BGH,
Urt. v. 30.3.2004 - 5 StR 410/03
5 StR 410/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
30.03.2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen versuchten Mordes u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
30.03.2004, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf
als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt P (zu 1),
Rechtsanwalt H (zu 2),
Rechtsanwalt M (zu 3),
Rechtsanwalt K (zu 4),
Rechtsanwalt G (zu 5)
als Verteidiger,
Rechtsanwältin C
als Vertreterin des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
- 3 -
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Potsdam vom 11. Februar 2003 werden verworfen.
Der Angeklagte E hat die Kosten seiner Revision und die
dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen. Bei den übrigen Angeklagten wird von
der Auferlegung von Kosten und Auslagen abgesehen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des versuchten Mordes
in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
schuldig gesprochen. Es hat
gegen den (erwachsenen) Angeklagten E eine Freiheitsstrafe von acht
Jahren verhängt, hat ihn unter Einbeziehung einer anderweit
rechtskräftig
verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe
von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (unter Anordnung eines
Vorwegvollzugs
von zwei Jahren und vier Monaten) angeordnet. Gegen die zur Tatzeit
jugendlichen Mitangeklagten hat das Landgericht Jugendstrafen
verhängt,
und zwar fünf Jahre gegen L , drei Jahre gegen F sowie
jeweils zwei Jahre - unter Strafaussetzung zur Bewährung -
gegen S
und B . Die jeweils auf Verfahrensrügen und die
Sachrüge gestützten
Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
- 4 -
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
1. Die Angeklagten saßen mit anderen jungen Leuten in den
Abendstunden
des 2. August 2002 am Waldstadion in Ludwigsfelde, wo sie zelten
wollten, zusammen und tranken gemeinsam Alkohol. Die Angeklagten E
und L , die sich vorübergehend entfernt hatten, trafen auf dem
Rückweg
zum Stadion gegen 2.30 Uhr auf den Nebenkläger I , der aus
Mocambique stammt, Ende der 80er Jahre als Vertragsarbeiter in die DDR
gekommen war und seitdem in Deutschland lebt. Sie verachteten ihn, weil
er
Ausländer schwarzafrikanischer Herkunft ist. Deshalb waren sie
ihm bereits
wiederholt bedrohlich entgegengetreten, und jeder von ihnen hatte ihn
schon
einmal ausdrücklich mit einer Äußerung:
„Beim nächsten Mal bist du tot“,
oder ähnlich bedroht. E und L beschlossen, den
Nebenkläger
zum Waldstadion zu locken, um ihn dort zu verprügeln. Sie
spiegelten ihm
vor, dort finde ein Fest statt, an dem auch andere Ausländer
teilnähmen. Der
Nebenkläger, der auf der Suche nach einer noch
geöffneten Gaststätte gewesen
war, folgte ihnen zögerlich. Gegen 3 Uhr trafen sie bei den
Zelten ein;
gemeinsam mit den drei übrigen Angeklagten begannen sie, Bier
zu trinken.
Etwa nach einer halben Stunde brach der Angeklagte E unter einem
Vorwand einen Streit mit dem Nebenkläger vom Zaun. Er begann,
auf
ihn einzuschlagen, und versetzte ihm zwei bis drei Schläge mit
der flachen
Hand und vier Faustschläge ins Gesicht. Der
Nebenkläger ging zunächst zu
Boden und versuchte dann zu fliehen. Der Angeklagte L setzte ihm
nach; E mahnte ihn noch, dem Opfer nicht ins Gesicht zu treten oder zu
schlagen. Gleichwohl brachte L den Nebenkläger mit einem Tritt
gegen
das Kinn erneut zu Boden und versetzte dem am Boden Liegenden
mehrere Faustschläge ins Gesicht. Nunmehr wandte sich E wieder
dem
Opfer zu und schlug ihm - seiner zuvor geäußerten
heuchlerischen Mahnung
zuwider - eine geleerte Bierflasche so heftig auf den Kopf,
daß sie zersplit-
5 -
terte. Der Nebenkläger verlor kurzzeitig das
Bewußtsein. Zwei Zeugen, die
mit den Angeklagten gezeltet hatten, hatten sich mittlerweile, entsetzt
über
E s und L s Brutalität, fluchtartig vom Ort des Geschehens
entfernt.
