BGH,
Urt. v. 28.10.2004 - 4 StR 59/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 59/04
vom
28. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesger ichtshofs
hat in der Sitzung vom 28. Oktober
2004, an der teilgenommen haben:
Vor sitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr . Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr . Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der
Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Die Revisionen der
Staatsanwaltschaft und des Ange-
klagten gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom
13. Oktober 2003 werden verworfen.
2. Die Staatskasse trägt
die Kosten des Rechtsmittels
der
Staatsanwaltschaft und die dem
Angeklagten hierdurch
entstandenen notwendigen Auslagen.
Der Angeklagte
trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat
den Angeklagten unter
Freisprechung im übrigen
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln (Khat) in
zwei Fällen und wegen
unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln (Khat) in
zwei Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem
Jahr und drei Monaten
verurteilt, der en Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt
hat. Ferner hat es
die Einziehung des sichergestellten Khat (239,3 kg) angeordnet. Gegen
dieses
Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft
und der Angeklagte mit ihren
Revi-
sionen, mit denen sie jeweils die
Verletzung formellen und materiellen Rechts
rügen. Die Staatsanwaltschaft
wendet sich mit ihrem
Rechtsmittel gegen den
auf die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (§ 17 Satz
1 StGB) ge-
stützten Freispruch vom Vorwurf
der unerlaubten Einfuhr von
Betäubungsmit-
teln (Khat) im Fall II.
1 der Urteilsgr ünde
und erstrebt ferner die Ver
urteilung
des Angeklagten wegen mittäter schaftlich begangener
unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs.
1 Nr. 4 BtMG) bzw. we-
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gen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge als
Mitglied einer Bande ( § 30 a Abs. 1 BtMG) in den
Fällen II. 4 und 5 der Urteils-
gründe. Der Angeklagte greift mit seiner Revision im
wesentlichen die Beweis-
würdigung an. Beide Rechtsmittel bleiben entsprechend dem
Antrag des Gene-
ralbundesanwalts ohne Erfolg.
I.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Der Angeklagte stammt ebenso wie der in Arnheim (Niederlande) wohn-
hafte Abdi Ahmed
N. aus Somalia.
Ihm war bekannt, daß
N. in
größerem
Umfang mit dem Betäubungsmittel Khat Handel trieb. Bei Khat
handelt es sich
um eine vorwiegend in Ostafrika angebaute Pflanze,
deren Blätter und frische
Tr iebe den Wirkstoff Cathinon enthalten, dessen Wirkungsweise, wenn
auch in
erheblich geringerer Stärke, der von Amphetaminen entspricht.
Der Angeklagte
konsumierte selbst Khat und erwarb dieses des öfteren bei
N. und führte auch
kleinere Mengen für seinen Eigenbedarf nach Deutschland ein.
Am Abend des 14. Januar 2003
führte der Angeklagte als Beifahrer mit
einem Mietwagen zwölf Bündel Khat mit einem
Gesamtgewicht von 1,55 kg von
den Niederlanden in die
Bundesrepublik Deutschland ein,
wo es im Rahmen
einer Polizeikontr olle in
Gronau sichergestellt wurde.
Das Khat hatte einen
Wirkstoffgehalt von "deutlich unter 0,1 g
Cathinon". Das Landger icht hat inso-
weit nicht auszuschließen
vermocht, daß dem
Angeklagten bis dahin unbe-
kannt war, daß der Umgang mit Khat - anders als u.a. in den
Niederlanden - in
der Bundesrepublik strafbar
ist, und hat ihn deshalb
freigesprochen (Fall II. 1
- 5 -
der Urteilsgründe).
Trotz der Polizeikontrolle und
Sicherstellung des Stoffes
führte der Angeklagte am 25. Februar und in der Nacht zum 21.
März 2003 wei-
tere Khatmengen (497 g bzw. 800
g) mit einem Wirkstoffgehalt von wiederum
jeweils deutlich unter 0,1 g
Cathinon „zum
Eigenkonsum“ nach Deutschland
ein. In beiden Fällen wurde das Khat wieder sichergestellt
(Fälle II. 2 und 3 der
Urteilsgründe).
