BGH,
Urt. v. 25.11.2005 - 2 StR 272/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 272/05
vom
25.11.2005
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StPO § 275 a Abs. 1; StGB § 66 b Abs. 1 und 2
1. Ein zulässiger Antrag der Staatsanwaltschaft auf
nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung setzt dessen
Begründung voraus; diese muss insbesondere mitteilen, auf
welche Variante des § 66 b StGB sich der Antrag
stützt und welche neuen Tatsachen während der
Strafvollstreckung erkennbar geworden sind, die Anlass zur
Antragstellung geben.
2. "Neue Tatsachen" im Sinne des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB
müssen schon für sich Gewicht haben und ungeachtet
der notwendigen Gesamtwürdigung aller Umstände auf
eine erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung des Lebens, der
körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der sexuellen
Selbstbestimmung anderer durch den Verurteilten hindeuten.
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BGH, Urteil vom 25.11.2005 - 2 StR 272/05 - LG Gera
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom 16.11.2005 in der Sitzung am 25.11.2005, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Gera
vom 4.02.2005 aufgehoben. Die Anordnung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung entfällt.
Die Kosten des Verfahrens über die nachträgliche
Anordnung der Sicherungsverwahrung und die notwendigen Auslagen des
Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Die Entscheidung über die Entschädigung des
Verurteilten wegen der erlittenen
Strafvollstreckungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht
vorbehalten.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des
Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß
§ 66 b Abs. 1 und 2 StGB angeordnet und ihn in den Vollzug der
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt überwiesen. Dagegen
richtet sich die Revision des Verurteilten mit der Rüge der
Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit
der Sachrüge Erfolg.
I.
1. Der Verurteilte wurde vom Landgericht mit Urteil vom 19. Januar 1998
wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und
sechs Monaten verurteilt. Aus dieser Strafe und vier Geldstrafen wegen
Verkehrsdelik-
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ten wurde später eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren
acht Monaten gebildet. Diese Freiheitsstrafe hat der Verurteilte bis
zum 28. September 2004 vollständig verbüßt.
An diesem Tage beantragte die Staatsanwaltschaft ohne nähere
Begründung, gegen den Verurteilten gemäß
§ 66 b Abs. 2 StGB nachträglich die Unterbringung in
der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Noch am selben Tag
erließ das Landgericht einen Unterbringungsbefehl nach
§ 275 a Abs. 5 StPO, aufgrund dessen der Verurteilte bis heute
untergebracht ist.
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
a) Der Verurteilung vom 19. Januar 1998 liegt ein Raubüberfall
auf eine Spielothek in G. zugrunde, den der Verurteilte am 28. Mai 1997
gemeinsam mit zwei anderen Tätern begangen hat. Die
Spielhallenaufsicht und zwei Gäste wurden dabei mit der
Schreckschusspistole des Verurteilten bedroht und mit Klebeband
gefesselt, ein Gast wurde mit einem Queue und Fäusten
geschlagen. Man hebelte die Spielautomaten mit Schraubenziehern auf,
veranlasste die Spielhallenaufsicht, die Wechselgeldkasse zu
öffnen und nahm den Gästen ihre Portemonnaies weg.
Der Verurteilte war bei der Tat wegen einer soziopathischen
Persönlichkeitsfehlentwicklung mit antisozialem
Verhaltensmuster und akutem Drogenrausch in seiner
Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert.
b) Die Ehe der Eltern des Verurteilten wurde wenige Monate nach seiner
Geburt geschieden. Seinen Stiefvater mochte er lange Zeit nicht
akzeptieren. Dieser betreibt ein Gebäudereinigungsunternehmen,
in dem auch Mutter, Stiefschwester und Halbbruder mitarbeiten. Der
Verurteilte begann ab der 5. Klasse, in großem Umfang die
Schule zu schwänzen; er zog es vor, in den Tag zu leben und
mit Kumpels herumzuziehen. Einweisungen in Kinderheime brachten keinen
Erfolg. Es kam zu Konflikten mit Erziehern und Mitschülern.
Der Verur-
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teilte wurde oft bestraft, gleichwohl änderte er sein
Verhalten nicht. Nach der Entlassung aus dem Kinderheim brach der
Verurteilte den Schulbesuch ab, schloss sich einem rechtsradikalen
Freundeskreis an und sprach zunehmend dem Alkohol zu.
Spätestens im Sommer 1991 begann der Verurteilte,
regelmä-ßig zu stehlen. Im Mai 1993 kam er erstmals
in Untersuchungshaft.
c) Am 6. Oktober 1993 verurteilte ihn das Amtsgericht Weimar wegen
fortgesetzten gemeinschaftlichen Diebstahls in zwei Fällen,
davon in einem Fall in erschwerter Form, und wegen gemeinschaftlichen
versuchten schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten,
deren restliche Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Der Verurteilung lagen Einbrüche in mindestens sieben
Gartenhäuser und Diebstähle von insgesamt sieben
Mopeds zugrunde sowie ein Überfall auf zwei Schüler,
die jedoch kein Geld bei sich hatten.
