BGH,
Urt. v. 29.10.2003 - 5 StR 358/03
5 StR 358/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
29.10.2003
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29.
Oktober
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Dresden vom 31. Januar 2003 mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (vorsätzlicher)
Körperverletzung
zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung
der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Von der Begehung zweier
dem
Angeklagten vorgeworfener Vergewaltigungen hat sich das Landgericht
dagegen
nicht überzeugen können; die hiergegen gerichtete
Revision der
Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Am 4. August 2002 begab sich der Angeklagte in die
Eschenstraße 4
in Dresden. Er traf dort im Hof auf mehrere Hausbewohner, die sich
über die
ebenfalls dort lebende Zeugin K - die spätere
Geschädigte
- unterhielten. Diese wurde von den Bewohnern des Hauses gemieden,
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da sie häufig betrunken war und in diesem Zustand Nachbarn
beleidigte und
verleumdete. Zudem soll sie vielfach die Polizei und Rettungsdienste
grundlos
alarmiert und einen der Mieter zu Unrecht einer Vergewaltigung
bezichtigt
haben. Mit dem Angeklagten verstand sich K jedoch
„verhältnismäßig
gut“. Als diese - wiederum bereits angetrunken - im Hof
erschien,
erklärte sich der Angeklagte bereit, auf einem Spaziergang
über die
Probleme mit den Nachbarn zu sprechen. Nachdem sie unterwegs Bier
gekauft
und getrunken hatten, begann es zu regnen. Beide suchten eine
nahegelegene
Garage auf und stellten sich dort unter. Plötzlich und ohne
erkennbaren
Anlaß schlug der Angeklagte K mehrfach mit der
Hand ins Gesicht, wodurch die Zeugin Prellungen erlitt.
Von einer dem Angeklagten zudem vorgeworfenen Vergewaltigung in
der Garage hat sich die Strafkammer indes nicht überzeugen
können. Gleiches
gilt im Hinblick auf eine weitere Vergewaltigung, zu der es nach den
Angaben der Geschädigten kurze Zeit später - nach
weiterem gemeinsamen
Alkoholkonsum und Heimweg - im Treppenhaus des Hauses
Eschenstraße
4 gekommen sein soll; die Strafkammer hat den Angeklagten insoweit
freigesprochen.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, die die unterbliebene Verurteilung
wegen der Vergewaltigungsvorwürfe rügt, hat mit der
Sachrüge Erfolg;
eines Eingehens auf die zusätzlich erhobenen
Verfahrensrügen bedarf es
daher nicht.
1. Schon die Darstellung der dem Urteil zugrundeliegenden
Beweiswürdigung
begegnet erheblichen Bedenken. Bei einem Freispruch aus
tatsächlichen
Gründen müssen in der Regel nach Mitteilung des
Anklagevorwurfs
im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnet werden, die
der
Tatrichter für erwiesen hält, bevor er in der
Beweiswürdigung beginnend mit
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der Einlassung des Angeklagten dartut, aus welchen Gründen er
die zur
Verurteilung notwendigen (zusätzlichen) Feststellungen nicht
treffen konnte
(BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2, 5, 8, 12). Dies gilt
entsprechend,
wenn der Tatrichter zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte
habe nur
einen Tatbestand erfüllt, weitere aus Sicht der Anklage
tateinheitlich dazu
stehende Delikte seien ihm hingegen aus tatsächlichen
Gründen nicht nachzuweisen.
Auch die sehr knappe, über die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale
kaum hinausgehende Wiedergabe der Vergewaltigungsvorwürfe ist
problematisch.
Vor allem aber fehlt es im Rahmen der dann folgenden
Beweiswürdigung
an einer hinreichend nachprüfbaren Darstellung der Einlassungen
des Angeklagten einerseits und der Bekundungen der
Geschädigten andererseits.
Zwar genügt im allgemeinen eine geraffte Zusammenfassung der
für
die Beweiswürdigung wesentlichen Einzelheiten (BGHR StPO
§ 267 Abs. 1
S. 2 Einlassung 1; BGH NStZ-RR 1999, 272). Doch ist eine umfassende
Darstellung der relevanten Aussagen nach ständiger
Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs dann geboten, wenn - wie hier - Aussage gegen Aussage
steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welcher
Person das
Gericht Glauben schenkt. Bei einer solchen Beweislage muß der
Tatrichter
erkennen lassen, daß er alle Umstände, die die
Entscheidung zu beeinflussen
geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen
hat (vgl.
BGHSt 44, 153, 159; BGHSt 44, 256, 257). Dies gilt auch dann, wenn das
Gericht den Angeklagten nicht verurteilt, weil es sich von der
Richtigkeit der
belastenden Aussage eines Zeugen nicht überzeugen kann (vgl.
BGH
NStZ-RR 2002, 174 m. w. N.).
Zum Geschehen in der Garage teilt die Strafkammer zur Einlassung
des Angeklagten lediglich mit, daß die getroffenen
Feststellungen „im wesentlichen
auf dem Geständnis des Angeklagten“ beruhen,
„soweit ihm gefolgt
werden konnte“ und daß „die vom
Angeklagten behauptete Erinnerungslücke“
zu seiner „plötzlichen
Verhaltensänderung“ durch die Angaben der
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Geschädigten „zumindest soweit ihren Angaben gefolgt
werden konnte“ ausgefüllt
werden konnten (UA S. 15). Im Rahmen der Strafzumessung (hinsichtlich
des ausgeurteilten Körperverletzungsdelikts) wird dem
Angeklagten
dann aber zugute gehalten, daß er „von sich aus die
Tat von Anfang an eingeräumt
hat, ohne seine Handlung von sich aus beschönigend
darzustellen“;
seine fehlende „Detailerinnerung“ beruhe auf einem
Verdrängungsmechanismus.
