BGH,
Urt. v. 30.4.2003 - 3 StR 386/02
3 StR 386/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
30. April 2003
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen zu 1.: gewerbs- und bandenmäßiger
Urkundenfälschung u. a.
zu 2.: Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen
Urkundenfälschung u. a.;
hier: Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten M.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat aufgrund der Verhandlung
vom 10. April 2003, in der Sitzung am 30. April 2003, an denen
teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr.
Tolksdorf, die Richter am Bundesgerichtshof Pfister, von Lienen,
Becker, Hubert als beisitzende Richter, Staatsanwältin als
Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Justizamtsinspektorin in der
Verhandlung, Justizamtsinspektor bei der Verkündung als
Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten M. wird
das Urteil des Landgerichts Hannover vom 31. Mai 2002 mit den
Feststellungen aufgehoben, auch soweit es die Angeklagte Ma. betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten M. "wegen gewerbs- und
bandenmäßiger Urkundenfälschung in
Tateinheit mit gewerbs- und bandenmäßigen
Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen in 14 Fällen,
wovon es in einem Fall beim Versuch blieb, davon in 7 Fällen
in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Einschleusen von
Ausländern, wovon es in einem Fall beim Versuch blieb" zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten
verurteilt. Die nichtrevidierende Mitangeklagte Ma. hat es der
"Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen
Urkundenfälschung in Tateinheit mit gewerbs- und
bandenmäßigen Verschaffen von falschen amtlichen
Ausweisen in 5 Fällen, davon in 2 Fällen in
Tateinheit mit Beihilfe zum gewerbsmäßigen
Einschleusens von Ausländern" schuldig gesprochen und gegen
sie eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von
sechs Monaten verhängt. Die gegen den Angeklagten M.
gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und
materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft
greift die Schuldsprüche an und erstrebt eine Aufhebung des
gesamten Rechtsfolgenausspruchs. Der Angeklagte M. beanstandet mit
seiner Revision die Verletzung sachlichen Rechts.
Beide Rechtsmittel haben mit den Sachrügen Erfolg.
I. Nach den Feststellungen organisierte der Angeklagte M. in 14
Fällen Schleusungen von iranischen Staatsangehörigen
in die Bundesrepublik Deutschland, in andere Schengener Vertragsstaaten
sowie in Drittstaaten, um sich dadurch eine Einnahmequelle von
längerer Dauer zu verschaffen. Er hatte sich deshalb mit
seinem in der Türkei wohnhaften Bruder und einem weiteren dort
lebenden unbekannt gebliebenen Mittäter zusammengeschlossen,
um künftig fortlaufend Pässe oder sonstige Ausweise
für die schleusungswilligen Iraner zu fälschen. Die
gefälschten Ausweispapiere erhielt er von seinem Bruder, die
dieser zusammen mit dem unbekannt gebliebenen Mittäter
hergestellt hatte. Der Angeklagte beschaffte sodann die Flug- und
Fährtickets und übernahm die Betreuung der Iraner.
Die Mitangeklagte Ma. unterstützte die Taten in fünf
Fällen dadurch, daß sie Pakete mit
gefälschten Ausweisen annahm und die mit den iranischen
Staatsangehörigen vereinbarten Entgelte eintrieb.
II. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten
M. ist das Urteil mit den Feststellungen insgesamt aufzuheben, da diese
aufgrund von Widersprüchen keine tragfähige
Prüfungs- und Entscheidungsgrundlage für das
Revisionsgericht bilden.
Zum arbeitsteiligen Zusammenwirken zwischen dem Angeklagten, seinem
Bruder und dem unbekannten Bandenmitglied in der Türkei hat
das Landgericht bezogen auf alle Fälle folgendes festgestellt
(UA S. 6 f.): Nachdem er von seinem Bruder die
Schleusungsaufträge entgegengenommen habe, habe er diesem die
für die Ausweise erforderlichen Fotos sowie das von den
Iranern gezahlte Entgelt nach Abzug seines Anteils übersandt.