Am 19. Mai 1994 verurteilte ihn das Landgericht Erfurt unter
Einbeziehung des vorgenannten Urteils wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
Einheitsjugendstrafe von drei Jahren. Der Verurteilte war am 15.
Dezember 1993 mit seinem Kumpel Mike B., bei dem er wohnte und mit dem
er viel Zeit verbrachte, auch gemeinsam Straftaten verübte, in
einem Lokal in Streit geraten. Nach Verlassen des Lokals schlug B. dem
Verurteilten unerwartet zwei- bis dreimal mit der Faust ins Gesicht.
Der Verurteilte, der zur Tatzeit 2,48 %o Blutalkoholgehalt hatte,
drängte B. auf die andere Straßenseite und stach ihm
dreimal mit einem Messer in die Brustgegend, wodurch dieser
lebensgefährlich verletzt wurde.
d) Der Verurteilte verbüßte die Einheitsjugendstrafe
vollständig bis zum 10. September 1996. Während der
Haft wurde der Verurteilte diverse Male diszipliniert,
überwiegend wegen des Konsums von selbst hergestelltem Alkohol.
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In der Justizvollzugsanstalt Go. kam er auch erstmals in Kontakt zu
Drogen.
e) Nach der Entlassung aus der Haft erhielt der Verurteilte im Anwesen
von Mutter und Stiefvater eine eigene Wohnung und arbeitete nach Lust
und Laune bis Frühjahr 1997 in der
Gebäudereinigungsfirma mit. Seine Ehefrau, die er am 23.
Dezember 1996 geheiratet hatte, jagte er im Februar 1997 wieder davon.
Die Ehe wurde im November 1998 geschieden. Der Verurteilte kaufte sich
einen Opel Omega und fuhr regelmäßig damit, obwohl
er keine Fahrerlaubnis besaß, auch im Drogenrausch. Er wurde
mehrfach von der Polizei gestellt, was ihn nicht hinderte, weiter zu
fahren. Auch stahl er Fahrzeuge, mit denen er Spritztouren unternahm.
Der Verurteilte konsumierte Alkohol, Kokain, Ecstasy und Speed. Im
Frühjahr 1997 benötigte er zur Finanzierung seines
Drogenkonsums 6000 DM monatlich. Er deckte den Bedarf durch
regelmäßig durchgeführte Einbrüche
in Autos und kleinere Geschäfte oder Villen, zunächst
allein, später gemeinsam mit einem früheren
Haftkumpan. Die Tatserie fand durch die Verhaftung am 2. Juli 1997
wegen des Überfalls auf die Spielothek ein Ende.
Am 27. März 2000 wurde der Verurteilte wegen uneidlicher
Falschaussage in Tateinheit mit falscher Verdächtigung zu
einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Er hatte die Tat
selbst bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.
f) Der Verurteilte verbüßte die Strafe aus dem
Urteil vom 19. Januar 1998 zunächst in der
Justizvollzugsanstalt Go . und ab dem 6. Februar 2002 in der
Justizvollzugsanstalt T. . In den Vollzugsalltag gliederte er sich nur
seinen eigenen Vorstellungen entsprechend ein; Arbeit verrichtete er
nur, wenn sie seinen Wünschen entsprach.
Disziplinarmaßnahmen oder strafrechtli-
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che Folgen vermochten sein Verhalten nicht zu ändern. Am 16.
Dezember 1998 wurden bei einer Haftraumkontrolle verbotene
Gegenstände (ein zum Messer umgebauter Einwegrasierer, diverse
Rasierklingen, Klebeband, Nägel und Schrauben) gefunden. Am
24. Oktober 1999 rief der Verurteilte nach einem Streit mit einem
Zellengenossen die Aufsicht. Als bei ihm ein Alkoholtest
durchgeführt werden sollte, setzte er sich mit Macht zur Wehr,
so dass ihm keine Blutprobe entnommen werden konnte. Der Verurteilte
wurde deswegen vom Amtsgericht Suhl wegen Widerstands gegen
Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung, mit versuchter
Körperverletzung und mit Sachbeschädigung zu einer
Geldstrafe verurteilt. Im März 2000 bedrohte der Verurteilte
aus Ärger über gegen ihn durchgeführte,
letztlich erfolglose Ermittlungen seinen zuständigen
Vollstreckungsabteilungsleiter mit den Worten: "Hauptsache, wir sehen
uns draußen wieder, Herr W., ich lass mir doch nichts in den
Mund legen". Am 11. Dezember 2000 wurde bei einer Haftraumkontrolle ein
zum Schlaggerät umgebauter Strumpf - hierin war ein Feuerzeug
eingelegt - gefunden. Bei einer Nachkontrolle am selben Tag fand man
ein feststehendes Messer mit Stahlklinge - wie früher in der
Kantine der Justizvollzugsanstalt benutzt - und ein Pendel zur
Organisation von Handel zwischen den Zellen.
