BGH,
Urt. v. 29.10.2008 - 5 StR 456/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 29. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29.
Oktober 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dölp
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
- 3 -
für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 30. April 2008 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im
Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat die
Staatskasse zu tragen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
1
1. a) Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
Körperverletzung mit Todesfolge sowie wegen
vorsätzlicher Körperverletzung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die
Staatsanwaltschaft rügt mit ihrem auf die
Überprüfung des Strafausspruchs beschränkten
Rechtsmittel die Verletzung materiellen Rechts. Das vom
Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
b) Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer erfuhr der in
seinem Selbstwertgefühl gering ausgeprägte, wenig
kontaktfreudige und konfliktscheue Angeklagte am 22. September 2006
gegen Mittag, dass sein Bruder im Irak durch eine detonierte Autobombe
erheblich verletzt worden war. Diese Nachricht beschäftigte
und beunruhigte den Angeklagten. Er lief ziellos in der Gegend umher
und trank in der Folgezeit Alkohol, um das Ereignis zu
verdrängen. Im weiteren Verlauf des Tages suchte der
Angeklagte ein Lokal auf. Dort traf er auf die Zeugin D. , mit der er
sich, weiter Alkohol trinkend, angeregt und interessiert unterhielt.
Nach Mitternacht kam es zu einem
2
- 4 -
Streit zwischen der Zeugin und dem Angeklagten, in dessen Verlauf sie
sich gegenseitig beleidigten. Der verärgerte Angeklagte schlug
der Zeugin sodann spontan in Verletzungsabsicht mit der Hand gegen die
Schulter, worauf sich die Zeugin eine schmerzhafte und blutende
Kopfplatzwunde zuzog, weil sie beim Sturz von ihrem Barhocker mit dem
Kopf gegen eine Tischkante gestoßen war. Der schlichtend
eingreifende K. wurde seinerseits sofort von dem ansonsten
zurückhaltenden Angeklagten aggressiv mit einem Barhocker
bedrängt, den er wegstellte, nachdem sein Kontrahent ebenfalls
einen Barhocker ergriffen hatte. Nachdem beide - unmittelbar
anschließend - in eine Rangelei am Fußboden
verwickelt waren, in deren Verlauf der Angeklagte eine stark blutende
Kopfplatzwunde erlitt, wandte sich K. von dem Angeklagten ab. Der
Angeklagte, der jetzt seine eigene Verletzung wahrnahm, ergriff
sogleich und spontan einen auf dem Tresen stehenden 500 g schweren
sowie einen Durchmesser von 15 cm aufweisenden Aschenbecher und warf
diesen aus ein bis zwei Meter Entfernung in Richtung des Kopfes des K.
. Dadurch trug dieser eine Schädelfraktur mit einer
Epiduralblutung davon, die eine Hirnstammeinklemmung hervorrief. In der
Folgezeit kam es durch diese Verletzung zu einem Versagen mehrfacher
Vitalfunktionen, so dass K. am 10. Dezember 2006 verstarb.
Das Landgericht geht weiter davon aus, dass der Angeklagte infolge des
Alkoholgenusses - die Entnahme einer Blutprobe war mit
Rücksicht auf die eigene erhebliche Verletzung des Angeklagten
unterblieben - in beiden Fällen mit einer
Blutalkoholkonzentration von höchstens 2,35 Promille,
errechnet aus Trinkmengenangaben, möglicherweise in seiner
Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei. Bei der
Tat zum Nachteil K. s seien die Tatfolgen trotz der alkoholischen
Beeinflussung für den Angeklagten vorhersehbar gewesen.
3
Die Schwurgerichtskammer hat im Übrigen festgestellt, dass der
durchschnittlich intelligente Angeklagte wegen Betruges und versuchten
Be-
4
- 5 -
truges vorbestraft ist. Unter anderem ist er am 27. Januar 2005 mit
einer Geldstrafe belegt worden, weil er „in stark
alkoholisiertem Zustand in einem Bistro … aus
Verärgerung über ein angeblich gegen ihn
ausgesprochenes Hausverbot für sich und andere Gäste
alkoholische Getränke im Wert von 234 €
bestellt“ hatte (UA S. 6), ohne diese bezahlen zu
können bzw. zu wollen.
