BGH,
Urt. v. 25.9.2001 -1 StR 264/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 264/01
vom
25. September 2001
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25.
September 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Nack, Dr. Boetticher, Hebenstreit, Schaal,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Traunstein vom 6. März 2001 wird als unbegründet
verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem
Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Dem Angeklagten liegt zur Last, während eines
Gesprächs über eine mögliche Scheidung
versucht zu haben, seine Ehefrau V. F. mit einem Messer zu
töten. Das Landgericht hat ihn deshalb wegen versuchten
Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf
Jahren verurteilt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten
Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des
Angeklagten u.a. wegen eines heimtückisch begangenen
versuchten Mordes. Sie erhebt Verfahrensrügen und die
Sachrüge. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht
vertreten wird, hat keinen Erfolg.
I.
Die Verfahrensrügen
Die Beschwerdeführerin rügt einen Verstoß
gegen § 244 Abs. 3 StPO und macht zwei
Verstöße gegen die Aufklärungspflicht
geltend.
1. Nachdem in der Hauptverhandlung die Geschädigte von einer
früheren, in einer richterlichen Vernehmung gemachten, den
Angeklagten belastenden Aussage abgerückt war und das
Landgericht daraufhin den Ermittlungsrichter als Zeugen vernommen
hatte, beantragte die Beschwerdeführerin, das Protokoll
über die richterliche Vernehmung der Zeugin
gemäß § 253 Abs. 2 StPO zu verlesen.
Die Beschwerdeführerin rügt, das Landgericht habe
diesen Antrag zu Unrecht als unzulässig (§ 244 Abs. 3
StPO) abgelehnt. Sie beanstandet ferner, das Landgericht habe aufgrund
seiner Aufklärungspflicht schon bei der Vernehmung der
Verhörsperson dieses Protokoll im Urkundenbeweis "zur
Gedächtnisunterstützung" gem. § 253 Abs. 1
StPO oder nach der Vernehmung der Zeugin gem. § 253 Abs. 2
StPO verlesen müssen.
2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Das Landgericht hat den Beweisantrag zutreffend als
unzulässig zurückgewiesen.
Nach den Feststellungen des Urteils trat in der Hauptverhandlung der
Widerspruch zwischen den Angaben der Zeugin beim Ermittlungsrichter und
ihrer Aussage in der Hauptverhandlung offen zu Tage. Die Zeugin hatte
nach Vorhalt ihrer früheren Aussage angegeben, sie habe zwar
früher so ausgesagt, dies sei aber gelogen gewesen, weil sie
sich vom Angeklagten habe trennen wollen und zutiefst beleidigt gewesen
sei.
Damit stand der Inhalt der früheren Aussage der Zeugin durch
deren eigene Angaben fest und es bedurfte nicht der Verlesung des
Protokolls um festzustellen, was die Zeugin früher gesagt
hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs kommt die
Verlesung der früheren Aussage nur in Betracht, "nachdem
Vorhalte aus dem Protokoll weder eine Übereinstimmung der
gegenwärtigen Aussage mit dem Inhalt des Protokolls bewirkt
noch dazu geführt haben, daß der Zeuge bekundete,
bei der Aufnahme des Protokolls abweichend von seiner
gegenwärtigen Aussage tatsächlich das im Protokoll
Festgehaltene ausgesagt zu haben" (vgl. BGHSt 20, 160, 162; BGH, Urt.
vom 2. März 1983 - 2 StR 744/82, teilweise wiedergegeben in
NStZ 1984, 17).
Wäre der Widerspruch bestehen geblieben, wäre die
Verlesung des Vernehmungsprotokolls nach § 253 Abs. 2 StPO
auch nur zulässig gewesen, wenn dieser sich ohne Unterbrechung
der Hauptverhandlung nicht auf andere Weise, etwa durch Vernehmung der
Verhörsperson, hätte aufklären lassen
(Gollwitzer in LR StPO 25. Aufl. § 253 Rdn. 8, 11;
Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 253 Rdn.
3). Im vorliegenden Fall hatte die Verhörsperson den Inhalt
der richterlichen Vernehmung bestätigt, so daß auch
aus diesem Grunde die Voraussetzungen der Vorschrift nicht vorgelegen
hätten.
b) Auch die Aufklärungsrügen nach § 244 Abs.
2 StPO versagen. Die Verlesung einer Niederschrift über eine
frühere Vernehmung im Urkundenbeweis nach § 253 Abs.
