BGH,
Urt. v. 3.6.2008 - 1 StR 59/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 59/08
vom
3. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juni
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwälte und aus München
als Verteidiger,
Rechtsanwalt aus Friedberg
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg
vom 12. Oktober 2007 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem
Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags in zwei
Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben
Jahren verurteilt.
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Seine auf die näher ausgeführte Sachrüge
gestützte Revision bleibt erfolglos.
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I.
Die Strafkammer hat festgestellt:
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Der Angeklagte ist Vater des am 4. März 2006 geborenen D. ,
eines sehr unruhigen Kindes, das viel schrie. Ende August/Anfang
September 2006 war der Angeklagte weitgehend allein für die
Versorgung des Kindes verantwortlich. Mit dieser Aufgabe war er
überfordert. Er behandelte das Kind „zunehmend
gereizt und aggressiv“. Zu einem nicht exakt feststellbaren
Zeitpunkt innerhalb dieses Zeitraumes packte der Angeklagte das
schreiende Kind am Brustkorb und schüttelte es, um es zum
Schweigen zu bringen, so heftig in „sagittaler
Richtung“, dass der Kopf nach vorne und hinten schlug und
wegen der noch schwachen Nackenmuskulatur erst in der Extremposition,
also Brust und Nacken, abgebremst wurde. Es kam zum Abriss so genannter
Brückenvenen zwischen Schädelkalotte und Gehirn. Dies
führte zu subduralen Blutungen und zu beidseits
flächenhaften mehrschichtigen Netzhauteinblutungen.
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Unabhängig davon hatte der Angeklagte das Kind auch wiederholt
in den Oberarm, die Wange und das Gesäß gebissen,
was zu entsprechenden Spuren an dessen Körper führte.
Weitere Spuren am Körper des Kindes im Bereich der
Gesäßfalte/Steißbeinregion sowie unterhalb
beider Schlüsselbeine waren vom Angeklagten durch stumpfe
Gewalteinwirkung hervorgerufen worden (wegen dieser Taten wurde das
Verfahren eingestellt, da sie neben den abgeurteilten Taten nicht ins
Gewicht fielen). Der Angeklagte versuchte, gegenüber der
Mutter des Kindes diese Spuren sowohl als
„Knutschflecken“ als auch als von der Katze
verursacht zu verharmlosen. Die Mutter ging aber wegen dieser
Verletzungsspuren zur Polizei, die eine Untersuchung in der
Rechtsmedizin veranlasste. Dort fiel der ungewöhnliche Umfang
des Kopfes des Kindes auf und es wurde sofort in die Kinderklinik
verbracht, wo sein Leben - nur - durch zahlreiche intensivmedizinische
Maßnahmen gerettet werden konnte. Im Rahmen dieser
Untersuchungen wurde anhand entsprechender Spuren im Körper
des Kindes festgestellt, dass es auch schon vor Ende August/Anfang
September in
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ähnlicher Weise und mit ähnlichen Folgen wie dort
geschüttelt worden sein muss (zur Erfahrung, dass wiederholte
Tathandlungen in diesem Zusammenhang nicht selten sind vgl. auch
Schneiders/Schröder: Das Schütteltrauma - eine
häufig unbekannte Form der Kindesmisshandlung, Kriminalistik
2005, 734, 735). Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Landgericht
war eine bestimmte Hirnfunktion des Kindes noch gestört. Ob
dauerhaft geistige oder motorische Retardierungen
zurückbleiben werden, war noch nicht absehbar.
II.
1. Die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf
sind nicht zu beanstanden. Der näheren Ausführung
bedarf dies nur insoweit, als die Revision die Täterschaft des
Angeklagten hinsichtlich des ersten Schüttelns nicht
für rechtsfehlerfrei festgestellt hält.
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a) Dem liegt folgendes zu Grunde: Der Angeklagte hat in der
Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache gemacht und im
Ermittlungsverfahren jedes Fehlverhalten bestritten. Auch mit
sachverständiger Hilfe konnte die Strafkammer - nahe liegend -
nicht exakt feststellen, an welchem Tag der Angeklagte das Kind
erstmals so heftig geschüttelt hatte, dass die geschilderten
Folgen auftraten. Festzustellen war nur, dass das Kind mindestens vier
Wochen alt war, als ihm diese Verletzungen zugefügt wurden und
dass die Verletzungen schon mindestens vier Wochen alt waren, als sie
entdeckt wurden. Da das Kind am 6. März 2006 geboren wurde und
ab dem 8. September 2006 in der Kinderklinik untersucht und behandelt
wurde, hat demnach das erste Schütteln frühestens
Anfang April 2006 und spätestens Mitte August 2006
stattgefunden. Der Angeklagte wohnte jedoch erst ab Ende April 2006 mit
dem Kind in derselben
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Wohnung. Daher geht die Strafkammer davon aus, dass die erste Tat nicht
vor diesem Zeitpunkt begangen wurde.
