BGH,
Urt. v. 27.4.2007 - 2 StR 490/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 490/06
vom
27. April 2007
Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja
StPO §§ 251 Abs. 1 Nr. 2, 250 Satz 2, 55
Wird ein Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen, weil er sich
vorab auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht
gemäß § 55 StPO berufen hat, so darf seine
Vernehmung nicht durch Verlesung von ihm stammender früherer
schriftlicher Erklärungen gemäß §
251 Abs. 1 Nr. 2 StPO ersetzt werden.
BGH, Urt. v. 27. April 2007 - 2 StR 490/06 - LG Köln
in der Strafsache
gegen
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wegen Bestechlichkeit
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der
Hauptverhandlung vom 25. April 2007 in der Sitzung am 27. April 2007,
an denen teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
Dr. Appl,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichthof
in der Verhandlung,
Staatsanwalt
bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
in der Hauptverhandlung,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
bei der Verkündung
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Köln vom 13. Juni 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und den
Verfall eines Betrages von 50.000 € angeordnet. Die hiergegen
gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer
Verfahrensrüge Erfolg.
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I.
Der Angeklagte war von 1998 bis 1999 Oberstadtdirektor der Stadt K. .
Nach den Feststellungen des Landgerichts beauftragte er den
Fraktionsvorsitzenden der SPD-Ratsfraktion, R., im Jahre 1999 mit der
Beschaffung von Spenden von dem Abfallentsorgungsunternehmer T.. Er
äußerte dabei: "Ich kann das nicht machen, ich bin
ja Amtsträger". Das Geld sollte der Finanzierung des im Jahre
1999 anstehenden Wahlkampfs um das Oberbürgermeisteramt in K.
dienen, um das sich der Angeklagte bewerben wollte. T., der wusste,
dass die Spendenanfrage vom Angeklagten ausging, übergab an R.
insgesamt
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150.000 DM in bar. Allen Beteiligten war klar, dass T. mit der
Geldzahlung das Ziel verfolgte, der Angeklagte solle im Rahmen seiner
Tätigkeit als Oberstadtdirektor bzw. als zukünftiger
Oberbürgermeister Einfluss auf den Stadtrat und auf die
SPD-Fraktion nehmen, um eine Teilprivatisierung der K. Abfallentsorgung
unter Beteiligung von Unternehmen des T. zu erreichen. Das
übergebene Geld floss teilweise direkt der Wahlkampfkasse des
Angeklagten, teilweise in Form vorgetäuschter Kleinspenden der
SPD zu.
II.
Die neben anderen Verfahrensrügen und der Sachrüge
zulässig erhobene Rüge der Verletzung der
§§ 250, 251 StPO führt zur Aufhebung des
Urteils.
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1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Das
gegen den Abfallentsorgungsunternehmer T. wegen
Vorteilsgewährung im Zusammenhang mit der hier abgeurteilten
Tat geführte Ermittlungsverfahren war durch die
Staatsanwaltschaft Köln im Dezember 2004
gemäß § 154 StPO vorläufig
eingestellt worden. In diesem Verfahren hatten seine Verteidiger am 7.
September 2004 eine schriftliche Stellungnahme zu dem hier
abgeurteilten Tatgeschehen für ihn abgegeben. Nach der
vorläufigen Einstellung gab T. am 4. Juli 2005
gegenüber der Staatsanwaltschaft eine schriftliche
„Zeugenerklärung“ ab, in der er
ausführte, dass die Angaben in dem anwaltlichen Schreiben vom
7. September 2004 auf seinen Informationen beruhten, er sich den darin
enthaltenen Tatsachenvortrag zu eigen mache und als Zeuge
bestätige.