Am 20. März 2003 mietete der Angeklagte in Rheine in
Anwesenheit von
N. bei der
Niederlassung von Europcar einen
VW-Transporter Sharan für zu-
nächst eine Woche. Das
Fahrzeug sollte für
den sack- oder kartonweisen
Tr anspor t von Khat-Pflanzen von Arnheim nach Hamburg benutzt werden.
Die
fällige Vorauszahlung auf
den Mietzins in Höhe
von 250 Euro entrichtete der
Angeklagte in bar. Noch
am selben Tag fuhr
der Zeuge Rene
L. mit dem
Fahrzeug nach Arnheim, wo
es mit mindestens 100 kg
Khat-Pflanzen (mit ei-
nem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt
von 0,006 %, mithin mindestens
6 g
Cathinon) beladen wurde, die
L. nach
Anweisung von N. nach
Hamburg
brachte. L.
war zuvor - von wem,
konnte nicht festgestellt
werden - für die
Durchführung wiederholter gleicher
Transporte angeworben worden. Auch der
Angeklagte nahm beim Anmieten des Fahrzeugs zumindest in Kauf,
daß diese
Tr anspor tfahrten täglich
stattfinden und auf
Gewinnerzielung gerichteten
Rauschgiftgeschäften des
N. dienen sollten.
Tatsächlich führte
L. bis zum
1. April 2003 mit dem VW Sharan
insgesamt neun gleichartige Transportfahr-
ten von Arnheim nach Hambur
g mit jeweils mindestens
ca. 100 kg Khat-
Pflanzen durch. Für eine
weitere Transportfahrt am 31. März 2003
konnte der
Fahrer nicht festgestellt werden (Fall II. 4 der
Urteilsgründe).
- 6 -
Schließlich mietete
der Angeklagte am 7.
April 2003 bei der Europcar
Niederlassung in Rheine telefonisch zwei Fahrzeuge, und zwar einen Pkw
Audi
A 3 und wieder um einen
VW Sharan. Letzteren wollte
er für die Khat-
Tr anspor te des N. zur Verfügung stellen. Am Morgen
des 8. April 2003 suchte
der Angeklagte mit
dem Zeugen S.
-A. die
Europcar-Niederlassung auf,
konnte aber nur den für
ihn selbst bestimmten Pkw Audi
A 3 in Empfang neh-
men, weil der VW
Sharan noch nicht zur
Verfügung stand. Auf Veranlassung
des Angeklagten schloß sodann der Zeuge
S. -A. den
Mietvertrag über den
VW Sharan und ließ
dabei den Zeugen
L. als
weiteren Fahrer eintragen.
Nachdem dann das Fahrzeug zur Verfügung stand, holte
es eine weitere Per-
son, der Zeuge
F.
, am Nachmittag ab.
Sodann fuhr
L.
mit dem Fahr-
zeug nach Arnheim. Dort
wurde es mit 239,3 kg
Khat-Pflanzen mit einem
"Cathinon-Gehalt in der Größenordnung von
14,3 g" beladen. Bevor L. Ham-
bur g erreichen konnte, wurde
das Fahrzeug angehalten und der
Stoff sicher-
gestellt (Fall II. 5 der Ur teilsgründe).
2. Das Landgericht hat
den Angeklagten im Fall II.
1 der Urteilsgründe
wegen unvermeidbaren Verbotsirrtums freigesprochen, die Fälle
II. 2 und 3 der
Urteilsgründe als unerlaubte Einfuhr
von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs.
1 Nr. 1
BtMG) und die Fälle II. 4 und 5 der Urteilsgründe
jeweils als Beihilfe zum uner-
laubten Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln (§§ 29
Abs. 1 Nr. 1 BtMG, 27
StGB) gewertet. Die Annahme "nicht geringer Mengen" in diesen
Fällen (§§ 29
a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs.