Der Bruder habe sodann in Absprache mit ihm die passenden
Personaldokumente ausgesucht und zusammen mit dem unbekannt gebliebenen
Mittäter in diese die Personalien und die Fotos der zu
schleusenden Personen eingefügt. Nachdem ihm die
gefälschten Ausweise zurückgeschickt worden seien,
habe er die Flug- und Fährtickets besorgt und die Betreuung
der schleusungswilligen Iraner übernommen. Nach den
Feststellungen zu den Fällen II. A. 6., 9. und 14. der
Urteilsgründe organisierte der Angeklagten die Einreise von
iranischen Staatsangehörigen mit dem Flugzeug aus der
Türkei oder über die Türkei - vorwiegend
über Österreich - in die Bundesrepublik Deutschland.
In der Beweiswürdigung hat die Strafkammer ohne
nähere Begründung ausgeführt, daß
die getroffenen Feststellungen auf den glaubhaften
Geständnissen der Angeklagten beruhen, die sich mit den
Ergebnissen im Ermittlungsverfahren decken. Dabei hat es
übersehen, daß das Geständnis des
Angeklagten widersprüchlich ist, weil die Zusammenarbeit
zwischen dem Angeklagten und seinen Mittätern in den
Fällen II. A. 6., 9. und 14. der Urteilsgründe nicht
entsprechend dem Geständnis erfolgt sein kann. Da sich die
Iraner vor den Schleusungen nicht in der Bundesrepublik, sondern in der
Türkei aufhielten, ist es nicht nachvollziehbar, daß
der Angeklagte seinem Bruder die für die
Ausweisfälschungen erforderlichen Fotos und den Schleuserlohn
in die Türkei übersandt haben soll. Vor allem gibt es
keinen Sinn, daß dem Angeklagten die gefälschten
Pässe von seinem Bruder zugeschickt worden sein sollen, weil
diese von den Iranern für die Einreise nach Deutschland oder
Österreich benötigt wurden. Im Fall II. A. 6. sollen
die iranischen Staatsangehörigen mit dem Flugzeug ohne die
erforderlichen Papiere in die Bundesrepublik Deutschland eingereist
sein und die gefälschten Pässe erst hier erhalten
haben, was ohne weitere Erläuterungen unverständlich
ist.
Erklärt der Tatrichter vom Angeklagten eingestandene
Tatsachen, die sich widersprechen, ohne nähere
Erläuterungen pauschal für glaubhaft, so liegt darin
ein sachlich-rechtlicher Mangel der Beweiswürdigung (vgl.
BGHSt 3, 213 für ein Urteil, das widersprüchliche
Zeugenaussagen ohne weiteres als miteinander vereinbar bezeichnet).
Dieser Mangel erfaßt hier die gesamte
Beweiswürdigung. Denn bei einem Vergleich der Formulierungen
in den Urteilsgründen mit denen der Anklageschrift
drängt sich in Verbindung mit den dargestellten
Widersprüchen auf, daß das Landgericht die
Sachverhaltsschilderungen aus der Anklageschrift aufgrund eines
pauschalen Geständnisses ungeprüft in das Urteil
übernommen hat (vgl. BGHSt 43, 195, 204). Damit ist den
Feststellungen insgesamt die Grundlage entzogen.
III. Darüber hinaus leidet das Urteil - wie die Revision der
Staatsanwaltschaft zu Recht bemängelt - an weiteren
Rechtsfehlern zu Gunsten des Angeklagten.
1. In den Fällen, in denen das Landgericht den Angeklagten
auch wegen tateinheitlich begangenen gewerbsmäßigen
Einschleusens von Ausländern (Fälle II. A. 4., 6.,
9., 10., 12. und 14. der Urteilsgründe) bzw. des Versuchs dazu
(Fall II. A. 5.) verurteilt hat, hat es sich nicht mit der sich
aufdrängenden Möglichkeit auseinandergesetzt,
daß die Bandenabrede zwischen dem Angeklagten, seinem Bruder
und dem unbekannten dritten Bandenmitglied sich nicht nur auf die
Urkundsdelikte, sondern auch auf das Einschleusen von
Ausländern bezog. Mangels näherer Feststellungen
hierzu bzw. eines Hinweises, warum sie nicht getroffen werden konnten,
kann der Senat nicht prüfen, ob sich der Angeklagte - wie die
Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision u. a. geltend macht und was nach
den getroffenen Feststellungen jedenfalls nicht fernliegt -
über den Schuldspruch hinaus auch wegen gewerbs- und
bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern
(§ 92 b Abs. 1 i. V. m. § 58 Abs. 1 Nr. 1 und 2,
§ 92 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6, § 92 a Abs. 1 und 4
AuslG) strafbar gemacht hat (vgl. BGHR AusIG § 92 a
Einschleusen 3). Dabei würde es der Annahme einer Bande i. S.
