BGH,
Urt. v. 29.4.2009 - 1 StR 701/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 701/08
vom
29. April 2009
BGHSt: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________
StPO § 100f, MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Zur Frage der Zulässigkeit einer heimlichen
Überwachung von Ehegattengesprächen in einem eigens
dafür zugewiesenen separaten Besuchsraum in der
Untersuchungshaft ohne die übliche erkennbare
Überwachung.
BGH, Urt. vom 29. April 2009 - 1 StR 701/08 - LG Kempten (Allg.)
in der Strafsache
gegen
- 2 -
wegen Mordes u.a.
- 3 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
29. April 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -,
Rechtsanwalt - bei der Verkündung -,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kempten (Allg.) vom 1. August 2008 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Mordes verurteilt worden ist und
b) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes, begangen aus
niedrigen Beweggründen, und wegen unerlaubten Besitzes einer
halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von
zwei Schusswaffen und in weiterer Tateinheit mit dem Besitz eines
verbotenen Fallmessers zu ei-
1
- 5 -
ner lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die sichergestellten
Waffen wurden eingezogen.
Die Revision des Angeklagten greift mit Verfahrensrügen und
der Sachrüge die Verurteilung wegen Mordes an. Sie hat mit
einer Verfahrensrüge Erfolg, damit entfällt zugleich
die Gesamtstrafe.
2
A.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der nicht vorbestrafte
Angeklagte, ein marokkanischer Staatsangehöriger, nach seiner
Hochzeit im Jahr 2006 mit seiner Frau nach Kempten. Dort besuchte er ab
Oktober 2006 einen Deutschkurs. Seine Deutschlehrerin war die ebenfalls
verheiratete A. G. , das spätere Opfer der Tat. Zwischen ihr
und dem Angeklagten entwickelte sich ab Februar 2007 eine
außereheliche intime Beziehung. Während für
A. G. von Anfang an feststand, dass sie für den Angeklagten
weder ihren Ehemann noch ihre beiden Kinder verlassen würde,
entwickelte der Angeklagte die Vorstellung, gemeinsam mit A. G.
Deutschland zu verlassen und ins Ausland zu gehen. Nachdem diese die
Sommerferien gemeinsam mit ihrem Mann und ihren Kindern in Litauen
verbracht hatte, kehrte sie mit ihrer Familie am Abend des 8. September
2007 nach Kempten zurück.
3
Am 12. September 2007 traf sie sich mit dem Angeklagten in dessen
Wohnung. Bei diesem Treffen, das von dem Angeklagten heimlich gefilmt
wurde, kam es zunächst einvernehmlich zum Geschlechtsverkehr,
anschließend verlangte der Angeklagte von A. G. , dass sie
ihre Familie verlassen solle. Als sie dieses Ansinnen
zurückwies, kam es zwischen ihr und dem Ange-
4
- 6 -
klagten zu einem heftigen Streit. Der Angeklagte warf ihr vor, auch
noch mit anderen Männern außereheliche Beziehungen
zu unterhalten. Außerdem drohte er ihr, ihren Mann von ihrer
Affäre zu unterrichten und ihr Leben
„kaputt“ zu machen. Am nächsten oder
übernächsten Tag kam es wegen dieser Streitigkeit auf
einem Parkplatz zu einer Aussprache zwischen dem Angeklagten und A. G.
, in deren Verlauf der Angeklagte vorgab, ihre Entscheidung, sich nicht
von ihrem Mann zu trennen, zu akzeptieren. Tatsächlich war er
hiermit jedoch nicht einverstanden.
Deshalb versuchte der Angeklagte am Morgen des 17. September 2007, dem
Tattag, mehrfach A. G. anzurufen, weil er sich noch einmal mit ihr
treffen wollte. Als er sie von seinem Mobiltelefon aus erreichte,
telefonierte der Angeklagte 20 Minuten mit ihr, bis sein
Gesprächsguthaben aufgebraucht war. Dann rief er sie von
seinem Festnetzanschluss in der ehelichen Wohnung an und telefonierte
nochmals eine halbe Stunde mit ihr. A. G. war schließlich mit
einem weiteren Treffen einverstanden. Dieses fand um 10.00 Uhr auf dem
Parkplatz eines Supermarktes in Kempten statt. Von dort aus fuhren A.
G. und der Angeklagte gemeinsam in dem Pkw der Familie G. zum Oyweiher,
einem kleinen Stausee zwischen B. und W. . Dort kam es erneut zu einem
Streit, weil sich A. G. weiterhin weigerte, ihre Familie zu verlassen
und mit dem Angeklagten ins Ausland zu gehen. Der Angeklagte schlug ihr
daraufhin heftig ins Gesicht, so dass es bei ihr zu erheblichem
Nasenbluten kam. Mit einem weiteren kräftigen Schlag gegen den
Hals brach er ihr das rechte obere Kehlkopfhorn. Dann entschloss er
sich, A. G. zu töten, weil sie nicht bereit war, ihre Familie
zu verlassen und mit ihm ins Ausland zu gehen. Der Angeklagte wollte
damit seinen absoluten Macht- und Besitzanspruch gegenüber A.
G. durchsetzen. Er erwürgte sie und legte ihren Leichnam in
5
- 7 -
einer versteckt liegenden Erdmulde ab. Sodann bedeckte er die Leiche
mit belaubten Ästen. A. G. s Handtasche versenkte er im
Oyweiher. Anschließend fuhr er zurück nach Kempten,
wo er das Auto der Familie G. auf dem Parkplatz eines ehemaligen
Elektronik-Fachmarktes abstellte. Von dort ging er zu Fuß zu
seinem 900 Meter entfernt geparkten Fahrzeug und fuhr nach Hause, wo er
noch an seinem Computer arbeitete. Danach holte er seine Ehefrau von
der Arbeit ab, fuhr mit ihr zur Bank und hob von ihrem gemeinsamen
Konto 10.800,-- Euro ab.
