BGH,
Urt. v. 30.8.2000 - 2 StR 85/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 85/00
vom
30. August 2000
in der Strafsache gegen
wegen Betruges
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30.
August 2000, an der teilgenommen haben: Vizepräsident des
Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender, die Richter
am Bundesgerichtshof Niemöller, Detter, Rothfuß,
Hebenstreit als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Mühlhausen vom 24. September 1999 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Wirtschaftstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, da er der H. GmbH &
Co KG unberechtigterweise Fördermittel des W. verschafft habe.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung
sachlichen Rechts und beanstandet das Verfahren.
I.
Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Die
Revision beanstandet zu Recht eine Verletzung der §§
249, 261 StPO, weil ein Schriftstück, das dem Urteil
zugrundegelegt wurde, nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen ist.
Die Urteilsgründe nehmen mehrfach auf ein Schreiben der V. vom
16. November 1992 Bezug, das im Wortlaut wiedergegeben (UA S. 16/17)
und zusätzlich als Anlage 3 dem Urteil beigefügt ist.
Ausweislich der Sitzungsniederschrift (§ 274 StPO) wurde
dieses Schreiben nicht im Wege des Urkundenbeweises verlesen oder in
sonst zulässiger Weise (z. B. im Wege des Selbstleseverfahrens
nach § 249 Abs. 2 StPO) in die Hauptverhandlung
eingeführt.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Urteil
auf diesem Verstoß beruht. Zwar wurde das Schreiben der V.
wiederholt Zeugen vorgehalten (vgl. Sitzungsniederschriften
über die Vernehmung der Zeugen B. am 7. Mai 1999, Sch. am 20.
Mai 1999 und L. am 28. Mai 1999). Unter Umständen kann ein
Vorhalt an Zeugen, Sachverständige oder Angeklagte eine
Beweiserhebung im Rahmen des Urkundenbeweises erübrigen, dies
gilt aber nicht, wenn es auf den genauen Wortlaut ankommt (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner 44. Aufl. § 249 Rdn. 28 m.
w. N.). Dies ist hier der Fall. Die Strafkammer stützt auf den
Wortlaut dieses Schreibens maßgeblich die Feststellung,
daß eine für die Erlangung von
Fördermitteln erforderliche Finanzierungsbestätigung
einer Bank nicht vorlag und der Angeklagte dies wußte (UA S.
17 aE). Die Urteilsgründe belegen somit, daß der
genaue Wortlaut des - allerdings nur zweiseitigen - Schreibens von
erheblicher beweismäßiger Bedeutung war. Ein Vorhalt
war deshalb kein geeignetes Verfahren zur Beweiserhebung, da in einem
solchen Falle nicht die Urkunde selbst, sondern nur die dazu abgegebene
Erklärung der Person, der sie vorgehalten wurde,
Beweisgegenstand ist. Dazu kommt, daß dann, wenn in der
Hauptverhandlung nicht verlesene Schriftstücke ohne Hinweis
auf eine bestätigende Einlassung des Angeklagten oder eine
solche Erklärung einer anderen Auskunftsperson im Urteil
wörtlich wiedergegeben werden, dies in der Regel darauf
hindeutet, daß der Wortlaut selbst zum Zwecke des Beweises
verwertet worden ist und nicht nur eine gegebenenfalls auf einen
Vorhalt abgegebene Erklärung (vgl. BGH NStZ 1999, 424; vgl.
auch BGH StV 1987, 421).
Das Urteil unterliegt somit schon auf Grund dieses
Verfahrensverstoßes der Aufhebung, so daß der Senat
offen lassen kann, ob und in welchem Umfang die übrigen
geltendgemachten Verfahrensrügen ebenfalls durchgreifen
könnten.
II.
Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
1. Macht das Tatgericht vom Selbstleseverfahren
gemäß § 249 Abs. 2 StPO Gebrauch, darf
hinsichtlich der Vorgehensweise nicht zwischen Berufsrichtern und
Schöffen differenziert werden. Auch die Schöffen
müssen tatsächlich vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis
genommen, diese also gelesen haben. Der Vorsitzende muß
gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die
Feststellung über die Kenntnisnahme in das Protokoll
aufnehmen. Dabei handelt es sich um eine wesentliche
Förmlichkeit im Sinne des § 273 StPO (vgl. BGH,
Beschl. v. 21. September 1999 - 1 StR 389/99 und v. 7. Juni 2000 - 3
StR 84/00). Formulierungen wie: "Die Schöffen haben vor der
Verhandlung im Beratungszimmer vom Inhalt (der) Schriftstücke
Kenntnis genommen" könnten den Schluß zulassen,
daß den Anforderungen des § 249 Abs. 2 StPO nicht
entsprochen worden ist.
2. Bezüglich des Zeugen Sch. liegt ein Vereidigungsverbot
gemäß § 60 Nr. 2 StPO nahe.
3. Sachlich - rechtlich drängt sich die Annahme einer
Unterlassungstat nicht auf.
4. Die berufliche Stellung eines Angeklagten darf nur dann im Rahmen
der Strafzumessung zu seinen Lasten berücksichtigt werden,
wenn zwischen dem Beruf und der Straftat eine innere Beziehung besteht
(vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 31 und
Lebensumstände 10).
Jähnke Niemöller Detter Rothfuß Hebenstreit |