BGH,
Urt. v. 3.11.2000 - 2 StR 274/00
2 StR 274/00
SDÜ Art. 54
EG-ne bis in idem-Übk Art. 1
"Gerade vollstreckt" wird eine Sanktion im Sinne von Art. 54
SDÜ (wie Art. 1 EG-ne bis in idem-Übk) auch dann,
wenn ihre Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist.
BGH, Urteil vom 3. November 2000 - 2 StR 274/00 - LG Aachen
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 274/00
vom
3. November 2000
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3.
November 2000, an der teilgenommen haben: Vizepräsident des
Bundesgerichtshofs Dr. Jähnke als Vorsitzender, die Richter am
Bundesgerichtshof Detter, Dr. Bode, die Richterinnen am
Bundesgerichtshof Dr. Otten, Elf als beisitzende Richter, Staatsanwalt
in der Verhandlung, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der
Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte in der Verhandlung, Justizhauptsekretärin
bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Aachen vom 10. Februar 2000
a) aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Beihilfe zum Handeltreiben
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt
worden ist (Fall III. 5 der Urteilsgründe) und das Verfahren
insoweit eingestellt,
b) in der Urteilsformel dahin ergänzt, daß als
Ausgleich für die Leistungen, die der Angeklagte zur
Erfüllung der Auflage aus dem
Bewährungsbeschluß des Amtsgerichts Velbert vom 10.
Februar 1999 erbracht hat, pro angefangenem Betrag von DM 50, ein Tag
Freiheitsstrafe auf die hier verhängte Gesamtfreiheitsstrafe
angerechnet wird.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Einstellung hat die Staatskasse die Kosten des
Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen. Die
verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels fallen dem Angeklagten zur
Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier
Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter
Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sowie
wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem
Urteil des Amtsgerichts Velbert vom 10. Februar 1999 zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der
er die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht. Die
Verfahrensrüge ist nicht hinreichend ausgeführt und
daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der
Sachrüge hat das Rechtsmittel in dem aus dem Tenor
ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es
unbegründet.
II.
1. Das Verfahren ist hinsichtlich Fall III. 5 der
Urteilsgründe wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses
einzustellen. Die in diesem Fall erfolgte Verurteilung des Angeklagten
wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge hat keinen Bestand, weil es für die
abgeurteilte Tat an einer Anklage mangelt. Diese Tat war nicht
Gegenstand der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen
Anklage vom 20. September 1999; eine die Tat einbeziehende
Nachtragsanklage ist nicht erhoben worden.
Der im Fall III. 5 der Urteilsgründe abgeurteilte
Lebenssachverhalt weist keine Identität mit dem unter Fall 5
der Anklage beschriebenen Geschehen auf. Die Anklageschrift hat nach
§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO die dem Angeklagten zur Last gelegte
Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen,
daß die Identität des geschichtlichen Vorgangs
dargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie
muß sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen
desselben Täters unterscheiden lassen. Dabei muß die
Schilderung umso konkreter sein, je größer die
allgemeine Möglichkeit ist, daß der Angeklagte
verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat, wie
es hier der Fall ist (BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 7
m.w.N.).
Eine Gesamtschau der Urteilsgründe ergibt, daß die
Kammer der Verurteilung im Fall III. 5 nur die unter dem 8. Juni 1997
und dem folgenden Tag aufgeführten Handlungen des Angeklagten
zugrunde gelegt hat. Diese basieren auf der geständigen
Einlassung des Angeklagten. Danach traf der Angeklagte am 8. Juni 1997
- nach einem vorangegangenen Telefonat mit A. - in V. /H. in den
Niederlanden mit A. , S. und P. zusammen. Ihm wurde eine
Plastiktüte, die eine Probe von ca. 14 Gramm Kokain sowie
etwas Haschisch und 20-30 Plastikkapseln Amphetamin enthielt, zur
Aufbewahrung übergeben, die er mit zu seiner Wohnung in Z. /
B. nahm. Am nächsten Tag wog der Angeklagte - nach einem Anruf
von A. - weisungsgemäß von dem Kokain zweimal 5
Gramm ab und brachte die Proben zu I. nach H. , wo er sie an S. und A.
übergab. Ihm wurde bedeutet, daß er die restlichen
Betäubungsmittel behalten könne.
Demgegenüber ist dem Angeklagten im Fall 5 der Anklage vom 20.