Ungeachtet der offenkundigen Ungereimtheiten dieser wenigen
bruchstückhaften und widersprüchlichen Mitteilungen
fehlt sowohl die gebotene
Wiedergabe von Einzelheiten der Einlassung des Angeklagten in der
Hauptverhandlung als auch Angaben zu seinem Aussageverhalten in
vorhergehenden
Verfahrensabschnitten. Gleiches gilt letztlich auch für die
Darstellung
der Angaben der Geschädigten. Statt deren Bekundungen zum
Tatvorwurf
zusammenhängend zu schildern (vgl. dazu BGHR StPO §
267
Abs. 1 S. 1 Sachdarstellung 12) und dann zu würdigen,
beschränkt sich das
Landgericht auf die Wiedergabe und Bewertung einzelner aus dem
Gesamtzusammenhang
der Aussage gerissener Angaben, die aus Sicht des Landgerichts
mit weiteren Beweisergebnissen nicht in Einklang stehen. Eine
sorgfältige
Erörterung all dieser Umstände war auch deswegen
geboten, weil die
Strafkammer die Aussage der Geschädigten hinsichtlich der ihr
zugefügten
Körperverletzung für glaubhaft befunden und insoweit
den eigenen Feststellungen
zugrundelegt hat.
Dies trifft in gleicher Weise auf die Beweiswürdigung zu der
dem Angeklagten
vorgeworfenen weiteren Vergewaltigung im Treppenhaus zu
(UA S. 26 - 28). Zudem läßt die hier - aber auch an
anderen Stellen der Beweiswürdigung
- verwendete Formulierung, die Einlassung des Angeklagten
habe nicht „zwingend“ widerlegt werden
können, besorgen, daß die Strafkammer
die Anforderungen, die an die richterliche Überzeugung von der
Schuld des Angeklagten zu stellen sind, überspannt hat.
Voraussetzung für
die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten
Sachverhalt ist nicht
eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende
Gewißheit.
Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes
Maß an Si-
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cherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen
läßt. Dabei haben solche
Zweifel außer Betracht zu bleiben, die realer
Anknüpfungspunkte entbehren
und sich lediglich auf die Annahme einer bloß gedanklichen,
abstrakttheoretischen
Möglichkeit gründen (vgl. BGHR StPO § 261
Überzeugungsbildung
2, 22, 25).
2. Die Beweiswürdigung des Tatgerichts hält
jedenfalls wegen Lückenhaftigkeit
sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie
läßt die gebotene
Auseinandersetzung mit der wesentlichen Feststellung vermissen,
daß bei
der Untersuchung des Angeklagten kurz nach seiner Festnahme Kopfhaare
der Geschädigten unter seiner Vorhaut gefunden worden waren
(UA S. 19).
Im Urteil wird dieses Indiz allein im Zusammenhang mit Gesichtspunkten
erwähnt,
die den Angeklagten aus Sicht des Landgerichts entlasten. So
schließt es aus dem beschriebenen Fund, daß der
Angeklagte sich nach der
Trennung von der Geschädigten nicht gereinigt habe. Dies wie
auch der Umstand,
daß weder am Geschlechtsteil des Angeklagten noch bei der
Geschädigten
Spermien gefunden worden seien, lasse die dem Angeklagten vorgeworfenen
Vergewaltigungen zweifelhaft erscheinen. Im übrigen
begnügt sich
das Tatgericht mit dem Hinweis, es habe nicht aufgeklärt
werden können,
wie die Haare dorthin gelangen konnten. Der jedenfalls sehr
naheliegenden
Erklärung, daß Ursache dafür ein - der
Anklage zugrundegelegter - Oralverkehr
gewesen war, geht die Strafkammer in keiner Weise nach. Eine
Auseinandersetzung
mit diesem den Angeklagten erheblich belastenden Indiz war
aber unumgänglich, zumal angesichts der vorliegenden
Beweislage ohnehin
schon eine besonders sorgfältige Erörterung aller
relevanten Beweistatsachen
angezeigt war. Schließlich fehlt auch jedwede Darlegung, aus
welchem
Grund der Angeklagte gegen die Zeugin vorgegangen ist. Auch nach dem
Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist kein einleuchtendes
Motiv erkennbar,
warum der Angeklagte die Zeugin
„plötzlich“ mehrfach ins Gesicht
geschlagen haben soll. Dies gilt umso mehr, als die weiteren - aus
Sicht der
Strafkammer - gegen eine Vergewaltigung sprechenden Gesichtspunkte, wie
fehlende Beschädigungen an der Rückseite der Bluse
des Opfers und die
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(geringe) Größe der Kiste, auf der die
Geschädigte bei der Tat gelegen haben
soll, - wenn überhaupt - nur von geringer Indizwirkung sind.
3. Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat darauf
hin, daß
bei der Berechnung der Blutalkoholkonzentration eines Angeklagten zu
dessen
Gunsten hinsichtlich des Nachtrunks von einem Resorptionsdefizit in
Höhe von 30 % und nicht nur 20 % auszugehen ist (vgl. BGHR
StGB § 21
Blutalkoholkonzentration 10).
Harms Basdorf Gerhardt
Brause Schaal |