Bereits am Nachmittag des 17. September 2007 fiel auf, dass A. G.
verschwunden war. Sie hatte ihren Sohn nicht wie üblich von
der Schule abgeholt und war auch über ihr Mobiltelefon nicht
zu erreichen. Über ihre Telefonverbindungsdaten konnte
festgestellt werden, dass sie zuletzt mit dem Angeklagten telefoniert
hatte. Nachdem am 21. September 2007 der Pkw der Familie G. verlassen
aufgefunden worden war, wurde der Angeklagte festgenommen. Seitdem
befindet er sich aufgrund richterlichen Haftbefehls in der
Justizvollzugsanstalt Kempten in Untersuchungshaft. Bei der
Durchsuchung der Garage des Angeklagten fand die Polizei eine
funktionsfähige halbautomatische Kurzwaffe, zwei Gaspistolen
und ein Fallmesser, für die der Angeklagte keine
waffenrechtliche Erlaubnis besaß. Am 9. Dezember 2007 wurde
A. G. s stark verwester Leichnam zufällig am Oyweiher entdeckt.
6
2. Der Angeklagte bestreitet die Tat. Das Landgericht hat seine
Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im
Wesentlichen gestützt auf die Erkenntnisse aus den
Telefonverbindungsdaten vom Tattag, auf die vom Opfer stammenden
Blutspuren an der vom Angeklagten am Tattag getragenen Kleidung, auf
von ihm stammende DNA-Spuren im Fahrzeug der Getöteten und auf
7
- 8 -
die vom Angeklagten am 12. September 2007 heimlich gefertigte
Videoaufzeichnung seines Zusammenseins mit A. G. in seiner Wohnung.
Außerdem hat es die Strafkammer als ein deutliches Indiz
für die Täterschaft des Angeklagten angesehen, dass
er in einem heimlich abgehörten Gespräch mit seiner
Ehefrau, das am 15. Oktober 2007 in einem separaten Besuchsraum der
Haftanstalt stattfand, noch vor dem Auffinden der Leiche
geäußert hatte, dass A. G. tot sei. In diesem
Gespräch bat der Angeklagte seine Ehefrau zudem, die Schuld
für A. G. s Tod auf sich zu nehmen und gegenüber den
Ermittlungsbehörden anzugeben, dass sie zwei Russen mit deren
Ermordung beauftragt habe, um den Angeklagten dafür zu
bestrafen, dass er sie hintergangen habe.
B.
Die Revision des Angeklagten hat hinsichtlich der allein noch
angegriffenen Verurteilung wegen Mordes bereits mit einer
Verfahrensrüge Erfolg. Gegenstand der Rüge ist die
Beanstandung, die Strafkammer habe zu Unrecht die Erkenntnisse aus dem
am 15. Oktober 2007 in einem separaten Besuchsraum während der
Untersuchungshaft heimlich abgehörten Gespräch
zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau zur
Überführung des Angeklagten herangezogen. Auf die
übrigen Verfahrensrügen und die Sachrüge
kommt es daher nicht mehr an.
8
- 9 -
I.
Der Verfahrensrüge liegt folgender Geschehensablauf zugrunde:
9
Mit Beschluss vom 25. September 2007 ordnete der Ermittlungsrichter des
Amtsgerichts Kempten auf Antrag der Staatsanwaltschaft an, dass
Besuchskontakte zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau in der
Untersuchungshaft in einem separaten Raum durchzuführen und
die dabei geführten Gespräche mittels Anbringung von
Mikrofonen abzuhören und aufzuzeichnen seien. Die Anordnung
wurde darauf gestützt, dass nach den bisherigen Ermittlungen
davon ausgegangen werden müsse, dass der Angeklagte A. G.
getötet habe. Sie sei seit einem Treffen mit dem Angeklagten
am 17. September 2007 spurlos verschwunden. Die Angaben des
Angeklagten, A. G. sei während des Treffens auf ihrem
Mobiltelefon angerufen worden, habe russisch mit dem Anrufer gesprochen
und sei im Anschluss an das Treffen mit dem Angeklagten zu zwei Russen
ins Auto gestiegen, seien aufgrund der eingeholten
Telefonverbindungsdaten widerlegt. Es sei deshalb zu erwarten, dass der
Angeklagte mit seiner Ehefrau Einzelheiten zur Tat besprechen werde.
Ohne die Abhörmaßnahme seien die weiteren
Ermittlungen aussichtslos oder würden wesentlich erschwert.
10
In Vollziehung der ermittlungsrichterlichen Anordnung wurden die
Gespräche des Angeklagten mit seiner Ehefrau bei deren jeweils
halbstündigen Besuchen in der Untersuchungshaft von beiden
unbemerkt akustisch überwacht. Die Gespräche fanden
jeweils in einem separaten Raum der Haftanstalt statt; dabei wurde -
entsprechend der richterlichen Anordnung - seitens der
Ermittlungsbehörden bewusst auf die sonst übliche
Anwesenheit einer Aufsichtsperson verzichtet, so dass dem Angeklagten,
der sich mit seiner Ehefrau in sei-
11
- 10 -
ner Muttersprache unterhalten konnte, der Eindruck einer
unüberwachten Gesprächssituation vermittelt wurde. Um
gleichwohl eine Verwertung der Äußerungen des
Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau zu ermöglichen,
wurden die Gespräche mittels einer Abhöreinrichtung
elektronisch aufgezeichnet und zudem in einen Nebenraum
übertragen, wo sie von einer Dolmetscherin mitgehört
wurden. Auf der Grundlage der elektronischen
Gesprächsaufzeichnung fertigte die Dolmetscherin
anschließend noch eine wörtliche
Übersetzung in schriftlicher Form. Hierdurch wurde auch
dokumentiert, dass der Angeklagte bei dem am 15. Oktober 2007
aufgezeichneten Gespräch seiner Ehefrau mitgeteilt hatte, dass
A. G. tot sei. In dem aufgezeichneten Gespräch forderte der
Angeklagte seine Ehefrau mehrfach auf, ihm ein Alibi zu verschaffen.
