BGH,
Urt. v. 27.4.2005 - 2 StR 457/04
BGHR: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
AuslG §§ 92 Abs. 1 Nr. 1 und 6, 92 a Abs. 1;
AufenthG §§ 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3, 96 Abs. 1
Bei der Prüfung, ob ein strafbares Verhalten im Sinne der
§§ 92 Abs. 1 Nr. 1
und 6, 92 a Abs. 1 AuslG bzw. der §§ 95 Abs. 1 Nr. 2
und 3, 96 Abs. 1 AufenthG
vorliegt, gebietet es das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG,
allein auf eine formell wirksame Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigung
(Visum)
abzustellen.
Ausländerrechtlichen Erlaubnissen kommt daher in den
verwaltungsakzessorischen
Tatbeständen des Ausländergesetzes und des
Aufenthaltsgesetzes Tatbestandswirkung
zu.
BGH, Urteil vom 27.04.2005 - 2 StR 457/04 - Landgericht Darmstadt
BUNDESGERICHTSHOF
- 2 -
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 457/04
vom
27.04.2005
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von
Ausländern u.a.
- 3 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs aufgrund der Verhandlung vom
2.02.2005 in der Sitzung am 27.04.2005, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter,
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin in der Verhandlung
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Darmstadt vom 7. Juni 2004
a) im Schuldspruch im Fall II. 7 der Urteilsgründe dahin neu
gefaßt,
daß der Angeklagte des unerlaubten Besitzes von
Schußwaffen und von Munition schuldig ist,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- in den Fällen II. 1 bis 3 der Urteilsgründe und
- im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
- 5 -
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
gewerbsmäßigen Einschleusens
von Ausländern in sechs Fällen (Einzelstrafen
zwischen neun und
zwölf Monaten) und wegen Verstoßes gegen das
Waffengesetz (richtig: wegen
unerlaubten Besitzes von Schußwaffen und von Munition;
Einzelstrafe zwei
Jahre) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten
verurteilt.
Nach den Feststellungen vermietete der Angeklagte in den Jahren 2001
bis 2003 gegen Entgelt in einem von ihm selbst angemieteten Anwesen in
N. Zimmer an Ausländer aus Rußland, der Ukraine und
Litauen. Dabei
handelte es sich vorwiegend um Personen, die - wie er wußte -
allein mit dem
Zweck eingereist waren, in Deutschland einer Erwerbstätigkeit
nachzugehen.
Unter den Ausländern befanden sich auch Frauen, die in
Deutschland der
Prostitution nachgehen wollten. Die eingereisten Personen wurden meist
durch
Busfahrer, denen der Angeklagte seine Telefonnummer übergeben
hatte, an
diesen vermittelt. Der Angeklagte sorgte dann gegen Bezahlung
für Unterkunft
und Unterhalt und half zum Teil den Frauen auch bei der Aufnahme einer
Tätigkeit
als Prostituierte. Soweit die Anklage ihm in diesem Zusammenhang
tateinheitlich
schweren Menschenhandel (§ 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF) zur Last
legte, ist das Landgericht nach § 154 a Abs. 2 StPO verfahren.
Bei Bedarf kümmerte der Angeklagte sich gegen entsprechende
Bezahlung
ferner um die Verlängerung des Visums.
- 6 -
Im einzelnen hat das Landgericht folgende sechs Taten festgestellt.
In den Fällen II. 1 und 2 holte der Angeklagte die im November
bzw. Oktober
2001 jeweils mit einem Touristenvisum eingereisten russischen
Staatsangehörigen
N. und D. bzw. "Larissa" und "Tanja" (genauere Personalien
konnten nicht festgestellt werden) vom Bahnhof oder Bus ab und
gewährte ihnen
gegen Bezahlung Unterkunft. Die Frauen sollten der Prostitution
nachgehen, was "Larissa" und "Tanja" auch später taten. Die
ebenfalls mit
einem Touristenvisum im Oktober 2001 eingereiste russische
Staatsangehörige
"Irina" arbeitete nicht als Prostituierte, sondern putzte und kochte
für die
Mitbewohner des Anwesens in N. als Gegenleistung für die ihr
vom
Angeklagten gewährte Unterkunft (Fall II. 3). Im Februar 2002
holte dieser die
litauische Staatsangehörige G. K., die zur Arbeitsaufnahme in
die
Bundesrepublik eingereist war, allerdings nicht über das
für die beabsichtigte
Arbeitsaufnahme erforderliche, mit Zustimmung der
Ausländerbehörde erteilte
Visum verfügte, am Bahnhof in F. ab und ließ sie in
dem Anwesen in
N. übernachten. Am nächsten Tag brachte er sie
zurück nach F.
und übergab sie drei unbekannten Männern, die sie zu
ihrer Arbeitsstelle
brachten, wo sie der Prostitution nachging. Der Angeklagte erhielt
für seine
"Unkosten" von G. K. 100 € (Fall II. 4). Die mit einem
Touristenvisum
eingereiste russische Staatsangehörige A. D., die der
Prostitution nachgehen
wollte, vermittelte der Angeklagte in ein Bordell und half ihr bei der
Verlängerung ihres Visums. Dafür erhielt er von A. D.
mindestens 100 € (Fall II.
5). Die ebenfalls mit einen Touristenvisum eingereiste ukrainische
Staatsangehörige "Alona", die bereits in einem Bordell in L.
tätig war,
vermittelte er auf deren Wunsch in ein anderes Bordell (Fall II. 6).
Zwischenzeitlich wohnte die Frau im Anwesen in N. . Zur Abdeckung
der Unkosten des Angeklagten, unter anderem für die
Gewährung der Unterkunft,
die Vermittlung in ein Bordell oder eine zuvor veranlaßte
Visumsverlän-
7 -
gerung erhielt der Angeklagte 25 % der Prostitutionseinnahmen, insgesamt
827,80 €.
