BGH,
Urt. v. 27.6.2006 - 1 StR 113/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 113/06
vom
27.6.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
27.06.2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung -
Staatsanwalt - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Augsburg vom 22. November 2005 mit den
zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum
äußeren Tatgeschehen, aufgehoben und die Sache in
diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit ihrer auf die
Sachrüge gestützten Revision beanstandet die
Staatsanwaltschaft die Verneinung des Mordmerkmals Heimtücke.
Die Revision wird vom Generalbundesanwalt vertreten und erstrebt eine
Verurteilung wegen Mordes. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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I.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der Angeklagte lebte vorübergehend im Haushalt seiner Cousine
M. B. , des späteren Tatopfers, zu der er eine intime
Beziehung unter-
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hielt. Am Abend des 28. Februar 2005 kamen in ihm unbegründete
Eifersuchtsgedanken auf. Er steigerte sich derart hinein, dass er nicht
einschlafen konnte. Der Angeklagte, der alkoholabhängig ist,
aber seit sieben Jahren abstinent lebte, wurde
alkoholrückfällig. Er trank heimlich 0,5 Liter 40
%-igen Calvados.
Am nächsten Morgen, dem 1. März 2005, bemerkte M. B.
die Alkoholisierung des Angeklagten. Sie erklärte ihm, dass
sie mit einem Alkoholiker nichts zu tun haben wolle und
äußerte Unverständnis über seine
Eifersucht. Im Rahmen dieses Streitgesprächs trat der
Angeklagte von hinten an M. B. heran und nahm sie mit seinem rechten
Unterarm mindestens 20 bis 30 Sekunden in einen
Halswürgegriff. Dadurch erlitt sie leichte Verletzungen im
Bereich der inneren Halsorgane. Mit der linken Hand ergriff er nun mit
erst jetzt sicher nachweisbarem Tötungsvorsatz ein
Küchenmesser und versetzte ihr damit zwei Messerstiche in den
Bauchbereich, die die Leber kreuzförmig durchstachen. Dann
löste er den Unterarmgriff und fügte ihr einen
oberflächlichen Bauchstich und einen oberflächlichen
Stich in die linke seitliche Brustwand zu. Danach versetzte er ihr
fünf weitere Stiche in den Rücken-, Lenden- und
seitlichen Rumpfbereich, wobei sie möglicherweise bereits am
Boden lag, sich in einer Drehbewegung befand oder er um sie
herumgegangen war. Von diesen Stichen führten drei binnen
weniger Minuten zum Tode durch Verbluten und Zusammenbruch der Atmung.
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Die Tat erfolgte zwischen 7.00 und 8.00 Uhr, nachdem die beiden
Söhne des Tatopfers zur Schule gegangen waren. Der Angeklagte
trank nach der Tat noch 0,1 Liter Calvados. Nach vorangegangenen
anderen Telefonaten benachrichtigte er um 11.04 Uhr die Polizei. Die
ihm um 12.01 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine
Blutalkoholkonzentration von 2,09 o/oo.
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2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Auch
das Vorliegen des Mordmerkmals Heimtücke hat es
ausgeschlossen. Zwar sei das Opfer objektiv arg- und wehrlos gewesen,
als der Angeklagte es von hinten in den Unterarmwürgegriff
genommen habe, für diesen Zeitpunkt sei aber ein
Tötungsvorsatz nicht sicher feststellbar gewesen. Als der
Angeklagte dann zum Messer gegriffen habe, sei das Opfer nicht mehr
arglos gewesen. Im Übrigen gebe es keinen Nachweis
für ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit durch
den Angeklagten. Zwar habe ein gewisses Vertrauens- und
Überraschungsmoment vorgelegen. Ein Ausnutzungsbewusstsein
wäre aber nur dann nachweisbar, wenn der Angeklagte die
Angriffsmöglichkeit von hinten, etwa durch ein Veranlassen der
Getöteten sich umzudrehen, gezielt herbeigeführt
hätte. Auch spreche die hochgradige Alkoholisierung des
Angeklagten gegen eine Bewusstseinsbildung bezüglich der
Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers.
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Im Anschluss an die Anhörung von zwei
Sachverständigen ist das Landgericht von einer nicht
ausschließbar erheblichen Verminderung der
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge
Alkoholintoxikation im Sinne von § 21 StGB zur Tatzeit
ausgegangen.
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II.
Die rechtliche Bewertung des Landgerichts zur objektiven und
subjektiven Tatseite eines heimtückisch begangenen Mordes ist
nicht frei von Rechtsfehlern. Insoweit ist der festgestellte
Sachverhalt auch nicht erschöpfend gewürdigt.
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1. Die objektiven Voraussetzungen der Heimtücke
können selbst dann erfüllt sein, wenn der
Unterarmwürgegriff von hinten nicht mit Tötungsvorsatz
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erfolgte und der Angeklagte einen solchen Vorsatz erst fasste, als er
nach dem Messer griff. Dies schließt die Arglosigkeit des
Opfers nicht von vornherein aus.
Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff
erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht
und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder
ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353, 368; BGHR StGB §
211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.N.). Das Opfer muss gerade aufgrund
seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann
nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer
auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen
feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der
Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine
Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGHR
StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15).
Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei
Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten
Angriffs. Dabei macht es aber keinen Unterschied, ob der
überraschende Angriff von vornherein mit
Tötungsvorsatz geführt wird oder ob der
ursprüngliche Handlungswille derart schnell in den
Tötungsvorsatz umschlägt, dass der
Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, zu dem der
Täter mit Tötungsvorsatz angreift. In beiden
Fällen bleibt dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten
Gegenmaßnahmen (BGHR StGB § 211 Abs. 2
Heimtücke 3).
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Jedenfalls letztere Konstellation ist hier gegeben. Nach den
Feststellungen des Landgerichts hielt der Angeklagte das Opfer 20 bis
30 Sekunden im Unterarmwürgegriff, den er von hinten
ausgeführt hatte, bevor er sich entschloss, es zu
töten. Das Opfer hatte in dieser Lage nach Erkennen der Gefahr
keine Möglichkeit mehr, sich gegen den Tötungsangriff
zur Wehr zu setzen, was die fehlenden Abwehrverletzungen
bestätigen. Dann war das Opfer - an
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den aufgezeigten Maßstäben gemessen - aber auch zu
diesem Zeitpunkt infolge Arglosigkeit wehrlos.
2. Die Verneinung eines Ausnutzungsbewusstseins des Angeklagten
entbehrt einer tragfähigen Grundlage.
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a) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit
genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit
in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und
die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich
bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber
einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ
2003, 535).
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Es ist nicht erforderlich, wie das Landgericht meint, dass der
Täter die Angriffsmöglichkeit von hinten durch
eigenes Veranlassen gezielt herbeiführt. Wenn der Angeklagte
hier seinem Opfer von hinten den Unterarm um den Hals legte und es
würgte, so liegt die Annahme nahe, dass er sich des
überraschenden Angriffs bewusst war. Die
Ausführungen, mit denen das Landgericht ein
Ausnutzungsbewusstsein verneint, sind in der rechtlichen Bewertung in
zweifacher Hinsicht fehlerhaft. Einerseits bedarf es des bewussten
Herbeiführens eines Hinterhaltes nicht, andererseits liegt -
wie oben ausgeführt - eine rechtsfehlerhafte Bewertung der
Arglosigkeit zugrunde.
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b) Soweit das Landgericht ausführt, auch die hochgradige
Alkoholisierung des Angeklagten spreche gegen eine Bewusstseinsbildung
bezüglich der Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des
Opfers, fehlt dafür jedwede Begründung. Im Hinblick
auf die Ausführungen zur nicht ausschließbar
verminderten Schuldfähigkeit infolge Alkoholisierung versteht
es sich nicht von selbst, dass der Angeklagte den
Überraschungseffekt nicht in sein Bewusstsein aufgenommen habe.
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Die Alkoholisierung beeinträchtigte danach die
Fähigkeit des Angeklagten zur Unrechtseinsicht nicht. Eine
erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit wurde nicht
positiv festgestellt, sondern konnte nicht ausgeschlossen werden. Nach
Auffassung des Sachverständigen K. , der aufgrund der
Blutprobe eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,29 o/oo
für die Tatzeit von 7.00 Uhr und eine solche von 3,09 o/oo
für die Tatzeit von 8.00 Uhr errechnete, zeigte der Angeklagte
angesichts dieser Alkoholisierung erstaunlich wenige
Ausfallerscheinungen, was darauf schließen lasse, dass er
doch nicht ganz trocken gewesen sei. Bei der Berechnung der Tatzeit-BAK
hat der Sachverständige den festgestellten Nachtrunk
außer Acht gelassen. Unter Berücksichtigung des
Nachtrunks bewege sich die erhebliche Verminderung der
Steuerungsfähigkeit - so der Sachverständige - dann
"am unteren Ende der Nichtausschließbarkeit". Das Landgericht
hätte bei einer erschöpfenden Würdigung des
Sachverhalts diese Ausführungen in seine Erwägungen
einbeziehen und sich damit auseinandersetzen müssen.
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3. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Feststellungen zum
äußeren Tatgeschehen sind von den Rechtsfehlern
nicht betroffen und können daher bestehen bleiben. Insoweit
ist das Urteil nicht angegriffen.
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4. Die Überprüfung des Urteils zugunsten des
Angeklagten (§ 301 StPO) hat keinen Rechtsfehler zu seinem
Nachteil ergeben.
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5. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass der Begriff der
"Erheblichkeit" in § 21 StGB ein Rechtsbegriff ist.
Über das Vorliegen seiner Voraussetzungen ist nach
ständiger Rechtsprechung vom Gericht in eigener Verantwortung
zu entscheiden und nicht vom Sachverständigen. Dabei
fließen normative Überlegungen ein (BGHSt 8, 113,
124; 43, 66, 77). Der Tatrichter hat Gelegenheit, auch darüber
neu zu befinden.
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Nack Wahl Boetticher
Schluckebier Elf |