Der Verurteilte konsumierte während der gesamten Haftzeit
regelmäßig Alkohol oder Rauschgift, bevorzugt
Kokain. Schnaps brannte er sich selbst. Die ihm angebotene
Suchtberatung nahm er nicht in Anspruch, obwohl seine
Abhängigkeitsprobleme zur Versagung von Vollzugslockerungen
und Reststrafenaussetzung führten. Mehrere disziplinarische
Ahndungen führten nicht zu einer Änderung des
Konsumverhaltens.
Der Verurteilte hat keine Entlassungsvorbereitungen getroffen. Er geht
- zutreffend - davon aus, dass er bei seinen Eltern eine Wohnung
beziehen und im elterlichen Gebäudereinigungsbetrieb arbeiten
kann. Erstmals bei der Explo-
- 9 -
ration durch die Sachverständigen in diesem Verfahren in
November 2004 ging der Verurteilte auf eine Entzugsbehandlung ein und
nahm auch Kontakt zu einer Suchtberatung auf.
3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1
in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB und des §
66 b Abs. 2 StGB bejaht. Auf der Grundlage der Gutachten der
psychiatrischen Sachverständigen Dr. A. und Dr. B. sowie der
Aussage der sachverständigen Zeugin Dipl. Psychologin H. ist
das Landgericht unter zusammenfassender Würdigung von Person,
Straftatenkarriere, Haftverhalten und sozialem Empfangsraum zu der
Überzeugung gelangt, dass neuerliche Delinquenz des
Verurteilten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu
erwarten ist, insbesondere Eigentumsdelikte, Fahren ohne Fahrerlaubnis,
aber auch Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit, das
Leben und die Freiheit anderer. Sein Kernproblem sei die dissoziale
Persönlichkeitsstörung mit niedriger Gewaltschwelle,
die sich in starrem Verhalten zeige. Dazu komme eine massive
Suchtproblematik. Die von ihm bevorzugten stimulierenden Drogen und der
Alkohol setzten die Hemmschwelle herab und verstärkten die
Aggressivität. Sein Hang zu Straftaten führe
regelmäßig mindestens zu Raubdelikten. Eine
Maßregel nach § 64 StGB, wäre auf sie bei
der Anlassverurteilung erkannt worden, wäre sicher wegen
Erfolglosigkeit alsbald beendet worden. Es sei nichts erkennbar, was
Abhilfe schaffen könnte.
II.
1. Der Umstand, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung
der nachträglichen Sicherungsverwahrung keine
Begründung enthält, steht hier ausnahmsweise der
Durchführung des Verfahrens nicht entgegen.
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a) Weder § 66 b StGB noch § 275 a StPO enthalten
inhaltliche Mindestanforderungen für den Antrag der
Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung. Auch den Gesetzesmaterialien (vgl. Gesetzentwurf
der Bundesregierung eines Gesetzes zur Einführung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung, BTDrucks. 15/2887;
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks.
15/3346) ist hierüber nichts zu entnehmen. Aus der Funktion
des Antrags und der Ausgestaltung der verfahrensrechtlichen Regelung im
Zusammenhang mit verfassungsrechtlichen Aspekten ergibt sich jedoch,
dass dieser eine Begründung enthalten muss (so auch Ullenbruch
in MünchKomm-StGB § 66 b Rdn. 65 f., 72, 146; vgl.
auch OLG Rostock StV 2005, 279, 280 f.).
aa) Aus § 275 a StPO wird das Bestreben deutlich, dem
verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz (Art. 2 Abs. 2 GG in
Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) des Verurteilten Rechnung zu tragen
(vgl. Senatsurteil vom 1.07.2005 - 2 StR 9/05 -, NJW 2005, 3078, zur
Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Das Rechtsstaatsprinzip
und die Grundrechte begrenzen die Befugnis des Gesetzgebers,
Rechtsänderungen vorzunehmen, die an Sachverhalte der
Vergangenheit anknüpfen. Die Verlässlichkeit der
Rechtsordnung ist eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Der
Staatsbürger muss die ihm gegenüber
möglichen staatlichen Eingriffe grundsätzlich
voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl.
BVerfGE 109, 133, 180).
Bei der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung wird
an eine strafrechtlich bereits geahndete Anlasstat aus der
Vergangenheit angeknüpft und damit der allgemeine Grundsatz
des Vertrauensschutzes im überwiegenden Interesse der
Allgemeinheit zurückgestellt. Die Erwartung des Betroffenen,
nach Verbüßung der verhängten Strafe die
Freiheit zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder zu erlangen, tritt hier
gegenüber dem Schutz der Grundrechte po-
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tentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter
zurück. Dem von Verfassungs wegen mit einem hohen Rang
ausgestatteten Freiheitsgrundrecht des Betroffenen ist aber durch
verfahrensrechtliche Garantien hinreichend Geltung zu verschaffen.