Nunmehr traten alle fünf Angeklagten, die sämtlich
Turnschuhe trugen,
auf den bewußtlosen Nebenkläger ein; ferner schlugen
sie ihr Opfer,
das teils am Kopf, teils im Brust- und Bauchbereich getroffen wurde.
Der Angeklagte
B trat mehrmals gegen den Kopf des Nebenklägers und lief
ihm über den Bauch, der Angeklagte F - den rechten Arm zum
„Hitlergruß“
hebend - trat ihn mindestens viermal, auch ins Gesicht, der Angeklagte
S trat ihm mindestens zweimal in den Bauch. Als der Geschädigte
wieder zu sich kam, nötigte E ihn, sich bis auf die Socken zu
entkleiden.
S und F vergruben die Kleidung auf Weisung E s etwa
20 Meter entfernt unter Laub. E flößte dem Opfer
noch eine Flasche Bier
ein, übergoß ihn mit Bier und versuchte, ihm eine
Flasche in den Anus zu
stecken. Mindestens er und L schlugen und traten weiter auf den
Nebenkläger ein, der schließlich erneut das
Bewußtsein verlor. L
fühlte „aus Sorge, er könne gestorben
sein“, seinen Puls. Nach mehr als einer
Stunde ließen die Angeklagten von ihrem Opfer ab.
Sie ließen I äußerlich schwer verletzt,
bewußtlos und nackt
liegen. E und L entfernten sich, um einen auf dem Platz schlafenden
volltrunkenen Bekannten E s nach Hause zu bringen. Die anderen
drei Angeklagten bauten die Zelte ab, stellten sie in einer Entfernung
von
mindestens 200 Metern wieder auf, tranken noch ein Bier und legten sich
schlafen. L , der eine Viertelstunde später
zurückkehrte, sah dann,
wie der Nebenkläger sich von der Stelle, an der er
zurückgelassen worden
war, robbend wegbewegte; L kümmerte sich nicht weiter um ihn
und
begab sich auch zum Zelt seiner Freunde. Der Angeklagte F , der als
erster
gegen 8 Uhr erwachte, lief zur Stelle, wo der Nebenkläger
liegengeblieben
war, weil er befürchtete, dieser könne gestorben sein.
- 6 -
Der Nebenkläger war indes gegen 5 Uhr wieder zu sich gekommen
und hatte sich schwerverletzt in unbekleidetem Zustand auf den Weg zum
Krankenhaus gemacht, war aber schließlich in die
Damentoilette eines dem
Krankenhaus benachbarten, zufällig unverschlossenen
Ärztehauses gelangt;
dort verblieb er etwa neun Stunden lang im Dämmerzustand; dann
begab er
sich, immer noch benommen, seine Blöße mit
Toilettenpapier abdeckend, mit
massiven Gesichtsschwellungen, Brustprellungen und einem
Schädel-Hirn-
Trauma zum Krankenhaus, wo die behandelnden Ärzte seine
Verletzungen
als lebensgefährlich beurteilten - was sich später
konkret nicht bestätigte.
Aufgrund einer diagnostizierten Nierenprellung verblieb I vier Tage
in stationärer Behandlung, aus der er dann bei fortbestehenden
Wunden und
anhaltenden Schmerzen entlassen wurde. Insbesondere war er psychisch
langfristig massiv beeinträchtigt.
2. Das Landgericht hat sämtlichen Angeklagten aufgrund des von
ihnen
konsumierten Alkohols, zum Teil einhergehend mit
Persönlichkeitsstörungen,
eine erhebliche Herabsetzung des Hemmungsvermögens zugebilligt.
Die Gewalthandlungen hat es - abgesehen von dem als Exzeß E s
gewerteten
Schlag mit der Flasche - allen Angeklagten zugerechnet. Diese
hätten bei den abwechselnd beigebrachten,
bekanntermaßen hochgradig
gefährlichen Tritten gegen Kopf und Oberkörper des
Opfers dessen Tod billigend
in Kauf genommen. Gehandelt hätten sie aus einem
Motivbündel von
Lust an Gewalt, Menschenverachtung und die Tat prägender
Fremdenfeindlichkeit,
die möglicherweise allein der Angeklagte B selbst nicht teilte,
der sie aber als Motivation seiner Mittäter kannte und
kritiklos hinnahm.
