BGH,
Urt. v. 28.1.2010 - 3 StR 533/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 533/09
vom
28. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28.
Januar 2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das
Urteil des Landgerichts Verden vom 18. Juni 2009 werden verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der
Staatskasse auferlegt; der Angeklagte trägt die Kosten seiner
Revision und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen
notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und
sechs Monaten verurteilt sowie bestimmt, dass hiervon ein Jahr wegen
einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als
vollstreckt gilt. Vom Vorwurf, dem Nebenkläger eine Halskette
gestohlen zu haben, hat es ihn freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft
beanstandet mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten eingelegten, auf die
Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten
Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, dass das
Landgericht keinen Tötungsvorsatz angenommen hat. Der
Angeklagte wendet sich mit einer nicht ausgeführten Formal-
und der allgemeinen Sachrüge gegen seine Verurteilung. Beide
Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
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Nach den Feststellungen des Landgerichts gerieten der Angeklagte und
der Nebenkläger H. in einer Diskothek in Streit. Bei der sich
anschließenden tätlichen Auseinandersetzung wurde
der Angeklagte im Gesicht verletzt und ging zu Boden. Um sich zu
revanchieren, verabredete er mit dem Zeugen I. sowie zwei weiteren
männlichen Personen, vor der Diskothek auf den
Nebenkläger zu warten und diesen zu verletzen. Als der
Nebenkläger die Diskothek verließ, schlugen der
Zeuge I. und die zwei weiteren Personen mit den Fäusten auf
ihn ein. Er wehrte sich. Während der turbulenten
Auseinandersetzung fuchtelte der Angeklagte mit einem Klappmesser vor
dem Nebenkläger herum und fügte ihm vier
Stichverletzungen zu. Er traf ihn in den oberen Rückenbereich,
den linken Oberschenkel, den rechten Oberarm sowie in die linke
Halsseite im Bereich des Übergangs von Schulter und Hals. Der
Nebenkläger fiel mehrfach zu Boden und blieb
schließlich liegen. Der Angeklagte schlug weiter auf ihn ein
und sagte zu ihm: "Leg dich niemals mit einem Albaner an, sonst wirst
du sehen, was passiert." Sodann wurde er von einer anderen Person
weggezogen und flüchtete. Die dem Nebenkläger
zugefügten Stiche verursachten keine akut
lebensgefährlichen Verletzungen.
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I. Revision der Staatsanwaltschaft
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Die Beweiswürdigung, auf welche die Überzeugung der
Strafkammer gründet, es sei lediglich ein
Körperverletzungs-, nicht aber ein - auch nur bedingter -
Tötungsvorsatz festzustellen, weist nach den
Maßstäben sachlich-rechtlicher
Überprüfung durch das Revisionsgericht (s. allgemein
BGH NJW 2005, 2322, 2326) einen durchgreifenden Rechtsfehler nicht auf.
Hierzu gilt:
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1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der
Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als
möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, ferner, dass er
ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der
Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des
bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im
Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme
bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl
das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft
und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt
werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes liegt es bei äußert
gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der
Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne
durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein
gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg
billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein
Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des
Täters auf bedingten Tötungsvorsatz
grundsätzlich möglich. Angesichts der hohen
Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer
auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der
Tötung nicht erkennt oder jedenfalls darauf vertraut haben
könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere
bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung
ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den
möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung
der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des
Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch
das - selbstständig neben dem Wissenselement stehende -
voluntative Vorsatzelement gegeben ist (st. Rspr.; s. BGH NStZ 2009, 91
m. w. N.).
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2. Den sich hieraus ergebenden Anforderungen entspricht das
angefochtene Urteil.
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a) Das Landgericht hat die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen
objektiven und subjektiven Tatumstände vorgenommen und dabei
insbesondere die objektive Gefährlichkeit der
Verletzungshandlungen, den Tathergang, die Motivationslage des
Angeklagten sowie sein Nachtatverhalten bedacht. Bei seiner Bewertung
der Beweistatsachen hat es sich nicht mit allgemeinen, formelhaften
Wendungen begnügt; vielmehr hat es seine Überzeugung,
es sei lediglich der subjektive Tatbestand des § 224 Abs. 1
Nr. 2, 5 StGB feststellbar, mit auf den konkreten Fall abgestellten
Erwägungen begründet.
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b) Die von dem Angeklagten gegenüber dem am Boden liegenden
Nebenkläger abgegebene Erklärung hat das Landgericht
rechtsfehlerfrei dahin interpretiert, der Angeklagte habe
einschüchternd, erzieherisch und belehrend auf den
Nebenkläger einwirken wollen. Hieraus hat es den -
möglichen - Schluss gezogen, die Äußerung
spreche für das Vorliegen lediglich des Vorsatzes zur
Verletzung, nicht aber zur Tötung des Nebenklägers;
denn die Warnfunktion der Erklärung habe nur dann Erfolg haben
können, wenn dieser überlebt. Dass eine andere
Interpretation ebenfalls in Betracht gekommen wäre,
gefährdet den Bestand des Urteils selbst dann nicht, wenn
diese näher gelegen hätte. Soweit die
Staatsanwaltschaft die Äußerung als "verbalisiertes
Tötungsmotiv" qualifiziert, das für die Annahme eines
bedingten Tötungsvorsatzes spreche, ersetzt sie lediglich die
tatrichterliche Bewertung durch eine eigene. Hiermit kann sie im
Revisionsverfahren nicht mit Erfolg gehört werden.
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c) Es ist weiter nicht zu besorgen, das Landgericht habe bei der
Würdigung der Bemerkung verkannt, dass zur Beurteilung der
Frage des Vorsatzes der Tatzeitpunkt maßgebend ist; denn die
Strafkammer hat im Rahmen der Beweiswürdigung
ausdrücklich sowohl den Zeitpunkt, in dem der Angeklagte dem
Nebenkläger die Messerstiche beibrachte, als auch denjenigen
in den Blick
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genommen, in dem der Angeklagte den am Boden liegenden
Nebenkläger verließ und flüchtete.
d) Das Landgericht war entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft
auch nicht gehalten, in die Erwägungen zum
Tötungsvorsatz ausdrücklich einzustellen, dass der
Angeklagte durch eine weitere Person von dem Nebenkläger
weggezogen wurde; denn zu diesem Zeitpunkt hatte er den potentiell
tödlichen Angriff mit dem Messer bereits beendet ohne erkannt
zu haben, dass er den Nebenkläger tödlich verletzt
haben könnte, und schlug "nur noch" mit den Händen
auf ihn ein.
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e) Die Hinweise der Strafkammer, aus bestimmten Umständen
könnten "nicht zwingend" bestimmte Schlüsse auf den
Tötungsvorsatz gezogen werden, begründen hier nicht
die Besorgnis, das Tatgericht habe zu hohe Anforderungen an seine
für eine Verurteilung notwendige Überzeugung
gestellt. Zwar müssen die vom Tatrichter gezogenen
Schlüsse nicht "zwingend" sein; die Feststellung von Tatsachen
verlangt keine absolute, von niemandem anzweifelbare Gewissheit (st.
Rspr.; s. etwa BGH, Urt. vom 21. Dezember 2006 - 3 StR 427/06 m. w.
N.). Jedoch hat das Landgericht zu Beginn seiner
Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz
ausgeführt, die Feststellungen genügten nicht, den
"für eine Verurteilung erforderlichen sicheren -
vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietenden - Schluss" zu
ziehen, der Angeklagte habe mit zumindest bedingtem
Tötungsvorsatz gehandelt. Damit hat die Strafkammer
zunächst deutlich gemacht, dass sie für die
Überzeugungsbildung ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes
Maß an Sicherheit als genügend ansieht, das
vernünftige, nicht bloß auf denktheoretische
Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht aufkommen
lässt; sodann hat sie die einzelnen relevanten
Umstände einer näheren Betrachtung unterzogen. Der
Senat schließt vor diesem Hintergrund trotz der - allerdings
für sich betrachtet rechtlich bedenklichen - späteren
Formulie-
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rungen aus, dass der Strafkammer bei der konkreten Bewertung der
einzelnen Beweistatsachen der zuvor zutreffend angegebene
Maßstab aus dem Blick geraten sein könnte.
II. Revision des Angeklagten
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Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO. Die Rüge der Verletzung formellen
Rechts ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig
(§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Überprüfung
des Urteils aufgrund der allgemein erhobenen Sachrüge hat
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
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Becker von Lienen Hubert
Schäfer Mayer |