BGH,
Urt. v. 25.3.2010 - 4 StR 522/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 522/09
vom
25. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25.
März 2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann, Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der
Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwalt
in Untervollmacht für Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Saarbrücken vom 28. Mai 2009 im gesamten
Strafausspruch aufgehoben. Die Feststellungen mit Ausnahme derjenigen
zu den Vorstrafen des Angeklagten bleiben aufrecht erhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur
gefährlichen Körperverletzung und wegen unterlassener
Hilfeleistung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben
Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung
ausgesetzt hat. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision
beanstandet die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten
wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung
sowie den Strafausspruch; sie rügt die Verletzung formellen
und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt auf die
Verfahrensrüge zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs; im
Übrigen ist es unbegründet.
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I.
1. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils weist keinen Rechtsfehler
zum Vorteil des Angeklagten auf. Dies gilt auch, soweit das Landgericht
den Angeklagten wegen der Beteiligung an den Misshandlungen des
Geschädigten H. (lediglich) wegen Beihilfe zur
gefährlichen Körperverletzung verurteilt hat.
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a) Nach den Feststellungen wollte der gesondert verfolgte S. G. den
Zeugen M. A. für Misshandlungen, die dieser der Zeugin M. S.
nach deren Schilderung in der Vergangenheit zugefügt hatte,
zur Rede stellen und gegebenenfalls verprügeln. Zu diesem
Zweck traf er sich mit fünf weiteren männlichen
Personen, unter denen sich auch der Angeklagte sowie die Mitangeklagten
P. M. und K. An. befanden. Alle fünf erklärten sich
bereit, S. G. zur Wohnung des M. A. zu begleiten und bei seinem
Vorhaben zu unterstützen. Nachdem die sechs Personen unter
Führung des Mitangeklagten P. M. die Wohnung des Zeugen A.
gestürmt hatten, stürzte sich M. auf den ihm
unbekannten, in der Wohnung ebenfalls anwesenden Geschädigten
R. H. und schlug unter Verwendung eines mitgebrachten Nothammers massiv
auf diesen ein. Der Geschädigte ging bereits nach dem ersten
Schlag zu Boden und verlor das Bewusstsein. Gleichwohl fuhr M. mit
seinen Schlägen fort und trat auf den weiterhin am Boden
Liegenden auch mit seinen Springerstiefeln ein. Entweder der Angeklagte
oder der Mitangeklagte An. schlug mit einem Holzstück
ebenfalls auf den Geschädigten ein. Dieser erlitt
lebensgefährliche Verletzungen und trug bleibende
gesundheitliche Schäden davon.
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b) Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen liegt in der
unterbliebenen Verurteilung wegen einer mittäterschaftlich mit
dem Mitangeklagten M. begangenen gefährlichen
Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB
im Ergebnis kein Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten.
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aa) Mittäterschaft liegt nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs dann vor, wenn ein Tatbeteiligter nicht
bloß fremdes Tun fördern, sondern seinen Beitrag als
Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als
Ergänzung seines eigenen Tatanteils will. Bei Beteiligung
mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche
Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaftlich,
wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat
einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen
Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen
Tatanteils erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 37, 289, 291 m.w.N.).
Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist
nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung
umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche
Anhaltspunkte können dabei der Grad des eigenen Interesses am
Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder
wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (BGH aaO). Dabei ist dem
Tatrichter, vor allem in Grenzfällen, ein
Beurteilungsspielraum eröffnet, der revisionsrechtlich nur
eingeschränkt überprüft werden kann.
Enthalten die Urteilsgründe eine hinreichende Darlegung aller
maßgeblichen Gesichtspunkte, ist die tatrichterliche Wertung
vom Revisionsgericht auch dann hinzunehmen, wenn im Einzelfall eine
andere Beurteilung möglich gewesen wäre (Fischer StGB
57. Aufl. § 25 Rdn. 12 m. Nachw. zur Rspr.). Auch bei der
gefährlichen Körperverletzung in der Tatvariante "mit
einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich" sind die
Tatbeiträge nach diesen allgemeinen Regeln abzugrenzen.
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bb) Eine Verurteilung des Angeklagten als (Mit-)Täter der
gefährlichen Körperverletzung kommt im vorliegenden
Fall nicht schon deshalb in Betracht, weil der Mitangeklagte M. die
Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB als Täter
erfüllt hat. Zwar ist gemeinschaftliches Handeln, wie es
§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB voraussetzt, auch ein Kennzeichen der
Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB, aber
weder deren einzige Voraussetzung noch auf diese Beteiligungsform
beschränkt (LK/Lilie StGB 11. Aufl. § 224 Rdn. 34).
Dass das Zusammenwirken eines Täters mit einem Gehilfen zur
Erfüllung des Qualifikationsmerkmals nach § 224 Abs.
1 Nr. 4 StGB ausreichen kann (vgl. dazu BGHSt 47, 383, 386),
führt nicht dazu, dass der Gehilfe schon deshalb als
Mittäter zu bestrafen wäre (BGH, Beschluss vom 22.
Oktober 2008 - 2 StR 286/08, NStZ-RR 2009, 10).
