BGH,
Urt. v. 30.6.2004 - 2 StR 82/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 82/04
vom
30.06.2004
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der
Hauptverhandlung
vom 23.06.2004 in der Sitzung am 30.06.2004, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt und
Staatsanwalt in der Verhandlung,
Bundesanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
als Nebenkläger,
- nur in der Verhandlung -
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers ,
- nur in der Verhandlung -
Justizangestellte in der Verhandlung,
Justizangestellte bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revisionen der Nebenkläger und der Staatsanwaltschaft gegen
das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 9. Oktober
2003 werden verworfen.
Die Nebenkläger haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die
dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft
und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen
Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der
fahrlässigen Tötung
freigesprochen. Dagegen richten sich die auf Verfahrensrügen
und auf die
Sachrüge gestützten Revisionen der
Nebenkläger und die mit der Sachrüge
begründete Revision der Staatsanwaltschaft.
Nach den Feststellungen hielt sich der später
getötete B.
am Abend des 27. Juli 2002 im Klubhaus in N. auf. Im Verlauf des
Abends nahm er Alkohol und Kokain zu sich, wobei ihm der Alkoholkonsum
äußerlich so gut wie nicht anzumerken war. B.
verließ das Klub-
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haus am frühen Morgen des 28. Juli 2002 gemeinsam mit M. . An
der
Ecke "T. straße/A. " warfen sie Geld in einen
Zigarettenautomaten,
der jedoch keine Zigaretten ausgab. Verärgert schlugen beide
jeweils
mit einer lose herumliegenden Gehwegplatte auf den Automaten ein. Wegen
des dadurch entstandenen Lärms riefen unabhängig
voneinander zwei Zeugen
um 4.27 Uhr bei der Polizei an und meldeten, daß Personen
dabei seien, einen
Automaten aufzubrechen.
Der Angeklagte, Polizeiobermeister bei der Polizeiinspektion N. ,
und die Polizeiobermeisterin L. wurden daraufhin mit ihrem Streifenwagen
zum Tatort geschickt. B. und M. versuchten,
sich hinter einem Bierwagen zu verstecken. Der Angeklagte und POM L.
näherten sich dem Bierwagen von der anderen Seite, wobei POM L.
laut rief "Halt, stehenbleiben, Polizei!". Während M. hinter
dem
Bierwagen von POM L. festgenommen wurde, entwand sich
B. dem Griff des Angeklagten und schlug in Kopfhöhe auf ihn
ein. Der
Angeklagte wich wegen der Schläge etwas zurück und
forderte B.
auf, sich hinzulegen. B. lief indes über eine Terrasse zwischen
Tischen und Stühlen in Richtung T. straße davon,
wobei er an einem der
angeketteten Stühle zerrte. Der Angeklagte glaubte, B. wolle
mit dem
Stuhl gegen ihn vorgehen und zog sein Pfefferspray aus dem Koppel.
B. fragte, "Willst Du mich erschießen?". Wegen des Abstandes
und der
Bewegung, in der sich beide befanden, hatte das eingesetzte
Pfefferspray keine
nennenswerte Wirkung.
Am Ende der Terrasse lagerte eine Palette Pflastersteine, links daneben
lag ein ungeordneter Haufen dieser Pflastersteine mit einem Gewicht von
jeweils
etwa 3 Kilogramm. B. nahm mindestens einen dieser Steine
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auf und warf ihn in Richtung des Kopfes des Angeklagten, der ihm in
einer Entfernung
von drei bis vier Metern gegenüberstand. Aufgrund dieses
Wurfes zog
der Angeklagte seine Dienstwaffe und führte sie nach oben, um
einen Warnschuß
abzugeben. B. warf in diesem Augenblick mit großer Wucht
einen zweiten Stein nach dem Angeklagten, der seinen Kopf nur knapp
verfehlte,
und drehte sich erneut nach hinten, um einen dritten Stein aufzuheben.
Der
Angeklagte erkannte, daß ihm durch die Würfe eine
erhebliche Gefahr drohte,
zog die Waffe nach unten, um B. in die Beine zu schießen und
betätigte den Abzug der nicht vorgespannten Waffe. Der
Schuß traf den sich
gerade bückenden B. 81 cm über dem Boden in den
Rücken und
eröffnete die Aorta vollständig, so daß B.
innerhalb kurzer Zeit
verblutete.
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil es die Tat
durch Notwehr als gerechtfertigt angesehen hat (§ 32 StGB).
II.
1. Die von den Nebenklägern erhobenen Verfahrensrügen
sind, soweit
sie zulässig erhoben sind, aus den Gründen der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts
unbegründet.
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die von allen
Revisionsführern
erhobene Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zu Gunsten des
Angeklagten
ergeben.
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält
rechtlicher Nachprüfung
stand. Die Würdigung der erhobenen Beweise ist Sache des
Tatrichters. Sie ist
vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, auch wenn auf
der Grundlage
des Beweisergebnisses eine abweichende Überzeugungsbildung
möglich
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gewesen wäre oder sogar näher gelegen hätte.