Sie solle eine Videonachricht anfertigen und an die Staatsanwaltschaft
und seine Verteidiger schicken. Darin solle sie die Verantwortung
für den Tod der A. G. auf sich nehmen und behaupten, sie habe
aus Eifersucht zwei russische Auftragsmörder engagiert, die A.
G. für 30.000,-- Euro getötet hätten.
Anschließend solle seine Ehefrau nach Italien fliehen.
Am fünften Hauptverhandlungstag wurde die Niederschrift dieses
aus der marokkanischen Sprache übersetzten Gesprächs
zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau auf Anordnung des
Vorsitzenden verlesen. Den von der Verteidigung gegen die Verwertung
des abgehörten Gesprächs erhobenen Widerspruch wies
das Landgericht mit der Begründung zurück, dass die
formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung
der Überwachungsmaßnahme vorgelegen hätten
und die dabei gewonnenen Erkenntnisse deshalb verwertbar seien.
12
- 11 -
II.
Die Revision beanstandet, dass die Erkenntnisse aus dem
abgehörten Gespräch nicht hätten verwertet
werden dürfen. Die gerichtlich angeordnete
Abhörmaßnahme sei insbesondere deshalb unstatthaft
gewesen, weil Gespräche eines Untersuchungsgefangenen mit
Angehörigen im Rahmen eines Besuchs in der Untersuchungshaft
nach § 100f StPO nur dann abgehört werden
dürften, wenn der Besuch erkennbar von einem Vollzugsbeamten
überwacht werde. Dies sei hier nicht der Fall gewesen.
Vielmehr habe die zur Überwachung geschaffene Besuchssituation
einen „unmittelbar täuschenden und
irreführenden Charakter“ gehabt, indem dem
Angeklagten erlaubt worden sei, seine Ehefrau in einem separaten Raum
und ohne die in der Untersuchungshaft übliche (erkennbare)
Überwachung durch einen Vollzugsbeamten zu empfangen. Das
Vorgehen der Ermittlungsbehörden sei gezielt darauf
ausgerichtet gewesen, den Angeklagten und seine Ehefrau „in
Sicherheit zu wiegen“ und bei ihnen den Eindruck zu erwecken,
sie könnten unbelauscht über
„alles“ sprechen. Dies führe zur
Unzulässigkeit der Abhörmaßnahme und zu
einem Verbot der Verwertung der hierbei gewonnenen Erkenntnisse. Auf
der unzulässigen Verwertung der
Abhörmaßnahme beruhe das Urteil, weil das
Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft des
Angeklagten maßgeblich auf die Erkenntnisse aus der
Abhörmaßnahme gestützt habe.
13
III.
Die zulässige Rüge hat Erfolg. Das am 15. Oktober
2007 heimlich abgehörte Gespräch zwischen dem
Angeklagten und seiner Ehefrau bei deren Besuch in der
Untersuchungshaft durfte nicht zu Beweiszwecken verwertet werden. Die
Gesamtschau der Umstände der akustischen
Gesprächsüberwachung
14
- 12 -
belegt eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 20
Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Dies ist im vorliegenden Fall durch
ein Beweisverwertungsverbot zu kompensieren.
1. Das Beweisverwertungsverbot lässt sich allerdings nicht
unmittelbar aus § 100f StPO und auch nicht aus einer
entsprechenden Anwendung der Kernbereichsregelungen in § 100c
und § 100a StPO herleiten.
15
a) Die ermittlungsrichterliche Anordnung der Maßnahme erging
auf der Grundlage des hierfür einschlägigen
§ 100f StPO. Allein daran gemessen, wäre das Vorgehen
nicht zu beanstanden.
16
aa) Denn das nichtöffentlich gesprochene Wort wurde mit
technischen Mitteln außerhalb von Wohnungen abgehört
und aufgezeichnet. Der Besuchsraum der Haftanstalt ist keine Wohnung im
Sinne des Art. 13 GG. Bereits Hafträume einer
Justizvollzugsanstalt werden vom Schutzbereich des Art. 13 GG nicht
umfasst, da das Hausrecht der Anstalt die Befugnis der
Vollzugsbediensteten beinhaltet, die Hafträume jederzeit
unabhängig vom Einverständnis der dort
untergebrachten Gefangenen zu betreten (BVerfG NStZ 1996, 511).
Für Besuchsräume gilt dies wegen der dort bestehenden
besonderen Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse des
Anstaltspersonals (für die Untersuchungshaft
gemäß § 119 Abs. 3 StPO, Nr. 27 Abs. 1 und
Abs. 3 UVollzO; für die Strafhaft gemäß
§ 168 Abs. 3 StVollZG) erst recht (BGHSt 44, 138, 141; vgl.
auch Roxin NStZ 1999, 149, 150 f.); sie schaffen keine
räumliche Privatsphäre, wie sie bei einer Wohnung
besteht.
17
bb) Der Ermittlungsrichter hat in seinem Anordnungsbeschluss vom 25.