b) Die Revision meint, die Annahme der Täterschaft des
Angeklagten sei ein Zirkelschluss. Ein Tatzeitpunkt vor Ende April 2006
sei medizinisch nicht auszuschließen. Der Angeklagte habe
aber erst ab Ende April 2006 Gelegenheit zur Tat gehabt. Das Gericht
habe sich mit der Möglichkeit, dass die Tat schon vorher
begangen worden sei, der Angeklagte also nicht der Täter sei,
gedanklich nicht auseinandergesetzt. Soweit die Strafkammer, so die
Revision ergänzend in der Hauptverhandlung vor dem Senat,
geprüft und verneint habe, ob andere Personen als der
Angeklagte als Täter in Betracht kämen,
bezöge sich dies (ebenfalls) nur auf den Zeitraum ab Ende
April 2006. Dies bekräftige, dass die Strafkammer den
möglichen Tatzeitraum rechtsfehlerhaft zum Nachteil des
Angeklagten verkürzt habe.
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c) Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.
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Das Kind lebte bis Ende April 2006 in der Wohnung des früheren
Ehemannes der Mutter, R. , dann zogen Mutter und Kind mit dem
Angeklagten zusammen. Die Strafkammer hat jedoch, ohne insoweit eine
zeitliche Einschränkung vorzunehmen, geprüft, ob der
frühere Ehemann oder - sämtliche - andere Personen,
die mit dem Kind schon in der Wohnung des früheren Ehemannes
Kontakt hatten, als Täter in Betracht kommen. Ihre
Prüfung beschränkt sich daher offensichtlich nicht
auf den Zeitraum, ab dem das Kind nicht mehr in der Wohnung des
früheren Ehemannes lebte. Dass die Strafkammer diese Personen
rechtsfehlerhaft als Täter ausgeschlossen hätte, ist
weder konkret behauptet noch sonst ersichtlich. Mit anderen Personen
als denen, deren mögliche Täterschaft die Strafkammer
geprüft hat, hatte das Kind, so ergeben die
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Urteilsgründe, zu keinem Zeitpunkt Kontakt. Auch diese
Feststellungen, gegen die die Revision ebenfalls keine konkreten
Einwendungen erhebt, sind rechtsfehlerfrei. Wenn also eine andere
Person als der Angeklagte Täter des ersten Schüttelns
sein sollte, müsste es ein Unbekannter gewesen sein, zu dem
das Kind im Übrigen keinen Kontakt hatte. Es ist jedoch weder
im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des
Angeklagten einen Sachverhalt zu unterstellen, für dessen
Vorliegen sich keine konkreten Anhaltspunkte ergeben haben (NJW 2007,
2274; NStZ-RR 2005, 147; 2003, 371 <LS>; NStZ 2004, 35,
36 m.w.N.). Dementsprechend war auch eine ausdrückliche
Erörterung der aufgezeigten fern liegenden und bloß
theoretischen Möglichkeit nicht geboten.
2. Auch der - bedingte - Tötungsvorsatz ist rechtsfehlerfrei
bejaht.
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Der Senat verkennt nicht, dass nach forensischer Erfahrung in
„Schüttelfällen“ ein derartiger
Vorsatz vielfach nicht festzustellen ist (vgl. zusammenfassend
Schneider in NStZ 2004, 202, 203 <Anm. zu BGH aaO 201 f.>
m.w.N.; vgl. auch Schneiders/Schröder aaO m.w.N. in
Fußn. 9). Allein dass ein bestimmtes Ergebnis nicht fern
liegt, schließt jedoch nicht aus, dass der Tatrichter im
Einzelfall auch rechtsfehlerfrei zu einem anderen Ergebnis kommen kann
(vgl. BGH, Urt. vom 12. Juni 2007 - 1 StR 73/07; zum
Tötungsvorsatz beim Schütteltrauma vgl. BGH, Urt. vom
7. Dezember 1999 - 1 StR 538/99). Hier stützt die Strafkammer
die Annahme eines Tötungsvorsatzes nicht allein auf das - wie
sich die Strafkammer nach sachverständiger Beratung und
Demonstration überzeugt hat - vorliegend
„äußerst heftige“ und
„sehr schnelle“ Schütteln, sondern auch
etwa darauf, dass der Angeklagte wiederholt und von unterschiedlichen
Personen darauf hingewiesen worden war, dass man bei Kindern
„ganz
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besonders auf den Kopf achten müsse, nachdem diese ihren Kopf
noch nicht selbst halten könnten“, und dass
„so ein Genick schnell gebrochen sei“. Diese und
weitere für und gegen einen Tötungsvorsatz, auch
hinsichtlich des erforderlichen voluntativen Vorsatzelements (vgl.