d. § 92 b Abs. 1 AuslG, für die der
Zusammenschluß von mindestens drei Personen erforderlich ist
(BGHSt 46, 321), nicht entgegenstehen, wenn dem unbekannt gebliebenen
Fälscher nach der Bandenabrede lediglich Aufgaben zugefallen
sein sollten, die sich bei wertender Betrachtungsweise in Bezug auf das
Einschleusen lediglich als Gehilfentätigkeit darstellen (BGH
NStZ 2002, 318).
2. Im Fall II. A. 8. der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte
die Ausreise eines noch vor Erhalt des gefälschten Reisepasses
festgenommenen iranischen Staatsangehörigen nach
Großbritannien organisiert hatte, sind die Feststellungen
unvollständig, weil das Urteil nicht mitteilt, wie weit das
Fälschungsvorhaben tatsächlich abgewickelt worden
ist. Das Landgericht hat damit auch die naheliegende
Möglichkeit offengelassen, daß der
gefälschte Paß bereits hergestellt und - wie in den
anderen Fällen - dem Angeklagten übersandt worden
war. Bei einem solchen Sachverhalt wäre der Angeklagte nicht
nur der versuchten, sondern der vollendeten gewerbs- und
bandenmäßigen Urkundenfälschung (§
267 Abs. 4 StGB) schuldig.
3. Weiterhin ist die Bewertung der Konkurrenzverhältnisse
nicht bedenkenfrei. In den Fällen, in denen für
mehrere Personen Ausweise gefälscht wurden, liegt nicht nur
ein Fall der gewerbs- und bandenmäßigen
Urkundenfälschung in Tateinheit mit gewerbs- und (richtig:
"oder", vgl. § 276 Abs. 2 StGB im Gegensatz zu § 267
Abs. 4 StGB) bandenmäßigem Verschaffen von falschen
amtlichen Ausweisen vor. Es können je nach den
Umständen mehrere tatmehrheitlich oder tateinheitlich
zusammentreffende Fälle gegeben sein.
4. Im übrigen wäre auch der Strafausspruch in allen
Fällen rechtsfehlerhaft.
Das Landgericht ist jeweils von minder schweren Fällen der
gewerbs- und bandenmäßigen
Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 4 StGB) ausgegangen. Es
hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten
Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten u. a. angenommen,
daß das hauptsächliche Motiv für die
Begehung der Straftaten sein Wille gewesen sei, den iranischen
Landsleuten ein schweres persönliches Schicksal im Iran zu
ersparen.
Dieses altruistische Motiv wird von den Feststellungen nicht getragen
und liegt schon angesichts der Absicht des Angeklagten, sich durch eine
umfangreiche Schleusertätigkeit eine fortlaufende
Einnahmequelle zu verschaffen, sowie der hohen Entgelte, welche von den
iranischen Staatsangehörigen für die Hilfeleistungen
bezahlt werden mußten, fern. Außerdem
läßt sich den Feststellungen nicht entnehmen,
daß die geschleusten Personen im Iran ein schweres
persönliches Schicksal befürchten mußten,
da sie sich in der Bundesrepublik Deutschland oder in anderen sicheren
Staaten aufhielten.
