BGH,
Urt. v. 26.5.2010 - 2 StR 48/10
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 48/10
vom
26. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
- 2 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Mai
2010, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Cierniak,
Prof. Dr. Schmitt,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Bad Kreuznach vom 30. September 2009 wird mit der Maßgabe als
unbegründet verworfen, dass für die Tat II.5 der
Urteilsgründe eine Einzelgeldstrafe von 90
Tagessätzen zu je 5 Euro festgesetzt wird.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch
entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
Missbrauchs von Kindern und wegen vorsätzlicher
Körperverletzung in jeweils vier Fällen, wegen
Freiheitsberaubung in zwei Fällen sowie wegen Sichverschaffens
kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
vier Jahren und zehn Monaten verurteilt und dessen Laptop nebst
externer Festplatte eingezogen. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt nicht
vertretenen Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die
Nichtverurteilung des Angeklagten auch wegen Besitzes von
kinderpornographischen Schriften, den Strafausspruch sowie die
unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus; sie rügt die Verletzung formellen und materiellen
Rechts. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur
Nachholung eines unterbliebenen Einzelstrafausspruchs; im
Übrigen ist es unbegründet.
1
- 4 -
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der heute
24jährige nicht vorbestrafte Angeklagte vor seinem 18.
Lebensjahr alterstypische, mit Geschlechtsverkehr einhergehende
Beziehungen zu geringfügig jüngeren Mädchen.
Von Oktober 2003 bis Juni 2008 lebte er in einer festen Beziehung mit
der gleichaltrigen H. . Im Anschluss hatte er ein sexuelles
Verhältnis mit einem 17jährigen Mädchen.
Während des Zusammenlebens mit H. war es zu Spannungen
gekommen, weil der Angeklagte pornographisches, zum Teil
kinderpornographisches Bildmaterial konsumiert hatte und sich zu
jüngeren Mädchen, auch unter 14 Jahren, hingezogen
fühlte.
2
a) Im November 2007 führte der damals 22jährige
Angeklagte mit einem 13 Jahre und zehn Monate alten, sexuell noch
unerfahrenen Mädchen, das er bereits seit längerem
kannte, einvernehmlich Geschlechtsverkehr durch.
3
b) Im Frühjahr 2008 steigerten sich die Spannungen zwischen
dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin und
mündeten bei vier Gelegenheiten in körperlichen
Auseinandersetzungen. Während dieses Zeitraums lud der
Angeklagte zwei Bilddateien mit kinderpornographischen Darstellungen
aus dem Internet auf seinen Rechner. In zwei Fällen schloss
der Angeklagte seine Lebensgefährtin nach Streitigkeiten in
der Wohnung ein.
4
c) Im Frühjahr 2009 schließlich führte der
Angeklagte mit einem sexuell bereits erfahrenen, 13 Jahre und zwei
Monate alten Mädchen, das er seit ca. einem halben Jahr
kannte, bei drei Gelegenheiten jeweils einverständlich
Geschlechtsverkehr durch.
5
- 5 -
2. In Übereinstimmung mit dem gehörten
psychiatrischen Sachverständigen stellte die Strafkammer bei
dem geständigen, sein Verhalten bedauernden Angeklagten
pädophile Neigungen fest, zu denen dieser sich auch bekennt.
Die bei dem Angeklagten vorliegende Pädophilie sei jedoch -
anders als der Sachverständige meine - nicht von solchem
Ausmaß, dass sie als schwere andere seelische Abartigkeit im
Sinne von § 20 StGB zu werten sei. Vielmehr handele es sich um
eine allgemeine Störung der Persönlichkeit, die
keinen Einfluss auf die strafrechtliche Verantwortung i.S.d.
§§ 20, 21 StGB habe.
6
II.
1. Die Rüge, das Landgericht habe gegen seine
Aufklärungs- und Fürsorgepflicht verstoßen,
in dem es ohne vorherigen Hinweis dem Sachverständigen
hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB nicht gefolgt
sei, ist unbegründet. Das Gericht war unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt gehalten, die Prozessbeteiligten über die
vorläufige Bewertung von Beweismitteln - hier des
Sachverständigengutachtens - zu informieren. Erst in der
Urteilsberatung hat der Tatrichter darüber zu befinden, wie er
die erhobenen Beweise einschätzt. Ein Zwischenverfahren, in
dem sich das Gericht zu Inhalt und Ergebnis einzelner Beweiserhebungen
erklären müsste, ist nicht vorgesehen (vgl. BGHSt 43,
212, 214; BGH NStZ-RR 2008, 180).
