BGH,
Urt. v. 29.4.2009 - 2 StR 470/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 470/08
vom
29. April 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29.
April 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Appl,
Cierniak,
Prof. Dr. Schmitt,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers
wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 6. Juni 2008 mit den
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen
wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des
Nebenklägers; die Rechtsmittel beanstanden die Verletzung
materiellen Rechts mit dem Ziel einer Verurteilung wegen
Heimtückemordes. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen entstand während des
Frühstücks am Morgen des 16. November 2007 ein Streit
zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau. Um sich zu beruhigen und
auch, um die Zeitung zu holen, ging der Angeklagte hinaus auf den Hof
seines Anwesens. Dort erblickte er einen ca. 3 kg schweren Hammer mit
einem ca. 40 cm langen Stiel. Spontan entschloss er sich, seine Ehefrau
zu töten. Er zog sich die neben dem Hammer liegenden
Handschuhe an und ging anschließend wieder in die
Waschküche zurück, wo-
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bei er den Hammer in der rechten Hand neben seiner Hose hielt, "ohne
allerdings hiermit eine bestimmte Absicht zu verfolgen". Die Ehefrau
des Angeklagten saß unverändert am
Küchentisch und blickte in die vom Angeklagten abgewandte
Richtung. Dieser trat hinter seine Ehefrau, die sich eines Angriffs
nicht versah, und schlug mit dem Hammer von oben wiederholt auf den
Kopf seiner Ehefrau, um diese zu töten. Sodann ergriff er eine
Plastiktüte mit einer daran befindlichen Sisalschnur, zog
diese seiner Ehefrau über den Kopf und drosselte ihr mit der
Schnur den Hals, damit sie ersticke. Er schnürte die
Tüte im Bereich des Nackens fest zu und befestigte sie straff
mittels eines Schleifenknotens. Die Ehefrau verstarb kurz nach den
Angriffen durch Verbluten nach innen und außen infolge der
ihr zugefügten Kopfverletzungen.
Nach der Tat zog der Angeklagte sich um, wusch sich die bei der Tat
davongetragenen Blutanhaftungen ab und warf das Tatwerkzeug sowie die
zuvor getragenen Kleidungsstücke in einen alten, mit einer ca.
15 kg schweren Stahlplatte gesicherten Brunnen. Gegenüber von
ihm herbeigerufenen Verwandten und Polizistinnen behauptete er
zunächst, seine Frau nach Rückkehr vom Friedhof tot
aufgefunden zu haben; diese habe ihm zuvor erzählt, dass sie
Besuch erwarte.
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Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag - begangen im
Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21
StGB) - gewertet. Das Vorliegen von Heimtücke hat es
ausgeschlossen. Zwar habe sich das Tatopfer keines tätlichen
Angriffs versehen; es sei aber nicht sicher festzustellen, dass der
Angeklagte in dem Bewusstsein gehandelt habe, sein Opfer sei arg- und
wehrlos gewesen.
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2. Die Ausführungen zur Verneinung der subjektiven Tatseite
des Mordmerkmals der Heimtücke (§ 211 StGB) sind -
worauf die Revision der Staats-
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anwaltschaft zu Recht hinweist - nicht rechtsbedenkenfrei. Das
Landgericht hat mit rechtsfehlerhafter Begründung ein
bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers durch den
Angeklagten verneint.
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung
die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung
ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das
keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage
überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein
Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das Opfer muss
gerade auf Grund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Maßgebend
für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit
Tötungsvorsatz geführten Angriffs (BGHSt 32, 382, 383
f.; BGH NJW 1991, 1963; Urteil vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04).
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Der Tatrichter ist davon ausgegangen, dass die Ehefrau des Angeklagten
arg- und wehrlos war, als dieser mit dem Hammer in der Hand hinter sie
trat. Denn sie rechnete nach den Urteilsfeststellungen mit keinem
tätlichen Angriff. Objektiv ist das Mordmerkmal der
Heimtücke daher gegeben.
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b) Bei der Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins des Angeklagten
erörtert der Tatrichter rechtsfehlerhaft wesentliche
Umstände nicht. Wenn das Landgericht meint, Zweifel nicht
überwinden zu können, obwohl die subjektiven Merkmale
der Heimtücke auf Grund des äußeren
Tathergangs - wie hier - nahe liegen, müssen bei der
Beweiswürdigung alle wesentlichen Tatumstände in die
Betrachtung einbezogen werden, die gegen diese Zweifel sprechen
können (vgl. u. a. BGH, Urt. vom 17. August 2001 - 2 StR
159/01; NStZ 2005, 688, 689; BGHR StGB § 211 Abs. 2
Heimtücke 11).
