BGH,
Urt. v. 3.3.2000 - 2 StR 388/99
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 388/99
vom
3. März 2000
in der Strafsache gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom 1. März 2000 in der Sitzung am 3. März 2000, an
denen teilgenommen haben: Vizepräsident des
Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke, die Richter am
Bundesgerichtshof Detter, Dr. Bode, Richterin am Bundesgerichtshof Dr.
Otten, Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß als beisitzende
Richter, Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Justizobersekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei
der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das
Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 23. April 1999 mit den
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht
zuständige Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Gegen diese Entscheidung richten sich die zugunsten des Angeklagten
eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung
sachlichen Rechts gerügt wird, und die auf die Verletzung
sachlichen und förmlichen Rechts gestützte Revision
des Angeklagten.
I.
Das Landgericht hat festgestellt:
Der Angeklagte suchte am 9. Februar 1998 zusammen mit seiner Ehefrau
den ihm bekannten S. in dessen Wohnung in Gernsheim auf. Gegen 18.30
Uhr versetzte der Angeklagte, der zu diesem Zeitpunkt eine
Blutalkoholkonzentration von höchstens 1,29 %o aufwies, S. ,
der ebenfalls nicht unerheblich alkoholisiert war und auf seinem Bett
saß, ohne von diesem vorher angegriffen worden zu sein, mit
der Hand einen wuchtigen und heftigen Schlag gegen die linke
Gesichtshälfte. Der Schlag verursachte eine Verletzung der
linken Wangenschleimhaut, verbunden mit einer massiven Blutung. Infolge
des Schlages wurde der Kopf von S. heftig hin und her bewegt. Dadurch
kam es über der rechten Großhirnhalbkugel zu einer
Verletzung von Brückenvenen, einer langsamen Blutung unter die
harte Hirnhaut über der rechten Großhirnhalbkugel
sowie zu Einblutungen im Bereich des Hirnstamms. S. wurde
bewußtlos. Der Angeklagte ging davon aus, daß
diesem infolge des Schlages etwas "Gravierendes" zugefügt
worden war und befürchtete, daß dieser zu Tode
kommen könne. Er verließ die Wohnung des regungslos
auf dem Bett liegenden S. und zog dabei den in der
Hauseingangstür von innen steckenden Schlüssel ab,
schloß diese von außen zu und nahm den
Schlüssel mit. Dadurch wollte er Zeit gewinnen, um sich klar
zu werden, wie er "den Kopf aus der selbstumgelegten Schlinge ziehen
könne" und wollte verhindern, daß durch einen
"dummen Zufall" sich jemand in die Wohnung von S. begeben und diesen
regungslos und bewußtlos auffinden könnte. Nach
einiger Zeit rief die Ehefrau des Angeklagten auf dessen Veranlassung
die Schwester des Tatopfers an, um diese zu veranlassen, in die Wohnung
des Angeklagten zu kommen. Bei dieser Gelegenheit wollte er diese
überzeugen, daß er "nichts Massives gegen S.
unternommen, es sich um einen Unglücksfall gehandelt habe und
sie überreden, ihn doch aus dem Spiel zu lassen". Da die
Schwester des Tatopfers telefonisch nicht erreicht werden konnte, begab
sich die Ehefrau des Angeklagten gegen 20.00 Uhr in die Wohnung der
Zeugin S. , wo sich nur deren Lebensgefährte Sch. befand.
Diesem erzählte sie von der Auseinandersetzung, der Angeklagte
und S. hätten sich irgendwie "in der Wolle gehabt" und seien
sich gegenseitig "an den Hals" gegangen. Sie händigte dem
Zeugen den Wohnungsschlüssel des S. aus. Als dessen Schwester
nach Hause kam, berichtete der Zeuge Sch. ihr von dem
Gespräch. Gegen 21.00 Uhr ging sie zur Wohnung ihres Bruders
und horchte an der Türe. Als sie Schnarchgeräusche
hörte, dachte sie, er schlafe.
S. wurde am 10. Februar 1998 gegen 16.30 Uhr auf seinem Bett liegend
tot aufgefunden.
II.
Die Schwurgerichtskammer geht davon aus, daß der Angeklagte
das Tatopfer in Verletzungsabsicht geschlagen und dadurch dessen Tod
verursacht hat. Nach seinen persönlichen Kenntnissen und
Fähigkeiten hätte er den Tod als Folge seines Tuns
als möglich voraussehen können und müssen.
Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beschwerdeführer mit
ihren Revisionen. Die Staatsanwaltschaft hält hinsichtlich des
Schuldspruchs eine Vorhersehbarkeit des eingetretenen Erfolges auf
Seiten des Angeklagten für nicht ausreichend festgestellt und
ist im übrigen der Meinung, die Bestimmung des Strafrahmens
sei rechtsfehlerhaft, die verhängte Strafe
unverhältnismäßig hoch. Der Angeklagte
wendet sich mit der Sachbeschwerde gegen die Beweiswürdigung
des Landgerichts, vor allem soweit seine Einlassung als widerlegt
angesehen und die Ursächlichkeit des Schlages ins Gesicht
für den Tod des S. bejaht wurde. Mit der Verfahrensbeschwerde
rügt er eine Verletzung der Aufklärungspflicht sowie
die Ablehnung eines Beweisantrages.
III.
Die Rechtsmittel greifen durch.
1. Die Verfahrensrügen des Angeklagten entsprechen nicht den
Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und sind deshalb
unzulässig.
2. Die von beiden Beschwerdeführern erhobene Sachrüge
führt aber zur Aufhebung des Urteils. Dieses weist einen den
Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler im Strafausspruch auf, der zur
Aufhebung auch des Schuldspruchs nötigt.
Die Schwurgerichtskammer hat einen minder schweren Fall der
Körperverletzung mit Todesfolge nach § 226 Abs. 2
StGB aF (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren)
verneint und die Strafe dem Strafrahmen des § 226 Abs.1 StGB
aF entnommen (Freiheitsstrafe von drei bis 15 Jahren). Rechtsfehlerhaft
hat sie dabei einen wesentlichen Umstand nicht zu Gunsten des
Angeklagten berücksichtigt.
Maßgebend für die Annahme eines minder schweren
Falles ist, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller
subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom
Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so
sehr abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens
geboten erscheint. Hierzu ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei
der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind,
die für die Wertung der Tat und des Täters in
Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst
innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (st. Rspr.
vgl. BGHSt 26, 97, 98 f.; BGHR StGB vor § 1 minder schwerer
Fall, Prüfungspflicht 1). Wesentliches Gewicht für
die Bewertung der Tatschuld des Angeklagten mußte der
Tatsache zukommen, daß die - im Rahmen von § 18 StGB
zwar zurechenbare - Todesfolge auf sehr unglücklichen
Umständen beruhte. Denn daß ein - wenn auch heftiger
- Schlag gegen den Kopf einer sitzenden Person deren Tod verursacht,
ist eher selten und beruhte hier unter anderem auch auf den
körperlichen Gegebenheiten des Tatopfers (Alkoholiker). Ein
solcher besonderer - wenn auch in seinem Ergebnis letztlich doch
voraussehbarer - Geschehensablauf läßt die Schuld
des Täters in einem milderen Licht erscheinen. Auf diesen
Gesichtspunkt geht das Landgericht bei der Strafzumessung nicht ein. Es
hat das Tatbild nämlich nur insoweit in seine Bewertung
einbezogen, als es zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt,
daß bei ihm nur "unbewußte Fahrlässigkeit"
und "eine gewisse alkoholbedingte Enthemmung" vorgelegen habe.
3. Die Strafrahmenwahl und damit der gesamte Strafausspruch
können somit keinen Bestand haben. Dies führt hier
aber auch zur Aufhebung des Schuldspruches, weil das Landgericht es
unter Verkennung der ihm obliegenden Kognitionspflicht unterlassen hat,
eine Strafbarkeit des Angeklagten unter allen in Betracht kommenden
Gesichtspunkten zu erörtern.
a) Nach den Feststellungen gingen der Angeklagte und seine Ehefrau
davon aus, daß dem infolge des wuchtigen Schlages
bewußtlosen S. etwas "Gravierendes" zugefügt worden
war. Der Angeklagte befürchtete sogar, daß dieser zu
Tode kommen könne (UA S. 24). Nach der Auffassung der
Schwurgerichtskammer hätte er nach seinen
persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten erkennen und
voraussehen können, daß dem Schlag das Risiko eines
tödlichen Ausgangs anhaftete (UA S. 76/77).
Angesichts dieser Ausführungen drängte es sich auf,
die Frage zu erörtern, ob das Verhalten des Angeklagten nicht
nur als Körperverletzung mit Todesfolge, sondern auch als
vollendetes oder versuchtes Tötungsdelikt durch Unterlassen
(§§ 211, 212, 22, 23, 13 StGB) zu beurteilen ist.
