BGH,
Urt. v. 25.11.2009 - 2 StR 430/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 430/09
vom
25. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Urkundenunterdrückung
- 2 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25.
November 2009, an der teilgenommen haben:
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt und
Prof. Dr. Krehl,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Angeklagte D. in Person
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Kassel vom 10. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der
Urkundenunterdrückung freigesprochen. Die zu Ungunsten des
Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision
der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.
1
I.
Nach den Feststellungen war der Angeklagte im Tatzeitraum Amtsleiter
des Straßenverkehrsamtes in K. . Dort waren im Jahr 2004
Planungsleistungen für die Erneuerung der Hafenbrücke
zu vergeben, für die der Magistrat der Stadt K. 200.000
€ zur Verfügung gestellt hatte. Zwei
Ingenieurbüros wurden gebeten, Angebote abzugeben. Die E. GmbH
aus L. übermit-
2
- 4 -
telte mit Schreiben vom 6. Dezember 2004 ein Angebot über
197.553,60 €, die W. und P. GmbH aus K. einen Tag
später ein solches über 258.808,56 €.
Der Angeklagte, der die in K. ansässige Firma W. und P. GmbH
bevorzugte, besprach diese Angebote mit dem zuständigen
Stadtbaurat, der sich mit der Beauftragung der K. er Firma
einverstanden zeigte. Nach einem Gespräch des Angeklagten mit
dem Geschäftsführer der W. und P. GmbH legte diese
ein neues günstigeres Angebot über 194.465,53
€ vor. Zwischenzeitlich hatte der Angeklagte das Schreiben mit
dem ursprünglichen Angebot dem Vorgang entnommen und in seinen
Dienstschrank gelegt.
3
Der Angeklagte besprach sich erneut mit dem Stadtbaurat. Nach dessen
Zustimmung beauftragte er einen Mitarbeiter des
Straßenverkehrsamtes, den Zeugen S. , mit der Fertigung einer
Magistratsvorlage, die eine Vergabe an die Firma W. und P. GmbH vorsah.
Auf dessen Nachfrage, ob mit der Firma E. GmbH nachverhandelt werden
solle, ließ er wissen, dass der Oberbürgermeister
die Vergabe so wünsche. Tatsächlich hatte dieser zu
keinem Zeitpunkt einen entsprechenden Wunsch
geäußert.
4
Daraufhin fertigte der Zeuge S. , der den bisherigen Ablauf des
Verfahrens zuvor in einem Vermerk festgehalten hatte, die
Magistratsvorlage nach Anweisung. Sie enthielt lediglich das Angebot,
welchem der Zuschlag erteilt werden sollte, sowie eine schriftliche
Ausfertigung des Beschlusses. Das ursprüngliche Angebot der
Firma W. und P. GmbH wäre der Magistratsvorlage auch nicht
beigefügt worden, wenn es dem Zeugen S. vorgelegen
hätte.
5
Das Revisionsamt, dem die Angelegenheit zur Prüfung vorgelegt
worden war, beanstandete die vorgesehene Vergabe auf das
günstigste Angebot nicht.
6
- 5 -
Es äußerte allerdings - in Kenntnis des Umstandes,
dass es ein erstes Angebot der Firma W. und P. GmbH gegeben hatte, das
nachgebessert worden war - Bedenken, ob dies mit dem auch bei
freiwilliger Vergabe zu berücksichtigenden Grundsatz des
chancengleichen Wettbewerbs in Einklang stehe. Am 7. Februar 2005 kam
es zur antragsgemäßen Vergabe der Planungsleistungen
an die Firma W. und P. GmbH, noch bevor der dem
Oberbürgermeister und dem Baustadtrat zugeleitete Vermerk des
Revisionsamtes von diesen zur Kenntnis genommen worden war.
Bei der Stadt K. gibt es keine Aktenordnung. Die Akten in den
jeweiligen Vergabeverfahren werden - wie auch im Vergabeverfahren
"Hafenstraße" - im Fachamt geführt. Dem Angeklagten
war dies bewusst; ihm war auch klar, dass es sich bei dem ersten
Angebot der Firma W. und P. GmbH um eine Urkunde handelte, die ihm
nicht gehörte und die er durch das Ablegen in seinem
Dienstschrank der Beweisführungsberechtigten entzogen hatte.