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aa) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit
genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit
in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und
die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er
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sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber
einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH,
Urt. vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04; NStZ 2005, 688, 689).
bb) Nach dem äußeren Tatgeschehen hat der Angeklagte
naheliegend mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt. Die Gegebenheiten
nach Rückkehr in die Waschküche waren einfach und auf
einen Blick überschaubar. Der Umstand, dass die
Geschädigte auf Grund ihrer Blickrichtung gegenüber
einem Angriff des sich von hinten nähernden Angeklagten
wehrlos war, drängte sich auf. Dies hat der Angeklagte auch
vollständig erfasst. Er hat, wie die Urteilsfeststellungen
ergeben, bewusst wahrgenommen, dass seine Ehefrau in der
Annäherungsphase von ihm wegschaute und dass sie den Hammer
auch auf Grund von dessen Position nicht erkennen konnte.
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Soweit das Landgericht darüber hinaus verlangt, dass der
Täter die erkannte Arg- und Wehrlosigkeit für die
Tatausführung instrumentalisiert, geht dies über die
rechtlichen Anforderungen an das Mordmerkmal der Heimtücke
hinaus. Außerdem handelt es sich um eine Rechtsfrage, die der
Tatrichter eigenständig zu prüfen hat und die er
nicht der Verantwortung des Sachverständigen
überlassen darf.
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Dem Ausnutzungsbewusstsein steht das für den Zeitpunkt der Tat
festgestellte "gereizt affektive Syndrom von tiefem Ausmaß
wie Zorn und Ärger" nicht erkennbar entgegen. Der Angeklagte
hatte sich zunächst aus dem Frühstücksraum
entfernt, um einer Fortsetzung des Streits mit seiner Ehefrau aus dem
Weg zu gehen und sich zu beruhigen. Erst auf dem Hof fasste der
Angeklagte den Entschluss, seine Ehefrau zu töten. Abgesehen
davon, dass nicht jede affektive Erregung des Täters der
Annahme eines Ausnutzungsbewusstseins entgegensteht (vgl. BGH NStZ
2003, 535), relativiert die im äußeren Ab-
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lauf deutlich erkennbare Zäsur die Indizwirkung der
Spontanität des Tatentschlusses für das Fehlen eines
Ausnutzungsbewusstseins, wie der Generalbundesanwalt zutreffend
ausgeführt hat.
Widersprüchlich ist es im Blick auf die Feststellungen zur
subjektiven Tatseite, wenn die Strafkammer auf UA 16 ohne
nähere Erläuterungen ausführt, der
Realitätsbezug des Angeklagten sei ähnlich wie bei
Schizophrenen beeinträchtigt gewesen, andererseits aber
feststellt, der Angeklagte habe weder Dinge verkannt noch
Wahrnehmungsstörungen erlitten, noch sei er verwirrt gewesen.
Gleichwohl hat das Schwurgericht diesen Gesichtspunkt im Zusammenhang
mit § 21 StGB nur unter dem Aspekt erheblich verminderter
Steuerungsfähigkeit gewürdigt. Weder der Wechsel des
Tatmittels bei fortbestehendem Tötungsvorsatz noch die
Verschleierungsversuche nach der Tat deuten auf einen
beeinträchtigten Realitätsbezug hin.
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In die Bewertung, ob ein Ausnutzungsbewusstsein gegeben ist,
hätte auch das überaus umsichtige Tat- und
Nachtatverhalten des Angeklagten näher als geschehen
einbezogen werden müssen. Das Anlegen von Handschuhen vor der
Tatausführung deutet darauf hin, dass der Angeklagte bestrebt
war, Fingerabdrücke auf dem Tatwerkzeug zu vermeiden.
Ebenfalls spricht die überlegte, planvolle
Tatausführung - der Angeklagte hielt den Hammer bei seiner
Annäherung an seine Ehefrau außerhalb ihres
(potentiellen) Sichtfeldes - für das Vorliegen des
Ausnutzungsbewusstseins. Die - ersichtlich allein auf Grund der
Einlassung des Angeklagten getroffene - Feststellung, der Angeklagte
habe hiermit keine bestimmte Absicht verfolgt, ist nicht
rechtsfehlerfrei getroffen. Denn es ist weder im Hinblick auf den
Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten
Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine
konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., vgl. etwa BGH NStZ
2004, 35, 36; NStZ-RR 2003, 371; 2005, 147).
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3. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Der neue Tatrichter hat
daher Gelegenheit, die Frage der erheblich verminderten
Schuldfähigkeit neu und eigenständig zu
prüfen.
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Rissing-van Saan Rothfuß Appl
Cierniak Schmitt |