zusammenfassend Schneider aaO m.w.N.), sprechende Gesichtspunkte, wie
sie sich etwa aus den Feststellungen zum sonstigen Verhalten des
Angeklagten gegenüber dem Kind ergeben, hat die Strafkammer
sorgfältig gegeneinander abgewogen. Hinsichtlich des zweiten
Schüttelns hat sie auch erwogen (und verneint), ob der
letztlich nicht tödliche Ausgang des ersten
Schüttelns gegen einen (bedingten) Tötungsvorsatz
beim zweiten Schütteln sprechen könnte. Es ist
insgesamt nicht ersichtlich, dass das von ihr gefundene Ergebnis auf
widersprüchlicher, lückenhafter oder unklarer
Grundlage beruhte, gegen Denk- oder Erfahrungssätze
verstieße oder sonst die dem Tatrichter bei der
Beweiswürdigung gezogenen rechtlichen Grenzen
überschritte.
3. Der Generalbundesanwalt weist zutreffend darauf hin, dass die
Strafkammer nicht geprüft hat, ob (jeweils) ein
strafbefreiender Rücktritt (§ 24 StGB) vorliegen
könnte. Ein den Bestand des Urteils gefährdender
durchgreifender Mangel liegt deshalb jedoch nicht vor.
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a) Ein strafbefreiender freiwilliger Rücktritt käme
allerdings schon im Ansatz nicht in Betracht, wenn die Tat(en)
fehlgeschlagen wäre(n). Dies ist der Fall, wenn entweder der
Erfolgseintritt objektiv nicht mehr möglich ist und der
Täter dies erkennt oder wenn der Täter den
Erfolgseintritt jedenfalls nicht mehr für möglich
hält (st. Rspr., vgl. nur BGHSt <GS> 39, 221,
228 m.w.N.).
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b) Es ist den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen, dass
die Strafkammer (jeweils) von einem fehlgeschlagen Versuch ausgegangen
wäre.
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Allerdings stellt sie Erwägungen darüber an, wie
lange genau der Angeklagte das Kind geschüttelt hat.
Sachverständig beraten geht sie davon aus, dass - auch
angesichts des Gewichts des Kindes - ein Erwachsener das Kind so heftig
wie festgestellt zehn oder maximal 20 Sekunden geschüttelt
haben kann, danach würde er ermüden und
könnte nicht länger schütteln. „Zu
Gunsten des Angeklagten“, so die Strafkammer, gehe sie davon
aus, dass er zehn Sekunden geschüttelt habe, offenbar weil er
dann ermüdet gewesen sei. Wenn mit alledem zum Ausdruck
gebracht sein sollte, es läge ein fehlgeschlagener Versuch
vor, weil der Angeklagte das Kind so lange geschüttelt habe,
wie er konnte, bestünden allerdings Bedenken. Ein Versuch ist
(unter anderem) dann nicht gescheitert, wenn sie der Täter
zwar auf der Stelle kurzfristig nicht fortsetzen kann, ihm dies aber
ohne nennenswerte zeitliche Zäsur möglich bleibt
(BGH, Beschl. vom 27. November 2002 - 1 StR 462/02 m.w.N. = NStZ-RR
2003, 199 <LS>; BGHSt aaO m.w.N.). Dass ein junger, zur
Tatzeit 22 oder 23 Jahre alter Mann, selbst wenn er wegen
Ermüdung einen Säugling nicht länger als
zehn oder 20 Sekunden schütteln kann, nicht alsbald wieder so
zu Kräften käme, dass er weiter schütteln
könnte, wenn er dies will, versteht sich jedenfalls nicht von
selbst. Im Übrigen ist jedenfalls im zweiten Fall der Versuch
schon deshalb nicht fehlgeschlagen, weil das Kind ohne die
späteren intensivmedizinischen Maßnahmen an den
Folgen des Schüttelns gestorben wäre. Der Senat
versteht die Urteilsgründe jedoch nicht so, dass die
Strafkammer deshalb den Rücktritt nicht prüft, weil
sie die Versuche wegen Ermüdung als endgültig
gescheitert ansehen würde. Abgesehen davon, dass dies nicht
ausdrücklich ausgeführt ist, spricht gegen diese
Annahme insbesondere, dass die Strafkammer in diesem Zusammenhang die
von ihr als wesentlich angesehene Frage in den Mittelpunkt stellt, ob
der Angeklagte nach zehn oder erst nach 20 Sekunden ermüdet
war, was - allenfalls - für die Frage der Intensität
der Handlung bedeut-
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sam sein mag, für die Frage eines gescheiterten Versuchs aber
bedeutungslos ist.