Er rechnete allerdings weder mit einer Anforderung des Angebots durch
Bedienstete der Stadt K. noch erwartete er, dass die nicht
berücksichtigte Firma E. GmbH die
Rechtmäßigkeit des Vergabeprozesses gerichtlich
überprüfen lassen würde.
7
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der
Urkundenunterdrückung freigesprochen. Es ist zwar davon
ausgegangen, dass er eine ihm nicht gehörende Urkunde durch
Ablegen in seinem Dienstschrank unterdrückt und damit der
beweisführungsberechtigten Stadt K. entzogen habe (UA S. 9).
Dies habe er getan, "um sicher zu stellen, dass die Vergabe auch an das
Büro W. erfolge und auch später kein Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens aufkomme" (UA
S. 10). Es fehle jedoch an der für den subjektiven Tatbestand
erforderlichen Nachteilszufügungsabsicht. Nachteil im Sinne
von § 274 StGB sei ein Nachteil in der Beweisführung.
Ein solcher Nachteil
8
- 6 -
liege vor, wenn durch das Fehlen der Urkunde das
Beweisführungsrecht des Beweisführungsberechtigten in
einer aktuellen Beweissituation vereitelt werde. Daran fehle es jedoch.
Denn die möglichen Situationen, in denen die Urkunde als
Beweismittel hätte eingesetzt werden können, seien
nicht eingetreten (UA S. 11). Abstrakte, lediglich
denkmögliche Beweissituationen - wie sie vorliegend gegeben
seien - seien aber vom Begriff des Nachteils nicht umfasst (UA S. 13).
Schließlich habe sich der Angeklagte auch keiner versuchten
Urkundenunterdrückung schuldig gemacht. Er sei nicht vom
Vorliegen einer aktuellen Beweissituation ausgegangen, denn er habe
weder damit gerechnet, dass die Urkunde seitens eines Bediensteten im
Zuge des Vergabeverfahrens der Stadt K. angefordert werden
würde, noch habe er erwartet, dass die Firma E. GmbH das
Vergabeverfahren in einem Zivilverfahren überprüfen
lassen würde. Auch habe er sich keine sonstige Situation
vorgestellt, in der die Urkunde von Bedeutung für die
Beweisführung gewesen wäre.
II.
Dies hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
9
1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei oder sieht er von
einer weiterreichenden Verurteilung ab, weil er Zweifel an dessen
Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies
durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dieses hat
insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der
Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann
der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich,
unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte
Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die
zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte
Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2004,
238; 2005, 147).
10
- 7 -
2. Gemessen hieran erweist sich die Beweiswürdigung des
Landgerichts als rechtsfehlerhaft. Die Ausführungen der Kammer
zum Nichtvorliegen der Nachteilsabsicht stellen sich als
widersprüchlich dar.
11
So stellt das Landgericht zum einen fest, dass der Angeklagte mit dem
Ablegen des Angebots in seinem Dienstschrank eine Urkunde dem
Beweisführungsberechtigten entzogen und dies auch gewollt habe
(UA S. 7, 9). Dabei geht es von der Einlassung des Angeklagten aus, der
eine Vergabe der Planungsarbeiten an die Firma W. und P. GmbH habe
erreichen wollen. Um dies sicher zu stellen und das spätere
Entstehen von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des
Vergabeverfahrens auszuschließen, habe er verhindern
müssen, dass die Urkunde zur Akte genommen und so aktenkundig
werde, dass mit einem Bieter nachverhandelt worden sei (UA S. 10).
12
Zum anderen verneint das Landgericht an anderer Stelle eine
Strafbarkeit mit der Erwägung, der Angeklagte habe weder mit
der Anforderung der Urkunde im Rahmen des laufenden Vergabeverfahrens
bei der Stadt K. gerechnet noch erwartet, dass das Vergabeverfahren in
einem Zivilprozess überprüft werden würde.
Auch habe er sich keine sonstige Situation vorgestellt, in der die
Urkunde von Bedeutung für die Beweisführung gewesen
wäre (UA S. 14).