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Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens lud der Vorsitzende der
Strafkammer im Mai 2006 T. sowie dessen Verteidiger als Zeugen zur
Hauptverhandlung. Letztere sollten dazu vernommen werden, welche
Angaben ihr Mandant ihnen gegenüber zu dem im Schriftsatz vom
7. September 2004 behandelten Sachverhalt gemacht hatte. Die
Rechtsanwälte teilten daraufhin in einem
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Schreiben an den Vorsitzenden mit, T. habe sie nicht von ihrer
Verschwiegenheitspflicht entbunden; sie seien daher nicht befugt, als
Zeugen zu diesem Beweisthema auszusagen. Weiterhin teilten sie mit,
dass T. im hier vorliegenden Verfahren von einem
Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO
umfassend Gebrauch machen und zur Sache nichts aussagen werde. Der
Vorsitzende der Strafkammer lud daraufhin T. und seine
Rechtsanwälte wieder ab.
In der Hauptverhandlung am 18. Mai 2006 regte die Strafkammer an, das
anwaltliche Schreiben vom 7. September 2004 sowie die
"Zeugenerklärung" des T. zu verlesen. Ein Verteidiger des
Angeklagten widersprach dieser Vorgehensweise. Daraufhin ordnete die
Strafkammer durch Beschluss die Verlesung der beiden
Schriftstücke gemäß § 251 Abs. 1
Nr. 2 StPO mit der Begründung an, T. könne auf Grund
der Geltendmachung seines Auskunftsverweigerungsrechtes als Zeuge in
absehbarer Zeit nicht vernommen werden. Da in einem solchen Fall
anerkanntermaßen Vernehmungspersonen als Zeugen zu dem Inhalt
früherer Vernehmungen vernommen werden könnten, sei
es „nicht erklärlich“, warum dann nicht
auch von dem Zeugen stammende Erklärungen verlesen werden
könnten. Der Beschluss wurde ausgeführt. Die
Strafkammer hat die verlesenen Urkunden im Urteil verwertet.
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2. Die hiergegen erhobene Verfahrensrüge eines
Verstoßes gegen §§ 250, 251 Abs. 1 Nr. 2
StPO ist zulässig. Entgegen der vom Generalbundesanwalt in der
Hauptverhandlung vertretenen Ansicht bedurfte es
gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht des
Vortrags einer früheren Vernehmung des Zeugen T.. Die Frage,
ob T. schon vor der schriftlichen Erklärung seiner Verteidiger
einmal als Beschuldigter vernommen worden war und was er bei dieser
Gelegenheit aussagte, konnte allenfalls hinsichtlich des Beruhens des
Urteils auf der Verlesung der späteren Urkunden von Belang
sein. Für den Vortrag und den Beweis des gerügten
Rechtsfehlers selbst, also der nach Ansicht der Revision
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unzulässigen Verlesung jener Urkunden, war der Inhalt einer
möglichen früheren Vernehmung ohne Belang.
3. Die Rüge ist auch begründet, denn die Verlesung
des anwaltlichen Schriftsatzes und der "Zeugenerklärung"
begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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a) Hinsichtlich des anwaltlichen Schriftsatzes vom 7. September 2004
kann dahinstehen, ob sich ein Verlesungs- und Verwertungsverbot schon
aus § 252 StPO ergeben könnte, weil sich die
Anwälte der Sache nach auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach
§ 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO berufen haben (vgl. dazu BGHR StPO
§ 252 Verwertungsverbot 13; BGH bei Kusch NStZ 1998, 25, 26).
Bei einem anwaltlichen Schriftsatz, in dem Angaben des Mandanten
wiedergegeben werden, handelt es sich zwar zunächst um eine
Erklärung des Rechtsanwalts selbst (vgl. BGHR StPO §
250 Satz 2 Schriftliche Erklärung 2). Der Zeuge T. hat sich
aber den Inhalt dieses Schriftsatzes in seiner Zeugenerklärung
ausdrücklich zu eigen gemacht. Damit ist der Inhalt des
Schriftsatzes jedenfalls auch wie eine eigene Erklärung des T.
zu werten.
