BGH,
Urt. v. 3.7.2007 - 5 StR 37/07
5 StR 37/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 3.7.2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
3.7.2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Richterin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das
Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. August 2006 werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und
die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr
verurteilt, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe sowie der
Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Die jeweils auf
die Sachrüge gestützten Revisionen des Angeklagten
und der Staatsanwaltschaft - diese beschränkt auf den
Rechtsfolgenausspruch und in der Aussetzungsfrage vom
Generalbundesanwalt vertreten - bleiben ohne Erfolg.
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I.
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
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Der Angeklagte hat es sich zur Aufgabe gemacht, Straftäter
nicht ungestraft davonkommen zu lassen. In einem Selbstbedienungsladen
vermutete er am 16. Juni 2005, dass eine Kundin, die
Geschädigte, drogensüchtig sei und einen
Ladendiebstahl begehen würde. Deshalb folgte er ihr, die
alsbald eine Packung Rasierklingen entwendete oder zu entwenden
versuchte. Der Angeklagte informierte hiervon eine Verkäuferin
und forderte sie auf, sofort die Ladentür zu
verschließen. Als die Geschädigte nunmehr schnellen
Schrittes das Geschäft verlassen wollte, ergriff der
Angeklagte sie und zog sie, als sie versuchte, sich ihm zu
entreißen und zu flüchten, im Würgegriff
zurück in das Geschäft, wobei er einen Arm um ihren
Hals legte und sie auf diese Weise hinter sich herzog. Hierbei wurden
mehrere Warenständer umgestoßen. Nachdem es der
Geschädigten gelungen war, sich dem Angeklagten zu entwinden,
verfolgte er sie in eine nahe gelegene Bäckerei. Dort
drängte der Angeklagte die Geschädigte in einen
Hinterraum und brachte sie bäuchlings zu Boden. Sodann
fixierte er die laut um Hilfe rufende, von Panik erfasste
Geschädigte, indem er ihr ein Knie in den Rücken
drückte und ihr gleichzeitig einen Arm im Würgegriff
um den Hals legte und ihren Kopf auf diese Weise fest nach oben zog,
während er mit der anderen Hand telefonisch die Polizei
benachrichtigte. Er versuchte, der Geschädigten einen
unbekannt gebliebenen Gegenstand als Knebel in den Mund zu schieben, um
sie am Schreien zu hindern. Die Geschädigte erlitt Schmerzen
und Würgemale am Hals. Der wiederholten Aufforderung einer
Bäckereiverkäuferin, die Geschädigte sofort
loszulassen, kam der Angeklagte nicht nach. Erst einem Mitarbeiter des
Sicherheitsdienstes des Selbstbedienungsladens gelang es, den
Angeklagten dazu zu bewegen, die Geschädigte loszulassen. Der
Angeklagte hielt sein Handeln für gerechtfertigt. Er war der
Auffassung, dass er auch zum Einsatz stärkerer
Körpergewalt im Rahmen seiner Festnahme-
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handlung berechtigt sei, da die Geschädigte sich durch Flucht
immer wieder ihm zu entziehen versuchte.
Der Angeklagte leidet an einer ausgeprägten paranoiden
Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.0). Er ist
fünfmal vorbestraft.
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II.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
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Zutreffend hat das Landgericht in der Tat des Angeklagten - angesichts
des Würgegriffs, des festen rückwärtigen
Hochziehens des Kopfes und des Knebelungsversuchs gegen das
bäuchlings am Boden liegende, dort mit Kniedruck in den
Rücken fixierte Opfer - eine gefährliche
Körperverletzung in der Form einer das Leben
gefährdenden Behandlung nach § 223 Abs. 1, §
224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gefunden. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht
eine etwaige Rechtfertigung des Verhaltens des Angeklagten durch das
Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 Satz
1 StPO ausgeschlossen. Das auch in diesem Zusammenhang geltende
Verhältnismäßigkeitsprinzip verbietet es
regelmäßig - jedenfalls bei Straftaten von geringem
Gewicht -, zur Fluchtverhinderung Handlungen vorzunehmen, die zu einer
ernsthaften Gesundheitsbeschädigung oder zu einer
unmittelbaren Lebensgefährdung führen (BGHSt 45, 378,
381; Boujong in KK 5. Aufl. § 127 Rdn. 19; Hilger in
Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 127 Rdn. 19;
Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 127 Rdn. 14; jeweils
m.w.N.).
