BGH,
Urt. v. 25.10.2006 - 5 StR 316/06
5 StR 316/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
25.10.2006
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25.
Oktober 2006, an der teilgenommen haben:
Richter Häger als Vorsitzender,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dr. Jäger
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Zwickau vom 7. April 2006 mit den Feststellungen
aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden
ist,
b) im Strafausspruch, insoweit zugunsten des Angeklagten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von
Schutzbefohlenen in sieben Fällen sowie wegen sexuellen
Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von
Schutzbefohlenen (§§ 174 Abs. 1 Nr. 1, 176 Abs. 1,
176a Abs. 1 StGB jeweils a.F.) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht
Jahren und drei Monaten verurteilt, wobei unter Auflösung
einer früheren Gesamtstrafe die früher
verhängten Einzelstrafen (vier Jahre und sechs Monate sowie
zweimal drei Monate) einbezo-
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gen worden sind. Die Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich
allein dagegen, dass das Landgericht die Anordnung der
Sicherungsverwahrung abgelehnt hat. Das mit der Verletzung sachlichen
Rechts begründete Rechtsmittel, das von der Bundesanwaltschaft
vertreten wird, hat Erfolg; die Revisi-on führt zugleich
zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung des
Strafausspruchs, der mit der Frage der Anordnung von
Sicherungsverwahrung inhaltlich verknüpft ist.
1. Die Urteilsgründe weisen aus, dass die formellen
Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2,
Abs. 3 Satz 2 StGB erfüllt sind (neu verhängte
Einzelstrafen neun Monate, ein Jahr und neun Monate, fünfmal
drei Jahre sowie drei Jahre und sechs Monate). Zum Hang im Sinne des
§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat das Landgericht den
Sachverständigen P. gehört, der dem Angeklagten eine
„gesteigerte sexuelle Triebhaftigkeit“ sowie
„Anwendung von körperlicher Gewalt als Ausdruck von
Impulsivität und mangelnder Bereitschaft zu rationaler
Verhaltenskontrolle“ attestiert und einen Hang mit der
Erwägung bejaht hat, dass „zum
gegenwärtigen Zeitpunkt auch unter Beachtung zunehmend
krimineller Entwicklung, Ähnlichkeit der Straftaten,
impulsiver Charakterstruktur und bisher missglückter
Sozialisierung die Gefahr erheblicher rechtswidriger strafbarer
Handlungen in bedeutsamem Maße wahrscheinlich“ sei.
Gleichwohl hat die Strafkammer die Voraussetzungen eines Hanges
verneint, weil unter anderem „die Missbrauchshandlungen im
häuslichen Bereich typische Gelegenheitstaten“
seien, und darüber hinaus eine künftige
Gefährlichkeit „im Hinblick auf das geringe Alter
des Angeklagten und der Wirkungen des langjährigen
Haftvollzuges mit der Möglichkeit sozial-therapeutischer
Behandlung“ nicht bejaht.
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Die Begründung, mit der das Landgericht den materiellen
Anordnungsgrund nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint und von
der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat, hält
rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar ist der Tatrichter
nicht gehindert, von dem Gutachten eines
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vernommenen Sachverständigen abzuweichen; denn dieses kann
stets nur eine Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung sein.
Will der Tatrichter jedoch eine Frage, zu der er einen
Sachverständigen gehört hat, im Widerspruch zu dessen
Gutachten lösen, muss er sich in einer Weise mit den
Darlegungen des Sachverständigen auseinandersetzen, die
erkennen lässt, dass er mit Recht eigene Sachkunde in Anspruch
genommen hat (vgl. BGH NStZ 2000, 550, 551; Schoreit in KK 5. Aufl.
§ 261 Rdn. 33 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
a) Die Revision beanstandet mit Recht die nicht ausreichenden
Ausführungen des Landgerichts zu der Wertung, dass es sich
lediglich um „Gelegenheitstaten“ gehandelt habe und
Symptomtaten nicht vorgelegen hätten. Die Strafkammer stellt
entscheidend darauf ab, dass die Taten „innerhalb eines
kurzen Zeitraums von ca. vier Monaten“ begangen wurden. Die
„Missbrauchshandlungen im häuslichen Bereich (seien)
typische Gelegenheitstaten, die durch die Autorität des
Angeklagten im Familienverbund und die mangelnde Widerstandskraft des
Opfers gekennzeichnet“ seien.