September 1999 vorgeworfen worden, am 8. Juli 1997 nach telefonischer
Kontaktaufnahme in V. /N. von den anderweitig verfolgten S. und A. 1 kg
unverschnittenes Kokain übernommen zu haben und es gegen
Entlohnung zu dem ebenfalls in den Niederlanden wohnhaften Abnehmer Z.
transportiert zu haben. Diese Tat hat der Angeklagte nach dem
wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen substantiiert bestritten.
Hinsichtlich eines Tatgeschehens, wonach der Angeklagte eine Probe von
etwa 15 Gramm Kokain zum Zwecke der Aufbewahrung übernommen
hatte und davon 10 Gramm in H. zurückgab, hat die
Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1 StPO
im Hinblick auf die Vorwürfe des Anklagesatzes von der
Verfolgung abgesehen.
Bei dem als Fall 5 angeklagten Geschehen einerseits und dem als Fall
III. 5 abgeurteilten Geschehen andererseits handelt es sich nicht um
dieselbe Tat i.S.v. § 264 StPO. Der Erhalt der Probe Kokain
zur Aufbewahrung und Rückgabe eines Teils davon an S. und A.
ist - schon unabhängig von den zusätzlichen
Unterschieden hinsichtlich des Tattages und der Menge - nicht derselbe
geschichtliche Lebensvorgang wie die Übernahme von Kokain zum
anschließenden entgeltlichen Transport als Kurier an den
Abnehmer.
Dafür, daß es sich bei dem im Fall III. 5
abgeurteilten Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt der Bewertungseinheit
lediglich um einen Teilakt der in der Anklage bezeichneten Tat handelt
(vgl. BGH NStZ 1994, 495), ergeben sich weder aus den
Urteilsgründen noch aus dem Akteninhalt Anhaltspunkte.
Das unter Fall III. 5 abgeurteilte Geschehen ist daher von der Anklage
und dem Eröffnungsbeschluß nicht umfaßt
und durfte somit auch nicht zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht
werden. Dazu hätte es vielmehr der Erhebung einer
Nachtragsanklage bedurft.
2. Das Landgericht hat zu Recht gemäß § 55
Abs. 1 Satz 1 StGB die Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgericht
Velbert vom 10. Februar 1999
- rechtskräftig seit demselben Tage - in die
Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen, jedoch versäumt,
gemäß §§ 58 Abs. 2 Satz 2, 56 f
Abs. 3 Satz 2 StGB über die Anrechnung der Leistungen zu
entscheiden, die der Angeklagte aufgrund der Auflage in dem
Bewährungsbeschluß des Amtsgerichts Velbert vom 10.
Februar 1999 erbracht hat. Die fehlende Anrechnung ist hier auch auf
die Sachrüge hin zu beachten, da sich aus dem Urteil des
Landgerichts ergibt, daß der Angeklagte aufgrund der ihm
erteilten Bewährungsauflage zur Zahlung einer
Geldbuße von 5.000 DM, in monatlichen Raten von 200 DM,
beginnend ab Rechtskraft des Urteils, regelmäßig
Zahlungen erbracht hat (vgl. BGHSt 35, 238, 241). Es handelt sich
demnach um eine Auflage im Sinne von § 56 b Abs. 2 Satz 1 Nr.
2 oder 4 StGB. Erbrachte Bußgeldzahlungen müssen
i.d.R. ausgeglichen werden (BGHSt 36, 378, 381; BayObLG wistra 1994,
310; Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl. 1999, § 58 Rdn.
4). Der Senat kann daher die erforderliche Anrechnungsentscheidung in
entsprechender Anwendung des § 354 StPO nachholen (vgl. BGH,
Beschl. vom 13. April 1999 - 4 StR 98/99; Beschl. vom 2. Mai 1995 - 1
StR 143/95). Daß die Kammer zu einem für den
Angeklagten günstigeren Anrechnungsmaßstab, als dem
hier im Tenor aufgeführten, gekommen wäre, kann der
Senat ausschließen.
Im übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund
der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Festsetzung eines Anrechnungsmaßstabes hinsichtlich der
von dem Angeklagten in Belgien erlittenen Haft gemäß
§ 51 Abs. 4 Satz 2 StGB ist nicht veranlaßt. Denn
eine Anrechnung der Haft gemäß § 51 Abs. 3
StGB kommt vorliegend nicht in Betracht. Diese Vorschrift setzt voraus,
daß eine Doppelverurteilung zulässig wäre,
weil sie einen Ausgleich für diese Fälle schaffen
soll. Fehlt es an der Möglichkeit solcher Verurteilung im
Ausland und Inland, würde eine Anrechnung den Angeklagten
günstiger stellen als bei einmaliger Verurteilung im Inland.
