BGH,
Urt. v. 3.8.2005 - 2 StR 75/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 75/05
vom
3.08.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3.
August
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Hanau vom 9. September 2004 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse
auferlegt.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Körperverletzung mit
Todesfolge
zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt.
Die
zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge
gestützte Revision
der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten
wird,
ist unbegründet.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verabreichte die Angeklagte
ihrer am 17. Juli 2001 geborenen Tochter über einen
längeren Zeitraum
im Herbst 2001 erhebliche, sich steigernde Dosen des
opiatähnlichen
Schmerzmittels Tramadol, um den Säugling ruhig zu stellen. Sie
tat dies, weil
sie aufgrund ihrer eigenen massiven Abhängigkeit von dem
Medikament, die
zu körperlichem Verfall und Verwahrlosung geführt
hatte, mit der Versorgung
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des Kindes überfordert war. Die suchterzeugende,
lebensgefährdende Wirkung
des Medikaments für den wenige Monate alten Säugling
war der Angeklagten
bekannt. Ihrem damaligen Lebensgefährten, dem Mitangeklagten
G. ,
offenbarte die Angeklagte Ende Oktober 2001, daß sie einmal
zehn Tropfen
Tramadol in die von dem Mitangeklagten zubereitete Babynahrung gemischt
und das Kind damit gefüttert habe. Auf nachdrückliche
Vorwürfe des Mitangeklagten,
der sie auf die Gefährlichkeit hinwies und ihr die
Warnhinweise des
Beipackzettels zeigte, versprach sie, dies nicht zu wiederholen.
Tatsächlich
verabreichte die Angeklagte dem Säugling auch weiterhin hohe
Dosen des Mittels.
Das Kind verstarb am 17. November 2001 an einer Atemlähmung
aufgrund
einer Tramadol-Intoxikation von 61,3 Milligramm pro Liter Blut; die
letale
Dosis liegt bei 2 bis 9,5 Milligramm pro Liter Blut. Nachdem
zunächst ein natürlicher
Tod angenommen worden war, wurde die Tat erst ein Jahr später
aufgrund
einer Selbstanzeige des Mitangeklagten aufgedeckt. Das Landgericht
hat einen Verletzungsvorsatz der Angeklagten sowie
Fahrlässigkeit hinsichtlich
des Todeseintritts bejaht, einen Tötungsvorsatz der
Angeklagten, deren Steuerungsfähigkeit
aufgrund der Auswirkungen ihrer massiven Abhängigkeit im
Tatzeitraum
möglicherweise dauerhaft erheblich vermindert war, aber nicht
festgestellt.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Verneinung
zumindest bedingten Tötungsvorsatzes wendet, ist
unbegründet.
a) Das Landgericht hat zutreffend gesehen, daß sich aus der
Verabreichung
extrem hoher Mengen Tramadol hier Anhaltspunkte für das
Vorliegen
von Tötungsvorsatz ergeben, weil bei Vornahme besonders
gefährlicher Handlungen
die Annahme nahe liegt, der Täter habe den als
möglich erkannten Todeseintritt
jedenfalls billigend in Kauf genommen. Als gegen bedingten Tö-
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tungsvorsatz sprechenden Umstand hat das Landgericht - neben dem
allgemeinen
Gesichtspunkt einer hohen Hemmschwelle - insbesondere
gewürdigt,
daß die Angeklagte dem Kind über einen
längeren Zeitraum regelmäßig hohe
Dosen des Medikaments verabreichte, so daß ein
Gewöhnungseffekt eingetreten
sei und die Angeklagte subjektiv den Eindruck habe gewinnen
können, daß
die Tramadol-Verabreichung für das Kind nicht tödlich
sei (UA S. 22). Hierfür
spreche auch, daß bei den kinderärztlichen
Untersuchungen des Kindes, zuletzt
eine Woche vor dessen Tod, Auffälligkeiten nicht festgestellt
wurden.
Schließlich hat das Landgericht auch berücksichtigt,
daß die Angeklagte, die
im Tatzeitraum täglich 1.500 Tropfen Tramadol einnahm, in
abgemagertem und
körperlich stark verwahrlostem Zustand die meiste Zeit des
Tages in einem
Dämmerzustand auf dem Bett verbrachte, nach Darlegung des
Sachverständigen
"die Dinge wie durch einen Nebel wahrnahm", in ihrer intellektuellen
Leistungsfähigkeit
möglicherweise so beeinträchtigt war, daß
sie trotz der erkannten
Gefährlichkeit auf einen guten Ausgang vertraute (UA S. 22).
b) Die Einwendungen der Revision gegen diese Beweiswürdigung
decken durchgreifende Rechtsfehler nicht auf. Die
Schlußfolgerungen, welche
der sachverständig beratene Tatrichter gezogen hat, sind
möglich und jedenfalls
nicht fernliegend; Fehlgewichtungen der Beweisanzeichen oder andere
naheliegende Schlußfolgerungen, welche vom Landgericht
übersehen wurden,
zeigt die Revision nicht auf. Soweit die Revisionsführerin auf
die Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs zur Annahme bedingten Tötungsvorsatzes
bei
besonders gefährlichen Gewalthandlungen verweist (vgl. dazu
Tröndle/Fischer
StGB 52. Aufl. § 212 Rdn. 7 ff. mit zahlreichen Nachw.), hat
das Landgericht
zutreffend darauf hingewiesen, daß nach den auf die
toxikologischen Untersuchungen
gestützten Feststellungen hier gerade nicht eine einmalige
Gewalthandlung
vorlag, sondern daß die Angeklagte die Verabreichung des
Medika-
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ments - ersichtlich unter Steigerung der Dosis, was zu einem
Gewöhnungseffekt
und zur Erhöhung der Toleranzgrenze bei dem Kind
führte - über einen
längeren Zeitraum regelmäßig fortsetzte,
ohne daß gravierende Gesundheitsschäden
erkennbar wurden. Bei einem solchen Ablauf drängt sich die
naheliegende
Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs nicht im selben
Maße auf.
Daß auch ein anderes Ergebnis der Beweiswürdigung
möglich gewesen
wäre, reicht zur Annahme eines durchgreifenden Rechtsfehlers
nicht aus. Die
Revision war daher zu verwerfen.
Rissing-van Saan Bode Otten
Fischer Roggenbuck |