BGH,
Urt. v. 26.6.2008 - 3 StR 159/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 159/08
vom
26. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26.
Juni 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Osnabrück vom 29. November 2007 mit den
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil im
Strafausspruch dahin abgeändert, dass die Strafaussetzung zur
Bewährung entfällt.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den
Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
3. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die
Kostenentscheidung des vorbezeichneten Urteils wird auf seine Kosten
verworfen.
Von Rechts wegen
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten
verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die
Sachrüge gestützten Revision beanstandet die
Staatsanwaltschaft die tatrichterliche Beweiswürdigung. Das
vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. Die
Revision des Angeklagten, mit der er eine Verfahrens- und die
Sachrüge erhebt, führt lediglich zum Wegfall der
Strafaussetzung zur Bewährung.
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I. Nach den Feststellungen waren der erheblich alkoholisierte
Angeklagte und die ebenfalls stark angetrunkene und zusätzlich
unter dem Einfluss verschiedener Medikamente stehende
Geschädigte in der gemeinsamen Wohnung in einen
längeren Streit geraten. Schließlich begab sich die
Geschädigte in das Schlafzimmer und legte sich ins Bett.
Nachdem der Angeklagte ihr gefolgt war, kam es nunmehr auch zu einem
Gerangel, in dessen Verlauf der Angeklagte der Geschädigten
mehrere Büschel Haare ausriss. Außerdem
drückte er das Gesicht der auf dem Bauch liegenden,
schimpfenden und schreienden Frau in der Absicht, sie zur Ruhe zu
bringen, von hinten mindestens einige Sekunden, jedenfalls aber so
lange auf das Kopfkissen, bis sie keinen Laut mehr von sich gab. Im
zeitlichen Zusammenhang mit diesem Geschehen verstarb die
Geschädigte.
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II. Revision der Staatsanwaltschaft
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1. Das Landgericht hat das Ausreißen der Haare und das
Drücken des Kopfes in das Kissen als vorsätzliche
Körperverletzung (§ 223 StGB) gewürdigt. An
einer Verurteilung wegen Totschlags (§ 212 StGB) oder
Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) hat es
sich gehindert gesehen, weil eine Kausalität
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des Handelns des Angeklagten für den Eintritt des Todes der
Geschädigten nicht sicher festgestellt werden könne.
Außerdem sei nicht nachweisbar, dass der Angeklagte diese
Straftatbestände in subjektiver Hinsicht erfüllt
habe. Wegen der auf jahrelangem Alkoholmissbrauch beruhenden kognitiven
Defizite des Angeklagten, einer möglicherweise im Tatzeitpunkt
vorliegenden affektiven Erregung und der hohen Alkoholisierung sei
nicht feststellbar, dass der Angeklagte den Tod des Opfers gewollt oder
mit ihm gerechnet und ihn billigend in Kauf genommen habe. Ebenso wenig
sei sicher festzustellen, dass der Eintritt des Todes für den
Angeklagten voraussehbar gewesen sei. Eine Verurteilung wegen
gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1
Nr. 5 StGB) scheide aus, weil die Tat nicht auf eine
Lebensgefährdung angelegt gewesen sei.
Diese Ausführungen halten sachlich-rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
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a) Soweit das Landgericht gemeint hat, nicht ausschließen zu
können, dass allein die Alkoholisierung des Opfers im
Zusammenwirken mit dem Medikamenteneinfluss eine Atemstörung
und dadurch den Tod verursacht habe, hat es den Grundsatz "in dubio pro
reo" vor einer ausreichenden Würdigung der erhobenen Beweise
und damit rechtsfehlerhaft angewendet.
