BGH,
Urt. v. 28.9.2004 - 1 StR 317/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 317/04
vom
28. September 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
28. September 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesger ichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstr eit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wir d das Urteil des Land-
gerichts Coburg vom 15. März 2004 im Strafausspruch mit den
Feststellungen aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine an-
dere Schwurger ichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Die Angeklagte wur de wegen Mordes, begangen im Zustand erheblich
verminder ter Schuldfähigkeit, zu zwölf Jahren und
vier Monaten Freiheitsstr afe
verurteilt.
Mit ihrer Revision zum Nachteil der Angeklagten wendet sich die Staats-
anwaltschaft allein gegen die Annahme erheblich verminderter
Schuldfähigkeit.
Das auch vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
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1. Folgendes ist festgestellt:
Tatopfer ist der Ehemann der Angeklagten. Vorangegangen waren jah-
relange Streitigkeiten um Geld. Die Angeklagte hatte sich - urspr
ünglich als
Reaktion auf schlechte Behandlung durch ihren Ehemann - seit langem
ange-
wöhnt, deutlich mehr Geld auszugeben, als zur
Verfügung stand. Tr otz an sich
gut auskömmlicher Verhältnisse (der letzte
Monatsverdienst des Ehemannes
betrug über 3.300 DM; die Familie wohnte mietfrei und hatte
noch Mieteinnah-
men) führte dies zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten und damit
ver bundenen
vielfältigen Komplikationen. Zuletzt war die Angeklagte dazu
übergegangen,
immer wieder heimlich die EC-Karte ihres Ehemanns an sich zu bringen
und
unberechtigt Geld von dessen Konto abzuheben. Häufigen
heftigen Vorwür fen
des Ehemanns setzte sie zwar nichts entgegen, sie war aber auch nicht
bereit,
"ihr gewohntes Geldausgabeverhalten zu ändern". Nachdem es
wieder über
mehrere Tage hin derar tige Streitigkeiten gegeben hatte,
beschloß die Ange-
klagte, wie sie dies auch schon fr üher erwogen hatte, ihren
Ehemann zu töten,
da sie ihn "nicht mehr ertr agen konnte".
Als er in der Mittagszeit des Tattages ahnungslos in einem Sessel
saß,
betrat sie das Zimmer und führte dabei einen im Haushalt
vorhandenen guß-
eisernen Fleischklopfer mit sich, den sie entweder am Kör per
oder in einer Ein-
kaufstasche verborgen hatte. Sie ging an ihrem Ehemann
zunächst vorbei und
schlug ihm dann von hinten den Fleischklopfer mindestens sechsmal
wuchtig
auf den Kopf, wodurch alsbald der Tod eintrat. Anschließend
wickelte sie ihm
ein Tischtuch um den Hinter kopf.
Zur Tatzeit war sie allein mit dem Ehemann in der Wohnung. Der
älteste
Sohn war abwesend, die beiden jüngeren Söhne warteten
vor dem Haus auf
sie, um mit ihr zu einem für 14.00 Uhr vereinbarten
Friseurtermin zu gehen.
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Einer war schon aus der Wohnung vorausgegangen, der ander e war zuvor
un-
terwegs gewesen; diesen hatte sie aufgefordert, nicht mehr in die
Wohnung zu
kommen, sonder n unten zu warten, als er nach seiner Rückkehr
geklingelt hat-
te.
Die Angeklagte nahm dann mit ihren Söhnen den
Friseurtermin wahr
und verhielt sich dabei unauffällig. Nach ihrer
Rückkehr nach Hause spielte sie
vor, unvermutet ihren Ehemann erschlagen vorzufinden. Es war ihr auch
ge-
lungen, den Fleischklopfer, der seither nicht wieder aufgetaucht ist,
unbemerkt
fortzuschaffen.
2. Zur Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten hat die Str
afkammer
einen Sachverständigen gehört, der - abstrakt - die
für und gegen eine im Sin-
ne des § 21 StGB bedeutsamen Affekt sprechenden Gesichtspunkte
genannt
hat.
Bei diesen in den Ur teilsgründen enthaltenen
Aufzählungen handelt es
sich um das Prüfschema nach Prof. Saß (sog.
"Saß-Kriterien", im Wortlaut wie-
der gegeben z.B. bei Theune NStZ 1999, 273, 274 und bei Tondorf in
Anwalts-
handbuch Strafrecht Kap. D, Rz. 44), auf das die Rechtsprechung schon
viel-
fach hingewiesen hat (vgl. z.B. BGH StV 1990, 439; BGHR StGB §
20 Affekt 3;
BGH NStZ-RR 1997, 296 jew. m.w.Nachw.).
Konkrete, auf die Angeklagte und die Tat bezogene Ausführungen
des
Sachverständigen ergeben die Urteilsgründe dagegen
nicht. Die Str afkammer
legt vielmehr im einzelnen dar, was nach ihrer Auffassung
dafür und dagegen
spricht, daß die Schuldfähigkeit der Angeklagten bei
der Tat i.S.d. § 21 StGB
beeinträchtigt war. Sie kommt letztlich zu dem Er gebnis, der
Zweifelssatz ge-
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biete die Annahme, daß affektbedingt bei der Tat eine
erhebliche Verminde-
rung der Steuerungsfähigkeit vorgelegen habe.