September 2007 dargelegt, dass gegen den Angeklagten der Verdacht das
18
- 13 -
Mordes - einer Katalogtat nach § 100a Satz 1 Nr. 2 StPO aF
(jetzt: § 100a Abs. 2 Nr. 1h StPO) - bestand und dass die
Erforschung des Sachverhalts ohne die
Überwachungsmaßnahme aussichtslos oder erheblich
erschwert gewesen wäre (vgl. § 100f Abs. 1, 2 und 4
i.V.m. § 100d Abs. 2 StPO).
Der Ermittlungsrichter hat den ihm hierbei zustehenden
Beurteilungsspielraum nicht überschritten (vgl. BGH NStZ 2003,
215, 216 m.w.N.). Seine Bewertung der Beweislage und des
Subsidiaritätsgrundsatzes war mindestens vertretbar. So war
namentlich die Leiche des vermissten Tatopfers noch nicht aufgefunden
und ausweislich der Telekommunikationsverbindungsdaten hatte der
Angeklagte kurz vor dem Verschwinden des Opfers mit diesem telefoniert.
19
cc) Dass der Anordnungsbeschluss keine ausdrückliche
Befristung der Maßnahme auf drei Monate enthielt (vgl.
§ 100f Abs. 2 i.V.m. § 100b Abs. 2 Satz 4 aF sowie
§ 100f Abs. 4 i.V.m. § 100b Abs. 1 Satz 4 StPO nF),
ist hier unschädlich. Die Überwachung wurde innerhalb
von drei Monaten durchgeführt und damit noch vor
Überschreiten der vom Gesetzgeber für derartige
Maßnahmen normierten zeitlichen Obergrenze.
20
dd) Die Maßnahme war auch nicht allein schon deshalb
unzulässig, weil, wie die Revision meint, jedes
Gespräch des Untersuchungsgefangenen mit einem Besucher
„erkennbar von einem Beamten überwacht“
werden müsse. Die akustische
Gesprächsüberwachung darf nach § 100f Abs. 1
StPO „auch ohne Wissen der Betroffenen“ angeordnet
werden. Insofern wäre - gemessen an § 100f StPO - die
Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH vom 24. Juli 1998 (BGHSt 44,
138), falls sie so zu verstehen wäre, schon durch die
später erfolgte Gesetzgebung überholt. Zudem war das
Kriterium „Erkennbarkeit der
Besuchsüberwachung“ so nicht zu verstehen; denn
für den 3. Strafsenat war es lediglich
21
- 14 -
eines von mehreren Kriterien, das im Rahmen der
Verhältnismäßigkeitsprüfung im
Einzelfall für die Zulässigkeit auch heimlicher
Überwachungsmaßnahmen streiten konnte. Eine
zusätzliche Eingriffsvoraussetzung für derartige
Gesprächsüberwachungen sollte damit nicht statuiert
werden (vgl. auch Schneider NStZ 2001, 8, 14).
b) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die
Kernbereichsregelungen des § 100c oder des § 100a
StPO entsprechend anzuwenden sind. Denn selbst nach den diesen
Vorschriften zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertungen
läge hier kein Beweiserhebungs- oder -verwertungsverbot vor.
22
aa) Die in §§ 100c, 100a StPO zum Schutz des
Kernbereichs privater Lebensgestaltung normierten Beweiserhebungs- und
-verwertungsverbote beruhen auf den Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 109, 279 zu den sich aus Art. 1
und Art. 13 GG ergebenden Grenzen einer akustischen
Wohnraumüberwachung. Die Regelungen entsprechen diesen
Vorgaben (vgl. BVerfG - Kammer - NJW 2007, 2753).
23
Der Gesetzgeber hatte bei der Neuregelung der §§ 100a
ff. StPO ein in sich geschlossenes Regelungskonzept vor Augen, dem je
nach Eingriffsintensität der Maßnahmen abgestufte
Verwertungsverbote zugrunde liegen. Ersichtlich deshalb hat er
für § 100f StPO - anders als bei §§
100c und 100a StPO - keinen Kernbereichsschutz vorgesehen. Von daher
könnte sich bereits die Frage stellen, ob Gerichte
überhaupt noch befugt sind, diese gesetzgeberische Konzeption
durch eine Ausweitung der Kernbereichsregelungen der
§§ 100a und 100c StPO auf § 100f StPO zu
durchbrechen. Für eine entsprechende Anwendung - freilich nur
im Einzelfall - könnte aber immerhin sprechen, dass auch bei
einer akustischen Gesprächsüberwachung
außerhalb von Wohnungen der Kernbe-
24
- 15 -
reich tangiert sein kann und dass der Gesetzgeber den - eher
ungewöhnlichen - Fall der heimlichen
Gesprächsüberwachung von Untersuchungsgefangenen mit
nahen Angehörigen nicht im Blick hatte.
bb) Eine entsprechende Anwendung des Beweiserhebungsverbots des
§ 100c Abs. 4 Satz 1 StPO oder des § 100a Abs. 4 Satz
1 StPO kommt aber schon deshalb nicht in Betracht, weil die ex ante zu
treffende Kernbereichsprognose des Ermittlungsrichters bei der hier
gegebenen Fallgestaltung negativ ausgefallen ist und auch so ausfallen
musste. Wegen des Gesprächsinhalts käme auch ein
Verwertungsverbot aufgrund der Ausnahmeregelung des § 100c
Abs. 5 Satz 3 StPO nicht in Betracht.
25
(1) Schon die „Art der zu überwachenden
Räumlichkeiten“ - hier der Besuchsraum der
Untersuchungshaftanstalt - drängt zu einer negativen
Kernbereichsprognose. Dass sich Untersuchungsgefangene aufgrund
gerichtlicher Entscheidungen und damit staatlichen Zwangs in der
Untersuchungshaft befinden, führt nicht dazu, dass der
Besuchsraum der Haftanstalt als unantastbarer Kernbereich privater
Lebensgestaltung des Untersuchungsgefangenen einzustufen wäre.
