BGH,
Urt. v. 26.3.2009 - 3 StR 579/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 579/08
vom
26. März 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26.
März 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Oldenburg vom 7. Mai 2007 mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung des Verfalls von
Wertersatz abgesehen worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und
sechs Monaten verurteilt. Es hat davon abgesehen, den Verfall von
Wertersatz anzuordnen. Hiergegen richtet sich die vom
Generalbundesanwalt vertretene, auf die Rüge der Verletzung
materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft.
Das wirksam beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg.
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Nach den Feststellungen war der zum Zeitpunkt der Verkündung
des landgerichtlichen Urteils 63 Jahre alte Angeklagte Mitglied einer
Bande, die Haschisch- und Marihuanatransporte erheblichen Umfangs von
den Niederlanden nach England und in andere europäische
Länder organisierte und durchführte.
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In dem Zeitraum von Ende 2004 bis Anfang 2005 wurden mit drei Fahrten
insgesamt 135 kg zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmte
Betäubungsmittel nach England verbracht und an unbekannt
gebliebene Abnehmer übergeben. Mit einer vierten Fahrt wurden
im Februar 2005 weitere 241,80 kg Haschisch aus den Niederlanden
über Oldenburg und Bremen nach Dänemark
transportiert. Das Rauschgift wurde vor der Auslieferung von der
dänischen Polizei sichergestellt.
1. Das Landgericht hat den Verfall von Wertersatz (§§
73, 73 a StGB) nicht angeordnet und dies mit dem Vorliegen einer
unbilligen Härte im Sinne des § 73 c Abs. 1 Satz 1
StGB begründet. Zwar sei davon auszugehen, dass aus den
Drogengeschäften nach dem Bruttoprinzip ein Umsatz von
mindestens 135.000 € erzielt worden sei. Es müsse
jedoch berücksichtigt werden, dass der Angeklagte
über einen sichergestellten und gepfändeten
Bargeldbetrag in Höhe von 2.250 € hinaus
über kein nennenswertes Vermögen mehr
verfüge. Er habe infolge des fehlgeschlagenen
Haschischtransportes nach Dänemark selbst 60.000 €
als "Entschädigung" gezahlt, so dass er durch die
Drogentransporte insgesamt einen beträchtlichen Verlust
erlitten habe. In Anbetracht seines fortgeschrittenen Alters sei nicht
zu erwarten, dass er nach seiner Haftentlassung noch Erwerbsaussichten
habe; er werde entweder von einer Rente oder von Sozialleistungen leben
müssen. Daher werde durch die Vollziehung einer
Verfallsanordnung seine Resozialisierung wesentlich erschwert.
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2. Diese Erwägungen vermögen die Ablehnung der
Anordnung des Wertersatzverfalls nicht zu rechtfertigen.
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a) Die Voraussetzungen des § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB sind
bereits deshalb nicht rechtsfehlerfrei dargetan, weil das Landgericht
unter Verkennung des systematischen Zusammenhangs zwischen den
verschiedenen Alternativen des
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§ 73 c Abs. 1 StGB das Vorliegen einer unbilligen
Härte unzureichend begründet hat.
aa) Zwar ist die Anwendung der Härtevorschrift des §
73 c StGB Sache des Tatrichters. Die Gewichtung der für das
Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 73 c
Abs. 1 Satz 1 StGB maßgeblichen Umstände ist daher
der inhaltlichen revisionsrechtlichen Überprüfung
nicht zugänglich. Mit der Revision kann jedoch eine
rechtsfehlerhafte Auslegung des Tatbestandsmerkmals "unbillige
Härte" beanstandet werden. Eine solche ist etwa gegeben, wenn
die Bejahung dieses Merkmals auf Umstände gestützt
wird, die bei seiner Prüfung nicht zum Tragen kommen
können (vgl. BGH wistra 2003, 424, 425; 2009, 23, 24).