3. Im Grundsatz bestehen keine Bedenken, wenn - etwa mangels unge-
wöhnlicher Besonderheiten - der Richter im Rahmen der
Schuldfähigkeitspr ü-
fung auch die Vorfrage nach medizinisch-psychiatrischen
Anknüpfungstatsa-
chen auf Grund eigenen Wissens beantwortet (BGH StV 1999, 309, 310;
vgl.
auch Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 244 Rdn. 74b
m.w.Nachw.). Zumindest
ungewöhnlich ist es dann jedoch, wenn der Richter zugleich
sachverständiger
Beratung hinsichtlich der an sich geläufigen Frage bedarf,
welche Gesichts-
punkte generell bei der Prüfung eines schuldmindernden Affekts
Gewicht ge-
winnen können ( vgl. zusammenfassend z.B. Streng in
Münch/Komm StGB § 20
Rdn. 75 ff.; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder StGB
26. Aufl. § 20 Rdn. 15
jew. m.w.Nachw.). Zumal, da die Strafkammer mitteilt, der
Sachverständige ha-
be die Angeklagte eingehend untersucht, erscheint in diesem
Zusammenhang
auch eine Darlegungslücke - hierauf hebt die Beschwer
deführerin ab - nicht
ausgeschlossen (vgl. Boetticher in NJW-Sonderheft für G.
Schäfer 2002, 8, 10
m.w.Nachw.).
4. Der Senat braucht alledem aber unter keinem Aspekt näher
nachzu-
gehen, da die Erwägungen der Strafkammer schon aus anderen
Gründen
rechtlicher Überpr üfung nicht standhalten:
a) Im Ansatz zutreffend geht die Strafkammer davon aus, daß
Anzeichen
für einen Affekt auch das Fehlen einer "Sicherheitstendenz" -
also im Kern eine
Tatbegehung ohne Vorkehrungen gegen eine Entdeckung - beim
Täter sein
kann.
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Die Strafkammer führt aus, dies liege hier vor, wie sich aus
der Art der
Tatbegehung - sechs wuchtige Schläge auf den Kopf - er gebe.
Dies ist nicht
näher begründet und so nicht nachvollziehbar .
Jedenfalls fehlt die Erörterung
sich aufdrängender Gesichtspunkte, die eine gegenteilige
Bewertung nahele-
gen. Die Angeklagte hat ihren Ehemann von hinten mit dem Fleischklopfer
er-
schlagen, den sie zuvor vor ihm verbor gen hatte. Dabei nutzte sie aus,
daß die
beiden Söhne nicht in der Wohnung waren, wenn sie nicht sogar
selbst dafür
gesorgt hat. Nach der Tat ging sie mit den Söhnen zum Fr
iseur, ohne daß da-
bei irgend etwas aufgefallen wäre, um bei der Heimkehr dann so
zu tun, als ob
sie vom Tode ihres Mannes völlig überrascht sei. All
dies spricht im hohen Ma-
ße für eine "Sicherheitstendenz", und auch sonst
für wohlüberlegtes und nicht
für affektbedingtes Verhalten. Ohne Erörterung dieser
Gesichtspunkte kann die
gegenteilige Annahme nicht Grundlage der Bewer tung der
Schuldfähigkeit
sein.
b) Schon dies führt zur Aufhebung des
Strafausspruchs. Unabhängig
davon bemerkt der Senat, daß die ergänzende
Erwägung der Strafkammer, es
spreche ebenfalls für einen Affekt, daß die
Angeklagte nach der Tat der Leiche
ein Tuch um den Kopf wickelte, da dies auf Entschuldigung nach
Affektabbau
hindeute, ohne nähere Begründung ebenfalls nicht
tragfähig erscheint, auch
wenn sich die Strafkammer, wie sie ausführt, in dieser
Bewertung durch die
- nicht näher dargelegten - Ausführungen eines als
"kriminalistischen" Sach-
verständigen gehörten Kriminalhauptkommissars
"gestützt" sieht.
5. Ebenso wie die Feststellungen zu den sogenannten Eingangsmerk-
malen von §§ 20, 21 StGB halten auch die sonstigen
Ausführ ungen der Straf-
kammer zur Schuldfähigkeit rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
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Die Frage, ob eine Beeinträchtigung im Sinne von § 21
StGB "erheblich"
ist, ist eine Rechtsfrage. Eine Rechtsfrage kann aber nicht, wie es die
Straf-
kammer getan hat, auf der Grundlage des Zweifelssatzes beantwortet
werden
(st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Beschluß vom 3. August 2004 - 1
StR 293/04;
BGHR StGB § 21 in dubio pro reo 1 m.w.N.). Bei der Beurteilung
der Erheb-
lichkeit fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend
sind die
Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt. Diese sind um
so
höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (st.
Rspr., vgl.
zuletzt BGH NStZ 2004, 437 f. m.w.N.), bei vorsätzlichen
Tötungsdelikten also
besonders hoch (vgl. BGH, Beschluß vom 3. August 2004 - 1 StR
293/04).
6. Der Strafausspruch war nach alledem aufzuheben. Anhaltspunkte da-
für, daß die Angeklagte bei der Tat
schuldunfähig gewesen sein könnte, sind
dagegen nicht ersichtlich. Daher erweist sich hier die sich aus der
maßgebli-
chen Revisionsbegründung er gebende Beschränkung der
Revision auf den
Strafausspruch als wirksam.
Nack
Wahl
Kolz
Hebenstreit
Elf
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