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Dass ein Irrtum des Angeklagten über die Rechtswidrigkeit der
Tat jedenfalls vermeidbar war (§ 17 StGB), hat das Landgericht
rechtsfehlerfrei begründet. Dabei hat es auf die
vorangegangenen Strafverfahren, namentlich auf die Verurteilung durch
das Landgericht Berlin vom 3. März 2003 wegen
gefährlicher Körperverletzung in fünf der
hiesigen Tatkonstellation ähnlichen Fällen abgestellt
und hervorgehoben, dass dem Angeklagten durch die-
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ses Urteil die Grenzen des Festnahmerechts aus § 127 Abs. 1
Satz 1 StPO eindringlich vor Augen geführt worden sind.
Zum anderen hat das Landgericht die weitere Möglichkeit eines
Verbotsirrtums, nämlich die Beeinträchtigung der
Einsichtsfähigkeit nach §§ 20, 21 StGB (vgl.
BGHSt 40, 341, 349), ausgeschlossen. So hat es ausgeführt,
dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten „auch
nicht durch seine Krankheit begrenzt oder ausgeschlossen“
war; vielmehr habe die diagnostizierte schwere
Persönlichkeitsstörung „lediglich eine
erhebliche Verminderung der Fähigkeit, nach der gewonnenen
Einsicht zu handeln“, bewirkt. Eine völlige
Ausschließung der Schuldfähigkeit des Angeklagten
wegen seiner Erkrankung hat das Landgericht ohne Rechtsfehler verneint.
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Die Strafzumessung ist im Ergebnis angesichts der
einschlägigen Vorverurteilungen beanstandungsfrei.
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Schließlich hat das Landgericht ohne Rechtsfehler alle
Voraussetzungen einer Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus nach § 63 StGB als gegeben befunden. So hat es die
mit dem psychiatrischen Sachverständigen festgestellte
ausgeprägte paranoide Persönlichkeitsstörung
(ICD-10 F 60.0) angesichts ihres Ausmaßes als schwere andere
seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB bewertet und ist
zu der prognostischen Beurteilung gelangt, dass von dem Angeklagten
infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten
sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich
ist. Dabei hat das Landgericht, namentlich auf die nicht unerheblichen
Gefahren für die Gesundheit der Geschädigten
früherer Taten des Angeklagten abstellend, auch dem
Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit
hinreichend Rechnung getragen.
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III.
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ebenfalls erfolglos.
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1. Das gilt insbesondere auch, soweit sich das Rechtsmittel gegen die
Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe und der Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung richtet.
Das Landgericht hat den ihm innerhalb des § 56 StGB gegebenen
weiten Beurteilungsspielraum (BGH, Urteil vom 23. Mai 2007 - 5 StR
97/07; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 56 Rdn. 11,
25), der gleichermaßen für die Entscheidung nach
§ 67b StGB gilt, nicht überschritten. Das Landgericht
hat die Aussetzungsentscheidungen auf der Grundlage
übereinstimmender vertretbarer Erwägungen getroffen
(UA S. 20, 22 f.).