Die Staatsanwaltschaft hat deshalb den Verurteilten von der Einleitung
des Prüfungsverfahrens zu informieren (§ 275 a Abs. 1
Satz 2 StPO). Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung muss gestellt werden, bevor die Strafvollstreckung
aus dem Ausgangsverfahren beendet ist. Ist der Verurteilte aus der
Strafhaft entlassen, ohne dass eine Antragstellung erfolgt ist, kann
keine Anordnung der nachträglichen Sicherungsverfahren mehr
erfolgen (Senatsurteil vom 1.07.2005, NJW 2005, 3078). Der Verurteilte
soll so früh wie möglich erfahren, dass er mit der
Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechnen muss
(BTDrucks. 15/3346 S. 17).
Damit sich der Betroffene auf das Verfahren einrichten kann, ist es
aber auch geboten, ihm mit der Antragstellung mitzuteilen, auf welcher
Variante des § 66 b StGB der Antrag beruht und insbesondere
welche neuen Tatsachen während der Strafvollstreckung
erkennbar geworden sind, die Anlass zur Antragstellung geben. Der
Gesetzgeber hat ausdrücklich die Durchführung einer
erneuten Hauptverhandlung angeordnet, um sicherzustellen, dass dem
Verurteilten bei der Entscheidung die gleichen verfahrensrechtlichen
Rechte zukommen, wie wenn das Gericht die Sicherungsverwahrung gleich
im ersten Urteil angeordnet hätte (BTDrucks. 15/2887 S. 15).
Für das Verfahren auf Anordnung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung gelten damit die allgemeinen strafprozessualen
Grundsätze, d. h. sowohl der Grundsatz des fairen Verfahrens
als auch das Gebot des rechtlichen Gehörs. Beide
Verfahrensgrundsätze gebieten es, dem Verurteilten
frühzeitig mitzuteilen, welche Vorfälle die
Staatsanwaltschaft zu der ungünstigen
Gefährlichkeitsprognose und damit zur Antragstel-
- 12 -
lung bewogen haben. Nur wenn er weiß, was ihm vorgeworfen
wird, kann er sich auf das weitere Verfahren
sachgemäß vorbereiten und seine Rechte in der
Hauptverhandlung adäquat wahrnehmen, etwa selbst Zeugen oder
andere Beweismittel benennen.
bb) Das Verfahren über die Anordnung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung belastet den Verurteilten
angesichts der im Raum stehenden gravierenden Folgen ganz erheblich.
Die Forderung, den Antrag zu begründen, dient daher auch der
Selbstkontrolle der Staatsanwaltschaft und der Vermeidung
unbegründeter Anträge.
cc) Für das Erfordernis einer Begründung der
Antragsschrift spricht auch der Vergleich mit der Anklage (§
200 StPO). Die Anklage muss die individuelle Tat konkret bezeichnen,
über die das Gericht befinden soll, und damit den
Verfahrensgegenstand unverwechselbar gegenüber anderen
Lebenssachverhalten abgrenzen. Voraussetzung für die Anordnung
der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist, dass
während der Haft des Verurteilten konkrete neue Tatsachen
erkennbar geworden sind, die für seine Gefährlichkeit
sprechen. Die Angabe dieser Tatsachen in dem vor Ende der Haft zu
stellenden Antrag belegt mithin das Vorhandensein dieser
Verfahrensvoraussetzung und dient somit dem Schutz des Betroffenen.
Zugleich wird damit der Gegenstand des Verfahrens als
Entscheidungsgrundlage für das Gericht bestimmt, indem
festgelegt wird, welche neuen Tatsachen Anlass für die
Einleitung des Verfahrens sind und der Entscheidung zugrunde gelegt
werden sollen. Dies ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil der
Gesetzeswortlaut des § 275 a StPO nicht ausschließt,
dass während einer Freiheitsentziehung wiederholt eine
Anordnung nach § 66 b StGB geprüft wird (so auch
Ullenbruch in MünchKomm-StGB § 66 b Rdn. 57; vgl.
demgegenüber aber BTDrucks. 15/3346 S. 18).
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Im Übrigen sind auch in der Anklageschrift solche
Rechtsfolgen, die au-ßer der Tat besondere
tatsächliche Umstände voraussetzten, wie die
Sicherungsverwahrung, entsprechend § 265 Abs. 2 StPO mit der
Gesetzesbezeichnung anzuführen (vgl. Meyer-Goßner,
StPO, 48. Aufl. § 200 Rdn. 14). Um den Angeschuldigten
umfassend zu informieren, sind in der Anklageschrift auch die Tatsachen
anzugeben, die für die Anordnung der Maßregel von
Bedeutung sind (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 19).
dd) Das Erfordernis einer Begründung des Antrags über
den Gesetzeswortlaut hinaus besteht hier aus ähnlichen
Gründen wie bei § 138 c Abs. 2 StPO. Auch bei dem
Antrag auf Ausschließung eines Verteidigers ist der Inhalt
des Antrags weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien geregelt.