13
Diese Feststellungen der Kammer zum Vorstellungsbild des Angeklagten
sind miteinander nicht in Einklang zu bringen. Fehlte es dem
Angeklagten an jeglicher Vorstellung einer Situation, in welcher die
Urkunde von Bedeutung gewesen sein könnte, kann sein Handeln
nicht zugleich von dem Bestreben geleitet gewesen sein, gerade durch
Unterdrückung der Urkunde das spätere Entstehen von
Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens
auszuschließen. Die Vorstellung, durch das Beiseiteschaffen
der Urkunde möglicher-
14
- 8 -
weise aufkommenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit
der Vergabe entgegenwirken zu können, setzt vielmehr gerade
die - von der Kammer geteilte - Einschätzung voraus, dass die
Urkunde Einfluss auf die Beurteilung des Vergabeverfahrens haben und
damit für die Beweisführung von Bedeutung sein konnte
(vgl. UA S. 12). Warum der Angeklagte schließlich verhindern
"musste", es aktenkundig werden zu lassen, dass mit einem Bieter
nachverhandelt worden war, erschließt sich nicht, wenn er
zugleich davon ausgegangen sein soll, dass es zu einer
späteren Überprüfung des Verfahrens vor den
Zivilgerichten nicht kommen würde.
3. Darüber hinaus ist zu besorgen, dass die Strafkammer ihrer
Entscheidung eine unzutreffende Auslegung des Begriffs der
Nachteilsabsicht zugrunde gelegt hat.
15
Ohne Rechtsfehler geht die Kammer zwar davon aus, dass ein Nachteil in
jeder Beeinträchtigung des Beweisführungsrechts eines
Dritten liegen kann (vgl. BGHSt 29, 192, 196) und darunter vor allem
die Vereitelung der Nutzung des gedanklichen Inhalts einer Urkunde in
einer aktuellen Beweissituation zu verstehen ist (vgl. BGHR StGB
§ 274 Nachteil 1). Nachvollziehbar geht sie auch davon aus,
dass letztendlich kein (objektiver) Nachteil eingetreten ist, weil sich
eine Situation, in der es zu einer Verletzung des
Beweisführungsinteresses eines Berechtigten gekommen
wäre, nicht eingestellt hat. Daraus aber den Schluss zu
ziehen, die Nachteilsabsicht des § 274 StGB habe nicht
vorgelegen, greift zu kurz. Bei der Prüfung, ob die
für die Tatbestandsverwirklichung erforderliche, auf einen
entsprechenden Nachteil bezogene Absicht gegeben ist, verkennt das
Landgericht nämlich, dass es hierfür nicht darauf
ankommt, ob der Nachteil - was es ausführlich
erörtert (UA S. 11 - 13) - tatsächlich eingetreten
ist; ausreichend ist es, dass es dem Täter auf die
Verwirklichung des Nachteils
16
- 9 -
ankommt oder ihm zumindest bewusst ist, dass seine Tat einen Nachteil
zur Folge haben muss (vgl. BGH NJW 1953, 1924).
Erforderlich ist dabei nicht die Vorstellung des Täters, dass
die Verwendung der Urkunde, die unterdrückt wird, unmittelbar
bevorstehe oder jedenfalls in absehbarer Zeit zu erwarten sei. Es
genügt vielmehr, wenn er weiß, dass der Urkunde eine
potentielle Beweisbedeutung innewohnt, die sich jederzeit realisieren
kann, und es ihm auf die Beeinträchtigung eines sich darauf
beziehenden Beweisführungsrechts ankommt oder er dies als
notwendige Folge seines Handelns hinnimmt. Auf eine bestimmte konkret
bevorstehende Situation, in der die unterdrückte Urkunde
für die Beweisführung beachtlich werden
könnte, braucht sich die Vorstellung des Täters nicht
zu beziehen. Lässt sich der Täter ein,
überhaupt nicht mit einer möglichen späteren
Verwendung der Urkunde durch Dritte gerechnet zu haben, kann dies im
Übrigen nur dann zum Fehlen der Nachteilsabsicht
führen, wenn sich zugleich eine Erklärung
dafür finden lässt, warum die Urkunde dennoch
unterdrückt worden ist.
17
Fischer Roggenbuck Appl
Schmitt Krehl |