BGH,
Urt. v. 25.5.2001 - 2 StR 88/01
StGB § 348
Ein Notar macht sich nicht der Falschbeurkundung im Amt schuldig, wenn
er falsch beurkundet, daß ein Erschienener der deutschen
Sprache hinreichend mächtig ist.
BGH, Urteil vom 25. Mai 2001 - 2 StR 88/01 - LG Limburg an der Lahn
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 88/01
vom
25. Mai 2001
in der Strafsache gegen
wegen falscher uneidlicher Aussage u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom 23. Mai 2001 in der Sitzung am 25. Mai 2001, an denen teilgenommen
haben: Vizepräsident des Bundesgerichtshofes Dr.
Jähnke als Vorsitzender, die Richter am Bundesgerichtshof
Detter, Dr. Bode, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten, der
Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Justizangestellte in
der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als
Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle, für Recht
erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Limburg an der Lahn vom 31. August 2000 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem
Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen falscher uneidlicher
Aussage zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Von dem Vorwurf,
am 19. Juni 1995 und am 14. August 1995 (Fälle 2 und 3)
jeweils eine Falschbeurkundung im Amt sowie am 23. März 1996
(Fall 4) einen Betrug in Tateinheit mit Falschbeurkundung im Amt
begangen zu haben, hat es ihn freigesprochen. Die Revision der
Staatsanwaltschaft richtet sich gegen den Freispruch in den
Fällen 2 und 3. Sie rügt die Verletzung materiellen
Rechtes. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten
wird, hat keinen Erfolg.
2. Hinsichtlich der Fälle 2 und 3 der Urteilsgründe
hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
a) Der marokkanische Staatsangehörige R. beabsichtigte 1995
zusammen mit seiner Ehefrau K. eine Eigentumswohnung zu erwerben. Da
ihm eine von A. gezeigte Musterwohnung gefiel, schlug ihm dieser vor,
eine zum sicheren Erwerb erforderliche Vollmacht bei dem Angeklagten,
einem Notar, protokollieren zu lassen. Es wurde ein Beurkundungstermin
bei dem Angeklagten für den 19. Juni 1995 in dessen Notariat
vereinbart. Der Angeklagte ließ eine Vollmachtsurkunde
vorbereiten. Darin erteilten die Zeugen R. und K. der I. GmbH Vollmacht
zum Erwerb der Eigentumswohnung. Bei der in der Vollmacht genannten
Wohnung handelte es sich nicht um die besichtigte Wohnung, sondern um
eine Dachgeschoßwohnung. Nach den Angaben zu den Personalien
der Zeugen R. und K. enthielt die Vollmachtsurkunde ferner folgende
Feststellung:
"Die Erschienenen sind marokkanische Staatsbürger und der
deutschen Sprache hinreichend mächtig, um dieser Beurkundung
folgen zu können, wovon sich der amtierende Notar
überzeugt hat."
Am 19. Juni 1995 erschien der Zeuge R. in Begleitung der Zeugin K. im
Notariat des Angeklagten. Bevor der Angeklagte mit der notariellen
Protokollierung der Vollmacht begann, wandte er sich der Zeugin K. zu
und fragte sie, ob sie deutsch verstehe. Daraufhin nickte sie mit dem
Kopf. Der Angeklagte gab sich mit dieser Geste zufrieden und fragte sie
noch ergänzend, ob sie denn wisse, warum sie hier sei. Auf
diese Frage antwortete die Zeugin auf arabisch, daß es um
einen Wohnungskauf gehe, wobei der Zeuge R. diese Antwort für
den Angeklagten ins Deutsche übersetzte. Da der Angeklagte
aufgrund dieser Äußerung annahm, daß die
Zeugin K. über den Gegenstand der Vollmacht Bescheid wisse,
richtete er keine weiteren Fragen mehr an sie und begann mit der
Beurkundung. Darüber, ob die Hinzuziehung eines Dolmetschers
nötig sei, machte er sich keine weiteren Gedanken.
Zum Zeitpunkt der notariellen Beurkundung vom 19. Juni 1995
verfügte die Zeugin K. lediglich über
bruchstückhafte passive Kenntnisse der deutschen Sprache. Sie
war weder in der Lage, sich über alltägliche,
einfache Lebenssachverhalte auf deutsch zu unterhalten, noch war es ihr
möglich, der notariellen Beurkundung der Vollmachtsurkunde
auch nur in Ansätzen zu folgen. Die Beurkundung endete mit der
Unterzeichnung durch alle Beteiligten, darunter auch der Zeugin K.
b) Als der Zeuge R. wenig später feststellte, daß es
sich bei der erworbenen Eigentumswohnung um eine
Dachgeschoßwohnung handelte, "fühlte er sich
betrogen" und erreichte schließlich, daß er die
Eigentumswohnung umtauschen konnte, was eine weitere notarielle
Beurkundung erforderlich machte. Am 14. August 1995 fand daher ein
zweiter Beurkundungstermin bei dem Angeklagten statt, zu dem der Zeuge
R. wieder in Begleitung der Zeugin K. erschien. Der Entwurf der
Vertragsurkunde enthielt wiederum die Klausel zur hinreichenden
Sprachkunde des Ehepaares R. und K.
