BGH,
Urt. v. 26.4.2007 - 4 StR 7/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 7/07
vom
26.4.2007
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
26.4.2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Kuckein, Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Stralsund vom 29. August 2006 im Rechtsfolgenausspruch mit
den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer
räuberischer Erpressung in zwei Fällen unter
Einbeziehung einer rechtskräftig verhängten
Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn
Monaten verurteilt und die in der einbezogenen Sache angeordnete
Maßregel nach §§ 69, 69 a StGB aufrecht
erhalten.
1
Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer zu Ungunsten des
Angeklagten eingelegten auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten
wird, die Verletzung materiellen Rechts. Sie wendet sich gegen die
Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit durch das
Landgericht. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen
überfiel der Angeklagte am 8. Dezember 2005 und am 16. Februar
2006 jeweils ein Geldin-
3
- 4 -
stitut auf der Insel Rügen und erbeutete dabei 11 540 Euro
bzw. 5 660 Euro. Bei der ersten Tat setzte der jeweils maskiert
auftretende Angeklagte eine Spielzeugpistole als Drohmittel ein, bei
der zweiten Tat ein Jagdmesser. Bei beiden Fällen nahm der
Angeklagte eine Geisel zur Durchsetzung seiner Forderung. Bereits im
September 2005 hatte der während des gesamten Tatzeitraums
arbeitslose Angeklagte, wie er einräumt, eine Bank in
Schleswig-Holstein überfallen; diese Tat ist allerdings nicht
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Das Motiv für die
Taten war nach den Angaben des Angeklagten, dass er sich Geld
für den Erwerb von Alkohol und Drogen beschaffen wollte, da er
nach dem Tod seiner Mutter im Jahre 2003 begonnen hatte, wahllos
Alkohol zu trinken, und seit Ende 2004 zusätzlich Kokain (etwa
10 bis 15 Gramm pro Woche) konsumierte.
Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit hat sich das
Landgericht den Ausführungen des gehörten
psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, denen zufolge
bei dem Angeklagten eine Anpassungsstörung im Sinne einer
längeren depressiven Reaktion - ICD 10 F 43.21 - sowie ein
Abhängigkeitssyndrom von Alkohol und Kokain - ICD 10 F 10.2
und F 14.2 - vorliegen. Es ist zu dem Schluss gekommen, dass die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten deswegen bei Begehung
beider Taten erheblich vermindert war, und hat von der
Möglichkeit Gebrauch gemacht, die der Strafzumessung zu Grunde
liegenden Strafrahmen nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
zu mildern.
4
2. Die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit
(§ 21 StGB) des Angeklagten bei Begehung der Taten begegnet
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zu Recht weist die
Beschwerdeführerin darauf hin, dass sich das Urteil nicht dazu
verhält, welches Eingangsmerkmal des § 20 StGB das
Landgericht für erfüllt angesehen hat. Nach der
ständigen Rechtsprechung des
5
- 5 -
Bundesgerichtshofs kann für die Anwendung der
§§ 20, 21 StGB regelmäßig nicht
offen bleiben, welche der Eingangsvoraussetzungen des § 20
StGB vorliegt (BGHSt 49, 347, 351).
a) Zu Unrecht hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 21
StGB auf eine von dem Sachverständigen diagnostizierte
Anpassungsstörung im Sinne von ICD 10 F 43.21
zurückgeführt.
6
Die Diagnose einer wie auch immer gearteten
Persönlichkeitsstörung lässt für
sich genommen eine Aussage über die Frage der
Schuldfähigkeit des Täters nicht zu (vgl. BGHSt 42,
385, 388). Bei einer nicht pathologisch bedingten
Persönlichkeitsstörung liegt eine andere schwere
seelische Abartigkeit, die hier als Eingangsvoraussetzung des
§ 20 StGB in Betracht kommen könnte, nur dann vor,
wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung
gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben
des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen
Folgen stören, belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. BGHSt
34, 22, 28; 37, 397, 401; BGH NStZ 2005, 326, 327).
