte,
die für eine Versagung der Versuchsmilderung sprechen
können, gesehen und gewertet. Sie hat die hohe
Gefährlichkeit der Versuchshandlung, die unmittelbare
Nähe zur Tatvollendung, die Verwirklichung zweier Mordmerkmale
und die tateinheitliche Begehung einer schweren
Körperverletzung und damit die dauernde Entstellung des Zeugen
und die hiermit für diesen verbundenen
Einschränkungen ersichtlich berücksichtigt. Die
Strafkammer hat schließlich auch die von den Angeklagten
aufgewendete kriminelle Energie und ihre jeweiligen
Tatbeiträge im einzelnen gewichtet, dabei aber zugunsten aller
Angeklagten einschränkend bedacht, daß die treibende
Kraft H war, da er den Anstoß zur Tötung des Zeugen
gegeben und die entscheidenden Anweisungen und Befehle erteilt habe.
Insbesondere dieser Gesichtspunkt im Zusammenwirken mit weiteren
schuldmindernden Umständen, wie etwa die bei allen Angeklagten
gegebene alkoholische Enthemmung, die gruppendynamische Entwicklung des
Tatgeschehens, die Geständnisse oder zumindest
teilgeständigen Angaben und letztlich auch das Alter der
Angeklagten (17, 23, 29 Jahre) haben das Landgericht bewogen, bei B und
S die Strafrahmenverschiebung und bei R eine entsprechende Milderung
der Jugendstrafe vorzunehmen.
Wenngleich der qualifizierte Fall der schweren
Körperverletzung gemäß § 226 Abs.
2 StGB mit einem Strafrahmen von drei bis fünfzehn Jahren
Freiheitsstrafe einen höheren Unrechtsgehalt aufweist als die
"einfache" schwere Körperverletzung gemäß
§ 226 Abs. 1 StGB (Strafrahmen: ein Jahr bis zehn Jahre), ist
angesichts der dargelegten umfassenden tatrichterlichen
Erwägungen, die auch dem außergewöhnlich
brutalen Vorgehen der Täter und den schweren Folgen
für das Opfer Rechnung tragen, auszuschließen,
daß bei Annahme des Qualifikationstatbestandes die
Versuchsmilderung unterblieben wäre. Dies gilt umso mehr, als
die Strafkammer insbesondere bei B und S , die ohne die
Strafrahmenverschiebung zu lebenslangen Freiheitsstrafen
hätten verurteilt werden müssen,
ausdrücklich hervorhebt, daß die für den
versuchten Mord in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung
verhängten Einsatzstrafen von 14 Jahren und sechs Monaten (B )
und 13 Jahren und sechs Monaten (S ) ganz erheblich seien,
daß aber nur derart hohe Strafen auf die Angeklagten
angemessen einwirken könnten.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Schaal
|