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b) Das Landgericht hat die Verlesung der Urkunden zu Unrecht auf
§ 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO gestützt. Hierdurch hat es
den in § 250 StPO niedergelegten Grundsatz der Unmittelbarkeit
verletzt. Der Vernehmung einer Auskunftsperson über deren
Wahrnehmungen kommt gegenüber der Verlesung eines Protokolls
über eine frühere Vernehmung oder von
Erklärungen der Auskunftsperson Vorrang zu, wenn hierdurch der
Beweis entscheidungserheblicher Tatsachen geführt werden soll.
Von dieser Regel, die zu den tragenden Grundsätzen des
geltenden Strafprozessrechts gehört, sind Ausnahmen nur unter
bestimmten, in den §§ 251 ff. StPO im Einzelnen
aufgeführten Voraussetzungen möglich;
grundsätzlich kann nur in diesen enumerativ
aufgezählten Fällen die unmittelba-
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re Aussage einer Vernehmungsperson durch die Verlesung von
Niederschriften über frühere Vernehmungen oder von
der Beweisperson herrührender schriftlicher
Erklärungen ersetzt werden. Ein solcher Ausnahmefall lag hier
nicht vor. Der Umstand, dass der Zeuge T. sich auf das
Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO
berufen hatte, führte nicht dazu, dass er im Sinne des
§ 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO in absehbarer Zeit nicht vernommen
werden konnte.
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist über die
Möglichkeit einer Verlesung nach § 251 Abs. 1 Nr. 2
StPO (bzw. § 251 Abs. 2 Satz 2 StPO a.F.) bei einer
Fallgestaltung wie der vorliegenden bisher nicht ausdrücklich
entschieden worden. Vielmehr lagen den in diesem Zusammenhang
entschiedenen Fällen jeweils Konstellationen zugrunde, in
denen ein Zeuge in der Hauptverhandlung erschienen war und sich -
jedenfalls nach Vernehmung zur Person - dann ganz oder teilweise auf
ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55
StPO berief, oder in denen eine Zeugenvernehmung aus anderen
Gründen, z. B. wegen eintretender
Vernehmungsunfähigkeit, unmöglich wurde. Als
unzulässig erachtet hat der Bundesgerichtshof in diesen
Konstellationen sowohl die Verlesung schriftlicher Erklärungen
des sich auf § 55 StPO berufenden Zeugen (BGH NStZ 1988, 36:
nur ergänzende Verlesung neben der Zeugenvernehmung
zulässig; vgl. auch BGHSt 20, 160, 161 f.; ebenso
Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 251 Rdn. 11; Diemer in
KK 5. Aufl. § 251 Rdn. 26) als auch die Verlesung
nichtrichterlicher Protokolle über seine Vernehmung (BGH NStZ
1982, 342 - sogar dann, wenn alle Verfahrensbeteiligten in die
Verlesung eingewilligt haben -; BGH NJW 1984, 136; BGH NStZ 1993, 350;
BGH NStZ 1996, 96; BGH, Urt. v. 28. Oktober 1975 - 5 StR 407/75; BGH,
Beschl. v. 5. Dezember 1978 - 5 StR 767/78; BGH, Beschl. v. 26. Juli
1983 - 5 StR 310/83; vgl. auch BGH, Urt. v. 29. Juni 1976 - 5 StR
209/76).
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Soweit das Landgericht sich auf die Entscheidung des Senats in NStZ
2002, 217 berufen hat, ergibt sich aus diesem Beschluss nicht, dass bei
Auskunftsverweigerung eines Zeugen eine Urkundenverlesung nach
§ 251 Abs. 2 Satz 2 a.F. (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO
heutiger Fassung) zulässig sei. Erwägungen des Senats
zur Erweiterung des Urkundenbeweises spielten in jener Entscheidung
keine tragende Rolle, weil in dem seinerzeit zu Grunde liegenden Fall
die Verfahrensbeteiligten einer Protokollverlesung zugestimmt hatten.