Im Übrigen bemerkt der Senat in diesem Zusammenhang, dass es
jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheint, dass der Täter in
derartigen Fällen zu schütteln aufhört, weil
das Kind still geworden ist und er deshalb sein eigentliches Ziel
erreicht hat: „Das Fatale bei dem Schütteltrauma
ist, dass der von dem Täter/der Täterin intendierte
Erfolg, dass der Säugling endlich aufhört zu
schreien, aufgrund der Schädigungen sofort eintritt“
(Schneiders/Schröder aaO 735). Die unterbliebene
Erörterung dieser Möglichkeit durch die Strafkammer
stellt jedoch keine den Bestand des Urteils gefährdende
Lücke dar, weil die (etwaige) Feststellung, der Angeklagte
habe zu Schütteln aufgehört, weil das Kind nicht mehr
geschrien hat, keine notwendigen - zumal nicht den Angeklagten
entlastende - Schlüsse darüber ergibt, welche
Vorstellungen er über die bisherigen Folgen des
Schüttelns hatte.
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c) Liegt kein fehlgeschlagener Versuch vor, so kommt es hinsichtlich
des Rücktritts darauf an, ob ein unbeendeter oder ein
beendeter Versuch vorliegt. Dies richtet sich nach der Vorstellung, die
der Täter zu dem Zeitpunkt hat, zu dem er auf die ihm
mögliche Weiterführung der Tat verzichtet
(„Rücktrittshorizont“; st. Rspr. seit
BGHSt 33, 295 ff. unter Hinweis auf BGHSt 31, 170). Geht er davon aus,
sein bisheriges Handeln reiche nicht aus, den Erfolg der Tat
herbeizuführen, so läge ein unbeendeter Versuch vor;
für einen strafbefreienden Rücktritt genügt
dann freiwilliges Nichtweiterhandeln (§ 24 Abs. 1 Satz 1, 1.
Alternative StGB). Glaubt er dagegen, sein bisheriges Verhalten werde
zum Erfolg der Tat führen - oder macht er sich
überhaupt keine Vorstellungen hierüber (vgl. BGHSt
40, 304, 306) - so liegt ein beendeter Versuch vor. Strafbefreiender
Rücktritt verlangt dann, dass er erfolgreiche
Bemühungen entfaltet,
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um den drohenden Eintritt des (schädlichen) Erfolgs seiner Tat
zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative StGB).
d) Ein auf erfolgreichen Rettungsbemühungen beruhender
Rücktritt (vom beendeten Versuch) liegt offensichtlich nicht
vor.
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e) Grundvoraussetzung für die Annahme eines strafbefreienden
Rücktritts wäre daher, dass der Angeklagte nach dem
Schütteln geglaubt hätte, tödliche Folgen
würden schon allein deshalb ausbleiben, weil er nicht weiter
schüttelte. Hiervon brauchte die Strafkammer nicht auszugehen:
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Der Angeklagte wusste nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen beim
Schütteln, dass dieses tödliche Folgen haben konnte,
und nahm dies billigend in Kauf.