Ein Einzelbesuchsraum in der Haftanstalt wird auch nicht dadurch zum
geschützten Privatraum, dass bei Besuchen von der
gemäß § 119 Abs. 3 StPO, Nr. 27 Abs. 1 und
Abs. 3 UVollzO gebotenen offenen Besuchsüberwachung durch
einen Vollzugsbeamten abgesehen wird. Der Untersuchungsgefangene muss
aufgrund der Beschränkungen und des Zwecks der
Untersuchungshaft jederzeit damit rechnen, dass Vollzugsbedienstete den
Besuchsraum ohne Vorankündigung betreten und von ihren
Überwachungs- und Eingriffsbefugnissen Gebrauch machen (vgl.
BGHSt 44, 138, 141).
26
- 16 -
(2) Das gilt auch für Gespräche mit nahen
Angehörigen, denn das „Verhältnis der zu
überwachenden Personen zueinander“ lässt -
jedenfalls bei einer Fallgestaltung wie hier - die Prognose
begründet erscheinen, dass solche Gespräche nicht
ausschließlich privaten Charakter, sondern auch
„Verdunkelungshandlungen“ zum Gegenstand haben.
Deshalb wird die Kernbereichsprognose noch eher negativ ausfallen
müssen, als bei Gesprächen in Betriebs oder
Geschäftsräumen (§ 100c Abs. 4 Satz 2 StPO).
27
Der Überwachungsanordnung des Ermittlungsrichters lag die
Prognose zugrunde, der Beschuldigte werde mit seiner Ehefrau
über die Tat sprechen. Diese Prognose ist revisionsgerichtlich
nicht zu beanstanden; denn sie stützte sich auf eine
ausreichende Tatsachengrundlage. Es bestanden gewichtige Anhaltspunkte
dafür, dass der Angeklagte mit A. G. seit längerer
Zeit ein intimes Verhältnis gehabt hatte. Er hatte selbst
eingeräumt, sich mit ihr noch am Tag ihres Verschwindens
getroffen zu haben. Außerdem hatte er in Bezug auf einen
angeblichen Telefonanruf, den A. G. während des Treffens von
einem russisch sprechenden Anrufer erhalten habe, nachweislich die
Unwahrheit gesagt, was letztlich auch zu seiner Verhaftung
geführt hatte. Angesichts dieser Umstände war zu
erwarten, dass die Ereignisse im Zusammenhang mit diesem Treffen und
der Verhaftung des Angeklagten Gegenstand des Gesprächs mit
der Ehefrau sein würden.
28
cc) Tatsächlich hat sich die Prognose des Ermittlungsrichters
auch bestätigt, weil der Angeklagte mit seiner Ehefrau
„Gespräche über begangene
Straftaten“ führte; solche Gespräche sind
nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen (§
100c Abs. 4 Satz 3 StPO).
29
- 17 -
Der Angeklagte gab im Verlauf des überwachten
Gesprächs nicht nur an, dass die zu diesem Zeitpunkt lediglich
vermisste A. G. tot sei. Er forderte seine Ehefrau zudem mehrfach auf,
eine Videoaufzeichnung anzufertigen und diese an die Staatsanwaltschaft
und seine Verteidiger zu schicken. In diesem Video sollte sie gestehen,
aus Eifersucht zwei russische Auftragsmörder mit der
Tötung A. G. s beauftragt zu haben, die von diesen dann
gefesselt und verletzt worden sei. Weiterhin sollte sie angeben, Blut
und Sperma des Angeklagten am Mund bzw. an der Scheide des Opfers
hinterlassen zu haben. Die Äußerungen des
Angeklagten im abgehörten Gespräch mit seiner Ehefrau
enthielten somit Angaben, die sich auf die ihm vorgeworfene Straftat -
nämlich die Ermordung A. G. s - bezogen.
30
Der Senat braucht deshalb auch nicht zu entscheiden, ob die Erhebungs-
und Verwertungsverbote des § 100c Abs. 4 und Abs. 5 StPO
für den Fall der Wohnraumüberwachung, die in
§ 100f StPO keine Entsprechung haben, aufgrund eines
Erstrecht-Schlusses für den Bereich der akustischen
Überwachung außerhalb von Wohnungen
überhaupt zur Anwendung kommen können.
31
2. Auch wenn danach ein Erhebungs- und Verwertungsverbot aus §
100f StPO - selbst bei unterstellter entsprechender Anwendung der
Kernbereichsregelungen der §§ 100c, 100a StPO - nicht
hergeleitet werden kann, liegt bei der hier gegebenen Fallgestaltung
ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 20
Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) mit der Folge eines
Beweisverwertungsverbots vor.
32
Ein solcher Verstoß folgt aus einer Gesamtschau der
Umstände bei der Durchführung der akustischen
Gesprächsüberwachung und des Vorgehens der
33
- 18 -
Ermittlungsbehörden vor dem Hintergrund der besonderen
Situation des Angeklagten in der Untersuchungshaft. Der
Verstoß führt zu einem Beweisverwertungsverbot, weil
das Beweismittel auf eine unzulässige, gegen das Recht auf ein
faires Verfahren verstoßende Weise erlangt wurde.
a) Das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren wurzelt im
Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten des
Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Es
verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt eines staatlichen
Verfahrens herabzuwürdigen, und es verpflichtet den Staat zu
korrektem und fairem Verfahren (BVerfG, Beschl. vom 18. März
2009 - 2 BvR 2025/07 - m.w.N.).