Eine nur versuchte Tat könnte deshalb in Betracht kommen, weil
nach den bisherigen Feststellungen nicht mit Sicherheit
geklärt werden konnte, daß der Verletzte durch
ärztliche Hilfe hätte gerettet werden
können. Die für ein Unterlassungsdelikt erforderliche
Rechtspflicht zum Handeln ergab sich für den Angeklagten aus
"vorausgegangenem Tun". Die insoweit rechtlich erforderliche
Pflichtwidrigkeit liegt in seinem - rechtswidrigen - Angriff auf das
Tatopfer (BGHSt 37, 106, 115; BGHR StGB § 13 Abs. 1
Garantenstellung 14 m.w.N.). Ein bedingt vorsätzliches Handeln
(vgl. zum Tötungsvorsatz beim Unterlassen BGH NStZ 1992, 125;
BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50) legen die zur
subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen des Landgerichts nahe.
Zwar kann nicht allein aus der Erkenntnis der möglichen
Todesfolge auf das Billigen des Erfolges geschlossen werden. Die
Urteilsgründe lassen die Frage einer "Billigung" offen.
Dafür ergaben sich aber nicht unwesentliche Anhaltspunkte. Der
Angeklagte hat etwaige Hilfe für das Tatopfer dem Zufall
überlassen, er hat niemandem von seiner Befürchtung,
S. sei lebensgefährlich verletzt, Mitteilung gemacht und
möglicherweise durch das Versperren der Haustüre
objektiv sogar Hilfe verhindert.
Im übrigen hätte auch eine Strafbarkeit nach
§ 221 StGB (vgl. BGHSt 26, 35 ff.; BGHR StGB § 221 -
Konkurrenzen 1) oder § 323 c StGB erörtert werden
müssen (vgl. BGH NStZ 1985, 501; BGH, Urt. v. 20. Januar 2000
- 4 StR 365/99).
b) Die Aufhebung des Schuldspruchs, die dazu führen kann,
daß der Angeklagte in der neuen Hauptverhandlung auf Grund
weiterer Straftatbestände verurteilt wird, ist - auch wenn nur
Revisionen zugunsten des Angeklagten vorliegen - geboten. Denn wenn
durch eine teilweise Verwerfung der Revision (also Aufhebung nur im
Strafausspruch) der Schuldspruch, der hier wegen der unterlassenen
Erörterung unter anderem eines - durch Unterlassen begangenen
- Tötungsdelikts rechtsfehlerhaft ist, rechtskräftig
würde, wäre das neu erkennende Landgericht unter
Umständen aus Rechtsgründen gehindert, durch
entsprechende widerspruchsfreie Feststellungen den richtigen
Ausgangspunkt für eine unter Beachtung des
Verschlechterungsverbotes (§ 358 Abs. 2 StPO)
schuldangemessene Ahndung der Tat zu gewinnen (BGH, Beschl. v. 11.
November 1981 - 3 StR 342/81 - zitiert bei Holtz MDR 1982, 283; vgl.
auch BayObLGSt 1980, 13 ff., 15; Jagusch NJW 1962, 1417 ff, 1419/1420;
Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 354 Rdn.
22).
Käme der neu entscheidende Tatrichter zur Annahme eines durch
Unterlassen begangenen Totschlags, stände dieser mit der
festgestellten Tat nach § 226 StGB aF in Tateinheit (vgl. BGH
NStZ 2000, 29, 30 für ein vollendetes Tötungsdelikt).
Die Notwendigkeit einer Aufhebung des gesamten Schuldspruchs liegt dann
auf der Hand.
Selbst wenn bei Verwirklichung sowohl des § 226 StGB aF als
auch eines (versuchten) Tötungsdelikts nach
§§ 211, 212 StGB eine tatmehrheitliche Begehung in
Betracht gezogen würde (vgl. BGHSt 7, 287, 289), kann der
Schuldspruch aber keinen Bestand haben, denn es handelt sich um
dieselbe Tat im Sinne des § 264 StPO (vgl. auch BGHR StGB
§ 226 Kausalität 1) und hätte mit
abgeurteilt werden müssen.
Die Sache muß somit in vollem Umfang erneut verhandelt werden.
IV.
Im Hinblick darauf, daß in einem informellen
Gespräch zwischen den Verfahrensbeteiligten das Gericht dem
Verteidiger bei einem entsprechenden Geständnis des
Angeklagten eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von
zwei Jahren in Aussicht gestellt hatte, dann aber doch - bei gleichem
Schuldspruch - eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren für
schuldangemessen hielt, die es vor allem damit erklärt,
daß "der ganz wesentliche Strafmilderungsgrund des von
Tateinsicht und Reue geprägten umfassenden
Geständnisses fehlt", macht der Senat von der
Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und
verweist die Sache an eine Schwurgerichtskammer des Landgericht
Frankfurt am Main zurück.
Das neu erkennende Gericht wird möglicherweise zur Beurteilung
der bei der Obduktion erhobenen Befunde einen neurologischen
Sachverständigen hinzuziehen müssen.
Jähnke Detter Bode
Otten Rothfuß |