Nach ganz einhelliger Auffassung der Oberlandesgerichte müssen
in dem Antrag die Tatsachen mitgeteilt werden, aus denen sich im Fall
ihres Nachweises das die Ausschließung des Verteidigers
rechtfertigende Verhalten ergeben soll, um den Verfahrensgegenstand
festzulegen und das erforderliche rechtliche Gehör zu
gewähren; außerdem sind die Beweismittel anzugeben
(vgl. grundlegend OLG Karlsruhe NJW 1975, 943 = JR 1976, 205 mit Anm.
Rieß; Meyer-Goßner aaO § 138 c Rdn. 9
m.w.N.).
b) Das Fehlen jeglicher Begründung macht den Antrag im
vorliegenden Fall jedoch ausnahmsweise nicht unzulässig.
Für eine Übergangszeit ist es hinzunehmen, dass dem
Verurteilten die konkreten neuen Tatsachen erst im Laufe der
Hauptverhandlung mitgeteilt werden.
Das Gesetz zur Einführung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung ist erst am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Die
Staatsanwaltschaft wusste zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht, dass
sich die höchstrichterliche Rechtsprechung dahin entwickeln
würde, einen begründeten Antrag zu fordern. Bis zu
- 14 -
diesem Zeitpunkt gab es keine entsprechenden Entscheidungen. Da eine
gesetzliche Regelung nicht vorliegt und sich auch aus den
Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte für einen
Begründungszwang ergeben, muss für eine kurze
Übergangszeit (bis zur Veröffentlichung der hier
getroffenen Entscheidung) ein nicht näher begründeter
Antrag genügen.
Der Verurteilte ist im vorliegenden Fall hinreichend durch den Gang der
Hauptverhandlung über den Verfahrensstand unterrichtet
gewesen. Unter II. 1.4.2. und 1.4.3. sowie unter IV. 3. der
Urteilsfeststellungen hat der Tatrichter dargelegt, welche Tatsachen er
als neu im Sinne von § 66 b StGB ansieht. Die
Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils belegt, dass diese
Tatsachen Gegenstand der Beweisaufnahme waren; der Verurteilte hat sie
weitestgehend selbst eingeräumt und will sie nur anders
bewertet wissen, im Übrigen sind sie durch Zeugen glaubhaft
bekundet worden (UA S. 33 f.).
2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegen die formellen
Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 in Verbindung mit §
66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht vor.
a) Nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB ist Voraussetzung für
die Anordnung der Sicherungsverwahrung, dass jemand wegen einer der
dort angeführten Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von
mindestens zwei Jahren verurteilt wird und er wegen einer oder mehrerer
solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal
zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist.
Der Verurteilte ist durch Urteil des Landgerichts Erfurt vom 19. Mai
1994 wegen versuchten Totschlags unter Einbeziehung der
Einheitsjugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Weimar vom 6.
Oktober 1993 zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt
worden. Für den Fall der Gesamtstrafe als Vorverurteilung hat
der Senat bereits entschieden (BGHSt 48,
- 15 -
100), dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66
Abs. 3 Satz 1 StGB nicht notwendig eine Vorverurteilung zu einer
Einzelstrafe von mindestens drei Jahren voraussetzt. Eine entsprechend
hohe Gesamtfreiheitsstrafe genügt jedenfalls dann, wenn dieser
ausschließlich Katalogtaten zugrunde liegen. Dagegen liegt
eine Vorverurteilung im Sinne von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB
nicht vor, wenn in einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
lediglich eine Katalogtat mit einer niedrigeren Einzelstrafe neben
einer Reihe von Nichtkatalogtaten enthalten ist (Senat in StV 2004,
481). Nichts anderes kann grundsätzlich für eine
Einheitsjugendstrafe als Vorverurteilung gelten (vgl. BGHSt 26, 152,
154 f.). Der einbezogenen Einheitsjugendstrafe von sechs Monaten aus
dem Urteil des Amtsgerichts Weimar lagen aber neben einer Katalogtat,
dem versuchten schweren Raub, auch zwei durchaus gewichtige
Nichtkatalogtaten, nämlich fortgesetzter Diebstahl in zwei
Fällen, zugrunde. Das Landgericht Erfurt hat seinerzeit unter
Einbeziehung dieser Verurteilung eine neue Einheitsjugendstrafe von
genau drei Jahren gebildet. Unter diesen Umständen kann nicht
festgestellt werden, dass der Tatrichter bei der Bildung dieser
einheitlichen Jugendstrafe dem versuchten Totschlag und dem versuchten
schweren Raub ein solches Gewicht beigemessen hat, dass er allein
für diese Taten eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren
verhängt hätte. Eine nachträgliche Bewertung
dahin, dass der Tatrichter den beiden Diebstahlsserien
überhaupt keine Bedeutung beigemessen und sie bei der
Strafzumessung völlig unbeachtet gelassen hat, scheidet aus.