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In eng umgrenzten Ausnahmefällen hat die Rechtsprechung
Erweiterungen des § 251 StPO zugelassen: So kann dann, wenn
der Gesundheitszustand eines Zeugen zwar sein Erscheinen in der
Hauptverhandlung nicht schlechthin unmöglich macht, aber zu
einer erheblichen Verschlechterung seines Zustandes führen
kann, ein Protokoll über eine frühere richterliche
Vernehmung verlesen werden (BGHSt 9, 297, 300). Ähnliches ist
für den Fall angenommen worden, dass einem Zeugen im Falle
einer wahrheitsgemäßen Aussage eine
rechtsstaatswidrige Verfolgung (BGHSt 17, 337, 349 f.) oder dass dem
Zeugen oder seiner Familie bei wahrheitsgemäßer
Aussage Gefahr für Leib oder Leben droht (BGH NStZ 1993, 350
für Protokolle nichtrichterlicher Vernehmungen). Diesen
Ausnahmen ist gemeinsam, dass das Vernehmungshindernis sich jeweils aus
äußeren, nicht vom Zeugen beherrschbaren
Umständen ergibt. Obwohl dies von der Rechtsprechung nicht als
allgemeiner Grundsatz formuliert wurde, hat die Literatur §
251 Abs. 1 Nr. 2 StPO daher überwiegend dahin ausgelegt, dass
die Vorschrift nur bei tatsächlichen, nicht aber bei
rechtlichen Verhinderungsgründen eingreifen könne
(vgl. etwa Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 251 Rdn. 10
m.w.N.).
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Anerkannt ist in der Rechtsprechung darüber hinaus, dass
§ 250 Satz 2 StPO dann nicht eingreift, wenn ein Zeuge in der
Hauptverhandlung teilweise vernommen werden konnte. In diesem Fall kann
die Vernehmung unter Um-
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ständen durch Verlesung einer vom Zeugen stammenden
schriftlichen Erklärung ergänzt werden; eine
Ersetzung im Sinne von § 250 Satz 2 StPO liegt dann nicht vor
(BGHSt 20, 160, 161 ff.; BGH NStZ 1988, 36). Auch ein solcher Fall ist
hier nicht gegeben.
bb) Gegen die Annahme, eine Verlesung früherer Protokolle und
Erklärungen könne, wenn sich ein Zeuge auf ein
Auskunftsverweigerungsrecht beruft, auf § 251 Abs. 1 Nr. 2
StPO gestützt werden, spricht der Wortlaut dieser Vorschrift,
die voraussetzt, dass der Zeuge „nicht vernommen werden
kann“. Diese Voraussetzung ist bei einer
Auskunftsverweigerung gemäß § 55 StPO nicht
gegeben. § 55 StPO berechtigt grundsätzlich nur zur
Verweigerung der Auskunft auf einzelne Fragen (vgl. Senge in KK 5.
Aufl. § 55 Rdn. 2 m.w.N.). Selbst wenn - wie hier - die
gesamte in Betracht kommende Aussage des Zeugen so eng mit einem
möglicherweise strafbaren Verhalten zusammenhängt und
deswegen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht besteht (vgl.
BGHSt 10, 104, 105), ist aber eine Vernehmung möglich. Der
Zeuge muss Angaben zur Person machen; ggf. muss er
gemäß § 56 StPO das Bestehen des
Auskunftsverweigerungsrechts glaubhaft machen (vgl. BGH NStZ 1982,
342). In vielen Fällen ergibt sich der Umfang eines
möglichen Auskunftsverweigerungsrechts auch erst
während einer Vernehmung. Dass ein Zeuge, der sich schon im
Vorfeld seiner geplanten Vernehmung auf ein umfassendes
Auskunftsverweigerungsrecht beruft und mitteilt, er werde keinerlei
Angaben zur Sache machen, zur Hauptverhandlung gar nicht mehr geladen
wird, stellt sich daher als eine aus praktischen Gründen
verfahrensvereinfachende Ausnahme dar; aus ihr ergibt sich nicht, dass
der Zeuge überhaupt nicht vernommen werden könnte.