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Der vom Landgericht gehörte Sachverständige hat
ausgeführt, als Todesursache komme sowohl eine spurenarme
Tötung, ein Erstickungstod zusammen mit der
Alkoholbeeinflussung oder allein die Alkoholbeeinflussung zusammen mit
der Medikamentenaufnahme in Betracht. Die ersten beiden Alternativen,
bei denen die Kausalität des Handelns des Angeklagten
für den Tod des Opfers zu bejahen wäre, hat der
Sachverständige als "möglich" und "denkbar"
bezeichnet. Demgegenüber hat er es als "nicht nahe liegend"
bewertet, dass der Alkohol- und Medikamenteneinfluss allein ohne eine
Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr tödlich gewesen sei, da bei
der trinkgewohnten Geschä-
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digten eine Alkoholbeeinflussung von 3 bis 5 Promille erforderlich
gewesen sei, um tödlich zu wirken; es sei bei ihr aber nur von
einer Blutalkoholkonzentration von 2,6 Promille auszugehen. Es sei
jedoch gleichwohl "nicht auszuschließen", dass allein die
Alkoholisierung im Zusammenwirken mit dem Medikamenteneinfluss eine
Atemstörung verursacht und dadurch die Todesursache gesetzt
habe.
Diesen Ausführungen folgend ist das Landgericht allein mit dem
Hinweis darauf, es könne nicht festgestellt werden, wie lange
das Anpressen des Kopfes des Opfers gegen das Kissen gedauert habe, von
der letzten, fern liegenden Möglichkeit ausgegangen. Damit hat
es nicht bedacht, dass der Zweifelssatz eine Entscheidungsregel ist,
die das Tatgericht erst dann anzuwenden hat, wenn es nach
abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle
Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- oder
Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache zu
gewinnen vermag (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2005, 209; NStZ 2001,
609). Das Landgericht hätte deshalb vor Anwendung des
Zweifelssatzes eine umfassende Würdigung aller relevanten
tatsächlichen Umstände vornehmen müssen.
Dabei wäre etwa zu erwägen gewesen, dass das Opfer
bereits längere Zeit im Übermaß dem Alkohol
zugesprochen und Medikamente eingenommen hatte, ohne dass es in der
Vergangenheit zu lebensbedrohlichen Situationen gekommen war. Vor
diesem Hintergrund hätte sich die Strafkammer dazu verhalten
müssen, dass es der allgemeinen Lebenserfahrung widerspricht,
dass die Geschädigte gerade in unmittelbarem zeitlichen
Zusammenhang damit, dass sie von dem Angeklagten körperlich
misshandelt und ihr Gesicht so lange in ein Kissen gedrückt
wurde, bis sie sich nicht mehr rührte, allein aufgrund des
Alkohol- und Medikamenteneinflusses verstorben sein soll. Statt eine
solche Würdigung vorzunehmen und zu bedenken, dass eine
mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden
Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem mehr
anzweifelbare Gewissheit
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nicht erforderlich ist und die bloße gedankliche, abstrakt
theoretische Möglichkeit, dass der Tathergang auch anders
gewesen sein könnte, die Verurteilung nicht hindern darf (vgl.
Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 4; Meyer-Goßner,
StPO 51. Aufl. § 261 Rdn. 2 jeweils m. w. N.), ist das
Landgericht jedoch für den Fall, dass der Eintritt des Todes
des Opfers völlig unabhängig von der
verübten Gewalt als "zuviel Zufall" anzusehen sei, vorschnell
auf die Prüfung der subjektiven Tatseite ausgewichen.
b) Auch die Verneinung der Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands
jedenfalls der Körperverletzung mit Todesfolge und der
gefährlichen Körperverletzung begegnet indes
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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aa) Das Landgericht hat bei der Prüfung, ob dem Angeklagten
hinsichtlich der Verursachung des Todes zumindest
Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (§ 18 StGB),
zunächst zutreffend darauf abgestellt, ob vom Angeklagten in
seiner konkreten Lage nach seinen persönlichen Kenntnissen und
Fähigkeiten der Eintritt des Todes des Opfers vorausgesehen
werden konnte.
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Soweit die Strafkammer es jedoch für maßgebend
gehalten hat, ob der Eintritt des Todes "insbesondere bei einem
möglicherweise nur wenige Sekunden dauernden Drücken
des Gesichts in das Kissen" für den Angeklagten voraussehbar
gewesen sei, ist sie von einem unzutreffenden Ansatzpunkt ausgegangen.