Nach den weiteren Feststellungen des Landgerichts verwahrte der
Angeklagte
in seiner Wohnung in N. eine Schußwaffe Typ Double-
Action-Revolver, Marke Charter arms Corp., Modell Bulldog, Kal. 44 S
& W
Special, eine russische Signalpistole, Modell cn 81, KaI. 26,5 mm, Nr.
245 sowie
Patronen verschiedenen Kalibers (Fall II. 7). Außerdem wurden
in seiner
Wohnung zwei Elektroschocker und Handschellen gefunden.
Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte habe sich wegen
gewerbsmäßigen
Einschleusens von Ausländern in sechs Fällen
(Fälle II. 1 bis 6;
§ 92 Abs. 1 Nr. 1, § 92 a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1
AuslG) sowie wegen unerlaubten
Besitzes von Schußwaffen und von Munition (Fall II. 7;
§ 52 Abs. 3
Nr. 2 Buchst. a und b WaffG) strafbar gemacht. Die vom Angeklagten
unterstützten
Ausländer seien - was er wußte - ohne
Aufenthaltserlaubnis in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist und hätten sich dort
auch ohne Aufenthaltserlaubnis
aufgehalten, da sie zwar ein Touristenvisum hatten, dieses aber
angesichts ihrer bereits im Zeitpunkt der Einreise beabsichtigten
Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit nicht die erforderliche
Aufenthaltsgenehmigung beinhaltete.
Im Fall II. 4 habe sich die litauische Staatsangehörige G. K.
als "Positivstaaterin"
mit der Arbeitsaufnahme wegen unerlaubten Aufenthalts strafbar
gemacht.
II.
Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision des Angeklagten hat
mit der Sachrüge teilweise Erfolg.
- 8 -
Der Senat teilt nicht die Auffassung des Landgerichts hinsichtlich der
Beurteilung der Strafbarkeit (§ 92 Abs. 1 Nr. 1 und 6 AuslG)
der aus Rußland
und der Ukraine mit einem Touristenvisum eingereisten Frauen. Damit
entfällt
auch die Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten nach
§ 92 a Abs. 1
und 2 Nr. 1 AuslG. Denn diese Straftatbestände
knüpfen an die nach § 92
Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 AuslG strafbare Handlung von Ausländern
an. Nach
§ 92 a AuslG macht sich strafbar, wer einen anderen zu einer
der in § 92
Abs. 1 AuslG aufgeführten Handlungen anstiftet oder ihm dazu
Hilfe leistet.
Strafbares Verhalten im Sinne dieser Vorschrift setzt aber eine
unerlaubte Einreise
oder einen unerlaubten Aufenthalt voraus. Die Beantwortung der Frage,
ob die Einreise oder der Aufenthalt eines Ausländers
"unerlaubt" ist, ist auf der
Grundlage der einschlägigen verwaltungsrechtlichen
Vorschriften zu entscheiden.
Eine nach verwaltungsrechtlichen Regeln wirksam erlassene Erlaubnis
entfaltet aber im Ausländerrecht, wie auch sonst bei
verwaltungsakzessorischen
Straftatbeständen Tatbestandswirkung (vgl. Franke in Franke/
Wienroeder, BtMG 2. Aufl. § 3 Rdn. 2; Steindorf, Waffenrecht
7. Aufl. Vor
§ 52 a Rdn. 34 f.). Mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot des
Art. 103 Abs. 2 GG
kommt es bei der Prüfung, ob ein strafbares Verhalten im Sinne
der § 92 Abs. 1
Nr. 1 und 6, § 92 a Abs. 1 AuslG vorliegt, deshalb allein auf
eine formell wirksame
Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigung an.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Einschleusens von
Ausländern
in den Fällen II. 1 bis 3 hat keinen Bestand, weil in diesen
Fällen weder
eine unerlaubte Einreise noch ein unerlaubter Aufenthalt der
betroffenen Frauen
in der Bundesrepublik gegeben war und der Angeklagte nach den bisherigen
Feststellungen auch keine Tätigkeiten entfaltet hat, durch die
der unerlaubte
Aufenthalt der Frauen im Rahmen von § 92 a Abs. 1 AuslG
gefördert
wurde.
- 9 -
a) Das Landgericht hat der Verurteilung des Angeklagten aber zutreffend
§ 92 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG
zugrunde gelegt. Das
Ausländergesetz ist zwar mit Wirkung vom 1.01.2005 aufgehoben
und
durch das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ersetzt worden (vgl. Art. 15
Abs. 3
Nr. 1 Zuwanderungsgesetz - BGBl 2004 I 1950 ff.). Die Strafbarkeit des
Angeklagten
beurteilt sich jedoch weiterhin nach dem zur Tatzeit geltenden Recht,
da § 96 Abs. 1 i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG
ebenfalls das Hilfeleisten zum
unerlaubten Aufenthalt von Ausländern unter Strafe stellt und
auch die Strafrahmen
beider Vorschriften identisch sind (Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren
oder Geldstrafe). Das Aufenthaltsgesetz ist insoweit nicht milder als
das Ausländergesetz,
das deshalb anzuwenden ist (§ 2 Abs. 1 und 3 StGB).
b) Wegen Einschleusens von Ausländern machte sich
gemäß § 92 a
AuslG strafbar, wer einem anderen zu einem nach § 92 Abs. 1
Nr. 1 AuslG unerlaubten
Aufenthalt Hilfe leistete. Tathandlung des § 92 Abs. 1 Nr. 1
AuslG ist
das Verbleiben des Ausländers im Bundesgebiet nach der
Einreise, ohne über
die nach § 3 AuslG erforderliche Aufenthaltsgenehmigung oder
eine Duldung
nach § 55 AuslG zu verfügen. Auch die Frage der
verwaltungsrechtlichen Genehmigungspflichtigkeit
beurteilt sich nach dem zur Tatzeit geltenden Recht
und damit nach dem Ausländergesetz (BGH, Beschl. vom 7.04.2005
- 2 StR
524/04). Nach der bisherigen Regelung bedurften diejenigen
Ausländer keiner
Aufenthaltsgenehmigung, die aufgrund von Rechtsvorschriften einreisen
durften,
die dem Ausländergesetz vorgingen (z.B. EU-Bürger)
oder als Angehörige
von Staaten, die ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland dem
Schengener
Durchführungsübereinkommen beigetreten sind (sog.