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cc) Auch die Gesetzgebungsgeschichte spricht dagegen, § 251
Abs. 1 Nr. 2 StPO anzuwenden, wenn sich ein Zeuge auf § 55
StPO beruft.
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In der Strafprozessordnung von 1877 war die heute in § 251
StPO enthaltene Materie noch in § 250 geregelt. Nach dessen
Absatz 1 konnte ein Protokoll über eine frühere
(richterliche) Vernehmung verlesen werden, wenn der Zeuge verstorben,
in Geisteskrankheit verfallen oder sein Aufenthalt nicht zu ermitteln
war. Nach Absatz 2 konnten Protokolle über kommissarische
(richterliche) Vernehmungen unter bestimmten Voraussetzungen in die
Hauptverhandlung eingeführt werden. Der Gesetzgeber der StPO
hat damals Ausnahmen vom Unmittelbarkeitsgrundsatz bewusst nur in eng
umgrenzten Fällen zugelassen (vgl. die Begründung zum
Gesetzentwurf in: Hahn, Die gesammelten Materialien zu den
Reichs-Justizgesetzen Band 3, 2. Aufl. S. 193 ff.; vgl. ferner
Langkeit/Cramer StV 1996, 230, 233). In der Kommission des Reichstages
wurde ein Antrag zur Erweiterung der Verlesungsmöglichkeiten
auch auf die Fälle, in denen ein Zeuge oder
Sachverständiger „in der Hauptverhandlung seine
Aussage“ verweigert, ausdrücklich abgelehnt (vgl.
Protokolle der Kommissi-on in: Hahn aaO S. 856 ff.).
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Erst durch Art. 4 der 3. Verordnung zur Vereinfachung der
Strafrechtspflege vom 29. Mai 1943 (RGBl. I S. 342) erfuhren die
Verlesungsmöglichkeiten des § 251 StPO umfangreiche
Erweiterungen. So wurde die dem heutigen § 251 Abs. 1 Nr. 2
StPO entsprechende Regelung in § 251 Abs. 2 StPO a.F.
eingeführt. Durch die Neuregelung sollte der Abzug von im
Wehrdienst bzw. in der Kriegsproduktion benötigten Personen
zum Zwecke einer Zeugenvernehmung eingeschränkt werden; auch
hier ging es somit lediglich um tatsächliche
Hinderungsgründe (vgl. auch Dölling NStZ 1988, 6, 9;
Mitsch JZ 1992, 174, 180). Die weiteren Änderungen durch das
Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der
Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des
Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950 (BGBl. S.
455) und durch das Strafverfahrensänderungsgesetz vom 27.
Januar 1987 (BGBl. I S. 475) haben den Inhalt der Regelung im Wesentli-
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chen unberührt gelassen. Durch das 1.
Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198)
erhielt die Möglichkeit der Verlesung (auch)
nichtrichterlicher Urkunden wegen Unmöglichkeit der Vernehmung
eines Zeugen lediglich einen anderen Standort innerhalb der Norm; die
neue Systematik der Regelung beruhte auf der Einfügung von
§ 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Der Wortlaut von § 251 Abs.
2 Satz 2, 2. Halbs. StPO a.F. ist mit dem von § 251 Abs. 1 Nr.
2 StPO n.F. identisch. Anhaltspunkte dafür, dass der
Gesetzgeber mit der Verschiebung dieser Verlesungsmöglichkeit
innerhalb der Vorschrift auch eine inhaltliche Erweiterung verbinden
wollte, ergeben sich aus den Gesetzesmaterialien nicht (vgl. BT-Drucks.
