BGH,
Urt. v. 3.9.2002 - 5 StR 139/02
5 StR 139/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 3. September 2002
in der Strafsache gegen
wegen Mordes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 3.
September 2002, an der teilgenommen haben: Richter Basdorf als
Vorsitzender, Richter Häger, Richterin Dr. Gerhardt, Richter
Dr. Brause, Richter Schaal als beisitzende Richter, Bundesanwalt als
Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt Rechtsanwalt L als
Verteidiger, Rechtsanwalt D als Vertreter der Nebenkläger Z
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten B Z gegen das
Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. August 2001 werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und
die dadurch dem Angeklagten B Z entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen. Der Angeklagte B Z hat die Kosten seiner Revision und die
insoweit den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit
einem Verstoß gegen das Waffengesetz in drei Fällen
zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Dieses
Urteil greift die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung
sachlichen Rechts gestützten, vom Generalbundesanwalt
vertretenen Revision nur insoweit an, als das Landgericht eine
besondere Schuldschwere im Sinne von § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB
verneint hat. Der Angeklagte wendet sich mit seiner Revision gegen das
Urteil insgesamt. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen betrat der
Angeklagte am 1. Januar 2001 nach 1.00 Uhr die Wohnung seiner
Schwägerin N Z , um diese sowie deren Bruder I K und Cousin G
K zu töten. Bereits beim Eintreten in das Wohnzimmer gab der
Angeklagte aus seiner Pistole in Tötungsabsicht binnen weniger
Sekunden in unmittelbarer Folge vier Schüsse auf diese drei
Personen ab, wobei zwei Schüsse seine Schwägerin
verletzten und ein Schuß deren Bruder traf, während
der vierte Schuß deren Cousin verfehlte. Als dieser sich ihm
entgegenwarf und an der Abgabe weiterer Schüsse hinderte, kam
dem Angeklagten sein 16 Jahre alter Neffe - der Mitangeklagte M Z , der
seine Verurteilung wegen Totschlags in zwei Fällen zu acht
Jahren Jugendstrafe nicht angefochten hat - zu Hilfe und brachte das
Opfer zu Boden. Nunmehr tötete der Angeklagte den Cousin mit
fünf Schüssen. Die inzwischen in den Flur der Wohnung
gelaufene Schwägerin verfolgte der Angeklagte dann,
schoß auf sie, stach mit dem Messer auf sie ein, brachte sie
in das Schlafzimmer und tötete sie dort mit zahlreichen
weiteren Messerstichen. Daraufhin suchte der Angeklagte in der Wohnung
nach dem Bruder, der sich auf dem Balkon versteckt hatte und dort
hilflos verharrte. Der Angeklagte fand ihn, zerrte ihn vom Balkon und
fügte ihm gemeinsam mit seinem Neffen über 30 Stich-
und Schnittverletzungen zu, an denen er rasch verstarb.
II.
Die Revision des Angeklagten hat mit der allein erhobenen
Sachrüge keinen Erfolg.
1. Die Urteilsfeststellungen beruhen auf einer tragfähigen,
ausreichend begründeten Beweiswürdigung.
2. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher
Nachprüfung stand.
a) Daß der Angeklagte vorsätzlich drei Menschen
getötet hat, hat der Tatrichter rechtsfehlerfrei festgestellt.
Auch die Annahme, daß das Mordmerkmal der Heimtücke
nach § 211 Abs. 2 StGB vorgelegen habe, ist aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Anwendung des
Mordmerkmals steht nicht entgegen, daß es in der
Vergangenheit zu verbalen Auseinandersetzungen gekommen war, in deren
Verlauf der Angeklagte seine Schwägerin unter anderem bei
einem Telefonanruf mit den Worten "Ich töte Dich" bedroht
hatte. Erforderlich für die Beseitigung der Arglosigkeit ist
auch bei einem vorhergehenden Streit, daß das Opfer im
Tatzeitpunkt mit einem tätlichen Angriff rechnet (BGHSt 32,
382, 384; 33, 363, 365; BGHR StGB § 211 Abs. 2
Heimtücke 7, 13 und 27). Eine solche Erwartung hat der
Tatrichter rechtsfehlerfrei mit der Erwägung ausgeschlossen,
daß der Angeklagte in den Stunden vor der Tat seine
Schwägerin dreimal angerufen und dabei erklärt hatte,
er wolle in dieser Neujahrsnacht noch zu Besuch kommen, mit ihrem
Bruder und ihrem Cousin Karten spielen, reden und Tee trinken, da er
allein sei, seine Familie sei bei seinen Eltern. Zudem hatte er sich
bereit erklärt, die beiden Männer
anschließend mit seinem Auto nach Hause zu fahren, so
daß sie nicht mit der U-Bahn fahren
müßten. Dieses Versprechen hatte die beiden
Männer schließlich zum Bleiben veranlaßt.