1 Nr. 4 BtMG) hat es
verneint, da die durchgeführ ten
Tr anspor tfahrten "aus der Sicht des Haupttäters
jeweils Einzeltaten darstellen"
und deshalb "auf die
pro Fahrt transportierte Menge
abzustellen, d.h. die
Tr anspor tmengen ... nicht
für den gesamten
Mietzeitraum zusammenzurech-
nen" sei. Gestützt auf den gehörten
Sachverständigen Dr. B. vom
Institut für
- 7 -
Rechtsmedizin der Universität Münster , hat das
Landgericht den Grenzwert für
die "nicht ger inge Menge" bei Khat erst ab einem festgestellten
Wirkstoffgehalt
von 50 g Cathinon angenommen. Eine bandenmäßige
Betätigung in den Fällen
II. 4 und 5 hat das Landgericht verneint, weil es eine "auf
eine gewisse Dauer"
angelegte Verbindung von N. ,
dem Angeklagten und dem
Zeugen L. nicht
festzustellen ver mochte; jedenfalls
bei letzterem könne
nicht ausgeschlossen
werden, daß er sich von vornherein nur
für einen kurzen Zeitraum zur Dur ch-
führung der Transportfahrten bereit erklär t hatte.
II. Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die Rüge fehlerhafter
Behandlung des die Aussage des Zeugen
L.
betreffenden Hilfsbeweisantrages ist
unbegründet. Das Landgericht
ist hin-
sichtlich des Zustandekommens
des Protokolls der
polizeilichen Vernehmung
dieses Zeugen von keinen ander en als
den hilfsweise unter Beweis gestellten
Umständen ausgegangen. Daß die
Str afkammer daraus nicht den für
den An-
geklagten nachteiligen Schluß gezogen hat, vermag der
Rüge nicht zum Erfolg
zu verhelfen.
2. Die Überprüfung des Urteils
aufgrund der Revisionsrechtfertigung er-
gibt auch auf die Sachrüge keinen durchgreifenden
Rechtsfehler zum Nachteil
- oder, was der Senat
gemäß § 301 StPO zu
beachten hat, zu Gunsten - des
Angeklagten, wie der Gener
albundesanwalt in seiner
Zuschrift an den Senat
vom 11. März 2003 zutreffend
näher ausgeführt hat. Die
Strafkammer hat ins-
besondere rechtsfehlerfrei dargelegt,
daß dem Angeklagten weder eine
mittä-
terschaftliche Beteiligung an den Khat-Geschäften des
N. (Fälle II. 4 und 5 der
Urteilsgründe) noch eine
bandenmäßige Begehung
nachgewiesen werden
- 8 -
kann. Was die Beschwerdeführerin insoweit
vorträgt, erschöpft sich in dem
im
Revisionsverfahren unzulässigen Versuch, die tatrichterliche
Beweiswürdigung
dur ch eine eigene Wertung zu ersetzen; sie geht zudem von
Umständen aus,
die so im angefochtenen Urteil nicht festgestellt sind.
3. Näherer Erörterung bedarf nur folgendes:
(1) Zum Grenzwert der "nicht geringen Menge" bei Khat
Abweichend von der Auffassung
des Landger ichts setzt der
Senat bei
Khat-Pflanzen den Grenzwert der nicht geringen Menge
im Sinne von §§ 29 a
Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4, 30 a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 BtMG auf 30
g des
Wirkstoffs Cathinon fest. Dies stellt den Schuldspruch hier jedoch
nicht in Fr a-
ge.
a) Cathinon [chemische
Bezeichnung: (S)-2-Amino-1-phenylpr opan- 1-
on] ist der Hauptwirkstoff der Khat-Pflanze, ein weiterer Wirkstoff ist
das Cathin
[chemische Bezeichnung: (1S,2S)-2-Amino-1- phenylpropan-1-ol]. Aufgrund
der
2. BtMÄndVO vom 23. Juli
1986 (BGBl I 1099) zu
Anlage I zum BtMG wurde
der Wirkstoff Cathinon
den betäubungsmittelrechtlichen
Vorschriften unter-
stellt; gleiches gilt aufgrund der
3. BtMÄndVO vom 28.
Februar 1991 (BGBl I
712) zu Anlage III
Teil B des BtMG für das
Cathin (vgl. Körner BtMG 5. Aufl.
Anhang C 1 Rdn. 314).
Seit Inkrafttreten der 10.
