BGH,
Urt. v. 30.8.2007 - 5 StR 197/07
5 StR 197/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
30.8.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30.
August 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt P.
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Potsdam vom 10. Januar 2007 im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der
Angeklagte mit Verfahrensrügen und der Sachrüge. Das
Rechtsmittel hat im Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
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Am 17. Juni 2006 besuchte der Angeklagte mit dem Zeugen T. eine
„Musikkneipe“ in Potsdam, wo sich zu dieser Zeit
auch der später getötete F. aufhielt. Da dem
Angeklagten die Musik nicht zusagte,
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teilte er dem Zeugen T. kurz vor 2.00 Uhr mit, dass er auf der
Straße auf ihn warten würde. In dem Lokal kam es
kurze Zeit später zu einer tätlichen
Auseinandersetzung zwischen verschiedenen jungen Leuten, die dazu
führte, dass der Betreiber der Gaststätte einige
Gäste des Hauses verwies. Zwei der am Handgemenge Beteiligten,
das spätere Opfer und dessen Cousin K. , führte er in
einen Nebenraum des Lokals und versuchte vergeblich, sie zu beruhigen.
Beide rannten „brüllend“ nach
draußen auf den Innenhof in Richtung auf das verschlossene
Gittertor, das den Hof von der Straße trennte. F. gelang es,
das Tor mit dem Fuß aufzustoßen, wobei das nach
vorne schwingende Tor den dahinter stehenden Angeklagten
möglicherweise an Kopf und Knie traf. Sodann ging F. auf den
Zeugen E. los, der jedoch von anderen weggezogen und in Sicherheit
gebracht wurde. Gleichwohl schlug F. immer noch wild um sich und suchte
Streit. Inzwischen mischten sich auch unbeteiligte Passanten in die
Schlägerei ein und versuchten, zu schlichten. F. und K.
gebärdeten sich jedoch weiter gewalttätig und
beleidigten und beschimpften ihre Kontrahenten möglicherweise
auch mit ausländerfeindlichen Parolen.
Während K. sich nach einiger Zeit von den Streitenden
zurückzog, blieb F. immer noch aufgebracht und um sich
schlagend auf der Straße. Der Zeuge T. versuchte, ihn zu
beruhigen, und redete begütigend auf ihn ein. Nunmehr ging der
Angeklagte, der bis dahin an den Streitigkeiten nicht beteiligt war,
auf F. zu und ohrfeigte ihn. F. schlug zurück. Der Zeuge T.
schubste den Angeklagten ein Stück von F. weg, wobei er erneut
auf F. einredete, der sich allmählich beruhigte und
„zu sich zu kommen“ schien. Er schlug nicht mehr um
sich und machte auch keine Anstalten, jemanden anzugreifen.
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Spätestens jetzt holte der Angeklagte aus seiner Bauchtasche
ein Schweizer Taschenmesser hervor, bewegte sich ein paar Schritte auf
F. zu und stieß ihm das Messer mit einer kraftvollen
ruckartigen Vor-
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wärtsbewegung in die „Herz/Lungengegend“.
Der Stich drang in das Herz ein, wobei die Herzspitze 0,9 cm
eingestochen wurde. Sodann zog der Angeklagte das Messer - ebenfalls
mit großem Kraftaufwand - wieder aus dem Körper
seines Opfers heraus; F. brach nach einigen Sekunden zusammen und starb
noch am Tatort. Der Angeklagte starrte eine Weile auf das Messer,
entfernte sich alsdann vom Tatort und warf das Messer später
weg. Einen Tag danach stellte er sich der Polizei.
Das Landgericht hat die Tat als Totschlag bewertet und eine
Notwehrsituation im Sinne von § 32 StGB verneint. Auf den zur
Tatzeit Achtzehnjährigen hat es Jugendstrafrecht angewendet
und wegen der Schwere der Schuld gemäß § 17
JGG eine Jugendstrafe verhängt, die auf sieben Jahre
festgesetzt worden ist.
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2. Die erhobenen Verfahrensrügen sind entsprechend den
zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner
Antragsschrift vom 11. Mai 2007 unbegründet. Dasselbe gilt
für die sachlich-rechtlichen Einwände des
Beschwerdeführers gegen den Schuldspruch. Jedoch kann der
Strafausspruch keinen Bestand haben.