Positivstaaten), vom Erfordernis
einer Aufenthaltsgenehmigung für Kurzaufenthalte befreit waren
(vgl.
§ 3 Abs. 1 AuslG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2,
§ 12 Abs. 1 DVAuslG i.V.m. Art.
1 Abs. 2, Art. 4 Abs. 3 i.V.m. Anlage II EUVisaVO i.V.m. Art. 20 Abs.
1, Art. 5
- 10 -
Abs. 1 Buchst. a, c bis e des Schengener
Durchführungsübereinkommens).
Angehörige aller anderen Staaten (sog. Negativstaaten) waren
hingegen
grundsätzlich visumspflichtig, d.h. sie mußten bei
der Einreise im Besitz der
gemäß § 58 Abs. 1 AuslG erforderlichen
Aufenthaltsgenehmigung sein. Bei der
vor der Einreise von einer Auslandsvertretung ausgestellten, auch als
Visum
bezeichneten, Aufenthaltsgenehmigung handelt es sich nur um eine
besondere
Form der Aufenthaltsgenehmigung. Fehlt diese, reist der
Ausländer unerlaubt
ein und hält sich regelmäßig auch unerlaubt
im Bundesgebiet auf (BGH NStZ
2001, 101; Westphal/Stoppa, Ausländerrecht für die
Polizei 2. Aufl. [2001]
S. 503).
c) Unerlaubt hält sich jedoch nur derjenige im Inland auf, der
nicht über
die "erforderliche" Aufenthaltsgenehmigung i.S. der
§§ 3 Abs. 1, 58 Abs. 1
AuslG verfügt. Wann dies der Fall ist, ist in der
strafrechtlichen Rechtsprechung,
der verwaltungsrechtlichen Literatur und der obergerichtlichen
Rechtsprechung
der Verwaltungsgerichte umstritten.
aa) Die Oberverwaltungsgerichte und die Mehrheit der
ausländerrechtlichen
Kommentarliteratur vertreten in Fortführung der Rechtsprechung
zum
Ausländergesetz 1965 einen materiell-rechtlichen Standpunkt.
Danach ist die
Einreise - und damit auch der sich daran anschließende
Aufenthalt - eines mit
einem Touristenvisum zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
eingereisten Ausländers
unerlaubt, wenn die für den tatsächlichen Zweck
erforderliche Aufenthaltsgenehmigung
fehlt. Beabsichtigt ein Ausländer bereits bei der Einreise die
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, ist die im Sinne von
§ 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG
"erforderliche Aufenthaltsgenehmigung" das für den
angestrebten konkreten
Aufenthaltszweck notwendige, mit Zustimmung der
Ausländerbehörde gemäß
§ 11 Abs. 1 Nr. 2 DVAuslG erteilte Visum (VGH Kassel EZAR 622
Nr. 20 [S. 4];
- 11 -
NVwZ-RR 1993, 213; InfAuslR 1993, 369; 1994, 349; 1996, 142 mit
ablehnender
Anmerkung Lüdke InfAuslR 1996, 276; OVG Münster
InfAuslR 1991, 232;
1994, 138; DVBl 2001, 1007 = NVwZ-RR 2001, 538; Beschl. vom 24. Februar
1998 - 18 B 177/97 [S. 2]; OVG Schleswig InfAuslR 1992, 125 [zu
§ 69 Abs. 2
Nr. 1 AuslG]; VGH Mannheim InfAuslR 1993, 14, 15; OVG Hamburg EZAR 622
Nr. 12; VG Darmstadt InfAuslR 2004, 97, 98; Renner, Kommentar zum
Ausländerrecht
7. Aufl. [1999] § 58 Rdn. 5; derselbe in NVwZ 1993, 729, 731;
Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches
Ausländerrecht [Juli 2003] § 58 Rdn. 5, 7;
Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Bd.
II § 58
Rdn. 6 f., 19; Lauer NStZ 2000, 661, 662 = Anm. zu BGH, Beschl. vom
11. Februar 2000 - 3 StR 308/99).
Zur Begründung dieser Auffassung wird im wesentlichen auf den
Wortlaut
des § 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG und den Willen des Gesetzgebers
abgestellt.
Die Vorschrift verlange schon nach ihrem Wortlaut eine "erforderliche",
d.h.
nicht irgendeine, sondern die materiell-rechtlich erforderliche
Aufenthaltsgenehmigung.
Diese materiell-rechtliche Betrachtungsweise entspreche der Intention
der Regelung, als Instrument der Zuwanderungskontrolle die materielle
Frage, ob sich der Ausländer im Bundesgebiet aufhalten darf,
vor dessen Einreise
zu prüfen und zu entscheiden (BTDrucks. 11/6321 S. 81 zu
§ 71 Abs. 2
AuslG; VGH Kassel InfAuslR 1994, 349, 350). Konzeption und
Gesetzessystematik
verdeutlichten, daß § 58 Abs. 1 AuslG auf die
materiell-rechtlich unerlaubte
Einreise abstelle. Dessen Anknüpfungspunkt sei die in
§ 3 Abs. 1 Satz 1
AuslG erwähnte Genehmigungspflicht für Einreise und
Aufenthalt. Der Gesetzgeber
habe zwischen Einreise und Aufenthalt keine Unterscheidung getroffen.
Die Frage der Erlaubniserteilung sei einheitlich zu beurteilen. In den
Gesetzesmaterialien
zu § 58 Abs. 1 AuslG sei zudem von der "materiell unerlaubten
Einreise" die Rede (BTDrucks. 11/6321 S. 76). Daß damit keine
Abgrenzung zu
- 12 -
§ 59 Abs. 1 AuslG gemeint sei, ergebe sich aus der Verweisung
auf § 18 Abs.