II.
Die Verfahrensrügen versagen.
- 7 -
1. Die auf Verletzung des § 258 Abs. 2 und Abs. 3 StPO wegen
Versagung
des letzten Worts gestützten Verfahrensrügen der
Angeklagten E
, L , F und B sind unbegründet.
Nachdem den Angeklagten und den gesetzlichen Vertretern der Angeklagten
L , F , S und B am vorletzten Hauptverhandlungstag
bereits Gelegenheit zum letzten Wort gewährt worden war, trat
das Landgericht zu Beginn des letzten Hauptverhandlungstages nochmals in
die Beweisaufnahme ein. Nach deren Abschluß erhielten
„die Staatsanwaltschaft
und die übrigen Prozeßbeteiligten“ erneut
Gelegenheit zum Schlußvortrag.
Nach Wiederholung der Anträge und ergänzendem Vortrag
eines
Verteidigers erhielten die Angeklagten und ihre gesetzlichen Vertreter
„erneut
das Wort zum Schlußvortrag“. Anschließend
ist vor Urteilsverkündung noch
eine Erklärung des Vaters eines Angeklagten protokolliert.
Mit der so im Hauptverhandlungsprotokoll wiedergegebenen Verfahrensweise
ist - zumal in der besonderen Situation des Wiedereintritts in die
Verhandlung nach vorher bereits erfolgter Gewährung eines
Schlußworts
(vgl. BGH StV 1999, 5) - die ausreichende Gelegenheit der Angeklagten
zum letzten Wort belegt, wenngleich eine formal noch deutlichere
Protokollierung
(„die Angeklagten hatten das letzte Wort“)
vorzuziehen gewesen wäre
(vgl. BGHSt 13, 53, 59 f.; 18, 84; Schoreit in KK 5. Aufl. §
258 Rdn. 17).
2. Keinen Erfolg haben die wegen Verletzung des § 265 Abs. 4
StPO
zugleich unter Hinweis auf § 338 Nr. 8 StPO erhobenen
Verfahrensrügen der
Angeklagten L , F und B .
a) Soweit die Angeklagten L und B die Ablehnung eines
zu Beginn der Hauptverhandlung gestellten, auf bislang nicht
gewährte Einsicht
in die vorbereitenden Gutachten der psychiatrischen
Sachverständigen
gestützten Aussetzungsantrags beanstanden, gilt folgendes:
- 8 -
Die Zulässigkeit der vom Angeklagten L erhobenen Rüge
scheitert an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO mangels hinreichend
genauer Mitteilung
des Akteninhalts, in den nach dem Rügevorbringen zu Unrecht
Einsicht
verwehrt wurde.
Die Rüge des Angeklagten B ist jedenfalls
unbegründet. In dem
teils gegen jugendliche Untersuchungshäftlinge gerichteten,
mithin herausragend
eilbedürftigen, zudem umfänglichen und besonders
vorbereitungsintensiven
Verfahren bestand für die Jugendkammer nach
pflichtgemäßem Ermessen
(§ 265 Abs. 4 StPO) keine Möglichkeit, die
Hauptverhandlung etwa
mit Rücksicht auf noch nicht gewährte Einsicht in
erst kurz zuvor eingegangene
vorbereitende Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen
auszusetzen.
Differenzierte Anträge, mit Rücksicht auf eine
insoweit verspätete
Akteneinsicht die Sachvernehmung einzelner Angeklagter - die
tatsächlich
bis auf E in der Hauptverhandlung die Einlassung verweigert haben -,
mindestens ihre Befragung durch die Verteidiger oder bestimmte mit der
verspäteten
Akteneinsicht zusammenhängende Beweiserhebungen
zurückzustellen,
gegebenenfalls auch die Hauptverhandlung zu diesem Zweck zu
unterbrechen, sind nicht zum Gegenstand revisionsrechtlicher
Beanstandung
gemacht worden.