BtMÄndV vom 20. Januar
1998 (BGBl I 74) unter
stehen in der Bundesrepublik
Deutschland auch die
Pflanzen und die
Blätter des Khat-Strauches
den Bestimmungen des Betäu-
bungsmittelgesetzes, wenn ein
Mißbrauch zu Rauschzwecken
vorgesehen ist
(vgl. dazu Weber BtMG 2. Aufl. § 1 Rdn. 151 ff.). Zur Wirkung
und zur Gefähr-
- 9 -
lichkeit von Cathinon sowie zur Konsumform von Khat hat der Senat
Gutachten
des Leiters des Instituts
für forensische Toxikologie
der Universität Frankfurt,
Prof. Dr. Dr. K. , sowie des
Bundeskriminalamts eingeholt. Danach ergibt sich
unter Heranziehung weiterer Literatur (Endriß/Logemann StV
2000, 625 ff.; Ka-
lix DAZ [Deutsche Apotheker
Zeitung] 1988, 2150 ff.;
Pallenbach DAZ 1996,
3399 ff.) folgendes:
b) Khat (botanischer Name
catha edulis) ist ein Str
auchgewächs, das
ursprünglich aus Äthiopien stammt und sich von dort
bis Südafrika sowie in den
arabischen Raum verbreitet hat. Die Blätter des
Strauchs enthalten als natürli-
che Alkaloide (sog. Kathamine)
die das Zentralnervensystem anregenden
Wirkstoffe Cathinon und Cathin. Dabei ist Cathinon in seinen
pharmakologisch-
toxikologischen Eigenschaften am ehesten mit dem
Amphetamin ver gleichbar.
Cathinon übt - dem Amphetamin
ähnlich - überwiegend
zentrale, das Nerven-
system beeinflussende, jedoch auch peripher e, auf
Herz- und Kreislaufsystem
ger ichtete Wirkungen aus. Objektiv manifestier t sich die Wirkung
allgemein als
Zustand leichter Euphorie, die
dur ch Rededrang und
Hyperaktivität gekenn-
zeichnet ist. Dieser Erregungsphase schließt sich nach zwei
Stunden eine Pha-
se abgeklärter,
selbstzufriedener Gelassenheit an.
Die abschließende Phase
ist durch aufkommende
Geistesabwesenheit, Niedergeschlagenheit
und De-
pression gekennzeichnet. Nach
wiederholtem Khat-Konsum entwickelt sich
rasch eine psychische Abhängigkeit. Intensiver Dauergebrauch
führt in körper-
licher Hinsicht häufig zu
Entzündungen der Mundschleimhaut
und der Speise-
röhre mit nachfolgenden
Sekundärerscheinungen sowie zur
Stör ung des Bio-
rhythmus. Auch kann es dadurch bis zum Zerfall der
Persönlichkeit kommen. In
islamischen Kulturen, vor allem
in Ostafrika und im
arabischen Raum, wird
Khat traditionell als Teil
des religiösen und
gesellschaftlichen Lebens konsu-
- 10 -
miert. Der Konsum, der die
Kommunikationsfähigkeit steigern und die Phanta-
sie und Vorstellungskraft anregen soll, findet
regelmäßig im Rahmen sog. Khat-
Sitzungen in Gruppen statt. Im Lauf einer Sitzung,
die drei bis sechs Stunden
und länger dauern kann, werden pro Person 1 bis 2
Khat-Bündel (ca. 100 bis
200 g Blattmasse) verbraucht.
Dabei werden entweder die
jungen Blätter der
Pflanze abgezupft oder bei jungen Schossen die Rinde oder die
ganzen Trieb-
spitzen abgestreift, in den Mund geschoben und kurz angekaut; das
angekaute
Drogenmaterial wird gut
eingespeichelt und für
die weitere Extraktion in eine
Backentasche geschoben (für
den Khatkonsum typische
„Hamsterbacke“ ). In
den traditionellen Konsumländer n wird Khat fast
ausschließlich als Frischdroge
konsumiert; eine Bevorratung erfolgt daher grundsätzlich
nicht.