2 AuslG 1965, für den die materiell unerlaubte Einreise
Voraussetzung der
zwingenden Zurückweisung war (OVG Münster DVBl 2001,
1007, 1008 l. Sp.).
§ 1 DVAuslG, der an rein objektive Kriterien
anknüpfe, lasse sich nicht
entnehmen, daß der Gesetzgeber auch für den Begriff
der unerlaubten Einreise
einen objektiven Maßstab anlegen wollte (VGH Kassel aaO).
Daß zwischenzeitlich
die allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Ausländerrecht
(AuslGVwV)
in Kraft getreten sei, stehe dem nicht entgegen. Zwar verstehe diese den
Begriff "erforderlich" im Sinne von § 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG
dahin, daß es ausreichend
sei, wenn der Ausländer irgendeine Aufenthaltsgenehmigung
besitze
(Nr. 58.1.1.3.1 der vorgenannten Verwaltungsvorschrift), diese Regelung
sei
für die Gerichte jedoch nicht bindend. Maßgeblich
für die Auslegung sei nicht
eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift mit verwaltungsinterner
Wirkung,
sondern das Gesetz (OVG Münster DVBl 2001, 1007, 1009 r. Sp.).
Bei
einer nur formellen Betrachtungsweise ergäben sich zudem
erhebliche Strafbarkeitslücken,
insbesondere in Fällen, in denen - wie hier - die Hilfe erst
nach
Erschleichen der Visa geleistet werde oder die Visa durch kollusives
Zusammenwirken
bzw. durch Bestechung erlangt worden seien (Lauer NStZ 2000,
661, 663).
bb) Demgegenüber stellen die strafrechtliche Rechtsprechung
(BGH
NJW 2000, 1732 = NStZ 2000, 657; BGH, Beschl. vom 5. November 1997 - 2
StR 513/97; Beschl. vom 18. Oktober 2001 - 3 StR 247/01; Beschl. vom
20. April 2004 - 4 StR 67/04) und einige Verwaltungsgerichte sowie
Stimmen in
der Literatur (VG Düsseldorf InfAuslR 1993, 371; BayObLG
NStZ-RR 2000,
344, 346; NJW 2002, 1282, 1283; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche
Nebengesetze
AuslG § 92 Rdn. 4b f., 21; Hailbronner,
Ausländerrecht [Stand
- 13 -
September 2004] § 58 Rdn. 5; Westphal/Stoppa,
Ausländerrecht für die Polizei
S. 364, 506 f.; dieselben in NJW 1999, 2137, 2140; Westphal in Huber,
Handbuch
des Ausländer- und Asylrechts Band II [Stand 1. Mai 2003]
§ 58 Rdn. 26;
Hofmann InfAuslR 1991, 351; Lorenz NStZ 2002, 640, 643; Lüdke
InfAuslR
1996, 276; Ott ZAR 1994, 76 ff.; Pfaff ZAR 1992, 117, 120) auf rein
formale
Gesichtspunkte ab. Eine unerlaubte Einreise und ein unerlaubter
Aufenthalt
scheiden danach bereits dann aus, wenn irgendeine Aufenthaltsgenehmigung
erteilt wurde, unabhängig von ihrer materiell-rechtlichen
Richtigkeit. Das Bundesverwaltungsgericht
hat diese Frage, soweit ersichtlich, bisher nicht entschieden,
sondern sie ausdrücklich offengelassen (BVerwG NVwZ 1997, 189 =
BVerwGE 100, 287).
d) Der letztgenannten formellen Betrachtung ist für die
Beurteilung strafrechtlich
relevanter Verhaltensweisen der Vorzug zu geben.
aa) Bereits die Prinzipien des allgemeinen Verwaltungsrechts sprechen
für eine formale Betrachtungsweise. Die erschlichene
Aufenthaltsgenehmigung
ist als Verwaltungshandeln wirksam, solange sie nicht
zurückgenommen wurde.
Nichtig ist sie als begünstigender Verwaltungsakt nur in den
in § 44 VwVfG
genannten Fällen, nämlich wenn sie an schweren und
offensichtlichen Fehlern
leidet (§ 44 Abs. 1 VwVfG), besondere in § 44 Abs. 2
VwVfG ausdrücklich bezeichnete
Nichtigkeitsgründe vorliegen oder wenn in anderen Gesetzen eine
ausdrückliche Regelung dazu getroffen wird. In allen anderen
Fällen ist sie lediglich
rechtswidrig, insbesondere auch bei Mängeln in der
Willensbildung, die
auf arglistiger Täuschung durch falsche Angaben beruhen (vgl.
OLG Frankfurt
StV 1999, 95; BVerwG DVBl 1985, 624; Kopp/Ramsauer, VwVfG 8. Aufl.
§ 44
Rdn. 19) oder wenn die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche
Mitwirkung
einer anderen Behörde unterblieben ist (vgl. § 44
Abs. 3 Nr. 4 VwVfG). In die-
14 -
sen Fällen kann die Aufenthaltsgenehmigung lediglich
gemäß § 48 VwVfG zurückgenommen
werden (Kloesel/Christ/Häußer aaO § 43 Rdn.