b) Die weiteren, auf mangelnde Unterbrechung der Hauptverhandlung
am letzten Sitzungstag gestützten Rügen der
Angeklagten F und B
scheitern an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO mangels Mitteilung einer
Vorentscheidung,
auf die in dem beanstandeten ablehnenden Beschluß der
Jugendkammer
Bezug genommen worden war. Abgesehen davon wären die
Rügen auch in der Sache aussichtslos. Auf einen Wiedereintritt
in die Verhandlung
anstelle einer vorgesehenen Urteilsverkündung muß
die Verteidigung
stets gefaßt sein. Daß die Jugendkammer mit der
angeordneten Verlesung
nach § 254 StPO einen überraschenden
Verhandlungsgegenstand vorgesehen
hätte, für den die Verteidigung der
Beschwerdeführer besondere
Vorbereitung hätte verlangen können, ist nicht
ersichtlich.
- 9 -
3. Für die gegen die Verwertung verantwortlicher Vernehmungen
durch Polizei und Ermittlungsrichter gerichteten
Verfahrensrügen gilt folgendes:
a) Die Rüge, mit welcher der Angeklagte L die Verwertung
seiner polizeilichen Vernehmungen wegen unzulänglicher
Belehrung und
Verletzung eines seinen Erziehungsberechtigten zustehenden
Anwesenheitsrechts
beanstandet, scheitert an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO jedenfalls
mangels Mitteilung der auf den entsprechenden Verteidigerwiderspruch in
der Hauptverhandlung ergangenen Entscheidung der Jugendkammer.
b) Soweit der Angeklagte B aus entsprechenden Gründen die
Verwertung polizeilicher Angaben der Mitangeklagten L und S
sowie der gesondert verfolgten Zeugin St beanstandet, scheitert die
Zulässigkeit
seiner Rüge von vornherein daran, daß es an einer
eigenen
Rechtsverletzung dieses Beschwerdeführers fehlt, aus welcher
er für sich ein
Verwertungsverbot herleiten könnte (vgl. BGHSt 47, 233, 234;
BGHR StPO
§ 136 Belehrung 5; Boujong in KK 5. Aufl. § 136 Rdn.
27).
c) Im übrigen liegt auf der Hand, daß die
entsprechenden Rügen in
der Sache aus den von der Jugendkammer angeführten
Gründen erfolglos
bleiben müßten.
d) Soweit der Angeklagte B die Verwertung polizeilicher Angaben
des Mitangeklagten E wegen dessen angeblicher
Vernehmungsunfähigkeit
beanstandet, hat die Rüge jedenfalls in der Sache keinen
Erfolg, da
die Annahme der Jugendkammer, E sei trotz vorangeganener Injektion
eines Beruhigungsmittels vernehmungsfähig gewesen, aus
Rechtsgründen
nicht zu beanstanden ist.
4. Die auf § 338 Nr. 3 StPO, zudem auf Verletzung des
§ 29 StPO gestützte
Verfahrensrüge des Angeklagten B ist jedenfalls offensichtlich
- 10 -
unbegründet (vgl. nur BGHR StPO § 26a
Unzulässigkeit 9 und BGHR StPO
§ 29 Abs. 1 Amtshandlung, unaufschiebbare 2, zur
Veröffentlichung in
BGHSt bestimmt). Die für eine Voreingenommenheit der
Berufsrichter angeführten
Gründe sind haltlos.
5. Ebenfalls jedenfalls offensichtlich unbegründet ist die
Verfahrensrüge
des Angeklagten B im Zusammenhang mit der Mitwirkung des
Sitzungsvertreters
der Staatsanwaltschaft. Es ist kein Grund dafür dargetan,
wonach die Jugendkammer auch nur Anlaß gehabt hätte,
auf dessen Ablösung
hinzuwirken.
6. Die auf Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO gestützte
Verfahrensrüge
des Angeklagten B hat hinsichtlich fehlender Spuren an sichergestellten
Schuhen jedenfalls in der Sache keinen Erfolg, da ein - zugunsten des
Angeklagten ohnehin zu unterstellendes negatives Spurenbild -
ersichtlich
ohne maßgeblich entlastenden Beweiswert war. Jedenfalls die
weitergehende
Rüge ist mangels hinreichend genauer Angabe von nicht
benutztem Beweismittel
und nicht aufgeklärtem Beweisthema unzulässig
(§ 344 Abs. 2
Satz 2 StPO).