Zwar hat sie nicht festzustellen vermocht, wie lange der Angeklagte den
Kopf des Opfers in das Kissen presste. Hierauf kommt es jedoch bei der
Beurteilung der Vorhersehbarkeit des Todeseintritts für den
Angeklagten nicht entscheidend an. Denn nach den Feststellungen wollte
er das Gesicht der Geschädigten jedenfalls so lange in das
Kissen drücken, bis diese ruhig war, unabhängig
davon, wie viel Zeit hierfür konkret erforderlich war. Diesen
Plan setzte er auch in die Tat um. Das Landgericht hätte
deshalb die konkrete Absicht
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des Angeklagten zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen machen
und prüfen müssen, ob vor diesem Hintergrund der
Angeklagte vorhergesehen hat oder vorhersehen konnte, dass es zum Tod
des Opfers führen kann, wenn dessen Gesicht so lange in ein
Kissen gedrückt wird, bis es ruhig ist. Auf die Frage, ob das
vom Täter verfolgte Handlungsziel früher eintritt,
als er es sich möglicherweise vorgestellt hat, kommt es
demgegenüber nicht an. Der Senat kann mit Blick auf die
offensichtliche objektive Gefährlichkeit der Vorgehensweise
des Angeklagten und den Umstand, dass sich die Vorhersehbarkeit nicht
auf die einzelnen physichen Vorgänge erstrecken muss, die als
Folge der Körperverletzung im konkreten Fall den Tod
herbeiführen (vgl. Stree in
Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 227 Rdn.
7 m. w. N.), nicht ausschließen, dass das Landgericht in
diesem Fall auch bei Berücksichtigung der
Beeinträchtigungen des Angeklagten die Voraussehbarkeit des
Eintritts des Todes bejaht hätte.
bb) Die Ausführungen der Strafkammer zu den subjektiven
Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB weisen denselben
Rechtsfehler auf. Für die Beurteilung, ob die Tat des
Angeklagten subjektiv auf eine Lebensgefährdung angelegt war
(vgl. BGHR StGB § 223 a Abs. 1 Lebensgefährdung 6),
kommt es ebenfalls nicht darauf an, dass das Pressen des Gesichts auf
das Kissen möglicherweise nur kurze Zeit dauerte. Vielmehr ist
auch in diesem Zusammenhang entscheidend, dass der Angeklagte das Opfer
so lange in das Kissen drücken wollte, bis es ruhig war, und
dies auch tat.
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2. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat teilweise auch zu
Gunsten des Angeklagten Erfolg (§ 301 StPO). Es führt
zum Wegfall des Ausspruchs über die Strafaussetzung zur
Bewährung; denn die Zeit der erlittenen Untersuchungshaft
übersteigt die erkannte Strafe. Von der Möglichkeit,
die Untersuchungshaft nicht auf die Strafe anzurechnen (§ 51
Abs. 1 Satz 2 StGB), hat das Landgericht keinen Gebrauch gemacht. Die
erkannte Strafe ist deshalb bereits
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vollständig verbüßt und kann nicht mehr zur
Bewährung ausgesetzt werden (vgl. BGHSt 31, 25; BGH NJW 2002,
1356). Mit dem Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung sind
etwaige Bewährungsauflagen gegenstandslos (vgl. BGHR StGB
§ 56 Aussetzung 1).
III. Revision des Angeklagten
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Auf das Rechtsmittel des Angeklagten ist aus den dargelegten
Gründen der Strafausspruch abzuändern, soweit die
Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist;
im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund
der Revisionsrechtfertigung aus den Gründen der Antragsschrift
des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben.
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Der geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels macht es nicht
unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Gebühren und
Auslagen zu belasten (§ 473 Abs. 4 Satz 1 StPO).
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IV. Sofortige Beschwerde des Angeklagten
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Die nicht begründete, jedoch ersichtlich gegen die
Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils eingelegte sofortige
Beschwerde des Angeklagten ist durch die Aufhebung des Urteils
gegenstandslos.
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Becker Miebach Sost-Scheible
Graf Schäfer |