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Alle abgeurteilten Missbrauchstaten betreffen Sexualdelikte, die sich
in ähnlicher Weise angebahnt und zugetragen haben. Schon diese
näheren Umstände der Taten lassen die Annahme von
Gelegenheitstaten als fernliegend erscheinen. Darüber hinaus
berücksichtigt das Landgericht nicht ausreichend, dass auch
eine Gelegenheitstat eine Hang- bzw. Symptomtat sein kann. Die
Anwendung des § 66 StGB ist unter dem Gesichtspunkt des
Gelegenheitscharakters der Tat lediglich dann ausgeschlossen, wenn eine
äußere Tatsituation oder Augenblickserregung die Tat
allein verursacht hat (vgl. BGH MDR 1980, 326, 327; BGHR StGB
§ 66 Abs. 1 Hang 7). Das angefochtene Urteil lässt
zudem nicht erkennen, ob die Strafkammer bei der
Gesamtwürdigung den Brief des Angeklagten an seine damalige
Lebensgefährtin angemessen berücksichtigt hat. Darin
heißt es hinsichtlich des seinerzeit 10-jährigen
Tatopfers: „Wie Du ja weißt, möchte ich
das nicht aufgeben, auch
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wenn ich mal gesagt hatte, dass damit Schluß
wäre…“. In Bezug auf die seinerzeit
5-jährige Schwester des Tatopfers schreibt der Angeklagte:
„ … wo es dabei um Biene geht. Das Du
darüber nicht so begeistert warst, weiß ich ja. Denn
wir hatten ja ausgemacht, dass es bei ihr nicht wird … Das
Bienchen zu allem ja sagen würde, auch zu dem, wenn ich Sie
das eine Fragen würde, glaub ich Dir. Denn Biene
hängt ja total an mir.“ Weiterhin enthält
der Brief folgende Passage: „Und deswegen hatte ich ja
eigentlich gedacht, dass Sie deine Pille nehmen könnte. Aber
Du hast mir ja heute gesagt, dass es nicht geht, weil die Pille zu
stark wäre.“ Nach Bewertung des
Sachverständigen lässt der Angeklagte in dem Brief
Entschlossenheit zur Durchführung weiterer gleichartiger
Missbrauchstaten gegenüber dem Opfer und zusätzlich
noch gegenüber dessen jüngerer Schwester erkennen.
Angaben dazu, ob überhaupt und wie sich der Angeklagte hiervon
in der Hauptverhandlung überzeugend distanziert hat, fehlen.
b) Auch die Hilfserwägungen des Landgerichts zur
Ermessensausübung sind unter diesen Umständen
unzureichend. Insbesondere die Annahme des Landgerichts, die zu
erwartenden Wirkungen des Strafvollzugs würden eine
gefahrenreduzierende Verhaltensänderung zu Gunsten des
Angeklagten bewirken, ist nicht ausreichend begründet. Ohne zu
wissen, wie sich der Angeklagte zu seinen in dem genannten Brief
geäußerten Wünschen und Vorstellungen
nunmehr verhält, kann eine derartige Prognose nicht
sachgerecht gestellt werden. Auch die vom Angeklagten
gegenüber der Anstaltspsychologin erklärte
Therapiebereitschaft ist wenig aussagekräftig, da die
Bewertungen des psychiatrischen Sachverständigen und der
Anstaltspsychologin hierzu im Urteil nicht mitgeteilt werden.
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c) Bei dieser Sachlage kann die Begründung für die
beanstandete Ablehnung der Maßregelanordnung gegen den jetzt
26-jährigen Angeklagten - auch angesichts ähnlich
motivierter Taten zum Nachteil derselben Ge-
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schädigten (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch BGHR StGB
§ 66 Abs. 1 Hang 10) - nicht genügen.
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2. Die daher gebotene Aufhebung des Urteils, soweit von der Anordnung
der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist, führt - allein
zugunsten (§ 301 StPO) des Angeklagten - zur Aufhebung der
hier verhängten Einzelstrafen und des Gesamtstrafausspruchs.
Die Strafzumessung ist zwar für sich nicht zu beanstanden; der
Angeklagte ist für seine Taten zu Recht schwer bestraft
worden. Im Hinblick auf die Erwägungen des Urteils zu den
möglichen Auswirkungen des Vollzugs der Strafe vermag der
Senat aber nicht auszuschließen, dass die Strafen niedriger
bemessen worden wären, wenn das Landgericht zugleich auf
Sicherungsverwahrung erkannt hätte (vgl. BGHR § 66
Abs. 1 Gefährlichkeit 1, 2).
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Häger Raum Brause
Schaal Jäger |