BGH,
Urt. v. 25.10.2001 - 4 StR 262/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 262/01
vom
25. Oktober 2001
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
StGB § 177 Abs. 1 Nr. 3
Die Ausnutzung derselben schutzlosen Lage allein reicht nicht aus,
mehrere sexuelle Handlungen zu einer Tat im Rechtssinne zu verbinden.
BGH, Urteil vom 25. Oktober 2001 - 4 StR 262/01 - (LG Dortmund)
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 25.
Oktober 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien als Vorsitzende, die Richter am
Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Kuckein, Athing, die Richterin am
Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund
vom 12. Dezember 2000 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung
sowie wegen tateinheitlich mit Freiheitsberaubung begangener
Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet
sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren
beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das
Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I. Die Verfahrensrüge entspricht nicht den Anforderungen des
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist daher unzulässig.
II. Die Sachrüge ist im Ergebnis ebenfalls
unbegründet. Einer Erörterung bedarf lediglich die
Frage, ob die Strafkammer die Konkurrenzverhältnisse
hinsichtlich der Vergewaltigungstaten zutreffend beurteilt hat.
1. Nach den Feststellungen suchte der Angeklagte seine Ehefrau Melek E.
, die sich wegen wiederholter Gewalttätigkeiten von ihm
getrennt hatte, am 7. Februar 2000 in ihrer Wohnung auf, weil er die
Ehe fortsetzen wollte. Er stellte Melek E. vor die Wahl, entweder mit
ihm erneut zusammenzuleben oder ihm den gemeinsamen Sohn zu
übergeben. Als seine Ehefrau die Herausgabe des Kindes
verweigerte, versetzte er ihr zwei Schläge ins Gesicht. Sodann
zwang er sie, ihm sowohl ihren Paß als auch den des Sohnes
herauszugeben und einen Brief aufzusetzen, in dem sie auf das Kind
verzichtete. Anschließend weigerte er sich aus Angst vor
einer Anzeige, die Wohnung zu verlassen. Er schloß die
Wohnungstür ab, steckte den Schlüssel ein und
verbrachte die Nacht in der Wohnung. In den folgenden Tagen hielt er
die Wohnung, die seine Ehefrau nur in Gegenwart des Angeklagten
verlassen durfte, weiterhin verschlossen. In diesem Zeitraum
führte der Angeklagte am 8., am 9. oder 10. und am 13. Februar
2000 aufgrund jeweils neuen Entschlusses gegen den erklärten
Willen seiner Ehefrau den Geschlechtsverkehr mit ihr durch. Melek E.
leistete aus Angst vor weiteren Schlägen, in Anbetracht der
körperlichen Überlegenheit ihres Ehemannes sowie auch
des Eingesperrtseins in der Wohnung keinen Widerstand. Dem Angeklagten
war jeweils bewußt, daß seine Ehefrau "ihm hilflos
ausgeliefert war" (UA 10). Nachdem der Angeklagte - wenn auch zu
Unrecht - davon überzeugt war, daß seine Ehefrau
wieder bereit war, mit ihm zusammenzuleben, hob er sämtliche
Maßnahmen auf, die aus seiner Sicht ihr Verbleiben in der von
ihm zur Fortsetzung der gemeinsamen Partnerschaft ins Auge
gefaßten "gemeinsamen" Wohnung sichern sollten.
2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten zutreffend jeweils
als Vergewaltigung unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der
Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist (§
177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), gewertet. Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist die
Annahme dreier selbständiger, jeweils in Tateinheit mit
Freiheitsberaubung begangener Vergewaltigungen, die zueinander in
Tatmehrheit stehen.
a) Nach der Rechtsprechung kommt allerdings die Annahme von Tateinheit
in Betracht, wenn die tatbestandlichen, dasselbe Strafgesetz mehrfach
verletzenden Ausführungshandlungen in einem für
sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil
zumindest teilweise identisch sind (vgl. BGHSt 22, 206, 208; 43, 317,
319; vgl. auch Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. § 52 Rdn. 19
m.w.N.). Für die Tatbestandsalternativen des § 177
Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB ist daher anerkannt, daß bei
einheitlicher Gewaltanwendung ebenso wie bei fortgesetzter oder
fortwirkender Drohung trotz mehrfacher dadurch erzwungener
Beischlafhandlungen nur eine Tat im Rechtssinne vorliegt (vgl. BGH NStZ
1999, 83; 2000, 419, 420; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 10).
Dagegen hat die Rechtsprechung bislang nicht näher
erörtert, ob allein das Ausnutzen derselben schutzlosen Lage
mehrfach erzwungenen Geschlechtsverkehr zu einer Tat im Rechtssinne
zusammenführen kann oder ob in diesen Fällen
Tateinheit nur unter den Voraussetzungen der natürlichen
Handlungseinheit in Betracht kommt (vgl. BGHSt 45, 253; BGH NStZ 1999,
505; NStZ 2000, 419, 420; BGH, Beschluß vom 13. Juni 2000 - 4
StR 166/00).
b) Die Frage ist im letztgenannten Sinne zu beantworten, da es in den
Fällen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB bei mehrfacher
Tatbestandsverwirklichung an einer - zumindest teilweise - identischen
Tathandlung fehlt.
