BGH,
Urt. v. 30.7.2002 - 1 StR 82/02
1 StR 82/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
30. Juli 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 30.
Juli 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Nack, Dr. Wahl, Schluckebier, Dr. Kolz, Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 30. Oktober 2001 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
I. Das Landgericht hat den Angeklagten unter anderem wegen
Förderung der Prostitution, Zuhälterei und
Menschenhandel zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt
und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf
der Vergewaltigung hat es den Angeklagten aus tatsächlichen
Gründen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit
ihrer auf die Sachrüge und Verfahrensrügen
gestützten Revision gegen den Freispruch und beanstandet die
Strafzumessung; das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Der Angeklagte betrieb ein Lokal, in welchem Prostituierte
tätig waren. Gegenstand der Verurteilung ist die
Beschäftigung der Prostituierten S. im Juli 2000 und der
17-jährigen Prostituierten K. im August 2000; der Freispruch
vom Vorwurf der Vergewaltigung betrifft K. .
Im August 2000 verbrachten Bekannte des Angeklagten, die anderweitig
verfolgten F. und R. , K. in das Lokal des Angeklagten. Bereits am
ersten Tag führte K. mit einem Freier im Kellerzimmer des beim
Angeklagten beschäftigten E. den Geschlechtsverkehr durch. In
derselben Nacht kam es auch zum Geschlechtsverkehr mit E. . Der Vorwurf
der Vergewaltigung geht dahin, daß der Angeklagte, nachdem
der Freier gegangen war, in das Kellerzimmer gekommen und K. gewaltsam
zum Geschlechtsverkehr gezwungen haben soll. 15
2. Der Angeklagte hat den Vorwurf der Vergewaltigung bestritten. Er
habe K. erst am zweiten Tag kennengelernt und sich mit ihr
angefreundet. Am späten Nachmittag sei er mit K. in das
Kellerzimmer gegangen und es sei zum einvernehmlichen
Geschlechtsverkehr gekommen.
Nachdem E. K. in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden konnte,
hat das Landgericht die Ermittlungsrichterin und den Polizeibeamten,
die K. am 17. und 18. August 2000 vernommen hatten, sowie Bekannte von
K. gehört. Aufgrund der Angaben der Vernehmungspersonen und
der weiteren Zeugen konnte sich das Landgericht keine zweifelsfreie
Überzeugung zu dem Vorwurf der Vergewaltigung bilden. Es hat
lediglich folgende Feststellungen zu treffen vermocht: Zu einem nicht
näher bestimmbaren Zeitpunkt am späten Abend eines
Tages Anfang August 2000 habe K. im Kellerzimmer nacheinander mit
mindestens drei Männern den Geschlechtsverkehr
ausgeführt. Ob dabei Gewalt angewendet wurde, habe nicht
zuverlässig festgestellt werden können.
II. Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung
1. Die Rüge, mit der die Staatsanwaltschaft geltend macht, das
Landgericht hätte weitere Bemühungen entfalten
müssen, die Zeugin K. zu erreichen, versagt. Die in
Deutschland unerreichbare Zeugin hatte im Ermittlungsverfahren
angegeben, sie wohne bei ihrer Mutter in Polen und könne dort
geladen werden. Telefonisch war sie dort indes nicht erreichbar. Die
polnischen Behörden hatten zudem mitgeteilt, daß die
Zeugin sich dort nicht aufhalte. Die unter dieser Adresse erfolgte
Ladung kam mit dem Vermerk zurück: "Genaue Adresse angeben".
Weshalb unter diesen Umständen eine erneute Ladung
über die Mutter der Zeugin unter derselben Anschrift, aber mit
deren Nachnamen, erfolgversprechender gewesen wäre, ist nicht
ersichtlich. Die Beschwerdeführerin trägt auch nicht
vor, daß sie eine solche Ladung angeregt hätte (vgl.
BGH NStZ 2001, 604). Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft
Frankfurt/Oder, aus der die Beschwerdeführerin eine
erfolgreiche Aufenthaltsermittlung herleitet, ging bei der
Staatsanwaltschaft München I mehr als einen Monat nach der
Urteilsverkündung ein.
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerfrei.
Sie entspricht den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof in
ständiger Rechtsprechung für Fallgestaltungen
aufgestellt hat, bei denen Aussage gegen Aussage steht (vgl. nur BGH
NStZ 2002, 161) und berücksichtigt insbesondere die
Besonderheit des vorliegenden Falles, daß die Aussage der K.
nur durch deren Verhörspersonen eingeführt wurde.