1 StPO ist nur zur Gedächtnisunterstützung des
vernommenen Zeugen zulässig. Zur Verlesung drängte
nichts, nachdem die Geschädigte erklärt hatte, sie
habe bei den früheren Aussagen gelogen.
c) Auf den von der Beschwerdeführerin behaupteten
Verfahrensverstößen nach § 253 StPO
könnte das Urteil ohnehin nicht beruhen. Das Landgericht hat
seiner Beweiswürdigung die belastenden Aussagen der Zeugin
beim Ermittlungsrichter zugrundegelegt und ausdrücklich
ausgeführt, nur mit dem vom Ermittlungsrichter wiedergegebenen
Inhalt der richterlichen Aussage der Zeugin sei eine
Begründung ihrer Arg- und Wehrlosigkeit nicht möglich.
d) Selbst wenn man das Revisionsvorbringen dahin auslegen
würde, das Landgericht habe die durch Vorhalt
eingeführte richterliche Vernehmung der Geschädigten
nicht vollständig ausgeschöpft, weil sich zumindest
aus Teilen der Aussage ergebe, die Geschädigte sei beim
Angriff des Angeklagten arg- und wehrlos gewesen, entspräche
eine Rüge nach § 261 StPO nicht den Erfordernissen
des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Dem Vorbringen der
Beschwerdeführerin ist nicht zu entnehmen, welchen Teil des
richterlichen Vernehmungsprotokolls die Strafkammer hinsichtlich der
Heimtücke nicht beachtet hat.
II.
Die Sachrüge
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Sachrüge läßt ebenfalls keinen Rechtsfehler
erkennen. Die Revision rügt ohne Erfolg, das Landgericht habe
zu Unrecht die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers in Zweifel gezogen.
Die Begründung, mit der die Strafkammer ausgeführt
hat, sie habe ihre Zweifel am Vorliegen der dafür
maßgeblichen Umstände nicht überwinden
können, hält rechtlicher
Überprüfung stand.
1. Nach ständiger Rechtsprechung handelt
heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung (BGHSt 30,
105, 119) die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur
Tötung ausnutzt. Der in diesem Mordmerkmal zum Ausdruck
gekommene höhere Unrechtsgehalt des Täterverhaltens
liegt darin, daß der Mörder sein Opfer in einer
hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem
Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren
(BGHSt 11, 139, 143; 20, 301, 302; 23, 119, 121; 32, 382, 384). Das
Opfer muß in der unmittelbaren Tatsituation, d.h. bei Beginn
des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs
arglos gewesen sein (BGHSt 23, 119, 121; 32, 382, 384; BGH NJW 1980,
792, 793; NStZ 1983, 34, 35; vgl. auch BGH NJW 1986, 1502), und der
Täter muß die sich ihm darbietende arg- und wehrlose
Lage des Opfers ausgenutzt haben. Ob dies so war, hat der Tatrichter
aufgrund erschöpfender Würdigung der erhobenen
Beweise zu entscheiden. Die Urteilsgründe müssen
erkennen lassen, daß das Gericht die Beweise
erschöpfend gewürdigt, vor allem die
Umstände, die die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten
des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine
Überlegungen einbezogen hat.
2. Die Strafkammer hat erwogen, für die Arglosigkeit spreche
zwar der Umstand, daß der Angeklagte seine Ehefrau auf den
Balkon lockte, um dort mit ihr allein und einvernehmlich über
die Scheidung zu sprechen, und daß er zu diesem Zeitpunkt
bereits ein Messer am Rücken versteckt hatte. Gegen die
Arglosigkeit spreche aber, daß nicht mehr
aufzuklären sei, wie lange und in welchem Ton die Eheleute in
der Wohnung miteinander gesprochen hätten, bevor sie auf den
Balkon gegangen seien. Aus der Aussage ergebe sich auch, daß
die Geschädigte von Anfang an nicht allein auf dem Balkon
gewesen sei. Das Kind Vi. habe auf ihrem Schoß gesessen, als
der Angeklagte ihr ankündigte, er werde sie jetzt umbringen.
Das Kind habe offensichtlich auch als Schutzschild gedient.
Schließlich habe die Tochter W. der Mutter vom Fenster des
Kinderzimmers in dem Augenblick laut zugerufen: "Mutter paß
auf, der Vater hat ein Messer", als der Angeklagte der
Geschädigten erklärte, er werde sie jetzt umbringen
und sie solle das Kind wegtun. Die Annahme des Landgerichts, die
Geschädigte habe doch mit einer Auseinandersetzung mit dem
Angeklagten gerechnet und habe deshalb das Kind entgegen der Abrede auf
dem Schoß behalten, ist eine mögliche
Schlußfolgerung, die revisionsrechtlich nicht zu beanstanden
ist.
Schäfer Nack Boetticher Hebenstreit Schaal
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