b) Strafe und Vorverurteilung erfüllen jedoch die formellen
Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB, den das
Landgericht nicht geprüft hat. Nach § 66 b Abs. 3
Satz 2 StGB ist erforderlich, dass jemand zwei Katalogtaten begangen
hat, durch die er jeweils Freiheitsstrafen von mindestens zwei Jahren
verwirkt hat und dass er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu
Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird. Eine Strafe
ist verwirkt, wenn
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wegen der Tat eine Verurteilung bereits ergangen ist oder im
Zusammenhang mit dem Verfahren, in dem die Frage der
Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist, ausgesprochen wird (BGH NJW
1999, 3723, 3724). Der Verurteilte ist wegen der Anlasstat zu einer
Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt worden;
für den versuchten Totschlag hat der Tatrichter seinerzeit
eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren sechs Monaten für
erforderlich gehalten, denn es ist unter Einbeziehung des Urteils des
Amtsgerichts Weimar vom 6. Oktober 1993 eine Einheitsjugendstrafe von
drei Jahren verhängt worden.
c) Fraglich ist aber, ob die Bezugnahme auf die übrigen
Voraussetzungen des § 66 in § 66 b Abs. 1 StGB auch
die vom Gesetzgeber in Art. 1 a EGStGB geregelte zeitliche
Anwendbarkeit des § 66 Abs. 3 StGB erfasst. Danach findet
§ 66 Abs. 3 StGB nur Anwendung, wenn der Täter die
Straftat nach dem 31. Januar 1998 begangen hat (so auch BGH NStZ 2005,
265). Gegen den Verurteilten hätte zum Zeitpunkt der
Aburteilung der Anlasstat nicht nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB
die Sicherungsverwahrung angeordnet werden können, weil die
Anlasstat vor diesem Zeitpunkt begangen worden ist. Für eine
Geltung dieser zeitlichen Einschränkung könnten die
Gesetzesmaterialien sprechen. Danach unterscheidet sich die
nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht im
Hinblick auf die formellen Voraussetzungen von der Anordnung im Urteil,
sondern vornehmlich durch ihren Zeitpunkt von der Entscheidung nach
§§ 66, 66 a StGB (BTDrucks. 15/2887 S. 12; vgl. auch
Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 66 b Rdn. 8). Die Frage
kann hier jedoch letztlich offen bleiben (so auch unter dem
Gesichtspunkt der Rückwirkung, insbesondere des
Vertrauensschutzes für Altfälle, BGH StV 2005, 388 =
NStZ 2005, 561 mit Anm. Ullenbruch = StraFo 2005, 300 mit Anm.
Böhm), weil jedenfalls die formellen Voraussetzungen des
§ 66 b Abs. 2 StGB gegeben sind, die das Landgericht ebenfalls
in seiner Entscheidung bejaht hat.
- 17 -
3. Der Verurteilte ist wegen schweren Raubes, einer Katalogtat nach
§ 66 b Abs. 1, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und
sechs Monaten verurteilt worden. Bedenken gegen die
Verfassungsmäßigkeit des § 66 b Abs. 2 StGB
(vgl. Ullenbruch in MünchKomm-StGB aaO Rdn. 48, 118; Kinzig
NStZ 2004, 655, 659 f.; aA OLG Brandenburg NStZ 2005, 272, 274;
Laubenthal ZStW 116 [2004] 703, 749 f; Poseck NJW 2004, 2559, 2561)
teilt der Senat nicht. § 66 b Abs. 2 StGB
verstößt weder gegen das Rückwirkungsverbot
nach Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 109, 133, 167) noch als rein
präventive Maß-nahme gegen das Verbot der
Mehrfachbestrafung nach Art. 103 Abs. 3 GG. Die Regelung steht auch im
Einklang mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgebot aus Art. 2
Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Angesichts des
berechtigten Interesses der Allgemeinheit, potentielle Opfer vor
schwersten Verletzungen durch potentielle Straftäter zu
schützen, ist die gesetzgeberische Entscheidung, in besonderen
Ausnahmefällen die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung zu ermöglichen, bei denen die formellen
Voraussetzungen etwaiger früherer Verurteilungen fehlen, nicht
zu beanstanden.
III.
Im Ergebnis hält die Anordnung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung im vorliegenden Fall der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand.