34
aa) Die Ausgestaltung des Strafverfahrensrechts in einer Weise, dass
der Grundsatz des fairen Verfahrens gewahrt wird, ist in erster Linie
dem Gesetzgeber und sodann - in den vom Gesetz gezogenen Grenzen - den
Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsanwendung und -auslegung
aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt
erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in
seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass
rechtsstaatlich zwingende Forderungen nicht gezogen worden sind oder
rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (BVerfG aaO; vgl.
auch BVerfGE 57, 250, 276; 64, 135, 145). Im Rahmen dieser Gesamtschau
sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen
Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239, 250;
80, 367, 375). Das Rechtsstaatsprinzip, das die Idee der Gerechtigkeit
als wesentlichen Bestandteil enthält, fordert nicht nur eine
faire Ausgestaltung und Anwendung des Strafverfahrensrechts. Es
gestattet und verlangt auch die Berücksichtigung der Belange
einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der
Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE
35
- 19 -
33, 367, 383; 46, 214, 222). Der Rechtsstaat kann sich aber nur
verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen
sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze
verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt
werden (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 33, 367, 383; 46, 214, 222; BVerfG,
Beschl. vom 18. März 2009 - 2 BvR 2025/07).
bb) Das Recht auf ein faires Verfahren umfasst dabei das Recht jedes
Angeklagten auf Wahrung seiner Aussage- und
Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens. Es hat
in dem verfassungsrechtlich verankerten Gebot der
Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur se ipsum
accusare“) und in den Vorschriften der § 136a,
§ 163a Abs. 4 Satz 2 StPO seinen Niederschlag gefunden. Das
Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung bedeutet, dass im Rahmen des
Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene
Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner
Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfGE 109, 279,
324; 56, 37, 49). Nach der Rechtsprechung des EGMR ist das
Schweigerecht eines Beschuldigten und seine Entscheidungsfreiheit, in
einem Strafverfahren auszusagen oder zu schweigen, etwa dann verletzt,
wenn die Strafverfolgungsbehörden in einem Fall, in dem sich
der Beschuldigte für das Schweigen entschieden hat, eine
Täuschung anwenden, um ihm Geständnisse oder andere
belastende Angaben zu entlocken, die sie in einer Vernehmung nicht
erlangen konnten, und die so erlangten Geständnisse oder
selbst belastenden Aussagen in den Prozess als Beweise
einführen (EGMR StV 2003, 257, 259). Ob das Schweigerecht in
einem solchen Maß missachtet wurde, dass eine Verletzung von
Art. 6 MRK gegeben ist, hängt von den Umständen des
Einzelfalls ab (EGMR aaO).
36
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen stellt sich im
vorliegenden Fall die heimliche akustische Überwachung des
Ehegattengesprächs im Besucher-
37
- 20 -
raum bei einer Gesamtschau aller hierfür bedeutsamen
Umstände als eine Verletzung des Rechts auf ein faires
Verfahren dar.
aa) Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die
gesetzlichen Regelungen der StPO sich als Konkretisierungen des
Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer
Verfahrensführung darstellen. Das gilt auch und besonders
für die heimliche Gesprächsüberwachung nach
den §§ 100a ff. StPO.
38
Hier liegt aber eine besondere Fallgestaltung vor, die dadurch
gekennzeichnet ist, dass gleich mehrere unverzichtbare rechtsstaatliche
Grundsätze tangiert wurden, und das nicht nur am Rande. Zwar
sind die einzelnen Grundsätze - jeweils für sich
isoliert betrachtet - noch nicht in einem Ausmaß verletzt,
dass allein schon aus dem jeweils einzelnen Grundsatz ein
Verwertungsverbot abzuleiten wäre. Eine derart isolierte
Betrachtung würde indessen der hier von den
Ermittlungsbehörden praktizierten Vorgehensweise nicht
gerecht. Daraus folgt, dass eine der Gesamtsituation angemessene
Bewertung nur durch eine Betrachtung des Verfahrens als Ganzes - also
bei Berücksichtigung aller Umstände der
Gesprächsüberwachung - erfolgen kann.
39
bb) Der Senat verkennt nicht, dass die
Strafverfolgungsbehörden den Angeklagten nicht durch gezieltes
und beharrliches Einwirken seitens eines nur zu diesem Zweck auf ihn
angesetzten Gesprächspartners zu einer selbstbelastenden
Aussage veranlasst haben, wie dies etwa bei dem Einsatz eines
Verdeckten Ermittlers oder bei dem Tätigwerden eines als
Vertrauensperson eingesetzten Mitgefangenen der Fall sein
könnte (vgl. dazu BGHSt 34, 362, 363; 44, 129, 136; BGH NJW
2007, 3138, 3141). Vielmehr wurde durch die eigentliche
Überwachungsmaßnahme lediglich
„abgeschöpft“, was der Angeklagte aus
40
- 21 -
freien Stücken gegenüber seiner Ehefrau
äußerte, weil er sich unbeobachtet fühlte.
Für sich genommen begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken,
zumal die Ermittlungsbehörden auf den Gesprächsinhalt
der Eheleute keinerlei Einfluss genommen haben.
cc) In die für die Frage, ob dem Angeklagten ein faires
Verfahren zuteil wurde, vorzunehmende Gesamtschau sind aber auch die
besonderen Verhältnisse des Untersuchungshaftvollzuges und die
Ausgestaltung der Ehegatten-Besuchskontakte durch die
Ermittlungsbehörden im konkreten Fall einzubeziehen.