Der Wir kstoffgehalt der
Khat-Blätter schwankt je nach Herkunft, Anbau-
gebiet und Qualität
erheblich. Hinzukommt die
chemische Instabilität des
Cathinon, das durch enzymatische Reduktion beim Welken,
Trocknen, Lagern
oder unsachgemäßes
Verarbeiten innerhalb weniger
Tage fast vollständig zu
dem etwa achtmal schwächeren Cathin bzw. Ephedrin
umgewandelt wird. Dies
erweist sich auch im
vorliegenden Fall, in dem
ein Wirkstoffanteil von dur ch-
schnittlich nur noch 0,006
Gewichtsprozent gemessen wurde,
und zwar trotz
des den Abbauprozeß hemmenden
Tieffrierens der sichergestellten
Blattmen-
gen im untersuchenden Institut.
Auf der deutschen Dr ogenszene spielt Khat bisher keine Rolle. Vielmehr
dür fte der
Khat-Konsum in Deutschland -
wie der vor liegende Fall
bestätigt -
auf diejenigen hier lebenden
ethnischen Gr uppen beschränkt
sein, die auf-
grund der kulturellen Tradition ihrer
Herkunftsländer dem beschriebenen Ritual
des Khat-Kauens verhaftet sind.
- 11 -
c) Ausgehend von diesen, von beiden Gutachtern übereinstimmend
dar-
gelegten sowohl chemischtoxikologischen
als auch die sozialen
und ethni-
schen Rahmenbedingungen des
Khat-Konsums betreffenden
Umständen, er-
scheint es dem Senat
gerechtfertigt, bei Khat-Produkten
den Grenzwert der
„nicht geringen Menge“ im Sinne des
Betäubungsmittelstr afrechts im Vergleich
zu dem pharmakologischtoxikologisch
ähnlichen Amphetamin zu
bestimmen
und ihn auf das Dreifache der vom Bundesgerichtshof
für Amphetamin festge-
setzten Grenzmenge von 10 g Amphetamin- Base ( BGHSt 33,
169), und damit
auf 30 g des Khat-Alkaloids Cathinon festzusetzen.
aa) Wie der Bundesger ichtshof in seiner Entscheidung BGHSt 42, 1
nä-
her ausgeführt hat,
kann die "nicht geringe
Menge" eines Betäubungsmittels
wegen der in illegalen
Betäubungsmitteln sehr unterschiedlichen
Wirkstoffge-
halte grundsätzlich nicht
anders festgesetzt werden als
durch ein Vielfaches
des zum Err eichen eines Rauschzustandes erforderlichen jeweiligen Wir
kstoffs
(Konsumeinheit). Dabei müssen
die Grenzwerte für die
verschiedenen Betäu-
bungsmittel gerade wegen ihrer qualitativ unterschiedlichen
Wirkung aufeinan-
der abgestimmt sein (BGHSt 42, 1, 10). Ausschlaggebend ist
deshalb zunächst
die pharmakodynamische Wirkung
von Cathinon im
Verhältnis namentlich zu
Amphetamin. Insoweit entnimmt
der Senat dem Gutachten von
Prof. Dr . Dr. K. ,
daß für eine
„adäquate Dosis“ zur
Erzielung einer stofftypi-
schen Rauschwirkung bei Amphetamin 20 bis 50 mg (vgl. auch BGHSt 33,
169,
170), dagegen bei Cathinon als reinem Wirkstoff 40 bis 80 mg
erforderlich sind.
Davon ausgehend, stehen
Amphetamin und Cathinon
hinsichtlich ihrer Wir-
kung grob gerechnet im Verhältnis 1:2. Legt man den von der
Rechtsprechung
für Amphetamin mit 10
g Base festgelegten Grenzwert
der „nicht ger ingen
- 12 -
Menge“ zugrunde, so wäre der
Grenzwert für Cathinon auf das Doppelte, mit-
hin auf 20 g des Wir kstoffs festzulegen.