1 b).
bb) Die formale Sichtweise entspricht auch der Verwaltungspraxis, die
auf der vom Bundesinnenministerium erlassenen
Ausführungsverordnung zum
Ausländergesetz (AuslG-VwV) beruht. Nach Nummer 58.1.1.3.2
AuslG-VwV
liegt keine unerlaubte Einreise vor, wenn der Ausländer mit
einem Visum einreist,
das aufgrund seiner Angaben ohne die erforderliche Zustimmung der
Ausländerbehörde zu der Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit (§ 11 DVAuslG)
erteilt worden ist, obwohl er bereits bei der Einreise einen
Aufenthaltszweck
beabsichtigt, für den er ein Visum benötigt, das nur
mit Zustimmung der Ausländerbehörde
erteilt werden darf (so auch BGH NJW 2000, 1732, 1733 =
NStZ 2000, 657, 658). Das Bundesministerium des Inneren hatte bereits
in seinem
Rundschreiben vom 20. Mai 1996 (InfAuslR 1996, 317)
ausdrücklich darauf
hingewiesen, daß für § 1 Abs. 1 DVAuslG ein
objektiver Maßstab gilt, d.h.
die Befreiung nicht vom subjektiven Willen hinsichtlich Dauer und Zweck
abhängig
sein soll. In dem Rundschreiben heißt es weiter,
daß auch der Negativstaater,
der ein Touristenvisum besitzt, zweifellos nicht den Tatbestand der
unerlaubten Einreise nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG
erfüllt, auch wenn bei der
Einreise bereits feststeht, daß er einer Auflage im Visum
zuwider eine Erwerbstätigkeit
aufnehmen will.
cc) Für das Abstellen nur auf formale Gesichtspunkte spricht
nunmehr
auch das am 1.01.2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz, durch
das das Ausländergesetz aufgehoben und durch das
Aufenthaltsgesetz ersetzt
worden ist. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist die Einreise
unerlaubt, wenn
der Ausländer keine nach § 4 AufenthG erforderliche
Aufenthaltsgenehmigung
vorweisen kann. In der Begründung zu den
Gesetzentwürfen heißt es dazu
- 15 -
durchgehend, daß sich die Erforderlichkeit des
Aufenthaltstitels nach objektiven
Kriterien und nicht nach dem beabsichtigten Zweck bemißt. Der
Gesetzgeber
beabsichtigte hiermit eine Klarstellung angesichts der unterschiedlichen
Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (14. Wahlperiode:
Gesetzentwurf
der Bundesregierung BRDrucks. 921/01 S. 151; Gesetzentwurf der
Fraktionen
SPD und Bündnis 90/Die Grünen BTDrucks. 14/7387 S.
68; 15. Wahlperiode:
Gesetzentwurf der Bundesregierung BRDrucks. 22/03 S. 164; BTDrucks.
15/420 S. 73).
dd) Für einen formalen Maßstab spricht über
die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
NJW 2000, 1732 hinausgehend auch die zunehmende Überlagerung
des deutschen Ausländerrechts durch internationale
Vereinheitlichungen,
insbesondere durch die Erteilung von Schengen-Visa. Damit wird die
Einreise
aus einem anderen Schengen-Land nach Deutschland unabhängig von
nationalen Verfahren oder Feinsteuerungsmöglichkeiten (z.B.
Auflagen oder
Bedingungen) ausdrücklich erlaubt. Auch dies gebietet es, die
Frage der unerlaubten
Einreise nach objektiven Kriterien zu beurteilen (Westphal in Huber
aaO § 58 Rdn. 35).
e) Ausschlaggebend für die strafrechtliche Beurteilung der
Einreise und
des Aufenthalts von Ausländern nach objektiven Kriterien ist
jedoch das Bestimmtheitsgebot
des Art. 103 Abs. 2 GG, dem bei der Auslegung von
Straftatbeständen
Rechnung getragen werden muß. Tatbestände, die
für ein unerlaubtes
und deshalb strafbares Handeln oder Unterlassen das Fehlen einer
verwaltungsrechtlichen
Erlaubnis vorsehen, bedürfen eines eindeutigen
Auslegungsmaßstabs
in Bezug auf ihre verwaltungsrechtlichen Vorgaben. Würden -
verborgene
- materiell-rechtliche Mängel, etwa infolge von
Täuschung oder sonstiger
mißbräuchlicher Verhaltensweisen des
Erlaubnisadressaten, zum Abgren-
16 -
zungskriterium des strafbaren und nicht strafbaren Verhaltens gemacht,
so wären
deren Voraussetzungen und Grenzen im allgemeinen ungewiß,
weil im Einzelfall
von zufällig nachweisbaren und nicht nachweisbaren
Tatumständen abhängig.
Deshalb muß eine nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften
wirksam
erteilte Aufenthaltsgenehmigung im Strafrecht grundsätzlich
Tatbestandswirkung
entfalten, auch wenn sie rechtsmißbräuchlich erlangt
wurde. Etwas anders
kann nur dort gelten, wo das Gesetz durch Täuschung
erschlichenen oder
durch Drohung oder Bestechung erlangten Erlaubnissen, wie etwa in
§ 330 d
Nr. 5 StGB oder § 34 Abs. 8 AWG, die Wirksamkeit abspricht
(vgl. Tröndle/
Fischer, StGB 52. Aufl. Vor § 324 Rdn. 8 f.; Steindorf,
Waffenrecht 7. Aufl.
Vor § 52 a Rdn. 34 f.). Diesen Weg ist der Gesetzgeber im
Ausländerrecht bisher
nicht gegangen. Zwar hat er in § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG bzw.
§ 95 Abs. 2
Nr. 2 AufenthG die Art und Weise der Beschaffung einer
Aufenthaltsgenehmigung,
soweit diese durch unvollständige oder falsche Angaben erlangt
worden
ist, unter Strafe gestellt, jedoch ohne den so erlangten Erlaubnissen
als solchen
die formelle Wirksamkeit abzusprechen. Hieraus folgt, daß das
Gesetz
auch bei der erschlichenen Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigung von
ihrer
formellen Bestandskraft ausgeht. Wären schon die Einreise oder
der Aufenthalt
mit einem erschlichenen Visum als "unerlaubt" strafbar, wären
die Tatbestandsalternativen
des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG bzw. des § 95 Abs. 2 Nr.