Während in § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB die
tatbestandliche Nötigungshandlung, die im Einsatz von Gewalt
oder einer Drohung des Täters mit gegenwärtiger
Gefahr für Leib oder Leben besteht, als solche geeignet ist,
einen fortwirkenden Zwang auf das Opfer auszuüben und es - in
einem weiteren Akt (BGH NStZ 1985, 546) - zur Duldung oder Vornahme
erneuter sexueller Handlungen zu veranlassen, trifft dies bei
§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zu. Alleinige Tathandlung ist
hier das Aufzwingen sexueller Handlungen unter Ausnutzung einer
bestimmten Befindlichkeit des Opfers, nämlich dessen
schutzloser Lage. Nutzt der Täter eine fortbestehende
schutzlose Lage des Opfers aufgrund getrennten Tatentschlusses mehrfach
zur Erwingung sexueller Handlungen aus, so geht der Zwang, auf die
Durchsetzung seines entgegenstehenden Willens zu verzichten,
für das Opfer nicht von der tatbestandlichen
Ausführungshandlung des Täters, sondern von der
fortbestehenden Lebenssituation des Opfers aus. Dies gilt auch
für Fälle, in denen der Täter - wie hier -
die schutzlose Lage des Opfers durch sein Verhalten
herbeigeführt hat, weil dieser Umstand für die
Tatbestandsverwirklichung ohne Bedeutung ist (BGHSt 45, 253, 256 f.
m.w.N.). Die tatbestandliche Nötigungshandlung des §
177 Abs. 1 Nr. 3 StPO erschöpft sich in der aktuellen
Durchsetzung der sexuellen Handlung unter Beugung des der Tat
entgegenstehenden Willens des Opfers (BGHSt 45, 253, 260 f.). Eine
Verknüpfung einzelner sexueller Handlungen zu einer Tat im
Rechtssinne allein durch die Ausnutzung derselben schutzlosen Lage
kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht.
Natürliche Handlungseinheit scheidet im vorliegenden Fall
schon angesichts der erheblichen zeitlichen Abstände zwischen
den jeweiligen Beischlafhandlungen aus.
c) Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung zu
vergleichbaren Tatbeständen. So hat der Große Senat
für Strafsachen des Bundesgerichtshofes in seiner Entscheidung
zur fortgesetzten Handlung gerade mit Blick auf bestimmte Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung ausgeführt, daß
die Wertung einer Vielzahl über längere
Zeiträume erstreckter, jeweils für sich
tatbestandsmäßiger Verhaltensweisen als eine Tat dem
Sinn dieser Deliktstatbestände widerspricht, und zwar auch
dann, wenn die Handlungen unter Ausnutzung einer festen
Täter-Opfer-Beziehung begangen wurden (BGHSt 40, 138, 166).
Nach dieser Entscheidung gilt dies unter anderem für den
Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB ("unter
Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-,
Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen
Abhängigkeit") und liegt für die Tatbestände
des § 174 a Abs. 1 StGB ("unter Mißbrauch seiner
Stellung") und § 174 b Abs. 1 StGB ("unter Ausnutzung einer
Amtsstellung") nahe. Bezüglich § 182 Abs. 1 StGB
("unter Ausnutzung einer Zwangslage") hat der erkennende Senat bei
mehrfachem Ausnutzen derselben Zwangslage zu sexuellen
Übergriffen die Annahme mehrerer selbständiger Taten
nicht beanstandet (BGHSt 42, 399, 402, 403). Im übrigen ist
die Annahme von Tatmehrheit zwischen zwei Vergewaltigungstaten nach
§ 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB bereits vom 2.
Strafsenat in einem Fall bestätigt worden, in dem der
Täter unter Ausnutzung derselben schutzlosen Lage in engem
zeitlichen und situativen Zusammenhang ("einige Zeit später am
selben Abend") aufgrund eines neuen Tatentschlusses zweimal den
Geschlechtsverkehr mit dem Opfer durchgeführt hat (BGHSt 45,
253).
d) Der Senat verkennt nicht, daß sich aus der
unterschiedlichen Behandlung des Konkurrenzverhältnisses im
Rahmen von § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB einerseits und
§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB andererseits
Wertungswidersprüche ergeben können. Ob angesichts
dessen an der bisherigen Rechtsprechung zu den Konkurrenzen bei
fortwirkender Gewalt oder Drohung festgehalten werden sollte, ist hier
nicht zu entscheiden, da die Tatbestandsvoraussetzungen des §
177 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB nicht vorliegen. Nach den
Feststellungen hat der Angeklagte die Freiheitsberaubung nicht zur
Erzwingung des Geschlechtsverkehrs mit seiner Ehefrau eingesetzt. Dem
Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen,
daß das Einsperren nur der Fortsetzung eines gemeinsamen
Familienlebens dienen sollte.
Tepperwien Maatz Kuckein Athing Solin-Stojanovic |