BGH,
Urt. v. 26.10.2000 - 4 StR 300/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 300/00
vom
26. Oktober 2000
in der Strafsache gegen
wegen versuchter schwerer Brandstiftung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26.
Oktober 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Meyer-Goßner, die Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, Athing, die Richterin am
Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic, der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Hagen vom 9. März 2000 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im
Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat die
Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im
übrigen wegen versuchter schwerer Brandstiftung in Tateinheit
mit Sachbeschädigung und mit unerlaubter Ausübung der
tatsächlichen Gewalt "über gemäß
§ 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 WaffG verbotene Gegenstände"
(gemeint sind: Brandflaschen) zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren
verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe hat es zur Bewährung
ausgesetzt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision
rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts;
sie beanstandet die Verneinung eines - sei es auch nur bedingten -
Tötungsvorsatzes durch das Landgericht.
Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat
keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte, ein "bekennender
Kurde", zur Nachtzeit vier unbekannt gebliebene Personen, welche in
einer Tüte Brandflaschen mit sich führten, mit seinem
Pkw in die Nähe eines im Erdgeschoß eines Wohnhauses
gelegenen türkischen Einzelhandelsgeschäfts mit
Reisebüro. Bereits bei Antritt der Fahrt, deren genaues Ziel
er zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte, war ihm klar, daß
die Brandsätze an Gebäuden mit türkischen
Einrichtungen zum Einsatz kommen sollten. Als er sah, daß das
Objekt sich in einem Wohnhaus befand, "erkundigte er sich ... bei
seinen Tatgenossen, ob sichergestellt sei, daß Menschen nicht
gefährdet werden, was die Mitinsassen für ihn
überzeugend versicherten" (UA 15). Während der
Angeklagte in seinem Fahrzeug bei laufendem Motor sitzen blieb, stiegen
die vier Mitfahrer aus und warfen zunächst eine Brandflasche
gegen eines der Schaufenster; diese zündete aber nicht und
fiel auf den Gehweg zurück. Sodann schleuderten sie einen
Stein gegen das zweite Schaufenster und in Richtung auf das durch den
Stein verursachte Loch zwei weitere Brandsätze, durch die die
Auslage des Schaufensters in Brand geriet. Anschließend
liefen sie zu dem Fahrzeug des Angeklagten zurück und
flüchteten mit diesem. Das Feuer verringerte sich schnell von
selbst; auf Gebäudeteile oder auf die hinter dem Schaufenster
gelegene Präsentationsfläche griff es nicht
über. Eine konkrete Gefährdung der zur Tatzeit
anwesenden insgesamt 15 Bewohner der oberen Stockwerke, die von einem
Nachbarn auf die Flammen aufmerksam gemacht worden waren, trat nicht
ein.
2. a) Nach ständiger Rechtsprechung ist bei
Brandanschlägen auf ein Wohngebäude unter Einsatz von
Brandflaschen die Frage, ob der Täter mit (bedingtem)
Tötungsvorsatz handelt, aufgrund einer
Gesamtwürdigung der jeweiligen objektiven und subjektiven
Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (BGH StV 1994, 659;
BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38, 39). Von
Bedeutung sind dabei insbesondere die Beschaffenheit des
Gebäudes im Hinblick auf Fluchtmöglichkeiten und
Brennbarkeit der beim Bau verwendeten Materialien, die Angriffszeit
wegen der erhöhten Schutzlosigkeit der Bewohner zur Nachtzeit,
die Belegungsdichte des angegriffenen Gebäudes sowie die
konkrete Angriffsweise; ferner sind die psychische Verfassung des
Täters und seine Motivation bei der Tatbegehung in die
Beweiswürdigung einzubeziehen (BGHR StGB § 212 Abs. 1
Vorsatz, bedingter 39; BGH, Urteil vom 17.11.1994 - 4 StR 552/94).
b) Diesen Grundsätzen hat das Landgericht Rechnung getragen.
Es ist nach sorgsamer Abwägung der maßgebenden
Umstände zu der Überzeugung gelangt, daß
dem Angeklagten ein bedingter Tötungsvorsatz nicht
nachgewiesen werden kann. Dabei hat es auf die Beschaffenheit des in
Massivbauweise aus Stein errichteten Hauses, auf den für die
Hausbewohner bestehenden Fluchtweg über das vom Brandort
entfernte, zu den Wohnungen führende Treppenhaus und auf die
Art und Weise des ausschließlich auf die beiden Schaufenster
geführten Angriffs abgestellt. Ferner hat das Landgericht
ebenfalls berücksichtigt, daß bei dem Angeklagten
ein Motiv für die Tötung oder Gefährdung von
Menschen nicht festgestellt werden konnte. Dies läßt
Rechtsfehler nicht erkennen. Auch die Einzeleinwendungen der
Beschwerdeführerin vermögen solche nicht aufzudecken,
wie der Generalbundesanwalt in seiner Übersendungsschrift
zutreffend ausgeführt hat.
3. Die Nachprüfung des Urteils hat auch im übrigen
keinen den Angeklagten begünstigenden oder ihn
benachteiligenden (vgl. § 301 StPO) Rechtsfehler ergeben.
Meyer-Goßner Tolksdorf Athing
Solin-Stojanovic Ernemann |