2 AufenthG
zudem überflüssig.
f) Auch aus Sinn und Zweck der strafrechtlichen Tatbestände
ergeben
sich gegen die formale Sichtweise keine durchgreifenden Bedenken. Diese
Auslegung führt zwar in Fällen der vorliegenden Art
zu einer Verneinung der
Strafbarkeit nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 AuslG, der
Ausländer macht sich
allerdings durch Erschleichen einer Aufenthaltsgenehmigung und das
Gebrauchen
dieser Urkunde nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG bzw. § 95
Abs. 2 Nr. 2 Auf-
17 -
enthG strafbar, der dazu Hilfe leistende Dritte insoweit wegen
Einschleusens
gemäß § 92 a Abs. 1 AuslG bzw. §
96 Abs. 1 AufenthG. Zu Strafbarkeitslücken
führt die formale, allein auf das Vorliegen einer
Aufenthaltsgenehmigung abstellende
Betrachtung allerdings beim Gehilfen des Negativstaaters in den
Fällen,
in denen der Hilfeleistende weder an der unredlichen Erlangung des
Visums
noch an der damit unternommenen Einreise beteiligt, sondern lediglich
bei der Arbeitsaufnahme behilflich ist. Darin liegt zwar eine
Besserstellung des
Gehilfen des mit einem Touristenvisum eingereisten Negativstaaters
gegenüber
demjenigen des Positivstaaters. Denn der Positivstaater
benötigt für die
Einreise kein Visum, darf aber nicht ohne entsprechende Erlaubnis
arbeiten.
Tut er es dennoch, macht er sich wegen unerlaubten Aufenthalts
strafbar. Derjenige,
der ihn dabei unterstützt, macht sich wegen Beihilfe strafbar.
Die den
Gehilfen betreffende Besserstellung folgt jedoch unmittelbar aus
§ 92 a AuslG
bzw. § 96 AufenthG, die nur einzelne Tathandlungen des
§ 92 Abs. 1 AuslG
bzw. § 95 AufenthG als Anknüpfungspunkt für
ein strafbares Einschleusen ansehen.
Diese Lücken zu schließen, ist Aufgabe des
Gesetzgebers.
2. Folgerungen für die vom Landgericht ausgeurteilten
Fälle
a) Fälle II. 1 bis 3
Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung scheidet in den
Fällen
II. 1 bis 3 eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Hilfeleistens zum
unerlaubten
Aufenthalt bzw. zur unerlaubten Einreise nach § 92 a i.V.m.
§ 92 Abs. 1
Nr. 1 und 6 AuslG, wie sie das Landgericht angenommen hat, aus. Die
Frauen
aus Rußland und der Ukraine verfügten nach den
Feststellungen als Negativstaaterinnen
über Touristenvisa und damit über die erforderliche
Aufenthaltsgenehmigung.
Weder ihre Einreise noch ihr anschließender Aufenthalt
waren unerlaubt. Es fehlt folglich schon an einer Tat im Sinne des
§ 92 Abs. 1
- 18 -
unerlaubt. Es fehlt folglich schon an einer Tat im Sinne des §
92 Abs. 1 Nr. 1
und 6 AuslG, zu der der Angeklagte Hilfe geleistet hat.
Ob das Vorgehen des Angeklagten möglicherweise die
tatsächlichen
Voraussetzungen einer Beihilfe zu einer Zuwiderhandlung gegen eine
Auflage
(§ 92 Abs. 1 Nr. 3 AuslG i.V.m. § 27 StGB)
erfüllt hat, ergeben die Urteilsgründe
nicht. Dies bedarf indes auch keiner näheren
Aufklärung, weil mit der Aufhebung
des Ausländergesetzes dieser Straftatbestand ersatzlos
weggefallen
ist. Das Aufenthaltsgesetz enthält einen solchen
Straftatbestand nicht mehr,
sondern wertet den Verstoß gegen eine Auflage, die dem
Ausländer ein Arbeitsverbot
auferlegt, lediglich als Ordnungswidrigkeit (§ 98 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG).
Das Aufenthaltsgesetz ist insoweit das mildere Recht (§ 2 Abs.
3
StGB).
Der Angeklagte hat sich nach den bisherigen Feststellungen in den
Fällen
II. 1 bis 3 auch nicht wegen Hilfeleistens zum Gebrauch einer mit
unwahren
Angaben erlangten Aufenthaltsgenehmigung gemäß
§ 92 a Abs. 1 i.V.m. § 92
Abs. 2 Nr. 2 AuslG strafbar gemacht. Das Gebrauchmachen setzt ein
Vorlegen,
Vorzeigen, Hinterlegen oder Übergeben der Urkunde voraus
(Senge in
Erbs/Kohlhaas AuslG § 92 Rdn. 39 a). Daß der
Angeklagte den in den vorliegenden
Fällen betroffenen Frauen dazu Hilfe geleistet hat, ist den
Feststellungen
indes ebenfalls nicht zu entnehmen, die Transportfahrten zu den
Bordellen
oder das Gewähren einer Unterkunft stehen in keinem
unmittelbaren Zusammenhang
mit dem Gebrauchmachen und stellen daher kein Hilfeleisten dar.
Der Senat kann daher die - vom Generalbundesanwalt in seiner
Stellungnahme
angesprochene - Frage offen lassen, ob das Gebrauchmachen einer mit
unwahren
Angaben erschlichenen Aufenthaltsgenehmigung (§ 92 Abs. 2 Nr. 2
- 19 -
AuslG) erst mit der Ausreise des Ausländers beendet und daher
Beihilfe bis zu
diesem Zeitpunkt noch möglich ist.
Ein Freispruch des Angeklagten in diesen Fällen durch den
Senat scheidet
jedoch aus. Der Senat vermag nicht auszuschließen,
daß in einer neuen
Hauptverhandlung weitere Feststellungen zu einer möglichen
Einbindung des
Angeklagten in die Beschaffung der Visa, insbesondere zu den
Umständen,
unter denen die Ausländerinnen diese im Ausland erlangten,
getroffen werden
können (§ 92 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 92 a Abs.