Zu keinem wesentlich
abweichenden rechnerischen Ergebnis
(nämlich
20 g Wirkstoff) gelangt man mit den Angaben im
Gutachten des Bundeskrimi-
nalamts, wenn für die
Festlegung der "nicht geringen
Menge" nicht auf das
pharmakodynamische Wirkungsverhältnis
von Cathinon zu Amphetamin, son-
der n auf Konsumgewohnheiten abgestellt wird. Nach dem Gutachten des
Bun-
deskr iminalamts enthalten die pro Khat-Sitzung von einer Person ver
brauchten
100 bis 200 g Dr ogenmaterial eine Gesamtphenylpropanmenge von 50 bis
120
mg, wobei das Verhältnis der
Anteile von Cathinon und dem weiteren Alkaloid
Cathin eine erhebliche
Spannbreite ausweist. Ausgehend
von dem bei der
Festlegung des Grenzwertes der
nicht geringen Menge bei
Amphetamin zu-
grundegelegten 200 Konsumeinheiten (vgl. BGHSt 33, 169; 35, 43, 48;
anders,
nämlich 250 Konsumeinheiten,
BGHSt 42, 255, 267
betr. MDE-Base; Weber
aaO. § 29 a Rdn.
104 m.N.), würde sich
bei derselben Anzahl von Khat-
Sitzungen eine Gesamtwirkstoffmenge von 200 x [unter Zugrundelegung
eines
nur theoretisch zu diskutierenden 100-prozentigen Anteils von
Cathinon an der
Gesamtphenylpropanmenge] maximal 120 mg = 24 g als Grenze der
nicht ge-
ringen Menge ergeben.
bb) Den Grenzwert der
nicht geringen Menge auf 20
oder maximal auf
24 g des Wir kstoffs Cathinon
festzulegen, würde aber den beschriebenen Be-
sonderheiten des Konsums von Khat noch nicht genügend Rechnung
tragen.
Cathinon ist - anders
als Amphetamin und seine
Derivate - in der
Rauschgiftszene nicht als
reiner Wirkstoff, sondern nur
als Inhaltsstoff der
- 13 -
Pflanzenteile des Khat ver fügbar. Aufgr
und des durch mehrstündiges, intensi-
ves Kauen gekennzeichneten
Khatkonsums läßt sich
dieser von vornherein
nicht mit dem Konsum der sonstigen genannten, in konzentrierter Form
verfüg-
bar en Rauschmittel vergleichen.
Schon deshalb besteht weder
die Gefahr,
Khat könne, wie etwa Amphetamin oder
Ecstasy, eine Droge der Wahl für jun-
ge Discothekenbesucher werden,
noch ist zu besorgen,
Khatkonsum könne
eine Einstiegsfunktion für härtere Drogen haben (vgl.
BGHSt 33, 8, 13; BGHSt
42, 1, 6 f.). Zudem
ist zu berücksichtigen,
daß durch den gestreckten Verlauf
einer Khat-Sitzung der
Wirkstoff nur langsam
extrahiert und zeitverzögert r e-
sorbiert wird; einer Dosiser
höhung sind schon
aufgrund des Drogenmaterials
enge Grenzen gesetzt; damit ist auch die Gefahr
einer Überdosierung weitge-
hend ausgeschlossen. Hinzukommt, daß die Wirkungsdauer
infolge schneller er
Metabolisier ung im Körper allgemein kürzer als bei
den übrigen, in konzentr ier-
ter Form verfügbaren
Betäubungsmitteln ist. Angesichts dieser
Umstände, ins-
besondere der aufgezeigten Beschaffenheit, Wirkungsweise und
der besonde-
ren Verbrauchergewohnheiten bei Khat im Vergleich mit Amphetamin
erscheint
es sachgerecht festzulegen,
daß bei Khat-Pflanzen
erst 30 g des Khat-
Alkaloids Cathinon das Merkmal der "nicht geringen Menge"
erfüllen.
Eine einigermaßen sichere
Einschätzung der zur
Erreichung dieses
Grenzwerts von 30 g
Cathinon notwendigen Khat-Bruttomenge
ist kaum mög-
lich. Geht man etwa
mit dem Gutachten des
Bundeskriminalamts davon aus,
daß junge, bereits
blattragende Triebe mit 0,01
bis 0,3 Gewichtsprozent den
höchsten Gehalt an Cathinon enthalten, so werden für
30 g Cathinon zwischen
10 kg und 300 kg Blattmasse benötigt.
