BGH,
Urt. v. 27.10.2009 - 1 StR 343/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 343/09
vom
27. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27.
Oktober 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Freiburg vom 19. Februar 2009 aufgehoben im Ausspruch
über
a) die für die zu II. 1. bis 3. festgestellten Taten
verhängten Einzelstrafen und
b) die Gesamtstrafe.
Jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen bestehen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von
Schutzbefohlenen in 38 Fällen - davon in 37 Fällen in
Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und in einem Fall in
Tateinheit mit sexueller Nötigung -
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sowie wegen gefährlicher Körperverletzung und
Körperverletzung zu einer zweijährigen
Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die
Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten,
wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision.
Das auf die Sachrüge gestützte, vom
Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung insoweit vertretene
Rechtsmittel hat im tenorierten Umfang Erfolg.
1. Nach den Feststellungen beging der Angeklagte im Zeitraum von
März 2002 bis Juli 2004 insgesamt 38 Sexualdelikte zum
Nachteil seiner am 26. Juli 1990 geborenen Stieftochter M. :
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In 24 Fällen (II. 1. der Urteilsgründe)
berührte er unter M. s Bekleidung deren Schamlippen, ohne mit
dem Finger in die Vagina einzudringen. Dabei masturbierte er meistens,
kam häufig zum Samenerguss und ejakulierte auf den
Rücken- oder Gesäßbereich seiner wie er
selbst bekleideten Stieftochter.
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In 13 Fällen (II. 2. der Urteilsgründe) legte er sich
auf M. , die ihrerseits entweder auf dem Bauch oder auf dem
Rücken lag, wobei beide zumindest noch mit einer Unterhose
bzw. Boxershorts bekleidet waren. Sodann rieb er seinen Penis an der
Scheide oder dem Gesäß des Mädchens bis zum
Samenerguss.
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Als M. kurz nach ihrem 14. Geburtstag erstmals die Annäherung
des Angeklagten ablehnte und aufzustehen versuchte, drückte
dieser ihren Oberkörper auf das Bett, hielt sie an den
Schultern fest und führte wiederum beischlafähnliche
Bewegungen oberhalb der Kleidung bis zum Samenerguss aus, obwohl das
Mädchen sich dem widersetzte, indem es ihn „mehrfach
aufforder-
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te, sie in Ruhe zu lassen,“ und “versuchte, ihn
abzuschütteln“ (Fall II. 3. der
Urteilsgründe).
Im Januar 2007 sowie am 26. Juli 2007 beging der Angeklagte zudem die
beiden festgestellten Körperverletzungen ebenfalls zum
Nachteil seiner Stieftochter (II. 4. und 5. der Urteilsgründe).
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2. Das Landgericht hat für die tateinheitlich mit sexuellem
Missbrauch von Schutzbefohlenen begangene sexuelle Nötigung
(II. 3. der Urteilsgründe) die Einsatzstrafe von einem Jahr
Freiheitsstrafe, für die weiteren Fälle sexuellen
Missbrauchs Einzelstrafen von 24mal vier Monaten (II. 1. der
Urteilsgründe) und 13mal sieben Monaten (II. 2. der
Urteilsgründe), für die gefährliche
Körperverletzung eine achtmonatige (II. 4. der
Urteilsgründe) sowie für die
Körperverletzung eine dreimonatige Freiheitsstrafe (II. 5. der
Urteilsgründe) verhängt und daraus die
zweijährige Gesamtfreiheitsstrafe gebildet. Hinsichtlich der
38 Sexualstraftaten hat es den Strafrahmen für minder schwere
Fälle zugrunde gelegt, der im Tatzeitraum jeweils gesetzlich
vorgesehen war (§§ 176 Abs. 1, 177 Abs. 5 StGB).
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3. Die Beschwerdeführerin beanstandet insbesondere, das
Landgericht habe die Sexualdelikte zu Unrecht als minder schwere
Fälle bewertet, ferner die Einzelstrafen für die
Körperverletzungen sowie die Gesamtstrafe rechtsfehlerhaft
bemessen.
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4. Die Überprüfung des Urteils ergibt, dass die
landgerichtliche Wahl des Strafrahmens für die 38
Sexualstraftaten durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt.
Allerdings ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des
Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf Grund der Hauptverhandlung die
wesentlichen
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ent- und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten
und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nach
ständiger Rechtsprechung nur eingreifen, wenn die
Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich
anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die
verhängte Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter
Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr
innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt
(BGHSt 34, 345, 349; 29, 319, 320).
a) Vorliegend erweisen sich die Zumessungserwägungen als in
sich fehlerhaft. Zwar hat das Landgericht seiner Entscheidung, jeweils
einen minder schweren Fall zu bejahen, zu Recht eine
Gesamtwürdigung der für die Strafe bestimmenden
Umstände zugrunde gelegt. Es ist aber bezüglich der
insofern herangezogenen tatbezogenen Gesichtspunkte von unzutreffenden
Maßstäben ausgegangen, sodass die Abwägung
insgesamt den an sie zu stellenden Anforderungen nicht genügt.
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aa) Zu den unter II. 1. und 2. festgestellten 37 Taten, die
sämtlich bis 31. März 2004 begangen wurden, hat das
Landgericht ausgeführt: „Tatbezogen sprach
für einen minder schweren Fall, dass bei beiden Tatvarianten
zwar klar die Erheblichkeitsschwelle im Sinne des § 184f Nr. 1
StGB überschritten wurde, andererseits die Taten aber im
unteren Bereich des denkbaren Spektrums sexualbezogener Handlungen
anzusiedeln sind (die unbekleideten Schamlippen wurden nur von
außen gestreichelt, bei den beischlafähnlichen
Handlungen waren Angeklagter und Geschädigte
bekleidet)“ (UA S. 15, ähnlich auch auf UA S. 16 im
ersten Halbsatz des vorletzten Absatzes für alle
Sexualdelikte).
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Beide zur Begründung herangezogenen Gesichtspunkte halten
rechtlicher Prüfung nicht stand. Denn sie stehen in
Widerspruch zu Wertungen des
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Gesetzgebers, die im Übrigen mit das Gebiet der
Europäischen Union betreffenden Tendenzen
übereinstimmen (vgl. den Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates
der Europäischen Union vom 22. Dezember 2003, ABl der
Europäischen Union L 13/44 vom 20. Januar 2004). Mit Wirkung
zum 1. April 2004 ist nämlich ein Strafrahmen für
besonders schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern
in § 176 Abs. 3 StGB eingefügt worden. Dieser aber
soll ausweislich der Begründung des Entwurfes eines Gesetzes
zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer
Vorschriften der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN vom 28. Januar 2003 namentlich in Betracht kommen bei
„beischlafsähnlichen Praktiken wie so genanntem
Schenkelverkehr“ und bei „Manipulationen im
äußeren Genitalbereich, etwa am
Scheidenvorhof“ (BTDrucks. 15/350 S. 17).
Auch wenn der neu gefasste § 176 Abs. 3 StGB im relevanten
Tatzeitraum noch nicht in Kraft getreten war und vom Landgericht daher
zu Recht (§ 2 Abs. 3 StGB) nicht angewendet worden ist, so
hätte dieses doch die zugrunde liegenden gesetzgeberischen
Erwägungen in seine Abwägung einbeziehen
müssen. Dann aber lag seine Einschätzung, die vom
Angeklagten ausgeübten Praktiken seien „im unteren
Bereich des denkbaren Spektrums sexualbezogener Handlungen
anzusiedeln“, fern. Im Hinblick darauf vermag der Senat trotz
der im Urteil angeführten Milderungsgründe nicht
auszuschließen, dass das Landgericht bei den zu II. 1. und 2.
festgestellten 37 Taten die Frage eines minder schweren Falles anders
beantwortet hätte, wenn es bei den tatbezogenen Kriterien
jeweils von einem zutreffenden Maßstab ausgegangen
wäre.
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bb) Ebenso verhält es sich im Ergebnis bei der im Urteil zu
II. 3. dargestellten sexuellen Nötigung. Denn die Ansicht des
Landgerichts, insofern hätte für einen minder
schweren Fall gesprochen, „dass das Maß der vom
Angeklag-
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ten entfalteten Gewalt eher gering war“, wird - worauf der
Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - von den Feststellungen
nicht getragen. Diesen zufolge handelte es sich um eine Tat von
jedenfalls nicht ganz unerheblicher Dauer, wie sich bereits daraus
ergibt, dass M. einerseits „mehrfach“ versuchte,
sich dem Angeklagten zu widersetzen, und dieser andererseits seine
beischlafähnlichen Bewegungen bis zum Samenerguss fortsetzte.
Zu deren Begehung hatte der Angeklagte nicht nur den
Oberkörper seiner Stieftochter auf das Bett gedrückt,
sondern diese auch an den Schultern festgehalten und sie so fixiert,
obwohl M. „mehrfach …versuchte, ihn
abzuschütteln“. Angesichts dessen begegnet die
landgerichtliche Wertung, der Angeklagte habe lediglich geringe Gewalt
entfaltet, durchgreifenden Bedenken.
b) Die rechtliche Prüfung der wegen der beiden
Körperverletzungen (Fälle II. 4. und 5. der
Urteilsgründe) verhängten Freiheitsstrafen deckt
hingegen keinen durchgreifenden Mangel auf, wie dies auch der Vertreter
der Bundesanwaltschaft in der Hauptverhandlung dargelegt hat. Da es
sich um anders geartete Taten handelt, die zudem zweieinhalb bzw. drei
Jahre nach dem Ende der Sexualdelikte begangen worden sind, kann der
Senat zudem ausschließen, dass sich die dem Landgericht dort
unterlaufenen Wertungsfehler auf die Bemessung der beiden weiteren
Einzelstrafen ausgewirkt hat. Sie haben daher Bestand.
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5. Mit der Aufhebung der 38 - zumal die Einsatzstrafe umfassenden -
Einzelstrafen entfällt auch die Grundlage für die
Gesamtstrafe und für die Entscheidung des Landgerichts
über die Strafaussetzung zur Bewährung. Die zu den
aufgehobenen Strafen getroffenen Feststellungen sind von den
aufgezeigten Wertungsfehlern nicht berührt und auch sonst
rechtsfehlerfrei getroffen
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worden. Sie können daher bestehen bleiben und ggf. aufgrund
der neuen Hauptverhandlung ergänzt werden.
Nack Elf Graf
Jäger Sander |