7
Bei den sogenannten Anpassungsstörungen (ICD 10 F 43.2)
handelt es sich um Zustände von subjektivem Leiden und
emotionaler Beeinträchtigung, die soziale Funktionen und
Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach
einer entscheidenden Lebensveränderung, nach einem belastenden
Lebensereignis oder auch nach schwerer körperlicher Krankheit
auftreten. Unter der Bezeichnung F 43.21, auf die der
Sachverständige verwiesen hat, ist ein "leichter depressiver
Zustand als Reaktion auf eine länger anhaltende
Belastungssituation, der aber nicht länger als zwei Jahre
dauert" beschrieben. Es liegt eher fern anzunehmen, dass eine solche,
als "leichter de-
8
- 6 -
pressiver Zustand" zu bewertende Befindlichkeit eines der
Eingangsmerkmale des § 20 StGB erfüllt haben
könnte. Jedenfalls hätte dies der näheren
Darlegung und Begründung bedurft. Eine solche enthält
das angefochtene Urteil nicht. Die Strafkammer folgt den
Ausführungen des Sachverständigen, wonach sich bei
dem Angeklagten "deutliche Hinweise auf eine neurotische
Fehlentwicklung, bedingt in der auffälligen Beziehung zur
Mutter und der Alkoholabhängigkeit beider Elternteile"
fänden; nach der Trennung der Eltern habe sich eine
"beiderseits abhängige strukturierte Beziehung zwischen Mutter
und Sohn entwickelt"; ferner weise der Angeklagte eine gering
ausgeprägte eigene Autonomie auf und habe bereits
frühzeitig Verdrängungsmechanismen erlernt. Weder der
Sachverständige noch das Landgericht haben aber dargetan, ob
und inwieweit dieser leichte depressive Zustand das Leben des
Angeklagten belastet und sich bei den einzelnen Taten ausgewirkt hat.
Auch dem Zusammenhang der Urteilsgründe lässt sich
das nicht entnehmen, vielmehr stand danach die "auffällige
Beziehung zur Mutter" weder dem beruflichen Werdegang des Angeklagten
entgegen noch hat sie ihn bei der Kontaktaufnahme zu anderen Personen
gehindert.
b) Soweit das Landgericht die Annahme erheblich verminderter
Steuerungsfähigkeit weiterhin auf ein vom
Sachverständigen diagnostiziertes
Abhängigkeitssyndrom von Alkohol und Kokain (ICD 10 F 10.2 und
F 14.2) stützt, begegnet dies ebenfalls durchgreifenden
rechtlichen Bedenken.
9
Zum einen stützt sich die Annahme einer solchen
Abhängigkeit ausschließlich auf die eigenen, von
seiner Lebensgefährtin nicht bestätigten Angaben des
Angeklagten zu seinem Konsumverhalten, ohne dass etwaige zeitnahe
Untersuchungsbefunde oder Erkenntnisse aus der Zeit unmittelbar nach
der Inhaftierung herangezogen wurden.
10
- 7 -
Zum anderen hat das Landgericht nicht bedacht, dass eine
Abhängigkeit von Alkohol oder Drogen nicht für sich
allein, sondern nur bei Vorliegen besonderer Umstände die
Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit
begründet. Derartige Umstände erkennt die
Rechtsprechung grundsätzlich nur dann an, wenn auf Grund
langjährigen Konsums schwere
Persönlichkeitsveränderungen eingetreten sind oder
der Abhängige durch starke Entzugserscheinungen oder durch
Angst vor solchen zu Beschaffungstaten getrieben wird (vgl.
Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 20 Rdn. 11 a und
§ 21 Rdn. 13 jeweils mit zahlreichen Nachweisen).
Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Ausnahmefälle
lässt das angefochtene Urteil nicht erkennen; sie werden von
dem Angeklagten auch nicht behauptet. Im Übrigen spricht
bereits die Art der jeweiligen Tatplanung und Tatausführung
dagegen, da der Angeklagte den Entschluss bereits deutlich vor den
Taten fasste und die Durchführung, insbesondere bei der
zweiten Tat, sorgfältig vorher plante.
11
- 8 -
3. Nach alledem kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben,
weil die Frage einer erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit neuer Entscheidung bedarf. Dabei wird auch
die Frage einer Unterbringung nach § 64 StGB erneut zu
prüfen sein. Für die neue Hauptverhandlung wird es
sich empfehlen, einen weiteren psychiatrischen
Sachverständigen hinzuzuziehen.
12
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann |