BGH,
Urt. v. 28.6.2000 - 3 StR 156/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 156/00
vom
28. Juni 2000
in der Strafsache gegen
wegen Vollrausches
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28.
Juni 2000, an der teilgenommen haben: Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende, die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler, Pfister, von Lienen, Becker als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 6. Oktober 1999 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil
im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen
Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Mit seiner
Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und
materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer auf
den Strafausspruch beschränkten Revision die Verletzung
sachlichen Rechts. Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge
Erfolg. Auf die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen
kommt es daher nicht an.
I. Nach den Feststellungen hatte zwischen dem Angeklagten und der
Zeugin M. - einer Arbeitskollegin - eine Liebesbeziehung bestanden.
Nachdem sich die Zeugin in einen anderen Mann verliebt hatte, beendete
sie das Verhältnis mit dem Angeklagten. In den folgenden
Wochen versuchte der damals fast ständig unter
Alkoholeinfluß stehende Angeklagte bei vielen
Gesprächen, die Frau zu einer Fortsetzung der Beziehung zu
überreden.
Am Tag vor der Tat kaufte der Angeklagte in der Gegend des
Düsseldorfer Hauptbahnhofs von einer unbekannten Person eine
Pistole 6,35 mm Browning mit einer Schachtel Munition. In der folgenden
Nacht schlief der Angeklagte nicht, sondern trank erhebliche Mengen
Alkohol. Er sprach immer wieder auf den Anrufbeantworter der Zeugin,
wobei er ihr seine Liebe gestand sowie seine Verzweiflung
äußerte. Am frühen Morgen ließ er
sich zu seiner Arbeitsstelle fahren, an der er seinen Alkoholkonsum
fortsetzte. In der Folgezeit warf der Angeklagte bei einem
Gespräch der Zeugin vor, sie zerstöre die gemeinsame
Zukunft. Kurze Zeit später betrat der Angeklagte wortlos deren
Büro und gab aus einer Entfernung von ca. 1,5 bis 2 m zwei
Schüsse aus seiner Pistole auf sie ab, die sie im Brustbereich
trafen und zu lebensgefährlichen Verletzungen
führten. Nach den Schüssen rannte die
Geschädigte schreiend aus dem Büro. Der apathisch
wirkende Angeklagte, dessen Steuerungsfähigkeit wegen einer
maximalen Blutalkoholkonzentration von ca. 3,8 %o
möglicherweise aufgehoben war, ließ sich
widerstandslos entwaffnen und festnehmen.
II. Revision des Angeklagten
Der Angeklagte beanstandet mit der Sachrüge die Feststellung
der Strafkammer, er habe sich vorsätzlich in einen Vollrausch
versetzt und in diesem Zustand einen versuchten Totschlag begangen.
1. Die Begründung, mit der das Landgericht einen
vorsätzlichen Vollrausch bejaht hat, hält rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
Die Strafkammer hat die Verurteilung wegen vorsätzlichen
Vollrausches damit begründet, der alkoholgewöhnte
Angeklagte habe mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt, da er damit
gerechnet haben müsse, daß vor allem der weitere
erhebliche Alkoholkonsum am Morgen des Tattages zum Verlust seiner
Kontroll- und Steuerungsfähigkeit führen
würde (vgl. UA S. 28).
Die Wertung des Tatrichters, der Angeklagte habe sich zumindest bedingt
vorsätzlich in den schweren Rauschzustand versetzt, findet in
den Urteilsfeststellungen keine ausreichende Stütze. Die
Formulierung, mit der das Landgericht den bedingten Vorsatz bejaht,
belegt lediglich Fahrlässigkeit. Bedingt vorsätzlich
im Sinne des § 323 a StGB handelt, wer es bei dem
Genuß von Rauschmitteln für möglich
hält und billigend in Kauf nimmt, daß er sich
dadurch in einen Rauschzustand versetzt, der seine
Einsichtsfähigkeit oder sein Hemmungsvermögen
jedenfalls erheblich vermindert, wenn nicht ganz ausschließt
(vgl. BGHR StGB § 323 a I Vorsatz 2; Cramer in
Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 323 a
Rdn. 10 m.w.Nachw.). Zu den Vorstellungen des alkoholgewöhnten
Angeklagten über die Auswirkungen seines Alkoholkonsums
läßt sich dem Urteil auch unter
Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der
Urteilsgründe nichts entnehmen. In ihnen wird die Abgrenzung
des bedingten Vorsatzes von der Fahrlässigkeit nicht
erörtert. Auch legt das Landgericht nicht dar, auf welche
Umstände es seine Überzeugung stützt, der
Angeklagte habe bedingt vorsätzlich gehandelt.
In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, daß es
für die Abgrenzung des bedingt vorsätzlichen von dem
fahrlässigen Sichberauschen darauf ankommen kann, in welchem
Zustand sich der Angeklagte befand, als er damit begann, an seiner
Arbeitsstelle noch 0,6 bis 0,8 Liter Korn zu konsumieren (UA S. 18),
insbesondere wie hoch zu diesem Zeitpunkt seine maximale
Blutalkoholkonzentration war.
2. Im übrigen weist der Senat für die neue
Hauptverhandlung noch auf folgendes hin:
In dem angefochtenen Urteil ist die vom Angeklagten im Rausch begangene
Tat nicht fehlerfrei behandelt worden. Angesichts der erheblichen
Alkoholisierung versteht sich der natürliche
Tötungsvorsatz nicht von selbst (vgl. Cramer aaO, §
323 a Rdn. 17 m.w.Nachw.; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl.
§ 323 a Rdn. 13 ).
Weiterhin drängen die bisher getroffenen Feststellungen nach
einer Erörterung des Rücktritts von dem im Rausch
begangenen versuchten Totschlag. Denn nach diesen Feststellungen ist es
nicht ausgeschlossen, daß der Angeklagte, der die Pistole
schußbereit "aufmunitioniert" mit sich führte,
freiwillig davon Abstand genommen hat, weiter auf die
Geschädigte zu schießen. Auch wenn bei einem
Vollrausch dem Täter die Herbeiführung des Rausches
und nicht die im rauschbedingten Zustand begangene rechtswidrige Tat
zum Vorwurf gemacht wird, so sind dennoch die Bestimmungen
über den strafbefreienden Rücktritt analog
anzuwenden, wenn der mit natürlichem Vorsatz handelnde
Täter vom Versuch der Rauschtat freiwillig
zurücktritt (BGHR StGB § 323 a I Rücktritt
1; BGH NStZ 1994, 131 mit Anm. Kusch). In dem angefochtenen Urteil
fehlen Ausführungen zu der für die Prüfung
eines strafbefreienden Rücktritts entscheidenden Frage, welche
Vorstellungen sich der Angeklagte unmittelbar nach den
Schüssen von den Verletzungen des Opfers gemacht hat,
insbesondere, ob er zu diesem Zeitpunkt von deren tödlicher
Wirkung ausgegangen ist ("Rücktrittshorizont" vgl. BGHSt 31,
170, 175; 35, 90, 93; BGHR StGB § 24 I Satz 1 Versuch,
unbeendeter 16, 17 und 31).
Falls ein strafbefreiender Rücktritt von dem im Rausch
begangenen versuchten Totschlag vorliegen sollte, käme als
Rauschtat eine gefährliche Körperverletzung in
Betracht (§ 223 a Abs. 1 StGB a.F.). Dies ist für die
Strafzumessung von Bedeutung. Zwar darf die im Rausch begangene Tat als
solche dem Angeklagten nicht vorgeworfen werden, weil er insoweit ohne
Schuld gehandelt hat; jedoch dürfen die tatbezogenen Merkmale
der Rauschtat, wie Art, Umfang, Schwere und Gefährlichkeit
oder Folgen dieser Tat bei der Strafzumessung Berücksichtigung
finden (BGH NStZ 1993, 32, 33).
Im übrigen ist in Fällen wie hier, in denen die
Schuldunfähigkeit des Täters nach dem Zweifelssatz
lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, dieser also
möglicherweise nur erheblich vermindert schuldfähig
war, § 323 a Abs. 2 StGB zu beachten, so daß bei
einer gefährlichen Körperverletzung als Rauschtat
gemäß § 223 a StGB a.F.,
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB eine Herabsetzung des
Strafrahmens auf drei Jahre und neun Monaten Freiheitsstrafe in
Betracht kommt (BGH NJW 1992, 1519, 1520; Cramer aaO, § 323 a
Rdn. 28 m.w.Nachw.).
III. Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat zum Strafausspruch Erfolg.
Gegen den Strafausspruch bestehen schon deshalb durchgreifende
rechtliche Bedenken, weil die Strafkammer den Umstand, daß
der Angeklagte einen Tag vor der Tat unerlaubt die Tatwaffe erworben
und dadurch eine Straftat nach § 53 Abs. 1 Nr. 3a. a) WaffG
begangen hatte, weder bei der Strafzumessung noch bei der
Prognoseentscheidung im Rahmen des § 56 Abs. 1 StGB erkennbar
berücksichtigt hat. Das Waffendelikt wurde auf Grund des
Geständnisses des Angeklagten vom Landgericht festgestellt.
Dessen vorläufige Einstellung durch die Staatsanwaltschaft
gemäß § 154 a StPO steht seiner
Berücksichtigung bei der Strafzumessung nach einem
gerichtlichen Hinweis entsprechend § 265 Abs. 4 StPO nicht
entgegen (vgl. BGH NStZ 1983, 20, 21;
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 154 a
Rdn. 2).
Insbesondere für die Prüfung der Sozialprognose des
Angeklagten ist das Waffendelikt von Bedeutung. Denn entgegen den
Ausführungen der Strafkammer liegt die letzte Straftat nicht
schon mehrere Jahre zurück, der Angeklagte machte sich
vielmehr nur einen Tag vor dem hier abgeurteilten Tatgeschehen und
unabhängig von dem, dem Vollrausch zugrundeliegenden Geschehen
strafbar. Die Staatsanwaltschaft beanstandet in diesem Zusammenhang
zudem zu Recht, daß sich das Landgericht lediglich mit der
Gefahr der Wiederholung von Gewaltdelikten auseinandergesetzt hat,
während § 56 Abs. 1 StGB die Erwartung voraussetzt,
der Verurteilte werde künftig insgesamt keine Straftaten, also
auch keine solche außerhalb der Gewaltkriminalität,
mehr begehen.
Rissing-van Saan Winkler Pfister von Lienen Becker |