15/1508 S. 25 f.).
dd) Zu beachten ist auch, dass das Gesetz richterlichen
Vernehmungsprotokollen, deren Verlesbarkeit in § 251 Abs. 2
StPO geregelt ist, eine größere
Vertrauenswürdigkeit als nichtrichterlichen
Vernehmungsprotokollen zuerkennt (BT-Drucks. 15/1508 S. 26). Es
würde daher einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn die
Verlesung nichtrichterlicher Protokolle und schriftlicher
Erklärungen eines Zeugen unter geringeren Voraussetzungen
möglich wäre als die Verlesung richterlicher
Protokolle (vgl. Mitsch JZ 1992, 174, 179 f.). Dies könnte
aber der Fall sein, wenn richterliche Protokolle nur bei einem
Hindernis für das „Erscheinen“ des Zeugen
in der Hauptverhandlung verlesen werden dürften, sonstige
Protokolle und schriftliche Erklärungen aber schon dann, wenn
der Zeuge von einem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht.
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c) Entgegen Meinungen in der Literatur (J. Meyer, Der Urkundenbeweis in
der Hauptverhandlung S. 124 f., 144 ff.; Mitsch JZ 1992, 174 ff.; vgl.
auch Gollwitzer in LR 25. Aufl. § 250 Rdn. 20; K. Meyer JR
1987, 523, 524) sieht der Senat keinen Anlass, die
Verlesungsmöglichkeit nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO
auf Fallgestaltungen wie die vorliegende zu erweitern. Selbst wenn es
in Einzelfällen, in denen eine Vernehmungsperson oder der
Empfänger einer schriftli-
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chen Erklärung als Zeuge nicht zur Verfügung stehen,
zu einer Begrenzung der Beweismöglichkeiten und dadurch auch
der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO kommen
kann, ist dies die notwendige Konsequenz der Gesetzeslage.
Meist ist aber mit einem Beweisverlust nicht zu rechnen, weil eine
dritte Person als Zeuge zur Verfügung steht, die zur
Entstehung und zum Inhalt einer Urkunde vernommen werden kann. Im
vorliegenden Fall hätte das Landgericht den Staatsanwalt, an
den die Schreiben des Zeugen T. und seiner Rechtsanwälte
gerichtet waren, unschwer als Zeugen vernehmen können, so dass
es auch aus Gründen der Aufklärungspflicht und der
Verfahrensökonomie an Gründen für die vom
Tatrichter angestrebte Rechtsfortbildung fehlte. Entgegen der Ansicht
der Revision bestand insoweit auch kein Verwertungsverbot.
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d) Das Urteil beruht auch auf dem Rechtsfehler. Das Landgericht hat
seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten
(UA S. 41) sowie davon, dass der wirtschaftliche Hintergrund der
Spenden allen Beteiligten bekannt war (UA S. 70), ausdrücklich
auch auf den Inhalt der zu Unrecht verlesenen Urkunden
gestützt. Zwar führen die Urteilsgründe aus,
dass die Angaben des Zeugen R. bereits „aus sich heraus
glaubhaft“ seien (UA S. 31) und dass schon nach dem sonstigen
Ergebnis der Beweisaufnahme „nur“ die Annahme einer
Unrechtsvereinbarung zwischen dem Angeklagten und T.
„lebensnah“ sei (UA S. 66). Damit in einem gewissen
Widerspruch steht aber, dass die Urteilsgründe sich
ausführlich gerade auch mit dem Inhalt der Erklärung
vom 7. September 2004 befassen. Das Landgericht hat den Urkundeninhalt
überdies an mehreren Stellen (UA S. 70, 72, 78)
ausdrücklich zum Beweis von Feststellungen namentlich zum
wirtschaftlichen Hintergrund der Tat verwertet, weil sich die Zeugen E.
und R., soweit ihre Angaben im Urteil wiedergegeben sind, hierzu nicht
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verhielten. Ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler lässt
sich daher, entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts, nicht
ausschließen.
Rissing-van Saan Bode Rothfuß
Fischer Appl |