41
(1) Der Vollzug der Untersuchungshaft hat den Zweck, die
Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu
gewährleisten und die spätere Strafvollstreckung
sicherzustellen. Die Untersuchungshaft darf aber weder dazu missbraucht
werden, das Aussageverhalten des Beschuldigten zu beeinflussen (BGHSt
34, 362, 363), noch darf sie auf eine Totalausforschung des
Untersuchungsgefangenen hinauslaufen. Deshalb wäre es
unzulässig, wenn etwa sämtliche Gespräche
eines Untersuchungsgefangenen ohne konkreten Anlass abgehört
würden, um überhaupt erst feststellen zu
können, ob die Informationserhebung für das
Strafverfahren relevante Inhalte betrifft (vgl. BVerfGE 109, 279, 323;
BGHSt 44, 138, 143; Schneider aaO S. 14). Andererseits müssen
Besuche in der Untersuchungshaft oft bereits deshalb - offen oder
verdeckt - überwacht werden, damit Verdunkelungshandlungen
verhindert werden können.
42
(2) Deswegen war es im vorliegenden Fall, in dem angesichts der
Beweissituation Verdunkelungshandlungen nicht fern lagen, für
sich allein auch nicht bedenklich, dass die
Kontaktmöglichkeiten des Angeklagten zu seiner Ehefrau
während der Untersuchungshaft zeitlich und örtlich
erheblich einge-
43
- 22 -
schränkt wurden. Vor dem Hintergrund des Zwecks der
Untersuchungshaft hatte der Angeklagte auch keinen Anspruch darauf, mit
seiner Ehefrau ungestört und unüberwacht sprechen zu
können.
(3) Allerdings ist in die Gesamtbetrachtung auch die durch die Haft
bedingte Beschränkung des Angeklagten einzubeziehen, die ihm
ein Ausweichen auf einen anderen Gesprächsort - etwa eine
Wohnung - unmöglich machte. Er war daher darauf angewiesen,
auch Persönliches, das keinen Bezug zu der ihm vorgeworfenen
Tat hatte, im Rahmen dieser Besuche mit seiner Ehefrau zu besprechen.
Auch dieser Umstand macht die Überwachungsmaßnahme
für sich allein nicht zu einer unfairen Verfahrensgestaltung;
denn die Überwachung wurde angeordnet, weil aufgrund konkreter
Anhaltspunkte damit zu rechnen war, dass gerade der Tatvorwurf und
nicht nur persönliche Dinge der Ehegatten zur Sprache kommen
würden. Es lag auf der Hand, dass der gegen den Angeklagten
erhobene gravierende Tatvorwurf und die Umstände, die zu
seiner Verhaftung geführt haben, zwischen den Eheleuten zur
Sprache kommen würden, zumal es lebensfremd gewesen
wäre, anzunehmen, die Ehefrau würde die
außereheliche Beziehung des Angeklagten zu der Person, deren
Tötung dem Angeklagten zur Last lag, unerörtert
lassen. Auch wenn es in einer solchen Situation einem Beschuldigten
regelmäßig schwer fallen dürfte, nicht
über den Tatvorwurf zu sprechen - insbesondere, um nicht
eventuelles Täterwissen zu offenbaren - stellt die akustische
Überwachung der Besuchskontakte zum Ehegatten noch keinen
Zwang zur Selbstbelastung dar. Der Beschuldigte kann letztlich selbst
entscheiden, was er seinem Ehegatten offenbart und was nicht, auch wenn
der in Betracht kommende Gesprächsstoff angesichts der
Überwachungssituation erheblich eingeschränkt ist.
44
- 23 -
dd) In der von den Beschränkungen des
Untersuchungshaftvollzuges geprägten
Gesprächssituation erlangt hier aber das Vorgehen der
Ermittlungsbehörden besonderes Gewicht, das die
Fehlvorstellung beim Angeklagten nicht nur hervorrufen musste, sondern
auch sollte, er könne mit seiner Ehefrau unüberwacht
sprechen.
45
Zwar ist die Anwendung einer kriminalistischen List auch bei
Ermittlungsmaßnahmen in der Haftanstalt nicht
unzulässig; auch ist es gerade das Charakteristikum von
heimlichen Überwachungsmaßnahmen, dass der
Überwachte sich unbeobachtet fühlt.
46
Die Ermittlungsbehörden haben sich aber in einer Situation, in
der dem Angeklagten ein Ausweichen auf ein von ihm selbst
gewählten Gesprächsort nicht möglich war,
nicht darauf beschränkt, die Gespräche des
Angeklagten zu seiner Ehefrau akustisch zu überwachen. Sie
haben vielmehr bewusst eine von den üblichen Abläufen
in der Untersuchungshaft derart abweichende Besuchssituation
geschaffen, dass nicht lediglich ein Irrtum des Angeklagten ausgenutzt
wurde. Vielmehr wurde, anders kann man das Vorgehen nicht verstehen,
die Situation - gezielt - zur Erlangung einer gerichtsverwertbaren
Selbstbelastung des Angeklagten herbeigeführt. Im Rahmen ihres
Vorgehens haben die Ermittlungsbehörden mit mehreren
aufeinander abgestimmten Maßnahmen dem Angeklagten den
Eindruck vermittelt, er erhalte nun eine Sonderbehandlung und
dürfe sich völlig ungestört und ohne
jegliche Überwachung mit seiner Ehefrau - noch dazu in
marokkanischer Sprache - unterhalten.
47
Zum einen wurde für die Besuche der Ehefrau des Angeklagten
nicht der gewöhnlich verwendete Besuchsraum genutzt; vielmehr
wurde dem Angeklagten für den Besuchskontakt mit seiner
Ehefrau ein „separater Raum“ zugewie-
48
- 24 -
sen. Zum anderen fanden diese Besuche - abweichend von den
üblichen Abläufen in der Haftanstalt - stets ohne
offene Überwachung durch einen Vollzugsbeamten statt. Besuche
in der Untersuchungshaft werden aber nach § 119 Abs. 3 StPO
entsprechend Nr. 27 UVollzO in der Regel erkennbar überwacht,
gerade weil bei diesen auch die Gefahr von Verdunkelungshandlungen
besteht und deshalb ein unmittelbares Eingreifen durch den
überwachenden Beamten erforderlich werden kann (vgl. Nr. 27
Abs. 3 UVollzO).