7. Die auf Verletzung des § 48 Abs. 3 Satz 2 JGG
gestützte Verfahrensrüge
des Angeklagten B ist unbegründet. Der einen
Ausschluß der
Öffentlichkeit ablehnende Beschluß der Jugendkammer
läßt eine Verletzung
des insoweit bestehenden tatgerichtlichen Ermessens (vgl. BGH, Beschl.
vom 14. Dezember 2000 - 3 StR 414/00) nicht erkennen.
8. Schließlich ist die auf Verletzung des § 261 StPO
gestützte Verfahrensrüge
des Angeklagten B jedenfalls offensichtlich unbegründet, soweit
der Beschwerdeführer die unterbliebene Erörterung
einer bestimmten
Zeugenaussage im Urteil - unter Äußerung unklarer
Mutmaßungen über deren
Inhalt - beanstandet. Die Verfahrensvorschrift des § 261 StPO
gebietet
keine Abhandlung sämtlicher in der Hauptverhandlung erhobener
Beweise
- 11 -
im Urteil. Die unterbliebene Verlesung des Protokolls der richterlichen
Vernehmung
eines Mitangeklagten verletzt weder § 261 StPO noch ist in
diesem
Zusammenhang ein sonstiger Verfahrensverstoß erkennbar.
III.
Auch mit den Sachrügen bleiben die Revisionen ohne Erfolg.
1. Der Schuldspruch hat bei sämtlichen Angeklagten Bestand.
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum
äußeren Tatablauf, zu
den mittäterschaftlich zuzurechnenden Gewalthandlungen und zu
den daraus
resultierenden Verletzungsfolgen des Nebenklägers ist frei von
sachlich-rechtlichen
Fehlern.
b) Der Senat erachtet - im Gegensatz zum Generalbundesanwalt -
auch die Bedenken gegen den bedingten Tötungsvorsatz nicht
für durchgreifend.
aa) Die Jugendkammer hat die Gefährlichkeit der gegen den
Nebenkläger
verübten Gewalthandlungen nicht etwa
überschätzt. Sie hat nicht verkannt,
daß die Verletzungen nicht konkret lebensbedrohlich waren und
daß
keine massive stumpfe Gewalt im Sinne eines Springens auf den Kopf oder
eines „Herumtrampelns“ auf dem Körper (das
Opfer hatte keine Brüche erlitten)
erfolgt war (UA S. 35). Gleichwohl durfte sie schon angesichts des
bewußt
gemeinschaftlichen Vorgehens in der aggressiv aufgeheizten Tatsituation,
in welcher zudem jeder einzelne Mittäter das Ausmaß
der dem Opfer
zugefügten Gewalt nicht bewußt dosierbar einsetzen
konnte, von - den Mittätern
bekanntermaßen - äußerst
gefährlichen Gewalthandlungen ausgehen.
bb) Daß der Rückschluß hieraus auf einen
bedingten Tötungsvorsatz
gleichwohl - angesichts der regelmäßig bestehenden
hohen Hemmschwelle
- 12 -
vor einer Tötung - problematisch ist, hat die Jugendkammer
ausweislich des
Urteils (UA S. 39) nicht verkannt. Ihr standen indes - neben dem
erwähnten
Moment, daß jedem einzelnen Mittäter klar war,
daß ihm ein maßgeblicher
Einfluß auf das Gesamtausmaß der Gewalt entglitten
war - weitere ausreichend
aussagekräftige Indizien zur Verfügung, welche den
Schluß auf einen
bedingten Tötungsvorsatz bei jedem der Angeklagten
zuließen. Diese konnten
bei allen in der Zufügung von Tritten und Schlägen
gegen Kopf und Körper
des Opfers im Zustand von dessen Bewußtlosigkeit gefunden
werden,
ferner in dem bedenkenlosen Verlassen des Opfers in von ihnen durch
Beseitigung
der Bekleidung noch verschärfter eklatant hilfloser Situation.