1. Das Verfahren zur Anordnung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung darf sowohl nach § 66 b Abs. 1 als auch
nach § 66 b Abs. 2 StGB nur durchgeführt werden, wenn
nach der Verurteilung wegen einer der in § 66 b genannten
Taten, aber vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe Tatsachen
erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des
Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen.
Umstände, die für den ersten Tatrichter erkennbar
waren, scheiden als neue Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB
aus (BGH StV
- 18 -
2005, 388 = NStZ 2005, 561 mit Anm. Ullenbruch = StraFo 2005, 300 mit
Anm. Böhm). Die Änderung der Rechtslage durch
Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung, wonach - wie hier -
gemäß § 66 b Abs. 2 StGB
(nachträgliche) Sicherungsverwahrung gegen Ersttäter
angeordnet werden kann, bei denen im Zeitpunkt des Urteilserlasses die
Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB nicht
erfüllt waren, ist keine neue Tatsache im Sinne des Gesetzes
(aA Veh NStZ 2005, 307). Dies folgt bereits aus der Formulierung des
§ 66 b Abs. 2 StGB. Der Gesetzgeber hat bewusst auch in diesen
Fällen an die strengen Voraussetzungen des § 66 b
Abs. 1 StGB angeknüpft (BTDrucks. 15/2887 S. 13). Die neuen
Tatsachen müssen zudem von erheblicher Art sein (vgl.
BTDrucks. 15/2887 S. 10 und 12).
a) Angesichts der Tragweite des mit der Anordnung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung verbundenen Eingriffs in
die Rechtskraft des Ausgangsurteils und des hohen
verfassungsrechtlichen Ranges des Freiheitsgrundrechtes des Betroffenen
ist das Erfordernis, dass es sich um erhebliche Tatsachen handeln muss,
ernst zu nehmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Anordnung
der nachträglichen Sicherungsverwahrung nur bei einer geringen
Anzahl denkbarer Fälle in Betracht kommen (BTDrucks. 15/2887
S. 10; vgl. auch BVerfGE 109, 190, 236). Die neuen Tatsachen
müssen im Lichte des
Verhältnismäßigkeitsprinzips schon
für sich und ungeachtet der notwendigen
Gesamtwürdigung aller Umstände Gewicht haben im
Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen des Lebens,
der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder der
sexuellen Selbstbestimmung anderer. So kann nicht schon jeder
während des Vollzugs aufgetretene Ungehorsam ungeachtet seiner
Neuheit im Sinne des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB die Einleitung
eines Verfahrens über die Anordnung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen. Das
Verfahren nach § 66 b StGB dient auch nicht der Korrektur
rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen, die von der
Staatsanwaltschaft nicht beanstandet wurden (BGH
- 19 -
StV 2005, 388 = NStZ 2005, 561 mit Anm. Ullenbruch = StraFo 2005, 300
mit Anm. Böhm; Senatsurteil vom 1.07.2005 - 2 StR 9/05 -, NJW
2005, 3078, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Nur
wenn wirklich erhebliche neue Tatsachen während des Vollzugs
erkennbar werden, kann dies zur Anordnung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung führen.
b) Das Landgericht sieht neue Tatsachen vorliegend in bestimmten
Vorfällen während der Haft, die Anlass zu
strafrechtlicher bzw. disziplinarischer Ahndung gegeben haben (aa), im
durchgängigen Missbrauch von Alkohol und Drogen
während der Haft (bb), und im Bekanntwerden weiterer
früher begangener Straftaten (cc).
aa) Soweit das Landgericht auf Vorfälle während der
Haft abstellt (Auffinden verbotener Gegenstände, Widerstand
gegen Blutalkoholkontrolle, Bedrohung des
Vollstreckungsabteilungsleiters), sind diese Tatsachen zwar neu, es
fehlt ihnen jedoch an einer im Lichte des
Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlichen
erheblichen Indizwirkung für die Gefährlichkeit des
Verurteilten. Neue Tatsachen, die die Einleitung eines Verfahrens zur
Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung
rechtfertigen, können nur solche sein, die auf eine
Bereitschaft des Verurteilten hinweisen, schwere Straftaten gegen das
Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder die
sexuelle Selbstbestimmung anderer zu begehen (vgl.
Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 66 b Rdn. 16 f.).
Der Besitz verbotener Gegenstände in Justizvollzugsanstalten
ist offenbar weit verbreitet (vgl. UA S. 22). Ein Ermittlungsverfahren
wegen des Verdachts, einen Mitgefangenen geschlagen und erpresst zu
haben, wurde nach letztlich erfolglosen Ermittlungen eingestellt und
kann deshalb auch in diesem Verfahren keine Indizwirkung entfalten. Der
aktive Widerstand gegen die Durchführung eines Alkoholtests
erscheint als singulärer, durch besondere Umstände
geprägter Vorfall. Dass das Verhalten des Verurteilten in
diesem Fall nicht sonderlich gra-
- 20 -
vierend ist, zeigt allein der Umstand, dass es mit einer Geldstrafe von
sechzig Tagessätzen geahndet wurde. Hinsichtlich der Bedrohung
des Vollstreckungsabteilungsleiters ist eine Absicht, diese Drohung
auch umzusetzen, nicht hinreichend erkennbar.
bb) Hinsichtlich des Konsums von Alkohol und Drogen und der Ablehnung
von Therapiemaßnahmen während der Inhaftierung
handelt es sich nicht um neue Tatsachen im Sinne des § 66 b
Abs. 1 und 2 StGB. Ausweislich der Urteilsgründe hat der
frühere Tatrichter die Alkohol-, Rauschmittel- und
Medikamentenabhängigkeit des Verurteilten gekannt (UA S. 6).