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cc) Auch im Übrigen hält sich die Annahme des
Landgerichts, der Angeklagte sei lediglich Gehilfe gewesen, noch im
Rahmen des dem Tatrichter insoweit eingeräumten
Beurteilungsspielraums. Allerdings erweist sich die Erwägung
der Strafkammer, Beihilfe im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB liege
schon deshalb vor, weil dem Angeklagten eine konkrete
Verletzungshandlung nicht zweifelsfrei habe nachgewiesen werden
können, für sich genommen als nicht
tragfähig. Wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung
kann vielmehr auch derjenige bestraft werden, der die Verletzung nicht
mit eigener Hand ausführt, jedoch auf Grund eines
gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft zum
Verletzungserfolg beiträgt (Senatsurteil vom 19. Januar 1984 -
4 StR 742/83, StV 1984, 190). Nach den vom Landgericht getroffenen
weiteren Feststellungen wirkte der Angeklagte jedoch ohne eigenen
Vorteil lediglich zur Unterstützung eines von dem gesondert
verfolgten G. mit dem Mitangeklagten M. abgesprochenen Vorhabens mit,
das ausschließlich auf dem persönlichen Motiv des G.
beruhte, den Zeugen A. für die
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Misshandlung seiner Freundin M. S. zu bestrafen. Ein
maßgebliches Tatinteresse des Angeklagten, etwa in Form einer
für die Mitwirkung zugesagten Belohnung, ergibt sich aus den
Urteilsgründen ebenso wenig wie ein auch nur ansatzweiser
Einfluss auf Einzelheiten der Tatausführung. Auch wenn vor dem
Hintergrund der zur konkreten Tatausführung getroffenen
Feststellungen eine andere Entscheidung vertretbar gewesen
wäre, nimmt der Senat den Schuldspruch daher hin.
2. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Rüge der Verletzung
der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO)
führt jedoch zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
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a) Die Beschwerdeführerin sieht den
Verfahrensverstoß darin, dass die Strafkammer bei der
Straffestsetzung irrtümlich davon ausgegangen ist, dass der
Angeklagte nicht vorbestraft sei. Dies beruhe darauf, dass der in der
Hauptverhandlung verlesene Bundeszentralregisterauszug, der
tatsächlich keine Eintragung enthielt, unter einem falschen
Geburtsdatum (25.10.1985 statt 22.10.1985) angefordert worden sei.
Angesichts des polizeilichen Vermerks vom 24. März 2009 sowie
der Angaben des Angeklagten zur Person in der Hauptverhandlung, aus
denen sich die Unrichtigkeit dieses auch in der Anklageschrift
aufgeführten Geburtsdatums ergeben habe, hätte sich
das Landgericht veranlasst sehen müssen, einen neuen
Registerauszug unter Angabe des zutreffenden Geburtsdatums beizuziehen;
aus diesem Auszug hätte sich ergeben, dass der Angeklagte
mehrfach, u.a. auch wegen gefährlicher
Körperverletzung sowie Verstoßes gegen das
Waffengesetz, zu Jugendstrafe verurteilt worden war und zum
Tatzeitpunkt unter Bewährung stand.
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b) Diese zulässig erhobene Rüge greift durch. Das
gegen den Angeklagten im Wege der Abtrennung aus einem weiteren
Verfahren eingeleitete Ermittlungsverfahren enthielt keinen
Personalbogen, woraufhin der Bundeszentralregisterauszug versehentlich
unter dem falschen Geburtsdatum "25.10.1985“ angefordert
wurde, der keine Eintragung aufwies. Erst nach Anklageerhebung -
ebenfalls unter diesem unzutreffenden Geburtsdatum - gelangte im Zuge
einer von der Strafkammer angeordneten
Aufenthaltsüberprüfung das zutreffende Geburtsdatum
durch einen polizeilichen Vermerk zu den Sachakten und wurde vom
Angeklagten in der Hauptverhandlung bei der Erörterung seiner
persönlichen Verhältnisse bestätigt. Ein
neuer Registerauszug unter dem richtigen Geburtsdatum wurde jedoch
nicht angefordert.
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c) Die Rüge scheitert im vorliegenden Fall nicht daran, dass
auch der Staatsanwaltschaft anzulasten ist, sich mit der negativen
Registerauskunft zufrieden gegeben zu haben. Denn das
Aufklärungsgebot richtet sich an das Gericht; das Verhalten
der Verfahrensbeteiligten ist deshalb grundsätzlich ohne
Einfluss auf die dem Gericht aus diesem Gebot erwachsenden Pflichten
(Senatsurteil vom 11. März 1993 - 4 StR 70/93, BGHR StPO
§ 244 Abs. 2 Aufdrängen 5). Bei der gegebenen
Sachlage bedurfte es auch nicht eines Antrags oder einer Anregung der
Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung, um dem Gericht die Kenntnis
derjenigen Umstände zu verschaffen, die zu weiterer
Aufklärung Anlass gaben, zumal sich die Sachakten hier (nach
Anklageerhebung) bereits beim Landgericht befanden, als der Irrtum
bemerkt wurde (vgl. dazu Senat aaO).
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III.
Auf dem dargelegten Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO
beruht der gesamte Strafausspruch, denn zur Begründung der
Höhe der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe hat sich die
Strafkammer ausschließlich auf den Umstand gestützt,
dass der Angeklagte ausweislich des verlesenen
Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft sei. Der Senat merkt in
diesem Zusammenhang an, dass in den Urteilsgründen gem.
§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO zwar nur die für die
Zumessung der Strafe bestimmenden Erwägungen darzulegen sind.
Wird jedoch - wie im vorliegenden Fall - zur Begründung des
Rechtsfolgenausspruchs lediglich ein tragender Gesichtspunkt
herangezogen, ist zu besorgen, dass der Tatrichter die durch §
46 Abs. 2 StGB gebotene Abwägung der für und gegen
den Angeklagten sprechenden Tatsachen nicht in der erforderlichen Weise
rechtsfehlerfrei vorgenommen hat (vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 1983
- 4 StR 667/82, NStZ 1983, 217).
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Tepperwien Solin-Stojanović Ernemann
Franke Mutzbauer |