Im Rahmen der Strafzumessungserwägungen hat die
Schwurgerichtskammer bei der Tat zum Nachteil K. das Vorliegen eines
minder schweren Falles nach § 227 Abs. 2 StGB verneint, aber
in beiden Fällen von der Möglichkeit der
Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
Gebrauch gemacht.
5
6
Bei der Strafzumessung im engeren Sinn hat das Landgericht u. a. die
deutliche Alkoholisierung des Angeklagten, seine erste Inhaftierung 1
¼ Jahr nach der Tat sowie die selbst erlittene Verletzung
strafmildernd berücksichtigt.
2. Der Strafausspruch hält sachlichrechtlicher
Prüfung stand.
7
a) Dass das Landgericht nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
eine Strafrahmenverschiebung vorgenommen hat, weil der Angeklagte in
Folge seiner Alkoholisierung möglicherweise vermindert
schuldfähig gewesen ist, ist nicht zu beanstanden.
8
Ob in derartigen Fällen eine Strafrahmenverschiebung
vorgenommen wird, hat der Tatrichter in wertender Betrachtung der
Gesamtumstände zu beurteilen. Dabei unterliegt die
pflichtgemäße Einschätzung des Tatrichters
nur eingeschränkt revisionsgerichtlicher
Überprüfung (BGHSt 49, 239, 242 ff.). Zwar spricht
eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit aufgrund zu
verantwortender Trunkenheit in der Regel gegen eine
Strafrahmenverschiebung. Allerdings muss sich das Risiko der Begehung
von Straftaten
9
- 6 -
für den Täter aufgrund der persönlichen und
situativen Verhältnisse des Einzelfalles vorhersehbar
signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht haben (BGH
aaO). Die Feststellungen des Landgerichts belegen rechtsfehlerfrei,
dass dies im vorliegenden Fall gerade nicht der Fall war. Das
Landgericht hat festgestellt, dass der „selten im
Übermaß Alkohol“ zu sich nehmende,
„konfliktscheue“,
„äußerst
anpassungsfähige“ und „schwierigen
Situationen regelmäßig aus dem Weg“
gehende Angeklagte grundsätzlich seinen Alkoholkonsum
„ohne Schwierigkeiten steuern und kontrollieren“
könne (UA S. 5). Den Feststellungen ist weiter zu entnehmen,
dass die Alkoholaufnahme des Angeklagten am Tattag einen besonderen,
höchst nachvollziehbaren Grund gehabt hat, nämlich
die Nachricht von der Verletzung seines Bruders im Irak durch die
Explosion einer Autobombe. Unter diesen Umständen und
angesichts dessen, dass die eine geringe mit alkoholischer
Beeinflussung einhergehende Vorstrafe kein Gewaltdelikt zum Gegenstand
hatte, konnte das Landgericht davon ausgehen, dass das Risiko der
Begehung von Straftaten infolge des vorangegangenen Alkoholgenusses
nicht signifikant erhöht war, als die Auseinandersetzung
zwischen dem Angeklagten und der Zeugin D. entbrannte. Wegen des engen
zeitlichen Zusammenhangs der Geschehnisse in der sich für den
Angeklagten weiter aufheizenden Situation führt auch der
Umstand, dass es nunmehr zu einer Auseinandersetzung des
verärgerten Angeklagten mit dem sich schlichtend
einschaltenden K. kam, in deren Folge, wie das Landgericht festgestellt
hat, der Angeklagte „sogleich“ und
„spontan“ (UA S. 10) einen auf dem Tresen stehenden
Aschenbecher ergriff und diesen gegen K. warf, zu keiner anderen
Bewertung.