Auch die Verweigerung oder der Abbruch einer Therapie können
zwar zu den in § 66 b Abs. 1 und 2 StGB erforderten neuen
Tatsachen gehören (vgl. BGH StV 2005, 388 = NStZ 2005, 561 mit
Anm. Ullenbruch = StraFo 2005, 300 mit Anm. Böhm).
Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte während der
früheren Hauptverhandlung seine Therapiewilligkeit bekundet
hat, ergeben die Urteilsgründe jedoch nicht.
cc) Die vom Verurteilten während der Exploration durch den
Sachverständigen eingeräumten weiteren Einbruchstaten
sind schon deshalb keine neuen Tatsachen im Sinne des § 66 b
Abs. 1 und 2 StGB, weil sie erst nach dem Ende der regulären
Haftzeit bekannt geworden sind. Dies schlösse allerdings nicht
aus, sie bei der Gesamtwürdigung zur
Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen, wenn im
Übrigen neue Tatsachen bekannt geworden wären, die
die Durchführung des Verfahrens rechtfertigten.
2. Auch die Gesamtwürdigung des Landgerichts begegnet
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht hat bei seiner Abwägung die hohe
Wahrscheinlichkeit schwerer Straftaten gegen das Leben oder die
körperliche Unversehrtheit nicht ausreichend belegt. Es
stützt sich auf die Einschätzung der
Sachverständigen
- 21 -
Dr. A. und Dr. B. , dass bei einem Rückfall in die
Suchtkarriere binnen Monaten Straftaten gegen die körperliche
Unversehrtheit bzw. das Leben zu erwarten seien (UA S. 37, 39, 43, 48).
Diese Einschätzung erscheint nicht ohne weiteres
nachvollziehbar. Soweit der Verurteilte bisher
Raubüberfälle begangen hat, sind die Verletzungen der
Opfer nicht besonders gravierend. Die Erwartung lediglich leichter oder
mittlerer Schädigungen potentieller zukünftiger Opfer
reicht aber nicht aus. Diese müssen vielmehr "schwer" sein
(Ullenbruch in MünchKomm-StGB aaO Rdn. 86 f.;
Tröndle/Fischer § 66 Rdn. 20; vgl. auch
Böllinger/Pollähne in NK-StGB 2. Aufl. § 66
b Rdn. 13). Bei seinen Diebstahls- und Einbruchsserien hat es der
Verurteilte offensichtlich vermieden, auf potentielle Tatopfer zu
treffen. Dass es in einem solchen Fall zu einem massiven Angriff auf
Leib und Leben des Opfers kommen könnte, ist sicherlich nicht
auszuschließen, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, wie
sie die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung
voraussetzt, ist aber aus den UrteilsFeststellungen nicht erkennbar.
Zwar ist der Verurteilte auch wegen versuchten Totschlags vorbestraft.
Tatopfer war jedoch sein Freund, mit dem er sich gestritten und der ihn
zuerst geschlagen hatte, ein innerer Zusammenhang mit den serienweise
begangenen Eigentumsdelikten ist nicht erkennbar. Die jetzt neu bekannt
gewordene Einbruchsserie hat offenbar auch nicht zur
Schädigung von Personen geführt.
3. Der Senat schließt aus, dass bei einer neuen
Hauptverhandlung weitere Tatsachen festgestellt werden
könnten, die die Anordnung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten und hat deshalb auf
den Wegfall der Anordnung erkannt.
Die Entscheidung über eine Entschädigung des
Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen
muss dem Landgericht überlassen bleiben (vgl. BGH StV 2002,
422, 423; NJW 2000, 2433, 2436; NJW 1999, 1562;
- 22 -
1564; NJW 1990, 2073; NJW 1988, 2483, 2485; BGHR StrEG § 8
Zuständigkeit 1; BGH, Urteil vom 22. April 2004 - 5 StR
534/02). Die Prüfung, ob und in welchem Umfang eine
Entschädigung zu gewähren ist, hat sich auf den
gesamten Sachverhalt zu erstrecken, der die
Strafverfolgungsmaßnahme ausgelöst hat. Die
Entscheidung stellt mithin vorrangig eine tatrichterliche Aufgabe dar.
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