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BGH, Urteil vom 3. März 2000 - 2 StR 598/99


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 3.3.2000 - 2 StR 598/99
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 598/99
vom
3. März 2000
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 1. März 2000 in der Sitzung vom 3. März 2000, an der teilgenommen haben: Vizepräsident des Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender, die Richter am Bundesgerichtshof Detter, Dr. Bode, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten, der Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Justizobersekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 6. September 1999 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen. Es hat weiter die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet.
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechtes. Sein Rechtsmittel ist hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruches unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Daß der Tatrichter im Falle 6 der Anklage, in dem der Angeklagte beim Opfer Oralverkehr ausübte, nicht schweren sexuellen Mißbrauch von Kindern (§ 176 a StGB; vgl. BGHR StGB § 176 a Abs. 1 Nr. 1 Eindringen 1 = StV 1999, 602 = NJW 1999, 2977) angenommen hat, beschwert den Angeklagten nicht.
Einer Erörterung bedarf allein die vom Generalbundesanwalt aufgeworfene Frage, ob die Maßregel gemäß § 64 StGB rechtsfehlerfrei angeordnet wurde. Die Revision des Angeklagten hat jedoch auch insoweit keinen Erfolg.
II.
1. In der Zeit zwischen 11. Juni 1998 und 12. Oktober 1998 mißbrauchte der Angeklagte den am 28. Juli 1987 geborenen Sohn D. K. seiner Lebensgefährtin sexuell in mindestens fünf Fällen.
Die schon Jahre zurückliegenden Vorverurteilungen des Angeklagten hatten keine Sexualdelikte zum Gegenstand.
2. Der Angeklagte nahm seit seinem 16./17. Lebensjahr durchgängig Beruhigungstabletten zur Bekämpfung von Angstzuständen. Als er berufs- und obdachlos wurde, griff er zudem vermehrt zum Alkohol. 1993/94 stand er eine sechsmonatige Entgiftung durch. Er nahm zwar weiterhin Beruhigungsmittel, schränkte aber seinen Alkoholkonsum ein. Im Spätsommer 1998 begann er wieder verstärkt Alkohol zu trinken, wobei er durchgängig weiter Beruhigungsmittel konsumierte. Nach seiner Verhaftung im Oktober 1998 erlitt der Angeklagte einen entzugsbedingten, von Bewußtlosigkeit begleiteten Krampfanfall und wurde ins Krankenhaus verlegt. Nach seiner Entlassung begab er sich noch mehrmals zur stationären Entgiftung in die Landesklinik Merheim.
3. Die vom Sachverständigen K. beratene Strafkammer hat zum Zustand des Angeklagten folgendes festgestellt: Der langjährige Mißbrauch von Beruhigungsmitteln und Alkohol habe zu einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung geführt. Diese finde ihren Ausdruck insbesondere in Symptomen der Affektlabilität und Stimmungsschwankungen. Der Angeklagte zeige darüber hinaus auch noch andere psychopathologische Auffälligkeiten, wie etwa schon früh aufgetretene, permanente Angstzustände und Stottern. Die seit 25 Jahren vorliegende Beruhigungsmittelsucht und die seit 10 Jahren hinzutretende Alkoholabhängigkeit hätten zu einer Entdifferenzierung und einer Enthemmung der Persönlichkeit geführt, die es nicht ausschließen lassen, daß der Angeklagte im Tatzeitpunkt nur in erheblich vermindertem Maße in der Lage gewesen sei, sein Verhalten bei bestehen gebliebener Unrechtseinsicht dieser Einsicht folgend zu steuern; gänzlich aufgehoben sei seine Steuerungsfähigkeit jedoch nicht gewesen. Die Taten, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, gingen auf den Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke und Beruhigungsmittel im Übermaße zu sich zu nehmen, zurück, weil dieser Hang zu der tatbegünstigenden Entdifferenzierung und Enthemmung der Persönlichkeit des Angeklagten geführt habe. Angesichts der sich häufenden Aufenthalte in der Landesklinik Merheim, der schwerwiegenden Straftaten im vorliegenden Verfahren, die gerade Folge des übermäßigen Beruhigungsmittel- und Alkoholkonsums seien, sowie seiner mehrfachen, wenn auch insoweit nicht schwerwiegenden Vorstrafen, seien vom Angeklagten aufgrund seines Hanges ohne entsprechende Behandlung auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten zu erwarten. Bei entsprechender Behandlung bestehe aber die hinreichend konkrete Aussicht, den Angeklagten zumindest für eine erhebliche Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren.
III.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Angeklagte hat den Hang, alkoholische Getränke und zusätzlich Beruhigungsmittel im Übermaße zu sich zu nehmen. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen gehen die Taten, wegen deren er verurteilt wurde, auf diesen Hang zurück; sie finden ihre Wurzel in dem Hang. Zutreffend weist der Generalbundesanwalt zwar darauf hin, daß Sexualdelikte als Anlaßtat für eine Unterbringung seltener in Erscheinung treten als zum Beispiel Betäubungsmitteldelikte (vgl. BGH bei Miebach NStZ 1998, 130). Sie kommen aber als Anlaßtaten durchaus in Betracht (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 28. Oktober 1998 - 2 StR 404/98; BGH, Beschl. v. 7. Mai 1996 - 5 StR 158/96; vgl. auch BGH, Beschl. v. 21. September 1999 - 1 StR 430/99). Im vorliegenden Fall ist der Symptomwert der Taten für den Hang des Angeklagten zum Mißbrauch berauschender Mittel ausreichend dargetan; denn in ihnen äußert sich seine hangbedingte Gefährlichkeit (vgl. hierzu u.a. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2 m.w.N.). Der langjährige Alkohol- und Beruhigungsmittelmißbrauch hat - wie der Tatrichter festgestellt hat - zu einer tatbegünstigenden Enthemmung und Entdifferenzierung der Persönlichkeit des Angeklagten geführt; die Taten gingen daher auf den Hang zurück.
Weiter besteht nach den ohne Rechtsfehler getroffenen Feststellungen die hohe Wahrscheinlichkeit, daß der Angeklagte infolge seines zu der schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung führenden Hanges weitere erhebliche Straftaten begehen wird.
Die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges (BVerfGE 91, 1 ff.). wird vom Tatrichter rechtsfehlerfrei damit begründet, daß der Angeklagte sich schon mehrfach um Hilfe im Kampf gegen seine Abhängigkeit bemüht und damit eine gewisse Einsicht in sein Suchtproblem gezeigt hat. Da die Sucht Ursache der Persönlichkeitsstörung ist, gilt es zunächst, den Hang zu beseitigen, um den Täter heilen zu können.
Jähnke Detter Bode
Otten Rothfuß



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