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bb) So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat die Annahme einer
unbilligen Härte wesentlich darauf gestützt, dass der
Wert des vom Angeklagten aus den Straftaten Erlangten mittlerweile
nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden sei. Diese
Begründung wird dem systematischen Verhältnis nicht
gerecht, in welchem die Regelungen des § 73 c Abs. 1 Satz 1
und Satz 2 1. Alt. StGB zueinander stehen. Nach § 73 c Abs. 1
Satz 1 StGB ist der Verfall beim Vorliegen einer unbilligen
Härte zwingend ausgeschlossen, während § 73
c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB für den Fall, dass der Wert des
Erlangten im Vermögen des Betroffenen ganz oder teilweise
nicht mehr vorhanden ist, die Möglichkeit eröffnet,
insoweit nach pflichtgemäßen Ermessen von einer
Verfallsanordnung abzusehen. Da die tatbestandlichen Voraussetzungen,
welche nach Satz 2 der Vorschrift ein Absehen vom Verfall nach
pflichtgemäßem Ermessen ermöglichen, nicht
zugleich einen zwingenden Ausschlussgrund nach § 73 c Abs. 1
Satz 1 StGB bilden können, folgt aus der Systematik der Norm,
dass das Nichtmehrvorhandensein des Wertes des Erlangten im
Vermögen des Betroffenen jedenfalls für sich genommen
keine unbillige Härte darstellen kann, son-
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dern dem Anwendungsbereich des § 73 c Abs. 1 Satz 2 StGB
unterfällt (vgl. BGH NStZ 2000, 589, 590; Schmidt in LK 12.
Aufl. § 73 c Rdn. 7).
Für das Vorliegen einer unbilligen Härte bedarf es
daher zusätzlicher Umstände, welche die hohen
Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals belegen. Eine unbillige
Härte im Sinne des § 73 c Abs. 1 Satz 1 StGB kommt
nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa BGHR StGB §
73 c Härte 7, 11) nur dann in Betracht, wenn die Anordnung des
Verfalls schlechthin ungerecht wäre und das
Übermaßverbot verletzen würde. Die
Auswirkungen des Verfalls müssen mithin im konkreten
Einzelfall außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber
mit der Maßnahme angestrebten Zweck stehen. Es
müssen besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer
mit der Vollstreckung des Verfalls eine außerhalb des
Verfallszwecks liegende zusätzliche Härte verbunden
wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung
des Zwecks des Verfalls nicht zugemutet werden kann. Eine unbillige
Härte liegt demnach nicht schon dann vor, wenn der
Verfallsbetrag nicht beigetrieben werden kann oder der Betroffene
vermögenslos geworden und unfähig ist, die Mittel
für seinen Unterhalt und den seiner Familie aufzubringen (vgl.
Schmidt aaO Rdn. 7). Nach diesen Maßstäben
ausreichend gravierende Umstände lassen sich den
Urteilsgründen nicht entnehmen. Allein die vagen
Erwägungen, der Angeklagte verfüge über kein
"nennenswertes" Vermögen und müsse nach seiner
Entlassung von einer Rente oder Sozialleistungen leben,
genügen auch unter Berücksichtigung des
Resozialisierungsgedankens hierfür nicht.
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b) Auch auf § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB kann das Absehen
von der Anordnung des Wertersatzverfalls nach den bisherigen
Feststellungen nicht gestützt werden. Die Ausübung
des dem Tatrichter durch diese Vorschrift eingeräumten
Ermessens erfordert zunächst die Feststellung des Wertes des
aus der Straftat Erlangten, um diesem sodann den Wert des noch
vorhandenen
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Vermögens gegenüber stellen zu können (vgl.
BGH NStZ-RR 2005, 104, 105; Fischer, StGB 56. Aufl. § 73 c
Rdn. 5; Schmidt aaO Rdn. 10). Hieran fehlt es.
