BGH,
Urt. v. 29.4.2009 - 1 StR 518/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 518/08
vom
29. April 2009
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
29. April 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwälte
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ellwangen vom 30. Mai 2008 wird verworfen.
Er hat die Kosten der Revision sowie die den Nebenklägern
durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten (wahlweise) wegen Diebstahls oder
Hehlerei (Tat II. 1. der Urteilsgründe) sowie wegen
fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit
vorsätzlichem Überlassen von
Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in zwei
tateinheitlichen Fällen (Tat II. 2. der
Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren
und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit
seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das
Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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1. Die Überprüfung des Urteils hat keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere ist die
Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Den von der Revision
geltend gemachten Widerspruch zwischen den Erkenntnissen der beiden
Sachverständigen zum Todeszeitpunkt hat das
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Landgericht plausibel ausgeräumt. Der näheren
Erörterung bedarf daher allein der Schuldspruch wegen
fahrlässiger Tötung. Insofern hat auch der
Generalbundesanwalt beantragt, die Strafbarkeit entfallen zu lassen.
Das Landgericht hat aufgrund einer rechtlich nicht zu beanstandenden
Beweiswürdigung zur Tat II. 2. der Urteilsgründe
festgestellt: In der Nacht zum 21. Januar 2006 kamen B. K. und
Ü. Y. überein, „gemeinsam Kokain zu
konsumieren“. B. K. wandte sich deshalb an den u.a. wegen
unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln vorbestraften
Angeklagten, „von dem er wusste, dass man bei ihm Kokain
erhalten“ konnte. Dieser erklärte sich bereit, B. K.
und Ü. Y. „Kokain zu überlassen“,
holte aus seinem Vorrat Rauschgift und portionierte dieses in zwei
zusammengerollten Zehn-Euro-Scheinen, die er B. K. und Ü. Y.
zum Konsum übergab. „In diesem Moment wusste er
jedoch nicht, dass es sich bei dem von ihm mitgeführten
Rauschgift nicht um Kokain handelte, sondern um reines Heroin.
Tatsächlich hielt er das mitgebrachte Rauschgift für
eine Mischung aus Kokain, Amphetamin und gekochtem Marihuana. Entweder
hatte er das Heroin von seinem Lieferanten als das entsprechende
Kokaingemisch erhalten oder er hatte sowohl reines Heroin als auch die
entsprechende Mischung vorrätig und sorgfaltswidrig die Mengen
bei Herausnahme aus seinem Vorrat verwechselt.“ B. K.
konsumierte das Heroin und verstarb wenige Stunden später
infolge eines ausschließlich hierdurch verursachten zentralen
Regulationsversagens. Diese Folge hätte der Angeklagte bei
pflichtgemäßem und sorgfältigem Handeln
erkennen und vermeiden können.
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2. Der Generalbundesanwalt meint, diese Feststellungen würden
die Verurteilung wegen - tateinheitlich zum Verstoß gegen
§ 29 Abs. 1 Nr. 6b 2. Alt. BtMG begangener -
fahrlässiger Tötung nicht tragen. Der Angeklagte habe
sich
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lediglich an einer vorsätzlichen Selbstgefährdung B.
K. s beteiligt und daher nicht gemäß § 222
StGB strafbar gemacht. Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zu
folgen.
a) Allerdings trifft es zu, dass eigenverantwortlich gewollte, mithin
zumindest in Kauf genommene Selbsttötungen, -verletzungen und
-gefährdungen nicht dem Tatbestand eines Tötungs-
oder Körperverletzungsdelikts unterfallen. Wer sich daran
beteiligt, nimmt an einem Vorgang teil, der - soweit es um die
Strafbarkeit wegen eines solchen Delikts geht - keine Tat im Sinne der
§§ 25, 26, 27 Abs. 1 StGB darstellt. Der sich
vorsätzlich Beteiligende kann nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs infolgedessen nicht als Anstifter
oder Gehilfe bestraft werden. Wer das zumindest selbst
gefährdende, eigenverantwortliche Verhalten eines anderen
fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder
fördert, kann zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs nicht
strafbar sein, wenn er sich im Falle vorsätzlichen Handelns
nicht strafbar machen würde (grundlegend BGHSt 32, 262, 263
ff.; s. auch BGH NStZ 2001, 205).
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b) Hieran gemessen hat sich der Angeklagte auch wegen
fahrlässiger Tötung strafbar gemacht.