- 14 -
cc) Bei der
zwangsläufig "dezisionistischen"
(vgl. BGHSt 42, 1, 11)
Grenzwertfestlegung auf 30 g Cathinon
folgt der Senat im
Ergebnis der Emp-
fehlung des Sachverständigen
Prof. Dr. Dr.
K. . Eine
Grenzwertfestlegung
auf mehr als das Dreifache des für
Amphetamin bestimmten Wertes erscheint
ungeachtet der deutlich
- nach Einschätzung
des Gutachtens des Bundeskri-
minalamts "etwa" ein Drittel bis ein Fünftel -
geringeren toxischen Wirksamkeit
von Cathinon in der Darreichungsfor m von
Khat- Pflanzen im Vergleich zu Am-
phetamin nicht gerechtfertigt,
weil dies die in
beiden Gutachten näher be-
schriebene gesundheitliche
Gefährdung durch
gewohnheitsmäßigen Konsum
von Khat außer Acht
ließe. Hinzu kommt,
daß angesichts des -
wie
beschrieben -schnellen Wirkstoffabbaus die jeweiligen Khat-Mengen
möglichst
beschleunigt an eine Vielzahl
von Khat-Konsumenten vertrieben werden
müssen. Auch die
deshalb bei Khat in besonder em
Maße bestehende Gefahr
der Weiterverbreitung (vgl. zu diesem Gesichtspunkt
betreffend Kokain BGHSt
33, 133, 140 f.;
ferner Endriß/Logemann aaO.
S. 627) rechtfertigt es,
abweichend von der Auffassung
des Landger ichts die
Grenzwertmenge für
Cathinon bei Khat auf
das Dreifache der für
Amphetamin bestimmten
Wirkstoffmenge zu beschränken.
(2) Das Landgericht hat
danach im Ergebnis zu
Recht angenommen,
daß die Grenze der nicht geringen Menge im Sinne von
§§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30
Abs. 1 Nr. 4 BtMG in keinem Fall erreicht war. Dies gilt auch unter
Zugrundele-
gung des nunmehr vom
Senat festgelegten Grenzwerts
der nicht ger ingen
Menge von Khat auf 30 g des Wirkstoffs Cathinon.
Hiervon ausgehend, hat das
Landgericht entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin den
Angeklagten auch im Fall II.
4 der Urteilsgründe zu-
treffend nur der Beihilfe zum „einfachen“
unerlaubten Handeltr eiben mit Betäu-
- 15 -
bungsmitteln für schuldig
befunden. Allerdings hat der
Angeklagte durch das
Anmieten des VW Sharan
dazu beigetragen, daß
mit diesem Fahr zeug zwi-
schen dem 20. März
und 2. April 2003 bei
insgesamt zehn Fahrten jeweils
(mindestens) 100 kg Khat-Pflanzen
von Arnheim nach Hamburg
transportiert
wurden. Unter Zugrundelegung des im Fall II. 5 der Urteilsgr
ünde festgestellten
Cathinon-Gehalts von 0,006 % ergab sich damit in
den Transportfällen im Fall
II. 4 der Urteilsgründe jeweils
eine Mindestwirkstoffmenge von 6 g,
mithin ins-
gesamt von 60 g Cathinon. Die Gesamtmenge übersteigt
zwar die Gr enze der
"nicht geringen Menge" um das Doppelte; dies stellt
den Schuldspruch jedoch
nicht in Fr age:
Die Strafkammer hat -
rechtlich unbedenklich - die
durchgeführ ten
Tr anspor tfahrten aus der Sicht des
Haupttäters N. jeweils als
Einzeltaten der
Einfuhr und des Handeltr eibens
gewer tet, zu denen der Angeklagte durch die
Bereitstellung des von ihm
gemieteten Fahrzeugs Hilfe
geleistet hat. Da der
Grenzwert der nicht geringen
Menge auch unter Zugrundelegung
der dafür
vom Senat festgelegten
Wirkstoffmenge in keinem
dieser Transportfälle er-
reicht war, hat das
Landgericht die Haupttaten des
N. zutreffend jeweils als
Vergehen des "einfachen"
unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln
nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 StGB gewertet,
demgegenüber die jeweils verwirklichte
unerlaubte Einfuhr im Wege
der Gesetzeskonkurrenz
zurücktritt (st. Rspr.;
BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen
2). Nach den Grundsätzen über
die strenge Akzessorietät
der Beihilfe kann dem Angeklagten im
Fall II. 4 der
Urteilsgründe auch nur eine Beihilfe zu diesen
Vergehen nach § 29 Abs. 1 Nr.