Weiterhin steht der Anwendung des § 211 StGB weder entgegen,
daß I K und G K nach Abgabe der ersten beiden
Schüsse auf die N Z mit einem Angriff auf sich rechnen
mußten, noch daß G K sich nach Abgabe je eines
weiteren Schusses auf ihn und auf I K dem Angeklagten entgegengeworfen
hatte und ihn vorübergehend an der Abgabe weiterer
Schüsse hindern konnte. Das Opfer kann auch dann arglos und
wehrlos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig
entgegentritt, das Opfer aber die drohende Gefahr erst im letzten
Augenblick erkennt, so daß ihm keine Möglichkeit
bleibt, dem Angriff zu begegnen. Die Gefährlichkeit
heimtückischen Handelns liegt darin, daß der
Täter sein Opfer in hilfloser Lage überrascht und
dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu entgehen oder doch
wenigstens zu erschweren (BGHR StGB § 211 Abs. 2
Heimtücke 3, 15, 16). Maßgebend für die
Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit
Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Abwehrversuche,
die das durch einen überraschenden Angriff in seinen
Verteidigungsmöglichkeiten behinderte Opfer im letzten Moment
unternommen hat, stehen der Heimtücke daher nicht entgegen
(BGH NJW 1996, 471; NStZ 1999, 506 m. w. N.). Die ersten vier
Schüsse wurden auf die drei Opfer binnen weniger Sekunden in
unmittelbarer Folge abgegeben. Bei der sich anschließenden
Tötung der drei Personen handelte es sich um ein Geschehen,
innerhalb dessen sich in wenigen Augenblicken die verschiedenen
Teilakte aneinanderreihten. Die Getöteten hatten keine Chance
des Entrinnens, nachdem sie einmal in die Gewalt des Angeklagten
geraten waren.
b) Auch die Ausführungen zu dem Mordmerkmal der niedrigen
Beweggründe genügen den rechtlichen Anforderungen.
Beweggründe sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher
Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert
sind, wobei eine Gesamtwürdigung aller
äußeren und inneren für die
Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren
zu erfolgen hat (st. Rspr.; vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996, 211,
212). Das Landgericht sieht die niedrigen Beweggründe zum
einen darin, daß der Angeklagte seine Schwägerin
getötet hat, um das Bekanntwerden ihrer durch ihn verursachten
Schwangerschaft und eine damit mögliche Bedrohung seiner
persönlichen Lebensumstände und Ehrhaftigkeit zu
verhindern. Zum anderen nimmt der Tatrichter als Motiv
gegenüber allen drei Opfern an, der Angeklagte sei
wütend und verärgert gewesen über das von
ihnen ausgegebene Geld seines Schwagers, das er für sich
beanspruchte.
Das Landgericht hat nachvollziehbar dargelegt, warum die Motive des
Angeklagten solche niedrigen Beweggründe darstellen und warum
angesichts der getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen zur
subjektiven Seite vorgelegen haben. Das die Tötung seiner
Schwägerin prägende Motiv steht nach allgemeiner
sittlicher Wertung auf tiefster Stufe, weil der Angeklagte die
Beendigung des Lebens eines Menschen als Mittel zur Verdeckung eigenen
Fehlverhaltens eingesetzt hat (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2
niedrige Beweggründe 35, 37, 39). Wut und Haß, weil
die drei Tatopfer die Durchsetzung seiner finanziellen Interessen
teilweise verhindert hatten, beruhten ebenfalls auf niedrigen
Beweggründen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige
Beweggründe 8, 16). Dem Angeklagten war durch seinen
Rechtsanwalt mitgeteilt worden, daß er keinen Anspruch auf
das von seiner Schwägerin ererbte Geld besaß. Die
Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war nicht
aufgehoben und nicht einmal als schon erheblich eingeschränkt
zu bewerten, wenngleich die Tat, die eine wesentliche Ursache in einer
vom Angeklagten namentlich aufgrund seiner Herkunft aus einem fremden
Kulturkreis erheblich konfliktbeladen gewerteten persönlichen
Krisensituation gehabt hatte, von einer nicht unerheblichen affektiven
Spannung begleitet war.
c) Auch die tatrichterliche Wertung der Tötungshandlungen als
drei rechtlich selbständige Morde unterliegt keinen
durchgreifenden Bedenken.