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a) Dabei hat das Landgericht die Gesichtspunkte, die einer
günstigen Prognose widerstreiten können, ausweislich
der hierzu getroffenen Urteilsfeststellungen und ihrer Verwertung
für die Gefährlichkeitsprognose nicht etwa
vernachlässigt: Der Angeklagte ist - neben zweier
Verfahrenseinstellungen wegen Schuldunfähigkeit -
fünfmal verurteilt worden. Insbesondere ist er durch Urteil
des Landgerichts Berlin vom 3. März 2003 wegen
gefährlicher Körperverletzung in fünf
Fällen, in einem Fall tateinheitlich begangen mit
Freiheitsberaubung und fahrlässiger Körperverletzung,
sowie wegen Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von einem Jahr und drei Monaten mit Aussetzung der Strafvollstreckung
zur Bewährung verurteilt worden. Diesen fünf
Fällen der gefährlichen Körperverletzung ist
gemein, dass der Angeklagte gegen Verkäufer unversteuerter
Zigaretten unter Überschreitung seiner Rechte aus §
127 Abs. 1 Satz 1 StPO intensiv von Pfefferspray und in einem Fall
gravierend von Handschellen Gebrauch machte. Zumindest auch zweien der
anderen genannten Verurteilungen liegt die Verfolgung vermeintlicher
Straftäter oder die Verwendung von Reizgas zugrunde. Bei
Begehung der hier abgeurteilten Tat vom 16. Juni 2005 stand der
Angeklagte deshalb unter Bewährung. Bislang besteht keine
Krankheitseinsicht des Angeklagten.
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Vielmehr hat er „immer wieder betont, dass seine Handlungen
durch das ihm zustehende Festnahmerecht gedeckt gewesen
seien“. Kontakte zum sozial-psychiatrischen Dienst und eine
nervenärztliche Behandlung, zu der er sich im Rahmen einer
Bewährungsaufsicht bereit erklärt hatte, brach der
Angeklagte schließlich ab.
b) In Erkenntnis aller dieser Umstände hat sich das
Landgericht gleichwohl zu der für die Aussetzung
erforderlichen positiven Prognose durchgerungen. Es hat dabei
maßgeblich auf die Erkenntnis abgestellt, dass „der
Angeklagte durch sein Verhalten in den letzten Jahren auch gezeigt
(habe), dass er durchaus in der Lage (sei), sich an Regularien zu
halten“ (UA S. 22). So habe er trotz fehlender entsprechender
Unrechtseinsicht bei seinen Festnahmeaktionen nunmehr auf den ihm
ausdrücklich verwehrten Einsatz von Pfefferspray verzichtet.
Er habe auch die weiteren Bewährungsweisungen
zunächst eingehalten. Hiervon ausgehend hat das Landgericht
auf die Wirkkraft erneuter Bewährungsweisungen (§ 67b
Abs. 2, §§ 68b, 56c, 56d StGB) vertraut. Neben
erneuten Behandlungsweisungen und der Unterstellung unter einen
Bewährungshelfer hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr
zulässigerweise ferner angewiesen, zukünftig jegliche
Festnahmehandlung (§ 127 StPO) zu unterlassen.
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Angesichts der bislang partiell bewiesenen
Einbindungsfähigkeit des Angeklagten, der gerade selbst auf
Regelverstöße anderer besonders empfindlich
reagiert, und der ihm unmissverständlich klar gemachten
letzten Bewährungschance durfte das Landgericht ohne
Überschreitung des ihm zugebilligten weiten
Beurteilungsspielraums die für eine Aussetzung von Strafe und
Maßregel erforderliche positive Prognose noch einmal bejahen.
Dies gilt jedenfalls vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte bei
erneuter einschlägiger Straffälligkeit mit solchem
Regelverstoß bewusst schwerste Sanktionierung riskieren
würde, da ihm ein dann sicher zu erwartender Widerruf der
Aussetzungen des Vollzugs der zuletzt verhängten und der hier
verhängten
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Strafe und insbesondere des zeitlich nicht fest begrenzten
Maßregelvollzugs deutlich vor Augen geführt wurde.
2. Auch darüber hinaus birgt das Urteil keinen Rechtsfehler
zum Vorteil des Angeklagten.
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Basdorf Häger Gerhardt
Brause Schaal |