1 AuslG). Nach den bisherigen
Feststellungen wurden bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten
im Wohnzimmer neben verschiedenen Einladungsschreiben für
russische und
ukrainische Staatsangehörige, die zur Visaerlangung bei einer
Auslandsvertretung
verwendet werden konnten, auch zahlreiche russische, ukrainische und
litauische Paßkopien gefunden. Diverse im Urteil
wiedergegebene Telefongespräche
des Angeklagten mit verschiedenen Personen belegen (auch nach
Ansicht der Strafkammer, UA S. 39), daß der Angeklagte
"tiefer in die Beschaffung
von Visa verstrickt gewesen ist …" Die Zeugin N. hat zudem
im Ermittlungsverfahren
wiederholt angegeben, daß sie gemeinsam mit der Zeugin D.
(Fall II. 1) mit der russischen Busreisegesellschaft A. (UA S. 14)
eingereist
sei, die Frauen zur Ausübung der Prostitution u.a. nach
Deutschland vermittelte
(UA S. 14 ff.) und von der sie auch die Telefonnummer des Angeklagten
erhalten
habe (UA S. 63). Auch wenn die Strafkammer der Aussage nicht zu folgen
vermochte, weil sie sich wegen der Weigerung der Zeugin, nach
Deutschland
zu kommen, keinen persönlichen Eindruck von ihrer
Glaubwürdigkeit verschaffen
konnte, lassen die weiteren festgestellten Indizien eine Beteiligung
des Angeklagten nicht als ausgeschlossen, sondern sogar als naheliegend
erscheinen.
Der neue Tatrichter wird bei der Würdigung des Beweisstoffs zu
berücksichtigen
haben, daß erst die Gesamtheit aller Indiztatsachen die
Über-
20 -
zeugung von der Täterschaft des Angeklagten vermitteln kann,
selbst wenn
keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis
ausreicht (BGHR StPO §
261 Beweiswürdigung 2; BGH NStZ-RR 2003, 271).
b) Fälle II. 5 und 6
Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 5 und 6
begegnet dagegen
im Ergebnis keinen Bedenken. Zwar scheidet auch hier die vom Landgericht
zugrundegelegte Strafbarkeit nach § 92 a Abs. 1 i.V.m.
§ 92 Abs. 1 Nr. 1
AuslG bzw. die vom Generalbundesanwalt angesprochene Strafbarkeit nach
§ 92 Abs. 1 Nr. 3 AuslG i.V.m. § 27 StGB aus den oben
angeführten Gründen
aus. Der Angeklagte hat sich jedoch wegen Einschleusens von
Ausländern
durch Hilfeleisten zum Erschleichen der Verlängerung einer
Aufenthaltsgenehmigung
bzw. zum Gebrauchmachen nach § 92 a Abs. 1 i.V.m. §
92 Abs. 2
Nr. 2 AuslG strafbar gemacht, indem er der russischen
Staatsangehörigen A.
D. (Fall II. 5) gegen Zahlung von 100 € und der ukrainischen
Staatsangehörigen "Alona" (Fall II. 6) gegen Zahlung von
insgesamt 827,80 €
bei der Verlängerung ihrer vor der Einreise erworbenen
Aufenthaltsgenehmigungen behilflich war. Die Frauen hatten sich insoweit
gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG wegen
unrichtiger Angaben bei der
Verlängerung des Visums (§ 13 AuslG) bzw. durch
Gebrauchmachen des mit
unwahren Angaben erlangten (ursprünglichen) Visums (durch
Vorlage bei der
Stellung des Verlängerungsantrags) schuldig gemacht, da sie
auch hier ihre
(beabsichtigte und ausgeübte) Erwerbstätigkeit
verschwiegen haben. Auf die
Verlängerung finden dieselben Vorschriften Anwendung wie
für die Erteilung
(§ 13 Abs. 1 AuslG). Der Ausländer, der falsche
Angaben macht, verwirklicht
den Tatbestand des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG; der ihm dabei
Hilfeleistende den
Tatbestand des § 92 a Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 2 Nr. 2
AuslG. Diese
Strafbarkeit allein im Inland begangener Handlungen ist durch das
- 21 -
durch das Aufenthaltsgesetz nicht entfallen. Unrichtige Angaben bei der
Verlängerung
des Visums sind auch nach dem Aufenthaltsgesetz strafbar (§ 95
Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). Die Strafbarkeit des "Gehilfen" richtet sich
nach § 96
Abs. 1 AufenthG. Da sich auch hier die Strafrahmen des
Ausländergesetzes
und des Aufenthaltsgesetzes entsprechen, ist das zur Tatzeit geltende
Ausländergesetz
anzuwenden.
§ 265 StPO steht der Anwendung einer anderen Alternative des
§ 92 a
AuslG nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als
geschehen
hätte verteidigen können. Die verhängten
Einzelstrafen beruhen hierauf nicht.
c) Fall II. 4
Die Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Einschleusens
von Ausländern
gemäß § 92 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1
AuslG im Fall II. 4 ist rechtsfehlerfrei.
Die litauische Staatsangehörige G. K. war im Zeitpunkt ihrer
Einreise
sogenannte Positivstaaterin und daher berechtigt, bei einem
Kurzaufenthalt bis
zu drei Monaten ohne Visum einzureisen. Sie durfte sich aber nur dann
ohne
Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhalten, wenn sie keiner
Erwerbstätigkeit
nachging (vgl. § 3 Abs. 1 AuslG i.V.m. § 1 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2, § 12
Abs. 1 DVAuslG sowie Art. 1 Abs. 2, Art. 4 Abs. 3 i.V.m. Anlage II
EUVisaVO).
Mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wurde ihr Aufenthalt
genehmigungsbedürftig
und - da sie über keine Aufenthaltsgenehmigung
verfügte - unerlaubt
mit der Folge, daß sie sich nach § 92 Abs. 1 Nr. 1
AuslG strafbar machte
(BGHR AuslG § 47 [1965] Aufenthalt 1; BGH, Beschl. vom 20.