Der Senat kann noch hinnehmen, daß der Tatrichter von der an
sich näherliegenden Annahme von Tateinheit, die im Ergebnis an
der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe und an der
Beurteilung der wesentlichen Grundlage für die besondere
Schuldschwere - vorsätzliche Tötung von drei Menschen
unter Verwirklichung von jeweils zwei Mordmerkmalen - nichts
ändern könnte, abgesehen hat.
3. Schließlich ist die Strafzumessung rechtsfehlerfrei. Die
Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe war rechtlich geboten.
Außergewöhnliche Umstände, die die
Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als
unverhältnismäßig erscheinen lassen und zu
einer Anwendung des Strafrahmens des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB
führen können (vgl. BGHSt 30, 105, 119 ff.), liegen
nicht vor. Es handelt sich nicht um eine durch eine notstandsnahe,
ausweglos erscheinende Situation motivierte, in großer
Verzweiflung begangene Tat. Vielmehr hat der Angeklagte ungeachtet der
festgestellten Konfliktsituation letztlich doch aus niedrigen
Beweggründen gehandelt.
III.
Die von der Staatsanwaltschaft angegriffene Ablehnung der Feststellung
besonders schwerer Schuld im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 StGB hält rechtlicher Nachprüfung noch stand.
Die Entscheidung der Frage, ob die besondere Schwere der Schuld zu
bejahen ist, hat der Tatrichter unter Abwägung der im
Einzelfall für und gegen den Angeklagten sprechenden
Umstände zu treffen (vgl. BGHSt 40, 360, 370; 41, 57, 62; 42,
226, 227). Dem Revisionsgericht ist bei der Nachprüfung der
tatrichterlichen Wertung eine ins einzelne gehende
Richtigkeitskontrolle versagt. Es hat nur zu prüfen, ob der
Tatrichter alle maßgeblichen Umstände bedacht und
rechtsfehlerfrei abgewogen hat; es ist aber gehindert, seine eigene
Wertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen (BGH NStZ
1998, 352, 353).
Das Landgericht hat bei der Prüfung der besonderen
Schuldschwere eine zusammenschauende Würdigung des
Mordgeschehens und der Täterpersönlichkeit
vorgenommen. Dabei hat der Tatrichter namentlich bedacht, daß
der Angeklagte drei Menschen unter Verwirklichung zweier Mordmerkmale
getötet hat, was regelmäßig für
die Feststellung besonderer Schuldschwere ausreichen wird. Das
Landgericht hat seine abweichende Entscheidung jedoch
maßgeblich auf die psychische Situation des Angeklagten
gestützt. Dieser fühlte sich beim Fassen des
Tatentschlusses und bei der Ausführung der Taten psychisch
stark eingeengt. Diesen Zustand durfte der Tatrichter als
maßgebliches Kriterium für die Ablehnung besonders
schwerer Schuld werten, auch wenn er noch nicht die Qualität
eines krankheitswertigen Affektes, der die Anwendung des § 21
StGB gerechtfertigt hätte, erreicht hatte und bei der
Besonderheit der Tatursachen auch noch nicht einmal das Vorliegen
niedriger Beweggründe aus subjektiven Gründen in
Frage stellen konnte.
Allerdings hat der Tatrichter einen nicht unbedeutenden Punkt -
nämlich die Einbeziehung des zur Tatzeit 16 Jahre alten Neffen
des Angeklagten, der ihn über alles geliebt und verehrt hat,
in die Mordtaten - nicht ausdrücklich im Rahmen seiner
Gesamtabwägung mitabgehandelt. Die Verstrickung eines
Jugendlichen in ein schwerstes Kapitalverbrechen kann fraglos ein
für die Schuldschwereentscheidung maßgeblicher
Gesichtspunkt sein. Gleichwohl schließt der Senat angesichts
des sonst insgesamt außerordentlich sorgfältigen,
das Leid der Opfer und den schweren Unrechtsgehalt des
Gesamttatgeschehens wie die Konflikte der Täter mit
sachverständiger Hilfe ausgewogen bewertenden tatrichterlichen
Urteils aus, daß dieser Umstand, auch wenn er nicht
ausdrücklich erörtert wurde, außer Betracht
geblieben ist.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal
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