Das ist nicht der Sinn der Regelung (vgl. BGHSt 35, 172, 177).
Soweit der Angeklagte durch das Landgericht Antwerpen am 7. Oktober
1997 verurteilt wurde, ist aber gemäß Artikel 54 des
Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ)
Strafklageverbrauch eingetreten. Der von Deutschland nach Artikel 55
Abs. 1 a) 1. Halbsatz SDÜ erklärte Vorbehalt steht
der Anwendung von Artikel 54 SDÜ hier nicht entgegen. Denn der
Vorbehalt greift dann nicht ein, wenn die Tat - wie hier - nicht in
Deutschland begangen wurde (vgl. BGH, Beschl. vom 13. Mai 1997 - 5 StR
596/96, insoweit nicht abgedruckt in NStZ 1998, 149 ff.).
Die Voraussetzungen des Artikels 54 SDÜ liegen vor. Danach
tritt Strafklageverbrauch ein, wenn die Sanktion im anderen Staat
vollstreckt ist, gerade vollstreckt wird oder nicht mehr vollstreckt
werden kann. Die von dem Gericht in Antwerpen verhängte, zur
Bewährung ausgesetzte Strafe genügt diesen
Anforderungen. Denn auch bei Strafaussetzung zur Bewährung
wird die Strafe "gerade vollstreckt" im Sinne von Artikel 54
SDÜ. Dies folgt zum einen aus dem Sinn und Zweck der Regelung.
Denn bei einer laufenden Bewährung kann die Strafaussetzung
noch jederzeit widerrufen und um Auslieferung zur Vollstreckung oder
Übernahme der Vollstreckung gerade nach dem SDÜ
(Artikel 68 f.) ersucht werden (Schomburg/Lagodny, Internationale
Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl. 1998, Artikel 54 SDÜ
Rdnr. 21; Schomburg NJW 2000, 1833, 1839). Die dargelegte Auslegung des
Artikels 54 SDÜ ergibt sich zum anderen aus der Denkschrift
der Bundesregierung zum gleichlautenden Artikel 1 des EG-ne bis in
idem-Übk vom 25. Mai 1987 (BR-Drucks. 283/97 S. 10). Danach
wird eine Sanktion auch dann gerade vollstreckt im Sinne des
Übereinkommens, wenn ihre Vollstreckung zur Bewährung
ausgesetzt wird. Die beiden identischen Vorschriften verfolgen
denselben Regelungszweck und können nur einheitlich ausgelegt
werden.
Der durch das belgische Urteil eingetretene Strafklageverbrauch und
somit das Verbot der Doppelbestrafung findet im hiesigen Verfahren nach
Einstellung des Falles III. 5 der Urteilsgründe in vollem
Umfang Beachtung.
3. Mit der Aufhebung des Urteils und Einstellung des Verfahrens im Fall
III. 5 der Urteilsgründe entfällt die insoweit
verhängte Einzelstrafe von 9 Monaten. Die
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten kann gleichwohl
bestehen bleiben. Der Senat schließt im Hinblick auf die
verbleibenden Einzelstrafen für die Fälle 1 bis 4 (2
Jahre und 3 Monate, zweimal ein Jahr, 9 Monate) und die einbezogenen
Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Velbert (zweimal ein Jahr
und 6 Monate, 127mal 60 Tagessätze) aus, daß der
Tatrichter bei Wegfall der im Fall III. 5 verhängten
Einzelstrafe eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt
hätte.
4. Soweit das Verfahren eingestellt worden ist, ergibt sich die Kosten-
und Auslagenentscheidung aus § 467 Abs. 1 StPO.
Darüber hinaus gebietet der nur geringfügige
Teilerfolg der Revision hier keine teilweise Auferlegung von Kosten des
Verfahrens und Auslagen des Angeklagten auf die Staatskasse (§
473 Abs. 4 StPO).
Jähnke Die Richter Detter und Dr. Otten sind infolge
Urlaubs an der Unterzeichnung verhindert.
Jähnke
Bode Elf |