1 BtMG angelastet werden.
- 16 -
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage der
Handlungseinheit oder
-mehrheit nach dem individuellen Tatbeitrag eines jeden Beteiligten zu
beurtei-
len ( BGH NStZ 1997, 121; BGH, Urt. v. 27. Februar 2004 - 2
StR 146/03).
Fördert deshalb der
Gehilfe - wie hier
der Angeklagte durch das
Mieten des
Tr anspor tfahrzeugs - durch ein
und dasselbe Tun mehrere rechtlich
selbstän-
dige Taten des
Haupttäters, so ist
nur eine Beihilfe im
Rechtssinne gegeben
(Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl.
§ 27 Rdn. 13 m.w.N.).
Das läßt indes die Ak-
zessor ietät der Beihilfe zur
Haupttat unberührt.
Daß der Gehilfe in einem sol-
chen Fall durch seine
Handlung mehrere materiell
selbständige Vergehen,
nämlich Rauschgiftgeschäfte
unterstützt, die sich
erst in ihrer Gesamtheit auf
eine „nicht geringe Menge“ beziehen, kann deshalb
nicht dazu führen, daß der
Gehilfe der Beteiligung an einem Verbrechen
(§§ 29 a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1
Nr. 4 BtMG) schuldig
ist, sondern kann nur
im Rahmen der Strafzumessung
angemessen strafschärfend
berücksichtigt werden. Dies
hat das Landgericht
bei Festsetzung der im
Fall II. 4 der
Urteilsgründe verhängten
Einzelstr afe
auch bedacht. Denn es hat
ausdrücklich strafschärfend
gewertet, daß der An-
geklagte "das Fahrzeug für insgesamt fast zwei Wochen zur
Verfügung gestellt
und damit eine Vielzahl von Transporten ermöglicht hat".
(3) Entgegen der Auffassung
der Beschwerdeführerin hat
das Landge-
richt den Angeklagten in den Fällen II. 4 und 5 der
Urteilsgründe auch zu Recht
nicht der Beihilfe zur versuchten Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht gerin-
ger Menge für schuldig befunden.
Daß der Haupttäter N. und der Angeklagte
sich vorgestellt hätten,
daß es sich bei
jeder der Transportfahrten um
eine
Menge Khat handelte, bei
der der Wir kstoffgehalt die
Grenze zur nicht gerin-
gen Menge überschritten
hätte, ist so nicht festgestellt und liegt
- ungeachtet
- 17 -
der in Rede stehenden
großen Mengen an
Pflanzenmaterial - angesichts der
Besonderheiten der Khat-Pflanze auch fern.
- 18 -
III. Revision des Angeklagten
Die Überpr üfung
des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung des
Angeklagten hat weder in
verfahrens- noch in
sachlich-rechtlicher Hinsicht
Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben. Insoweit
verweist der
Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden
Ausführungen
in der Antragsschrift des Gener albundesanwalts.
Tepperwien
Maatz
Athing
Ernemann
Sost-Scheible
Nachschlagewerk: ja
BGHSt:
ja
Veröffentlichung; ja
BtMG §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 29 a Abs. 1 Nr. 2
StGB §§ 27, 52
1. Bei Khat-Pflanzen beginnt die „nicht
geringe Menge“ bei einem Wirk-
stoffgehalt von 30 g Cathinon.
2. Unter stützt der
Gehilfe durch eine Handlung
mehrere je für sich
selb-
ständige Taten des Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln, die sich erst
in ihrer Gesamtheit auf eine „nicht
geringe Menge“ beziehen, so macht
er sich nur wegen einer
Beihilfe zu einem Vergehen nach
§ 29 Abs. 1
Nr. 1 BtMG strafbar.
- 19 -
BGH, Urt. v. 28. Oktober 2004 - 4 StR 59/04 - LG Münster
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