Die Revision kann auch nicht mit der Erwägung des
Generalbundesanwalts durchdringen, dass sich der Angeklagte im Verlauf
der körperlichen Auseinandersetzungen seiner alkoholbedingten
Aggressivität bewusst geworden sei, die damit einhergehende
Gefahr der Begehung weiterer Gewaltdelikte erkannt habe und deshalb
Veranlassung gehabt hätte, sich zurückzuziehen. Eine
solche Aufspaltung des in engem zeitlichen Zusammenhang
10
- 7 -
abgelaufenen Gesamtgeschehens einschließlich der inneren
Vorgänge bei dem Angeklagten findet in den
Urteilsgründen keine Stütze. Vielmehr ist bei
lebensnaher Betrachtung von einem einheitlichen Geschehen auszugehen.
b) Auch die übrigen engeren Strafzumessungserwägungen
begegnen keinen durchgreifenden Bedenken.
11
Soweit die Revision beanstandet, die Schwurgerichtskammer habe die zur
Strafrahmenverschiebung führende Alkoholbeeinflussung
gewissermaßen deckungsgleich auch als strafmildernde
Umstände berücksichtigt, hat sie keinen Erfolg.
Dadurch, dass der Tatrichter die „deutliche“ (UA S.
26) Alkoholisierung des Angeklagten anführt, hat er hier dem
besonderen Umstand des Grades der Alkoholisierung - nach dem Kontext
auch der besonderen Ursache - Rechnung getragen (vgl. BGH NStZ 1984,
548; 1992, 538) und damit bereits mehr als die nochmalige
Berücksichtigung der verminderten Schuldfähigkeit als
solcher angeführt.
12
13
Auch die strafmildernden Erwägungen des Landgerichts in Bezug
auf die von dem Angeklagten verbüßte
Untersuchungshaft sind frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht hat im
Gegensatz zur Revision nicht den Vollzug der Untersuchungshaft an sich
zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, sondern
zulässigerweise (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2
Lebensumstände 21; Schäfer/Sander/van Gemmeren,
Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 434) zusätzliche, den
Angeklagten beschwerende Umstände gewürdigt, indem es
hervorgehoben hat, dass der Angeklagte „erst mehr als 1
¼ Jahr nach der Tat in Haft genommen wurde und er mit der
Inhaftierung erst im Alter von 45 Jahren seine erste Hafterfahrung
gemacht hat“ (UA S. 26, 27).
Desgleichen ist es von dem Senat hinzunehmen, dass die
Schwurgerichtskammer die Verletzung des Angeklagten, die dieser im
Rahmen des Gesamtgeschehens erlitten hat, als strafmilderndes Kriterium
herangezogen
14
- 8 -
hat, zumal letztlich erst jene Verletzung ausschlaggebend für
den Spontanentschluss zur Tatbegehung war.
Darüber hinaus vermisst die Revision zu Unrecht die
Berücksichtigung der Tathandlung in der Nähe eines
mit dolus eventualis begangenen Totschlags. Das Landgericht
führt bei der Prüfung der Anwendung eines minder
schweren Falles nach § 227 Abs. 2 StGB und im Rahmen der
Erwägungen zu strafschärfenden Gesichtspunkten die
„hohe Pflichtwidrigkeit des
Fahrlässigkeitsverstoßes“ (UA S. 26, 27)
und die „Rücksichtslosigkeit“ (UA S. 27)
an. Damit ist der Grenzbereich zum bedingten Vorsatz beschrieben.
15
Schließlich löst sich die Bemessung der
Einzelstrafen und der Gesamtstrafe von der Bestimmung, gerechter
Schuldausgleich zu sein, nicht soweit nach unten, dass gesagt werden
müsste, sie lägen nicht mehr innerhalb des dem
Tatrichter eingeräumten und von der Revision hinzunehmenden
Bemessungsspielraums (Fischer, StGB 55. Aufl. § 46 Rdn. 115a
m.w.N.). Angesichts der von der Schwurgerichtskammer
aufgeführten Zumessungserwägungen sind die
festgesetzten Einzelstrafen bei dem nach §§ 21, 49
Abs. 1 StGB reduzierten Strafrahmen und die danach gefundene
Gesamtfreiheitsstrafe auch mit Blick auf den Tod des K. zwar
außerordentlich milde, aber im Ergebnis noch nicht
unvertretbar niedrig.
16
Basdorf Raum Brause
Schaal Dölp |