BGH,
Urt. v. 26.8.2003 - 1 StR 174/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 174/03
vom
26.08.2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26.
August
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten B. S. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten N. S. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Bayreuth vom 20. Dezember 2002 hinsichtlich
beider Angeklagten im Strafausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten der gefährlichen
Körperverletzung
schuldig gesprochen und gegen den Angeklagten B. S. sen.
eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren sowie gegen den Angeklagten
N. S. jun. eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten
verhängt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen wurde zur
Bewährung ausgesetzt
und das sichergestellte Tatwerkzeug eingezogen. Hiergegen wenden sich
die wirksam auf den Strafausspruch beschränkten Revisionen der
Staatsanwaltschaft
mit der Sachrüge. Sie erstreben im Ergebnis höhere,
zu vollstreckende
Strafen. Unter anderem beanstanden sie die Strafrahmenmilderung
nach § 46a Nr. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 Nrn. 2 und 3
StGB bei beiden Angeklagten.
Die Rechtsmittel haben Erfolg.
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I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gehören die
Angeklagten
einerseits und der verletzte Nebenkläger A. H. andererseits
zwei
seit Jahren verfeindeten Sinti-Familien an. Am Tattag, dem 27. September
1999 kam es zwischen der Ehefrau des Angeklagten S. sen. und
F. , der angeblichen Geliebten des Nebenklägers, zu massiven
Beleidigungen,
die sich auch auf die Familien erstreckten, und einer tätlichen
Auseinandersetzung auf offener Straße, ausgelöst
durch das Gerücht über die
angebliche außereheliche Beziehung des Nebenklägers.
Als dieser davon
hörte, fuhr er sogleich dorthin. Er traf dort auf die beiden
Angeklagten, die gerade
ihre geparkten Fahrzeuge besteigen wollten. Auch sie waren
über das
Geschehen unterrichtet. Der Nebenkläger lief mit einem
geöffneten Springmesser
in der Hand auf den Angeklagten S. sen. schimpfend und mit
drohender Gebärde zu. Dieser bewaffnete sich mit einem
Dachdeckerbeil aus
seinem Pkw. Auf Zuruf seines Vaters holte der Angeklagte S. jun. einen
Säbel mit einer Klinge von 70 bis 80 cm Länge und ein
Fischermesser aus seinem
Fahrzeug. Als der Nebenkläger und sein Vater sich bewaffnet
gegenüberstanden,
schlug der Junior mit dem Säbel auf H. s Rücken.
Dieser ergriff,
vorwärts rennend, die Flucht. Die beiden Angeklagten setzten
nach. Als
der Nebenkläger erkannte, daß die Flucht nicht
gelang, blieb er stehen und
drehte sich um. Der Angeklagte S. jun. schlug mit dem Säbel
wahllos auf
den Oberkörper, insbesondere auf die Arme H. s, die dieser
schützend
vor das Gesicht hielt. Der Vater attackierte ihn mit der Axt. In
Todesangst versetzte
H. dem Angeklagten S. jun. mit dem Messer einen Stich in
den Unterbauch. Das hatte zur Folge, daß der Vater in
unbändiger Wut mit der
Axt wild auf ihn eindrosch. Als S. jun. sich etwas erholt hatte, stach
er
nun mit dem Fischermesser auf den zurückweichenden
Nebenkläger ein, bis
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dieser zu Boden ging. Nach einigen Fußtritten durch den Vater
ließen die Angeklagten
von ihrem Opfer ab.
Der Nebenkläger erlitt massive Verletzungen, eine Vielzahl von
Schnitt-,
Schürfwunden und Hämatomen. Ohne ärztliche
Hilfe hätte er verbluten können
infolge einer Durchtrennung der Arterie zur Elle. Aufgrund dessen war
die Beweglichkeit
der linken Hand zur Zeit der erstinstanzlichen Hauptverhandlung
noch leicht eingeschränkt. Nachoperationen, Abszesse und
Blutgerinnsel
führten zu einem langwierigen Krankheitsverlauf.
2. Zur Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB hat das Landgericht
folgendes
ausgeführt: Die Angeklagten, die im wesentlichen
geständig waren, haben am
vorletzten Hauptverhandlungstag sich beim Nebenkläger
für das Geschehene
entschuldigt und ein ernstgemeintes Versöhnungsangebot vor
zahlreich vertretenen
Volkszugehörigen im Zuhörerraum erklärt
sowie ihre Bereitschaft ausgesprochen,
zusammen ein Schmerzensgeld von 10.000
äger
zu zahlen und dem Gerücht über ihn und F.
entgegenzuwirken.