7
2. Auch die Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler des Urteils zum
Vorteil des Angeklagten auf.
8
a) Der Schuldspruch ist nicht zu beanstanden. Die im Fall II.8 der
Urteilsgründe zwar erfüllte Tatbestandsalternative
des Besitzes kinderpornogra-
9
- 6 -
phischer Schriften gemäß § 184 b Abs. 4
Satz 2 StGB ist ein Auffangtatbestand, der - was die Revision verkennt
- hinter dem hier ausgeurteilten Tatbestand des Sichverschaffens dieser
Schriften gemäß § 184 b Abs. 4 Satz 1 StGB
zurücktritt (BGH NStZ 2009, 208; Fischer, StGB 57. Aufl.
§ 184 b Rdn. 28).
b) Ebenso wenig ist der Rechtsfolgenausspruch zu beanstanden. Ohne
Rechtsfehler ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem
Angeklagten die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht vorlagen,
womit die Verhängung einer Maßregel nach §
63 StGB ausgeschlossen war. Es ist dem Sachverständigen in
dessen Einschätzung gefolgt, dass bei dem Angeklagten
pädophile Neigungen vorliegen. Ob dieses Störungsbild
unter eines der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB
zu subsumieren ist und dadurch die Schuldfähigkeit des
Angeklagten erheblich eingeschränkt ist, entscheidet nach
sachverständiger Beratung das Gericht (BGH NStZ-RR 2006, 73).
Bei seiner Beurteilung ist der Tatrichter nicht gehindert, von dem
Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen.
Dabei ist er - wie vorliegend geschehen - gehalten, sich mit dessen
Darlegungen in einer Weise auseinanderzusetzen, die erkennen
lässt, dass er mit Recht eigene Sachkunde in Anspruch genommen
hat (BGH NStZ 2007, 114). Hier hat das Landgericht die
Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen in
nachprüfbarer Weise wiedergegeben, sich damit
auseinandergesetzt und seine abweichende Auffassung nachvollziehbar
begründet. Da nicht jede Devianz in Form einer
Pädophilie ohne Weiteres gleichzusetzen ist mit einer schweren
anderen seelischen Abhängigkeit (BGH StV 2005, 20), war
aufgrund einer Gesamtschau von Täterpersönlichkeit
und Taten darauf abzustellen, ob seine Neigungen den Angeklagten im
Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass
er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen
Hemmungen aufbringt. Eine solche Prüfung hat die Strafkammer
vorgenommen und im Einzelnen begründet, weshalb sie bei dem
Angeklagten eine zwanghafte gedankliche Einengung auf Sexualver-
10
- 7 -
kehr mit Kindern ebenso wenig zu erkennen vermochte wie eine
süchtige Entwicklung bzw. einen Ausbau des Raffinements zur
Erlangung ungestörter Kontakte mit Kindern. Vielmehr sei der
Angeklagte in der Lage, seine pädophilen Neigungen zu
beherrschen. Diese gut und nachvollziehbar begründete
Einschätzung ist möglich und damit revisionsrechtlich
nicht zu beanstanden. Die dagegen und gegen die Strafzumessung im
Übrigen erhobenen Einwände der Revision
erschöpfen sich in dem revisionsrechtlich unbeachtlichen
Versuch, eine eigene Beweiswürdigung - teils sogar auf
urteilsfremder Grundlage - an die Stelle derjenigen des Landgerichts zu
setzen.
c) Die fehlende Festsetzung der Einzelstrafe im Fall II.5 der
Urteilsgründe war vom Senat in entsprechender Anwendung von
§ 354 Abs. 1 StPO nachzuholen. Das Verbot der
Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO) steht der Nachholung
der Festsetzung nicht entgegen (BGHR StPO § 354 Abs. 1
Strafausspruch 10 m.w.N.). Auf Antrag des Generalbundesanwalts
verhängt der Senat mit Blick auf die in jeder Hinsicht
vergleichbaren Fälle II.2 bis 4 der Urteilsgründe im
Fall II.5 ebenfalls eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 5
Euro.
11
Fischer Roggenbuck Appl
Cierniak Schmitt |