Angesichts dieser Einwirkung auf das Vorstellungsbild des Angeklagten,
die ihn zu der Fehlvorstellung gelangen ließ, die Besuche
würden nicht überwacht, ist das Vorgehen der
Ermittlungsbehörden unter gezielter Ausnutzung der besonderen
Situation des Untersuchungshaftvollzuges zur Erlangung einer
prozessverwertbaren Selbstbelastung des Angeklagten schon vor dem
Hintergrund des verfassungsrechtlich verankerten Verbots eines Zwangs
zur Selbstbelastung („nemo tenetur se ipsum
accusare“) bedenklich.
49
Dieser Bewertung steht hier nicht entgegen, dass - isoliert betrachtet
- der Abwesenheit eines Vollzugsbediensteten zur
Besuchsüberwachung nach außen
regelmäßig allenfalls der Erklärungsinhalt
zukommt, dass Beeinträchtigungen der Haftzwecke
während des Besuchs von Seiten der
Strafverfolgungsbehörden nicht besorgt werden (vgl. Schneider
aaO S. 14). Jedenfalls dann, wenn einem Untersuchungsgefangenen
für die Kontakte mit der Ehefrau abweichend von der
allgemeinen Praxis stets ein gesonderter Raum zur Verfügung
gestellt wird, in dem zu keinem Zeitpunkt ein Vollzugsbediensteter zur
Gesprächsüberwachung anwesend ist, verliert die
Überwachungsmaßnahme den Charakter einer
bloßen „Abschöpfung“
freiwilliger Äußerungen und wird zur bewussten
Irreführung (zum Ausnutzen eines bestehenden Irrtums durch die
Strafverfolgungsbehörden vgl. BGHSt 39, 335, 348).
50
- 25 -
Zwar hat diese - wie auch die Verteidigung zu Recht in der
Hauptverhandlung hervorgehoben hat - noch nicht die Qualität
einer Täuschung oder eines unzulässigen Zwangs im
Sinne von § 136a StPO. Jedenfalls in der Gesamtschau stellt
sich hier aber das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden mit
Blick auf die besondere Situation des Untersuchungshaftvollzuges als
Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren dar. Die Beweisgewinnung
greift danach in erheblicher Weise in die Verfahrensrechte des
Angeklagten ein und war somit unzulässig. Sie hat ein
Beweisverwertungsverbot zur Folge.
51
c) Eine andere Wertung ergibt sich hier auch nicht mit Blick auf die
bei der Gesamtschau der maßgeblichen Umstände zu
beachtenden Erfordernisse einer funktionstüchtigen
Strafrechtspflege.
52
Dieser kommt freilich bei schwer wiegenden Delikten - wie hier beim
Tatvorwurf des Mordes - erhebliche Bedeutung zu. Der Grundsatz des
fairen Verfahrens verlangt nicht, allein im Hinblick auf die besonderen
Umstände des Untersuchungshaftvollzuges von heimlichen
Ermittlungsmaßnahmen in der Haftanstalt - generell - Abstand
zu nehmen. Im Gegenteil gebietet es gerade der Rechtsstaat, dass auch
in Justizvollzugsanstalten effektive Ermittlungen durchgeführt
werden, um zu gewährleisten, dass Straftäter im
Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten
Bestrafung zugeführt werden können.
53
Dies bedeutet, dass auch in der Untersuchungshaft akustische
Überwachungsmaßnahmen gemäß
§ 100f StPO grundsätzlich zulässig und -
wenn andere erfolgversprechende Maßnahmen nicht in Betracht
kommen - sogar geboten sein können. Allerdings ist bei der
Anordnung und Durchführung von Maß-
54
- 26 -
nahmen, die letztlich darauf gerichtet sind, den Beschuldigten
„als Beweismittel gegen sich selbst“ zu verwenden,
auf die besonderen Umstände der Haft Bedacht zu nehmen. Daran
fehlte es hier.
Gegen die Zulässigkeit einer solchen Maßnahme
bestehen dagegen keine Bedenken, wenn der Untersuchungsgefangene
weiß oder jedenfalls - etwa durch entsprechende Hinweise -
wissen kann, dass Besuchskontakte generell oder im konkreten Fall -
auch akustisch - überwacht und aufgezeichnet werden. So
gewonnene Erkenntnisse wären nach den dargelegten
Maßstäben verwertbar.
55
3. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes beruht auf dem
Verfahrensfehler. Zwar liegt es angesichts der Fülle und des
Gewichts der übrigen Beweisanzeichen nicht fern, dass das
Landgericht auch dann zu einer Verurteilung des Angeklagten wegen
Mordes gelangt wäre, wenn es die Erkenntnisse aus der
akustischen Gesprächsüberwachung in der
Untersuchungshaft nicht verwertet hätte. Da die Strafkammer
aber die heimlich aufgezeichneten Äußerungen des
Angeklagten während des Besuchskontaktes mit seiner Ehefrau
56
- 27 -
ausdrücklich zu seiner Überführung
herangezogen und als „deutliches Indiz“
für seine Täterschaft gewertet hat, kann der Senat
nicht ausschließen, dass sie diesen Erkenntnissen letztlich
ausschlaggebende und damit fallentscheidende Bedeutung beigemessen hat.
Nack Kolz Hebenstreit
Elf Jäger |