Zur Beurkundung am 14. August 1995 begrüßte der
Angeklagte die Zeugen R. und K. wiederum kurz und fragte die Zeugin K.
ob sie deutsch verstehe. Nachdem sie diese Frage auf deutsch mit einem
"ja" beantwortet hatte, gab er sich damit zufrieden und begann
sogleich, den Beteiligten die Vertragsurkunde vorzulesen. Die
Hinzuziehung eines Dolmetschers hielt er nicht für
erforderlich. Die Zeugin K. war aufgrund ihrer unzureichenden passiven
Deutschkenntnisse jedoch nicht in der Lage, den Inhalt der verlesenen
Urkunde zu verstehen. Die Beurkundung endete mit der
Vertragsunterzeichnung durch alle Beteiligten, darunter auch der Zeugin
K.
3. Der Freispruch durch das Landgericht in den Fällen 2 und 3
der Urteilsgründe ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Zutreffend ist der Tatrichter davon ausgegangen, daß der
Angeklagte keine Falschbeurkundungen im Amt (§ 348 StGB)
begangen hat. Der Angeklagte hat nicht eine rechtlich erhebliche
Tatsache falsch beurkundet.
Allerdings sind die errichteten Urkunden öffentliche Urkunden
im Sinne der §§ 415 ff. ZPO. Nicht jede falsche
Angabe in einer solchen Urkunde ist aber Gegenstand einer Straftat nach
§ 348 StGB. Falsch beurkundet im Sinne dieser Vorschrift sind
nur diejenigen rechtlich erheblichen Erklärungen,
Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der öffentliche
Glaube der Urkunde, das heißt die "volle Beweiswirkung
für und gegen jedermann", erstreckt (vgl. BGH wistra 2000,
266; BGHSt 44, 186, 187; BGHSt 22, 201, 203; bereits RGSt 39, 370, 373;
BayObLG NJW 1992, 1841, 1842). Welche Angaben im einzelnen diese
Voraussetzung erfüllen, ergibt sich in erster Linie aus den
gesetzlichen Bestimmungen, die für Errichtung und Zweck der
öffentlichen Urkunde maßgeblich sind. Dabei sind
auch die Anschauungen des Rechtsverkehrs zu beachten. Die Beurkundung
einer Tatsache, die weder nach dem Gesetz noch nach einer anderen
Vorschrift (zwingend) angegeben zu werden braucht und deren unwahre
Kundgabe die Wirksamkeit der Beurkundung nicht berührt, kann
grundsätzlich nicht als Beurkundung einer rechtlich
erheblichen Tatsache angesehen werden (vgl. auch BGHSt 22, 32, 35).
Danach enthält die Angabe über die vermeintliche
Sprachkunde der Zeugin K. keine vom Strafschutz des § 348 StGB
umfaßte Beurkundung; denn ihr kommt keine
öffentliche Beweiskraft zu. Die von einem Notar aufgenommenen
Urkunden begründen vollen Beweis nur für die vor der
Urkundsperson abgegebenen Erklärungen (§ 415 ZPO) und
die von ihr bezeugten Tatsachen (§ 418 ZPO). Da es sich hier
nicht um die Abgabe einer Erklärung handelt, scheidet
§ 415 ZPO aus. § 418 ZPO findet aber ebenfalls keine
Anwendung. Denn eine Tatsache ist von dem Urkundsbeamten nur dann
beurkundet, wenn er sie zum Zwecke des Beweises für und gegen
jedermann in der Urkunde festgestellt hat. Dies trifft auf einen
Vermerk über die "Sprachkunde" aber nicht zu. Denn er bezeugt
keine von dem Notar wahrgenommene Tatsache, wie etwa das Erscheinen
einer bestimmten Person, sondern bringt nur seinen subjektiven Eindruck
über die sprachliche Fertigkeit des Erschienenen zum Ausdruck.
Deshalb hat die Rechtsprechung bereits in vergleichbaren
Fällen (vgl. OGHZ 2 [1949] 45, 54 zur
Testierfähigkeit; BayObLG DNotZ 1975, 555 zur
Geschäftsfähigkeit) verneint, daß ein
derartiger Vermerk vollen Beweis erbringt. Bewiesen wird hierdurch nur
die Überzeugung des Notars und damit lediglich ein Indiz
für die Sprachkunde. Auch der Bundesgerichtshof (GA 1964, 9,
10) hat daher eine Strafbarkeit gemäß § 348
StGB hinsichtlich eines Vermerks über die
Geschäftsfähigkeit des Erklärenden verneint,
da der Beurkundung insoweit keine öffentliche Beweiskraft
zukommt.