April 2004 - 4
StR 67/04; Beschl. vom 28. Oktober 2004 - 5 StR 3/04; Senge in
Erbs/Kohlhaas, AuslG § 3 Rdn. 5, § 92 Rdn. 3; aA
Stoppa in Huber, aaO § 92
- 22 -
Rdn. 19 unter Hinweis auf die Erlaubnisfiktion des § 69 Abs. 3
S. 2 i.V.m.
Abs. 1 AuslG).
Zu dieser Straftat hat der Angeklagte durch die Gewährung
einer Übernachtungsmöglichkeit
und Erbringung von Transportleistungen Hilfe geleistet.
Als Hilfeleistung im Sinne des § 92 a Abs. 1 AuslG ist - wie
bei der Beihilfe
nach § 27 StGB - grundsätzlich jede Handlung
anzusehen, welche die Herbeiführung
des Taterfolgs durch den Täter in irgendeiner Weise objektiv
gefördert
hat. Die Hilfeleistung muß nicht zur Ausführung der
Tat selbst geleistet werden,
es genügt schon die Unterstützung bei einer
vorbereitenden Handlung (BGHSt
16, 12, 14; 28, 346, 348; BGH StV 2000, 492, 493 m.w.N.). Der
Angeklagte hat
nach den Feststellungen G. K. eröffnet, daß sie in
Deutschland der Prostitution
nachgehen sollte und sie zu diesem Zweck auch nach F. gefahren. Als
Gegenleistung
erhielt er 100 €. Seine Handlungen dienten somit unmittelbar
der
Aufnahme der Erwerbstätigkeit der Ausländerin und
wurden nach den Feststellungen
in der Absicht erbracht, sich eine fortlaufende Einnahmequelle zu
verschaffen.
Die Voraussetzungen gewerbsmäßigen Handelns
gemäß § 92 a
Abs. 2 Nr. 1 AuslG sind somit ausreichend festgestellt.
Der Verurteilung steht nicht entgegen, daß das
Aufenthaltsgesetz auf litauische
Staatsangehörige nach dem Beitritt Litauens zur
Europäischen Union
zum 1. Mai 2004 grundsätzlich nicht mehr anwendbar ist
(§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG),
denn § 2 Abs. 3 StGB gilt insoweit nicht. Für
Angehörige der Beitrittsstaaten
gilt - wie für alle Unionsbürger - vorrangig das
FreizüG/EU vom 30. Juli
2004 (BGBl 2004 I 1950, 1986). Der Beitritt führt jedoch nicht
zur Straflosigkeit
von Ausländern, die vor diesem Zeitpunkt den Tatbestand des
unerlaubten
Aufenthalts nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG verwirklicht haben,
sondern zieht lediglich
eine Einschränkung des persönlichen
Anwendungsbereichs des Aufenthaltsgesetzes
nach sich. Für diese gilt § 2 Abs. 3 StGB indes nicht
(vgl.
- 23 -
haltsgesetzes nach sich. Für diese gilt § 2 Abs. 3
StGB indes nicht (vgl. Mosbacher
wistra 2005, 54, 55). Die strafrechtlich sanktionierte Gebotsnorm
hingegen
blieb unverändert, denn auch nach § 95 Abs. 1 Nr. 2
bzw. § 96 Abs. 1 und
Abs. 2 AufenthG sind der unerlaubte Aufenthalt bzw. ein Hilfeleisten
dazu weiterhin
strafbar.
d) Verurteilung nach dem Waffengesetz (Fall II. 7)
Das Landgericht hat die Tat zutreffend als unerlaubten Besitz von
Schußwaffen und von Munition gewertet (§ 2 Abs. 2,
§ 52 Abs. 3 Nr. 2
Buchst. a und b WaffG nF). Ein Double-Action-Revolver ist nach der am
1. April 2003 in Kraft getretenen Neuregelung des Waffengesetzes keine
halbautomatische
Schußwaffe (WaffG Anlage 1 Ziff. 2.3). Die Urteilsformel
("wegen
Verstoßes gegen das Waffengesetz") kennzeichnet die Tat
allerdings nur ungenau
und ist deshalb unzureichend (BGH, Beschl. vom 12. April 1994 - 4 StR
128/94 - und vom 5. September 2000 - 3 StR 226/00). Der Senat hat daher
den
Schuldspruch neu gefaßt.
Auch der Strafausspruch hält im Ergebnis der rechtlichen
Nachprüfung
stand. Die Verhängung einer Einzelstrafe, die im oberen
Bereich des Strafrahmens
des § 52 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a und b WaffG nF
(Freiheitsstrafe bis zu
drei Jahren oder Geldstrafe) liegt, überschreitet angesichts
der Menge der besessenen,
z.T. auch manipulierten Munition und des Besitzes von zwei
Schußwaffen
nicht den Rahmen schuldangemessenen Strafens. Die
Strafzumessungserwägungen
selbst enthalten keine Rechtsfehler, auch nicht soweit es
auf UA S. 70 heißt:
"Nicht zu verkennen war zudem die erhöhte
Gefährlichkeit, die von
schußbereiten Waffen in Händen von Personen ausgeht,
die sich wie der Angeklagte
im "Sicherheits"gewerbe und Rotlichtmilieu bewegen. Aufgrund dieses
- 24 -
Umstandes kommt zudem auch dem Besitz von insgesamt zwei
Elektroschockern
und Handschellen vorliegend ein besonderes Gewicht zu."
Damit hat das Landgericht den möglicherweise erlaubten Besitz
der
Elektroschocker (§ 2 Abs. 2 bis 4 WaffG i.V.m. Anlage 2
Abschnitt 1 Ziff. 1.3.6)
und der Handschellen ersichtlich nur als Indiz für die
kriminelle Energie des
Angeklagten werten wollen, der sich im Rotlichtmilieu bewegte.
3. Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II.
1 bis 3 führt zur
Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
Rissing-van Saan Detter Bode
Otten Rothfuß |