Aufgrund der zur Verfügung stehenden Beweismittel
genügt die Sachdarstellung auch den Anforderungen an ein
freisprechendes Urteil (§ 267 Abs. 5 Satz 1 StPO). Der
Erörterung bedarf lediglich folgendes:
Darauf, ob das Landgericht im Hinblick auf die
Beeinträchtigung des Fragerechts - der Angeklagte wurde nach
§ 168c Abs. 3 und Abs. 5 StPO von der ermittlungsrichterlichen
Zeugenvernehmung ausgeschlossen und davon auch nicht benachrichtigt -
zu Unrecht die Grundsätze von BGHSt 46, 93 (siehe auch EGMR
EuGRZ 2002, 37) angewendet hat, kommt es im vorliegenden Fall nicht an.
Die dort aufgestellten erhöhten Beweisanforderungen kommen
erst dann zur Anwendung, wenn der Tatrichter die Schuldfeststellung auf
die Angaben des Ermittlungsrichters stützt (vgl. BGHSt 46, 93
- Leitsatz). Reichen dem Tatrichter hingegen die Bekundungen des
Belastungszeugen vor dem Ermittlungsrichter - in der Gesamtschau mit
dem übrigen Ergebnis der Beweisaufnahme - zur
Überzeugung nicht aus, hat er also trotz dieser Beweismittel
vernünftige Zweifel an der Schuld, dann gelten die allgemeinen
Grundsätze für die tatrichterliche
Glaubhaftigkeitsbeurteilung.
So liegt der Fall hier. Zwar hat das Landgericht auf die nach BGHSt 46,
93 erhöhten Anforderungen an die Beweiswürdigung
"ergänzend" hingewiesen (UA S. 34); es hat sich indes
ersichtlich schon aufgrund der vorhandenen Beweismittel nicht von der
Schuld des Angeklagten überzeugen können (UA S. 31).
Insbesondere vermochte das Landgericht eine Schuldfeststellung nicht
auf die Angaben K. s vor der Ermittlungsrichterin stützen.
Dafür sei ausschlaggebend, daß K. im
Ermittlungsverfahren widersprüchliche Angaben gemacht habe. So
habe sie etwa bei ihrer ersten Vernehmung bekundet, der Täter
habe sie ganz ausgezogen, bei der Vernehmung am Folgetag habe sie
angegeben, der Täter habe lediglich ihre Hose bis zu den Knien
heruntergezogen. Zudem seien ihre Aussagen in wesentlichen Punkten
nicht bestätigt worden. Während der Vergewaltiger ein
"Mischmasch aus türkisch und deutsch" gesprochen habe, spreche
der Angeklagte fließend deutsch. Diese Ausdrucksweise
entspreche - wie das Landgericht festgestellt hat - der des E. , den
die Zeugin einerseits einmal belastet, ihm andererseits aber auch
Geschenke gemacht habe. Ihrer Angabe, den Täter zuvor nie
gesehen zu haben, stünden die Aussagen der Zeugen F. und R.
entgegen, wonach sie den Angeklagten gleich zu Beginn ihrer
Tätigkeit kennengelernt habe. Außerdem habe sie den
Angeklagten bei der Lichtbildvorlage - einer Einzellichtbildvorlage -
nicht sicher identifizieren können. Als sie F. und R.
gegenüber davon gesprochen habe, von drei Männern
vergewaltigt worden zu sein, hätten diese den Eindruck gehabt,
diese Äußerung habe ihren Grund in dem
Ärger über die nicht erfolgte Bezahlung gehabt.
Daß sich das Landgericht bei dieser Beweislage von der
Zuverlässigkeit der Angaben K. s nicht überzeugen
konnte, ist nachvollziehbar und vom Revisionsgericht hinzunehmen.
III. Soweit die Revision die Strafzumessung angreift, ist sie
offensichtlich unbegründet. Erwähnt sei nur,
daß die Wendung "Bei der Strafzumessung war ferner auch zu
berücksichtigen, daß E. zu einer Freiheitsstrafe von
2 Jahren mit Bewährung verurteilt worden war", anders als die
Beschwerdeführerin annimmt, gerade nicht besagt, daß
sich das Landgericht ausschließlich an der Strafe des E.
orientiert hat. Im übrigen darf der Gesichtspunkt,
daß gegen Mittäter verhängte Strafen auch
in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollen, bei
der Strafzumessung durchaus Berücksichtigung finden (BGH
wistra 2001, 57).
Schäfer Nack Wahl Schluckebier Kolz
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