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In tatsächlicher Hinsicht unterscheidet sich eine solche
Gewalthandlung von vielen anderen Gewalthandlungen insoweit, als ihre
Auswirkungen nicht ohne weiteres äußerlich erkennbar
sind; ebenso wenig muss der tödliche Erfolg in unmittelbarem
zeitlichen Zusammenhang mit der todesverursachenden Handlung stehen,
sondern er kann - wie es hier ohne die Rettungsmaßnahmen der
Fall gewesen wäre - auch etliche Tage später noch
eintreten. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, an
welche realen Gesichtspunkte die Annahme anknüpfen
könnte, der Angeklagte habe bei Beendigung des
Schüttelns geglaubt, dass die von ihm beim Schütteln
noch für möglich gehaltenen Folgen jetzt doch nicht
eintreten sollten. Auch er selbst hat sich weder innerhalb noch
außerhalb des Verfahrens je in diesem Sinne
geäußert. Bei einer solchen Beweislage sind
präzise Feststellungen über eine sogenannte innere
Tatsache
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- also darüber, was der Angeklagte, ohne dies erkennbar werden
zu lassen, geglaubt oder nicht geglaubt hat - offenbar nicht
möglich.
Allerdings ist der Zweifelssatz auch auf das Vorliegen von
Rücktrittsvoraussetzungen anzuwenden, wenn bei einer
Gesamtbeurteilung der Tatsachen keine eindeutigen Feststellungen
getroffen werden können. Jedoch ist es - auch - in diesem
Zusammenhang nicht zulässig, zu Gunsten des Angeklagten
Tatvarianten zu unterstellen, für die es keinerlei konkrete
Anhaltspunkte gibt (st. Rspr. vgl. d. N. oben II 1 c; speziell zum
Rücktritt vgl. BGH, Urt. vom 13. März 2008 - 4 StR
610/07; vgl. hierzu zusammenfassend auch Leipold/Beukelmann NJW-Spezial
2008, 281). All dies führt auch bei einem (wie hier)
schweigenden beziehungsweise pauschal bestreitenden Angeklagten nicht
zu einer mit dem Schuldprinzip kollidierenden Beweislastumkehr, sondern
ist notwendige Folge der Verpflichtung des Gerichts,
gemäß § 261 StPO seine Überzeugung
aus dem Gang der Hauptverhandlung zu schöpfen (vgl. BVerfG,
Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NJW 2007, 2274).
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Kann aber eine Vorstellungsänderung des Angeklagten als auf
nichts gestützte und daher nur denktheoretische
Möglichkeit schon im Ansatz nicht tragfähige
Grundlage ihn begünstigender Schlussfolgerungen sein, so
brauchte die Strafkammer diese Möglichkeit auch nicht
ausdrücklich zu erörtern.
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4. Auch im Übrigen ist der Schuldspruch rechtsfehlerfrei.
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5. Ebenso hält auch der Strafausspruch rechtlicher
Überprüfung Stand. Anzumerken ist insoweit nur
folgendes: Die Strafkammer führt näher aus, dass
gegen den Angeklagten 1997 ein Verfahren wegen Verwendens von
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß
§ 45 JGG behandelt wurde
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(eingetragen im Erziehungsregister gem. § 60 Abs. 1 Nr. 7
BZRG) und dass er in einem weiteren Verfahren wegen
Sachbeschädigung 2002 vom Jugendrichter verwarnt wurde
(eingetragen im Erziehungsregister gem. § 60 Abs. 1 Nr. 2
BZRG). Weitere Vorahndungen gibt es nicht. Ausweislich der
Urteilsgründe sind diese Feststellungen auf einen mehrere
Monate vor der Hauptverhandlung erhobenen Auszug aus dem
Bundeszentralregister gestützt. Da der Angeklagte aber zum
Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits das 24. Lebensjahr vollendet
hatte, waren die genannten Eintragungen im Erziehungsregister
gemäß § 63 Abs. 1 und 2 BZRG bereits
entfernt und durften gemäß § 63 Abs. 4 BZRG
i.V.m. § 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr zum Nachteil des
Angeklagten verwendet werden (BGHR BZRG § 60
Erziehungsregister 1 m.w.N.; § 63 Verwertung 1). Nachdem die
Strafkammer jedoch diese Vorahndungen ausschließlich unter
der Überschrift
„Strafmilderungsgründe“ bewertet und dort
ausführt, dass sie „allesamt noch dem Jugendrecht
unterfielen, nicht einschlägig (sind) und … bereits
längere Zeit zurück(liegen)“, kann der
Senat ausschließen, dass sich
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der aufgezeigte Mangel zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Der
Senat hat daher zu der andernfalls nahe liegenden Prüfung, ob
die Strafe als angemessen i.S.d. § 354 Abs. 1a StPO anzusehen
ist, keine Veranlassung.
Herr RiBGH Dr. Boetticher
befindet sich in Urlaub und
ist deshalb an der Unterschrift
gehindert.
Nack Wahl Nack
Graf Sander |