Es ist rechtsfehlerhaft, dass die Strafkammer keine hinreichenden
Erwägungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten
angestellt hat. Allein die Tatsache, dass der Angeklagte bei Begehung
der Tat nicht unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol stand, machte
eine Erörterung seiner Steuerungsfähigkeit nicht
entbehrlich. Hierzu hätte schon im Hinblick auf die
ungewöhnliche Diskrepanz zwischen Tat und
Täterpersönlichkeit Anlass bestanden. So hat der
Angeklagte die Gesamtschule erfolgreich bis zur 10. Klasse durchlaufen
und hatte die Zusage, an das Oberstufenzentrum zu wechseln. Von seinen
Lehrern wird er als zuverlässig, verantwortungsbewusst,
tolerant, kooperativ und hilfsbereit eingeschätzt; mit
Konflikten sei er kompromissbereit und sachlich umgegangen und habe bei
schwierigen Situationen innerhalb von Ausländergruppen oft
vermittelt. Zudem war der Angeklagte familiär und so-
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zial gut eingebunden. Er konsumierte weder Alkohol noch Drogen und
besuchte nur gelegentlich mit Freunden Diskotheken; im Übrigen
verbrachte er seine Freizeit mit seiner Freundin oder trainierte in
einem Fitnesszentrum. Dass dieser Angeklagte ruhig, zielbewusst,
überlegt und ohne jede affektive Erregung (UA S. 23) einen
Menschen getötet haben soll, ist nicht nur angesichts seiner
Persönlichkeit, sondern auch vor dem Hintergrund der von
Aggressivität und Gewalt geprägten Tatsituation
schwer nachvollziehbar. Die Tatsache, dass Zeugen sein Verhalten in
dieser Weise beschrieben haben, genügt jedenfalls nicht, die
psychische Befindlichkeit des Beschwerdeführers bei
Ausführung der Tat ausreichend zu erfassen (vgl. BGH,
Beschluss vom 31. März 2004 - 5 StR 351/03). Der Senat kann
nicht ausschließen, dass die Jugendkammer bei der gebotenen
Prüfung zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten - wenn auch nicht
unbedingt erheblich im Sinne des § 21 StGB -
eingeschränkt war. Hierüber wird der neue Tatrichter
mit Hilfe eines psychiatrischen Sachverständigen neu zu
befinden haben. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, ob
das Opfer und sein Cousin ausländerfeindliche Schimpfworte -
der Angeklagte ist afghanischer Abstammung - gerufen haben und der
Angeklagte davon ausgegangen ist, dass F. es war, der ihm das Gittertor
gegen den Kopf gestoßen hat.
Der Fall gibt Anlass, darauf hinzuweisen, dass in Kapitalstrafsachen,
zumal im Bereich der Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht, in der
Mehrzahl der Fälle - wenn nicht ein länger geplantes,
wenngleich verwerfliches, so doch rational nachvollziehbar motiviertes
Verbrechen vorliegt - Anlass besteht, rechtzeitig im Vorfeld der
Hauptverhandlung einen psychiatrischen Sachverständigen mit
der Erstattung eines Gutachtens zur Schuldfähigkeit zu
betrauen (vgl. Basdorf/Mosbacher in Lammel u. a. [Hrsg.], Forensische
Begutachtung von Persönlichkeitsstörungen 2007, S.
111, 125; Senatsurteil vom heutigen Tage - 5 StR 193/07; jeweils
m.w.N.).
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3. Auch sonst begegnet die Strafzumessung erheblichen Bedenken. Nach
den Urteilsfeststellungen stellt die Jugendkammer im Hinblick auf die
Höhe der Jugendstrafe wesentlich auch auf den
„enormen" Erziehungsbedarf ab, der sich für die
Jugendkammer maßgeblich aus der Tat selbst ergibt. Zwar hat
sie einige Umstände wie Unbestraftheit,
Teilgeständnis, Selbststellung und die erlittene
Untersuchungshaft zugunsten des Angeklagten berücksichtigt;
die weiteren im Urteil ausführlich dargestellten, eher
gewichtigeren Milderungsgründe, die sich aus der
Persönlichkeit des Angeklagten und seinem nahezu
mustergültigen Werdegang ergeben, bleiben bei der
Strafzumessung unerörtert. Dass diese Umstände
geeignet sein könnten, den Erziehungsbedarf erheblich zu
reduzieren, hat die Jugendkammer nicht erkennbar bedacht.
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Nicht unproblematisch im Blick auf das Verbot negativer Anlastung
zulässigen Verteidigungsverhaltens (Tröndle/Fischer,
StGB 46. Aufl. § 46 Rdn. 50, 53) ist zudem die Wendung des
Landgerichts, der Angeklagte sei trotz seiner
größtenteils geständigen Einlassung, der
„tränenreichen“ Entschuldigung und des
Bereuens der Tat nicht vollends gewillt, die Verantwortung für
den Tod des F. auf sich zu nehmen, sondern versuche, die Tat zu
beschönigen und für sich als unglückselige
Verkettung der Umstände darzustellen (UA S. 25).
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Da der Senat nicht mit letzter Sicherheit ausschließen kann,
dass nach Anhörung eines psychiatrischen
Sachverständigen sogar die Verhängung einer
Maßregel in Betracht kommen könnte, hebt er nicht
nur den Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe,
sondern den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf.
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Basdorf Gerhardt Raum
Schaal Jäger |