Demgemäß wird auch von der Literatur zutreffend
festgehalten, daß die Beweiskraft der sogenannten
Zeugnisurkunden (§ 418 ZPO) sich weder auf Vermerke, die eine
rechtliche Beurteilung enthalten, erstreckt, noch auf solche, von denen
nicht gewährleistet ist, daß die Urkundsperson sie
zuverlässig festgestellt hat (vgl. u.a. Thomas/Putzo, ZPO 22.
Aufl. § 418 Rdn. 3; Zöller/Geimer, ZPO 22. Aufl.
§ 418 Rdn. 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 21. Aufl. §
418 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 59. Aufl.
§ 418 Rdn. 4). Im vorliegenden Fall kann nichts anderes
gelten. Dies ergibt sich insbesondere auch aus folgenden
Überlegungen:
Es ist bereits zweifelhaft (vgl. hierzu u.a. Huhn/von Schuckmann,
BeurkG 3. Aufl. § 16 Rdn. 7 m.w.N.), was unter
Sprachunkundigkeit zu verstehen ist. Diese ist jedenfalls dann
anzunehmen, wenn der Beteiligte die Sprache so wenig versteht,
daß er dem Vorlesen der Niederschrift nicht folgen kann. Nach
weitergehender Meinung ist aber auch derjenige der Sprache nicht
hinreichend kundig, der nicht hinreichend sprechkundig ist (vgl. u.a.
Erman/Schmidt, BGB 9. Aufl. § 16 BeurkG Rdn. 1).
Letzteres ist für einen Notar durch ein Gespräch
leichter festzustellen. Hingegen ist es wesentlich schwieriger, sich
von der passiven Sprachkunde eine Überzeugung zu verschaffen.
Auch dies belegt, daß eine zuverlässige Beurteilung
nicht ohne weiteres möglich ist und deshalb dem Vermerk
über die Sprachkunde keine Beweiskraft zukommen kann, zumal
das Element "hinreichend" kundig ohnehin zusätzlich eine
Wertung enthält.
Hinzu kommt, daß die Beurkundung der Sprachkunde eines
Beteiligten nicht zwingend vorgeschrieben ist. Nach § 16 Abs.
1 Beurkundungsgesetz soll in der Niederschrift festgestellt werden,
daß ein Beteiligter der deutschen Sprache nicht hinreichend
kundig ist, wenn er dies angibt oder es nach Überzeugung des
Notars der Fall ist. Daß ein Beteiligter der deutschen
Sprache dagegen hinreichend mächtig ist, fällt als
Normalfall noch nicht einmal unter die Sollvorschrift (vgl. u.a.
Huhn/von Schuckmann aaO § 16 Rdn. 21; Keidel/Winkler, BeurkG
14. Aufl. § 16 Rdn. 29; ebenso bei der
Geschäftsfähigkeit: Keidel/Winkler aaO BeurkG
§ 11 Rdn. 3 und 12; Erman/Schmidt aaO § 11 BeurkG
Rdn. 2). Da es sich bei § 16 Abs. 1 Beurkundungsgesetz
lediglich um eine Sollvorschrift handelt, die zudem für die
Feststellung der Sprachkunde nicht gilt, berührt eine
unrichtige Angabe über die Sprachkunde die Wirksamkeit der
Urkunde nicht (vgl. u.a. Huhn/von Schuckmann aaO § 16 Rdn. 3).
Auch die Berücksichtigung der Verkehrsanschauung legt keine
andere Beurteilung nahe. Denn der Vermerk über die Sprachkunde
ist für die Beweiskraft der Urkunde und für den
Nachweis der sich aus ihr ergebenden Rechte und Pflichten
regelmäßig ohne Bedeutung. Ob die Angabe des
Beteiligten zu seiner Sprachkunde richtig war, ob sich der Notar zu
Recht überzeugt oder ob er sich geirrt hat oder
getäuscht wurde, beeinflußt - wie erwähnt -
die Wirksamkeit der Beurkundung nicht (vgl. u.a. Keidel/Winkler aaO
§ 16 Rdn. 10). Nur wenn die Sprachunkunde in der Niederschrift
festgestellt ist, sich also aus der Niederschrift selbst ergibt,
greifen die Mußvorschriften des § 16 Abs. 2 und 3
BeurkG ein. Fehlt dagegen eine Feststellung, obwohl ein Beteiligter
Sprachunkunde behauptet oder der Notar davon überzeugt ist,
und verfährt der Notar mit ihm wie mit einem Sprachkundigen,
so ist die Beurkundung trotzdem wirksam (vgl. u.a. Soergel/Harder, BGB
12. Aufl. § 16 BeurkG Rdn. 4; Keidel/Winkler aaO § 16
Rdn. 11 und Rdn. 31).
Aus alldem ergibt sich, daß der Tatrichter ohne Rechtsfehler
den Angeklagten in den Fällen 2 und 3 vom Vorwurf der
Falschbeurkundung freigesprochen hat.
Jähnke Detter Bode
Otten Rothfuß
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