IV. Die auf die Sachrüge veranlaßte Aufhebung des
gegen den Angeklagten M. ergangenen Urteils erstreckt sich auch auf die
Verurteilung der Mitangeklagten Ma. , die keine Revision eingelegt hat
(§ 357 StPO). Da die Feststellungen zu den vom Angeklagten M.
begangenen Taten auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung
beruhen und aufgehoben werden müssen, entbehrt auch die
Verurteilung der Mitangeklagten wegen Beihilfe zu diesen Taten in
fünf Fällen einer tragfähigen Grundlage.
V. Die Urteilsgründe geben im übrigen Anlaß
zu folgenden Hinweisen:
1. Es erschwert die Verständlichkeit der Darstellung, wenn
zwischen den Ordnungsziffern gemäß Anklage und
gemäß Urteilsgründe gewechselt wird und bei
der Schilderung der Beihilfehandlungen eine
ziffernmäßige Zuordnung zu den entsprechenden
Haupttaten fehlt.
2. Bei Fällen mit Auslandsbezug sind die Voraussetzungen
für die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts zu prüfen
(§§ 3 ff. StGB). Aus den (aufgehobenen)
Feststellungen zu den Fällen II. A. 6., 9. und 14. der
Urteilsgründe ergeben sich diese für die
Urkundsdelikte nicht, da ein von einem der Mittäter im Inland
begangener Teilakt der Urkundenfälschung (§ 9 Abs. 1
StGB) nicht ersichtlich ist.
3. Wegen der mit dem Einschleusen von Ausländern verbundenen
Rechtsprobleme verweist der Senat auf die Entscheidungen BGHSt 45, 103;
BGHR AuslG § 92 a Hilfe 1 und BGH NJW 2002, 3642. Sollte in
der neuen Hauptverhandlung wiederum festgestellt werden, daß
mehrere Personen geschleust wurden, wird auch bezüglich der
Delikte nach dem Ausländergesetz auf die zutreffende Bewertung
der Konkurrenzverhältnisse Bedacht zu nehmen sein. Zur
Vereinfachung des Verfahrens könnte sich aber auch eine
Beschränkung der Strafverfolgung gemäß
§ 154 a Abs. 1 und 2 StPO empfehlen. Gleiches gilt auch
für das Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen
gemäß § 276 StGB.
4. Im Hinblick auf das von den schleusungswilligen Personen bezahlte
Entgelt hätte Anlaß bestanden, die Voraussetzungen
des Verfalls (§ 73 StGB) oder des Verfalls von Wertersatz
(§ 73 a StGB) zu erörtern. Die Weiterleitung von
Teilbeträgen an andere Tatbeteiligte führt lediglich
zu der Prüfung, ob die Anordnung wegen der
Härteregelung des § 73 c Abs. 1 Satz 2 StGB ganz oder
teilweise unterbleiben kann (vgl. BGHR StGB § 73 Vorteil 3;
Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 73 Rdn. 10).
5. Urteilsgründe, die gemäß § 267
Abs. 4 StPO abgekürzt sind, müssen die erwiesenen
Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat
gefunden werden. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird das
angefochtene Urteil hinsichtlich der Nichtrevidentin Ma. nicht
andeutungsweise gerecht. Die Feststellung, sie habe ein Paket mit
gefälschten Ausweisen angenommen, vermag den Vorwurf der
Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen
Urkundenfälschung ebenso wenig zu tragen wie die Mitteilung,
sie habe einen Teil des für die Schleusungen vereinbarten
Entgelts kassiert. Die Bandenmitgliedschaft und das
gewerbsmäßige Handeln, die strafschärfende
persönliche Merkmale i. S. d. § 28 Abs. 2 StGB sind
(Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze 138. ErgLfg.
AuslG § 92 a Rdn. 12, 16), sind für die Mitangeklagte
Ma. nicht festgestellt. Unklar bleibt auch, in welchen zwei
Fällen das Landgericht sie wegen Beihilfe zum
gewerbsmäßigen Einschleusen von Ausländern
verurteilt hat. Wie sich aus den bei der Sachverhaltsschilderung
erwähnten Namen der schleusungswilligen Iraner ergibt, nehmen
drei Fälle (Fälle II. B. 2., 3. und 4. der
Urteilsgründe) auf entsprechende Haupttaten Bezug.
Tolksdorf Pfister von Lienen Becker Hubert |