Das Revisionsgericht kann nur
dann eingreifen, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft
ist, etwa weil sie
gegen Denkgesetze oder gesichertes Erfahrungswissen
verstößt oder in sich
widersprüchlich oder lückenhaft ist. Ein derartiger
Rechtsfehler wird von den
Beschwerdeführern nicht aufgezeigt und ist auch sonst nicht
ersichtlich. Der
von der Nebenklägerin behauptete Widerspruch zwischen den
Zeugenaussagen
und der Einlassung des Angeklagten besteht nicht. Die Zeugen E.
und K. haben ein schnelles Ziehen, Zielen und Schießen
bekundet, wobei
sie ein Zielen mit ausgestrecktem Arm als Gegensatz zu einem
Schießen aus
der Hüfte bejaht haben. Diese Bekundung
läßt sich mit der Einlassung des Angeklagten,
er habe die Waffe zunächst nach oben geführt, um
einen Warnschuß
abzugeben, durchaus vereinbaren. Auch hinsichtlich der
Würdigung des
Landgerichts, B. habe sich im Moment der Schußabgabe nach
einem weiteren Stein gebückt, zeigt die Revision keinen Fehler
der Beweiswürdigung
auf. Die im Urteil in Bezug genommenen Lichtbilder Nummer 7 und
8 weisen im Gegensatz zum Revisionsvorbringen aus, daß die
Leiche des
B. mit den Füßen unmittelbar neben losen
Pflastersteinen lag.
b) Nicht zu beanstanden ist auch die Wertung des Tatrichters, dem
Angeklagten
habe im Moment des rechtswidrigen Angriffs kein erfolgversprechendes
milderes Mittel zur Abwehr der Gefahr zur Verfügung gestanden.
Angesichts
der lebensgefährlichen Steinwürfe brauchte sich der
Angeklagte auf
das Risiko eines Warnschusses oder einfachen körperlichen
Zwangs nicht einzulassen.
Er durfte sich vielmehr so wehren, daß die Gefahr sofort und
endgültig
gebannt war und zu diesem Zweck auch die Schußwaffe
einsetzen, wenn
auch nur in einer Art und Weise, die Intensität und
Gefährlichkeit des Angriffs
nicht unnötig überbot (vgl. BGHSt 27, 336, 337; BGH
NJW 1980, 2263; NStZ
1981, 138; StV 1999, 143). Nach allgemeinen notwehrrechtlichen
Grundsätzen
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ist der Angegriffene berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu
wählen, das eine
sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr
gewährleistet; unter mehreren
Abwehrmöglichkeiten ist er auf die für den Angreifer
minder einschneidende
nur dann verwiesen, wenn ihm Zeit zur Auswahl sowie zur
Abschätzung der
Gefährlichkeit zur Verfügung steht und die
für den Angreifer weniger gefährliche
Abwehr geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei und sofort
endgültig auszuräumen
(st. Rspr., vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 5; BGH
NStZ
1982, 285; 1983, 117; 1994, 581, 582; 2001, 591, 592; 2002, 140; StV
1999,
145, 146). Diese Voraussetzungen hat das Landgericht hier mit
fehlerfreier Begründung
verneint. Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer
Revisionsbegründung
bemängelt, der Tatrichter habe sich insoweit nur auf
Vermutungen gestützt,
zeigt auch sie keine Tatsachen auf, die belegen, daß ein
Warnschuß
und ein Zurückweichen des Angeklagten um einige Schritte den
Angriff beendet
hätten.
c) Dem Angeklagten konnte auch nicht angesonnen werden, vor dem
Angriff des B. zurückzuweichen. Das Gesetz verlangt von einem
rechtswidrig Angegriffenen nur dann, daß er die Flucht
ergreift oder auf andere
Weise dem Angriff ausweicht, wenn besondere Umstände sein
Notwehrrecht
einschränken (vgl. BGH NJW 1980, 2263), beispielsweise wenn er
selbst den
Angriff leichtfertig oder vorsätzlich provoziert hat. Etwas
anderes gilt auch nicht
für Polizeibeamte (vgl. BayObLG MDR 1991, 367). Die hier
einschlägigen Bestimmungen
des thüringischen Polizeiaufgabengesetzes schränken
das individuelle
Notwehrrecht nicht ein (§ 58 Abs. 2 PAG). Im Falle eines
gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriffs auf Leib und Leben eines Polizeibeamten
hängt die
Frage, inwieweit dieser sich verteidigen darf, insbesondere nicht davon
ab,
welches Rechtsgut zuvor von dem Angreifer verletzt worden ist. Das
zulässige
Maß der erforderlichen Verteidigung im Sinne des §
32 Abs. 2 StGB wird auch
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hier durch die konkreten Umstände des Angriffs bestimmt,
insbesondere durch
die Stärke und Gefährlichkeit des Angreifers und
durch die dem Angegriffenen
zur Verfügung stehenden Abwehrmittel. Das Notwehrrecht
einschränkende besondere
Umstände lagen hier nicht vor. Der Angeklagte durfte deshalb
einen
Schuß auf die Beine des sich nach einem weiteren
Pflasterstein bückenden
Angreifers richten, um diesen kampfunfähig zu machen. Die
durch das Verreißen
der Waffe bewirkte, an sich geringfügige Abweichung des
Schusses vom
gewollten Ziel, welche durch die Bewegung des Geschädigten zu
einer tödlichen
Verletzung geführt hat, verwirklicht das mit der
Notwehrhandlung verbundene
typische Risiko und ist daher von der Rechtfertigung umfaßt.
Rissing-van Saan Otten Rothfuß
Fischer Roggenbuck |