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aa) Denn die Straflosigkeit eines Beteiligten setzt voraus, dass der
andere sich „frei und eigenverantwortlich gewollt“
selbst gefährdet (vgl. BGH NStZ 1985, 25, 26; NStZ 1985, 319).
Die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses
begrenzt die Strafbarkeit (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl.
§ 222 Rdn. 21). An dieser fehlt es aber nicht nur, wenn ein
autonomes Handeln beispielsweise infolge einer Intoxikationspsychose
ausgeschlossen ist (BGH NStZ 1983, 72), sondern auch bei einem die
Selbstverantwortlichkeit betreffenden Irrtum (vgl. BGH NStZ 1986, 266,
267).
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Einem derartig rechtserheblichen Irrtum war B. K. unterlegen. Zwar hat
der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend darauf
hingewiesen, dass den sich am illegalen Umgang mit
Betäubungsmitteln beteiligenden Personen die
Wirkstoffkonzentration und der Gehalt eventuell beigemengter Stoffe
regelmäßig nicht bekannt sind und Konsumenten daher
riskieren, nicht nur eine zu hohe Dosierung des von ihnen
gewünschten Rauschgifts, sondern zusätzlich
unbekannte, möglicherweise ebenfalls
gesundheitsgefährdende Stoffe zu sich zu nehmen. Das vom
Landgericht festgestellte Geschehen lag aber außerhalb eines
solchen üblichen Gefahrenbereichs, so dass B. K. das von ihm
eingegangene Risiko grundlegend verkannte. Denn er erhielt vom
Angeklagten nicht - wie gewünscht und ihm zugesagt - Kokain,
das lediglich einen höheren Wirkstoffgehalt hatte, als von ihm
angenommen, und dem weitere Substanzen beigegeben waren, sondern
Heroin. Dieses ist nicht nur generell gefährlicher als Kokain,
wie die deutlich divergierenden Grenzwerte für die jeweils
nicht geringe Menge erkennen lassen (vgl. BGHSt 32, 162: 1,5 g
Heroinhydrochlorid; BGHSt 33, 133: 5 g Kokainhydrochlorid), sondern war
vorliegend „rein“ und damit von weit
überdurchschnittlicher Gefährlichkeit (vgl. den
Deutschland betreffenden Bericht 2007 des nationalen Knotenpunkts des
Europäischen Informationsnetzwerks zu Drogen und Sucht
[REITOX] an die Europäische Beobachtungsstelle für
Drogen und Drogensucht, S. 122, 125, wonach im Jahr 2006 der
durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Heroin im Straßenhandel
15,6 % und im Großhandel 38,1 % betrug).
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bb) Das Landgericht hat angesichts dessen im Ergebnis zutreffend
angenommen, dass B. K. s Tod auf einem sorgfaltswidrigen Verhalten des
Angeklagten beruht und diesem zuzurechnen ist. Die im Rahmen der
rechtlichen Würdigung für die Bejahung des §
222 StGB gegebene Begründung, der
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Angeklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, B. K.
„über die Tatsache aufzuklären, dass er ihm
statt reines Kokain eine Mischung
überließ“, erweist sich jedoch als nicht
tragfähig. Diese Fehlvorstellung des Angeklagten war
für die Erhöhung des für B. K. bestehenden
Risikos ohne Bedeutung; eine entsprechende Mitteilung hätte
diesem keine realistischere Beurteilung des Risikos ermöglicht.
Als der Angeklagte das Rauschgift zum Konsumieren zur
Verfügung stellte, verhielt er sich aber insofern
sorgfaltswidrig, als er dabei unter Berücksichtigung des
Vorverhaltens der Beteiligten (konkludent) zum Ausdruck brachte, dem
Wunsch B. K. s und seiner Zusage entsprechend handele es sich um
Kokain. Denn eine solche Erklärung durfte der Angeklagte nur
abgeben, wenn er sich zuvor vergewissert hätte, dass er
tatsächlich dieses Rauschmittel aushändigt. In diesem
Fall hätte er das tatsächliche Risiko und die daraus
erwachsenden Folgen ebenso erkennen können (vgl. Hardtung in
MüKo-StGB § 222 Rdn. 22) wie den Umstand, dass B. K.
sein sich selbst gefährdendes Verhalten falsch
einschätzen würde (s. auch Jähnke in LK 11.
Aufl. § 222 Rdn. 21).