aa) Die Urteilsgründe lassen bereits ausreichende
Feststellungen dazu vermissen, in welcher Höhe der Angeklagte
aus den Rauschgiftgeschäften etwas erlangt hat. "Erlangt" im
Sinne der § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73 a Satz 1 StGB ist
ein Vermögensvorteil nur dann, wenn der Tatbeteiligte die
faktische Verfügungsgewalt über den Gegenstand
erworben hat (vgl. BGH NStZ 2003, 198 f.). Mit der pauschalen Angabe,
aus den Betäubungsmittelgeschäften sei ein Umsatz von
mindestens 135.000 € erzielt worden, wird dieser Umstand nicht
belegt. Die bloße Annahme mittäterschaftlichen
Handelns vermag die fehlenden Darlegungen des tatsächlichen
Geschehens hierzu nicht zu ersetzen; denn eine Zurechnung nach den
Grundsätzen der Mittäterschaft
gemäß § 25 Abs. 2 StGB mit der Folge einer
gesamtschuldnerischen Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn sich die
Beteiligten darüber einig waren, dass dem Angeklagten
zumindest Mitverfügungsgewalt über die jeweiligen
Erlöse habe zukommen sollen (vgl. BVerfG StV 2004, 409, 411;
BGH NStZ 2003, 198 f.) und er diese auch tatsächlich hatte
(BGH NStZ-RR 2007, 121). Feststellungen hierzu hat das Landgericht
nicht getroffen.
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bb) Den Gründen des landgerichtlichen Urteils lässt
sich ebenfalls nicht entnehmen, dass zum Zeitpunkt des tatrichterlichen
Urteils der Wert des aus den Straftaten Erlangten in dem
Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden war. Dies setzt
konkrete tatrichterliche Feststellungen dazu voraus, in welchem Umfang
und zu welchem Zweck das Erlangte ausgegeben wurde (vgl. BGH wistra
2009, 23, 25; Schmidt aaO Rdn. 12). Die in diesem Zusammenhang vom
Landgericht angestellte Erwägung, der Angeklagte habe
anlässlich des fehlgeschlagenen Rauschgiftgeschäfts
"60.000 € als Entschädigung der Lieferanten oder
Abnehmer gezahlt" und dadurch insgesamt bei den Drogenge-
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schäften einen beträchtlichen Verlust erlitten,
entbehrt einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage.
Die Feststellungen des Urteils belegen eine solche Zahlung, deren
nähere Umstände auch die betreffende mehrdeutige
Passage der Urteilsgründe offen lässt, nicht.
Den Urteilsgründen kann auch im Übrigen nicht
entnommen werden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dem
Angeklagten die aus den Drogengeschäften erzielten
Erlöse ohne Zufluss eines Gegenwertes oder einer sonstigen
Gegenleistung abhanden kamen. Die für die Eröffnung
der Markthalle in Bremen erforderlichen finanziellen Mittel brachte der
Angeklagte nach den Feststellungen jedenfalls nicht aus dem aus dem
Betäubungsmittelhandel Erlangten, sondern aus dem
Erlös für den Verkauf seines Lokals auf. Bei der
Bewertung des Vermögens des Angeklagten hat das Landgericht
zudem die ausdrücklich getroffene Feststellung nicht
berücksichtigt, der Zeuge E. habe an "J. " und den Angeklagten
auf deren nachdrückliches Verlangen 8.000 € als
"Strafsumme" für das fehlgeschlagene Geschäft
übergeben. Schließlich hat die Strafkammer nicht in
die Betrachtung einbezogen, dass bei dem Angeklagten 2.250 €
sichergestellt worden sind. Die Strafkammer durfte jedoch nicht allein
deshalb von einer Verfallsanordnung absehen, um dem Verurteilten - sei
es auch für Zwecke der Resozialisierung - vorhandene
Vermögenswerte zu erhalten; denn dies wäre mit dem
Sinn und Zweck des Verfalls nicht zu vereinbaren (vgl. BGH NStZ 1995,
495).
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Über den Wertersatzverfall ist nach alldem insgesamt neu zu
verhandeln und zu entscheiden. Der Senat weist abschließend
auf die Möglichkeit hin, den Umfang und Wert des Erlangten
gemäß § 73 b StGB zu schätzen,
sowie darauf, dass nach § 73 c Abs. 1 StGB die Anordnung des
Verfalls auf einen Teil des Erlangten beschränkt werden kann
(vgl. BGH NStZ-RR 2003, 75; BGH, Beschl. vom 12. Dezember 2008 - 2 StR
479/08).
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Becker Pfister von Lienen
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