Der Geschädigte hatte noch eine Woche vor der Hauptverhandlung
die
Angeklagten wissen lassen, er billige eine Verfahrensbeendigung nach
§ 153a
StPO, wenn sie ihm ein bestimmtes Schmerzensgeld zahlen. In der
Hauptverhandlung
erklärte er, er nehme die Entschuldigung und das angebotene
Schmerzensgeld nicht an. Zur Begründung führte er
aus, die Angeklagten hätten
drei Jahre lang Zeit gehabt, auf ihn zuzukommen.
Die Strafkammer wertet das Verhalten der Angeklagten dahin, es sei ihnen
um einen friedenstiftenden umfassenden Ausgleich und eine ernsthaft
erstrebte
Wiedergutmachung gegangen. Die verweigerte Mitwirkung an der
Aussöhnung
durch den Verletzten sieht sie als unerheblich an.
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II.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet.
Die Strafaussprüche hinsichtlich beider Angeklagten halten
sachlich-rechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Zu deren Aufhebung führt
jedoch allein
die vom Landgericht jeweils zu Unrecht vorgenommene Strafrahmenmilderung
nach § 46a Nr. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 Nrn. 2 und 3
StGB, was sich insbesondere
aus dem Urteil des Senats vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02 - ,
NJW 2003, 1466, ergibt, das der Kammer noch nicht bekannt sein konnte.
1. Nach § 46a Nr. 1 StGB kann zwar das ernsthafte
Bemühen des Täters
um Wiedergutmachung, das darauf gerichtet ist, einen Ausgleich mit dem
Verletzten
zu erreichen, genügen. Die Vorschrift setzt aber nach der
gesetzgeberischen
Intention (BTDrucks. 12/6853, S. 21, 22) und nach ständiger
Rechtsprechung
einen kommunikativen Prozeß zwischen Täter und Opfer
voraus, der auf
einen umfassenden, friedenstiftenden Ausgleich der durch die Straftat
verursachten
Folgen angelegt sein muß. Das einseitige
Wiedergutmachungsbestreben
ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt nicht
(BGH, aaO;
Urt. v. 27. August 2002 - 1 StR 204/02 -, NStZ 2003, 29). Wenn auch ein
Wiedergutmachungserfolg
nicht zwingende Voraussetzung ist (BGH, Beschl. v. 22.
August 2001 - 1 StR 333/01 -, NStZ 2002, 29), so muß sich
doch das Opfer auf
freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereit finden und sich auf
ihn einlassen.
Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne von
§ 46a Nr. 1 StGB
setzt grundsätzlich voraus, daß das Opfer die
erbrachten Leistungen oder Bemühungen
des Täters als friedenstiftenden Ausgleich akzeptiert. Gegen
den
ausdrücklichen Willen des Verletzten darf die Eignung des
Verfahrens für die
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Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs nicht
angenommen werden, wie
§ 155a Satz 3 StPO ausdrücklich klarstellt.
2. An diesen Maßstäben gemessen sind die
Voraussetzungen des Täter-
Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB
durch die Urteilsgründe nicht
belegt.
Die Angeklagten sind auf das vor der Hauptverhandlung abgegebene
Angebot des Verletzten, er billige eine Verfahrensbeendigung nach
§ 153a
StPO, wenn sie eine bestimmte Geldsumme an ihn als Schmerzensgeld
zahlen,
nicht eingegangen. Die Feststellungen ergeben nicht, daß die
Angeklagten
in der Hauptverhandlung versucht haben, den Nebenkläger in
einen Dialog
über die zur Wiedergutmachung erforderlichen Leistungen
einzubeziehen. Das
einseitige Wiedergutmachungsbestreben beider Angeklagten am vorletzten
Verhandlungstag hat das Opfer einer massiven Gewalttat als
friedenstiftenden
Ausgleich ausdrücklich nicht akzeptiert durch die
Erklärung des Nebenklägers,
er nehme die Entschuldigung und das angebotene Schmerzensgeld nicht an.
Die einseitigen, späten bloßen Bemühungen
ca. drei Jahre nach der Tat waren
für ihn keine Genugtuung. Die Bewertung der verweigerten
Mitwirkung an der
Aussöhnung durch den Verletzten als unerheblich ist
rechtsfehlerhaft. Dieser
Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Strafaussprüche.
Der Senat kann nicht
ausschließen, daß die jeweilige Strafzumessung von
der zu Unrecht vorgenommenen
Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a Nr. 1
StGB i.V.m. § 49 Abs.
1 Nrn. 2 und 3 StGB zum Vorteil der Angeklagten beeinflußt
worden ist.
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Die Ausführungen auf S. 30 oben des Urteils geben dem Senat
Anlaß,
darauf hinzuweisen, daß der neue Tatrichter Gelegenheit haben
wird, einen
Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK durch
rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung
zu prüfen.
Nack Boetticher Kolz
Hebenstreit Elf |