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Einer solchen Prüfungspflicht steht nicht entgegen, dass der
unerlaubte Umgang mit Betäubungsmitteln generell und hier
konkret das Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch (§
29 Abs. 1 Nr. 6b 2. Alt. BtMG) unter Strafe gestellt ist. Denn
anderenfalls würde derjenige, der sich in ohnehin strafbarer
Weise verhält, gegenüber demjenigen besser gestellt,
der grundsätzlich erlaubt potentiell risikobehaftete Stoffe an
andere weitergibt. Beispielsweise haben Ärzte und Apotheker
zuvor zu prüfen, ob sie dem Kunden das richtige Medikament
aushändigen. Eine solche Auslegung würde
darüber hinaus dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel
zuwiderlaufen, gerade die durch unerlaubte Betäubungsmittel
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verursachten Gefahren einzudämmen. Ob sich eine solche
Prüfungspflicht auch auf den jeweiligen Wirkstoffgehalt des
von den Beteiligten (qualitativ und quantitativ) zutreffend
eingestuften Rauschmittels erstreckt, braucht der Senat nicht zu
entscheiden. Bei solchen Konstellationen wird jedenfalls zumeist -
worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat - keine
relevante Abweichung von der Vorstellung des Rauschmittelkonsumenten
hinsichtlich des von ihm eingegangenen Risikos und damit ein
eigenverantwortliches Verhalten vorliegen.
3. a) Gegen die Strafbarkeit wegen fahrlässiger
Tötung spricht ferner nicht die Kontrollüberlegung,
ob der Angeklagte bei vorsätzlichem Verhalten straflos
geblieben wäre. Dies wäre nicht der Fall. Denn
hätte der Angeklagte dem lediglich Kokain erwartenden B. K.
vorsätzlich reines Heroin zum Konsumieren
ausgehändigt, ohne ihn darüber aufzuklären,
wäre er wegen eines in mittelbarer Täterschaft
(§ 25 Abs. 1 2. Alt. StGB) begangenen vorsätzlichen
Tötungsdelikts zu verurteilen gewesen, wobei die Annahme eines
Heimtückemordes nahe gelegen hätte. Das sog.
Teilnahmeargument geht somit fehl, weil B. K. irrtumsbedingt das
tatsächliche Risiko verkannte.
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b) Einer Bestrafung nach § 222 StGB steht
schließlich auch nicht eine privilegierende
Spezialität des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG mit daraus
ggf. folgender Sperrwirkung entgegen. Privilegierende
Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt
vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift
aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es
wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage
kommenden Sachverhalt unter einem genaueren (spezielleren)
Gesichtspunkt erfasst, und der Täter durch die
Spezialvorschrift privilegiert werden soll. In diesem Fall ist ein
Rückgriff auf das allgemeinere Delikt ausgeschlossen, da
hierdurch die Pri-
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vilegierung beseitigt würde. Ob die speziellere Vorschrift den
Täter begünstigen soll, ist anhand des Zwecks dieser
Vorschrift, des inneren Zusammenhangs der miteinander konkurrierenden
Bestimmungen und des Willens des Gesetzgebers zu prüfen (BGHSt
49, 34, 37).
Die anhand dieser Kriterien vorgenommene Prüfung ergibt zwar,
dass § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG hinsichtlich des
herbeigeführten Todes leichtfertiges Verhalten verlangt und
dieses zudem gegenüber der offenen Tathandlung beim §
222 StGB konkretisiert, diesem gegenüber also lex specialis
ist (ebenso Rahlf in MüKo-StGB § 30 BtMG Rdn. 173).
Da aber im Hinblick darauf sein Strafrahmen deutlich erhöht
ist, sperrt er die Anwendung des § 222 StGB nicht, wenn
dieser, jedoch § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht erfüllt
ist (s. auch BGHSt 19, 188, 190; 30, 235, 236; 49, 34, 38).
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Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der neuen
Betäubungsmittelvorschriften, die durch das Gesetz zur
Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl.
I S. 681) geändert worden sind, bestätigt. Wie sich
aus den Materialien ergibt (BTDrucks. 8/3551 S. 37; auch 7/4141, S. 5
f.), sollte wegen der steigenden Zahl der Drogentoten durch die
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Einfügung des Merkmals der (nicht mehr vorsätzlichen,
sondern nur noch) leichtfertigen Herbeiführung des Todes eines
Menschen das diesbezügliche Strafrecht verschärft
werden.
Nack Wahl Graf
Jäger Sander |