So hat
der erkannte Zustand des Opfers zudem den Angeklagten F zur sofortigen
Nachschau nach dem morgendlichen Erwachen veranlaßt, der
Angeklagte
L hatte bereits während der Tatbegehung Zweifel am
Überleben
des Geschädigten, als er diesem den Puls fühlte. Bei
dem Angeklagten
E kam zur Stellung als
„Rädelsführer“ die exzessiv
gefährliche Gewalthandlung
des Zerschlagens der Bierflasche auf dem Kopf des Opfers mit der
Folge von dessen erster vorübergehender
Bewußtlosigkeit hinzu. Die festgestellten
früheren Äußerungen E s und des Angeklagten
L , welche
die Jugendkammer gar nicht ausdrücklich herangezogen hat,
waren bei ihnen
zur Abrundung des rechtsfehlerfrei gewonnenen tatgerichtlichen Bildes
von der inneren Tatseite durchaus geeignet. Letztlich konnte auch in der
festgestellten Tatmotivation des Ausländerhasses, die das
Handeln der übrigen
vier Angeklagten bestimmte und die sich auch der Angeklagte B
jedenfalls als Mitläufer zueigen machte, als
ergänzendes, insoweit hinreichend
aussagekräftiges Indiz für eine Erleichterung der
Überwindung der
hohen Hemmschwelle zum Tötungsvorsatz herangezogen werden.
cc) Bei dieser Sachlage führen auch drei bedenkliche Passagen
im
angefochtenen Urteil - welche freilich die Bedenken des
Generalbundesanwalts
besonders verständlich machen - nicht zur Beanstandung der
Annahme
des bedingten Tötungsvorsatzes.
- 13 -
(1) Der Senat versteht die Wendung, wonach die Jugendkammer
durch den Rest an Skrupeln, welchen der Verzicht auf ein Zutreten
„mit voller
Wucht“ belegt, den „Verdacht“,
daß die Angeklagten den Tod des Nebenklägers
für möglich hielten und gleichwohl weiter traten,
nicht ausgeräumt sieht
(UA S. 33 f.), nicht als Beleg für eine Verletzung des
Zweifelsgrundsatzes,
sondern als eine wenig geglückte Formulierung, welche auch die
darüber
hinausgehende, im übrigen hinreichend zum Ausdruck gebrachte
Überzeugung
des Tatgerichts vom bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten
beim
Weitertreten gestattete.
(2) Daß die Jugendkammer bei der Feststellung der
Voraussetzungen
erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21
StGB) den anderweit begründeten
bedingten Tötungsvorsatz mit der damit einhergehenden
Überwindung
einer hohen Hemmschwelle - für sich genommen zutreffend -
herangezogen
hat (UA S. 38), ohne indes andererseits den Zustand der alkoholbedingten
Enthemmung der Angeklagten als mögliches Gegenindiz beim
Tötungsvorsatz ausdrücklich erörtert zu
haben (vgl. BGH NStZ 2004, 51, 52),
erweist sich ebenfalls nicht als durchgreifend bedenklich. Die
suchtmittelbedingte
Enthemmung war nach der rechtsfehlerfreien Würdigung der
Jugendkammer
bei sämtlichen Angeklagten nicht so weitgehend, daß
sie die durch
andere Indizien gewonnene Überzeugung des Tatgerichts vom
Tötungsvorsatz
für sich eher unwahrscheinlich machte. Auch wenn gleichwohl
eine ausdrückliche
Abhandlung - bzw. ein anderer Urteilsaufbau im Zusammenhang
mit der Erörterung der Schuldfähigkeit - vorzuziehen
gewesen wäre, hegt
der Senat noch nicht die Besorgnis, daß die Jugendkammer bei
der Prüfung
des Tötungsvorsatzes den alkoholbedingt enthemmten Zustand der
Angeklagten,
der das Ergebnis dieser Prüfung nicht nachhaltig in Zweifel
ziehen
mußte, aus dem Blick verloren hätte. Für
das besonders geringe Alter der zur
Tatzeit noch jugendlichen Angeklagten gilt nichts anderes.
(3) Die Ausführungen der Jugendkammer,
„spätestens“ als die Angeklagten
den Nebenkläger verließen, hätten alle es
für möglich gehalten, er
- 14 -
werde die Verletzungen nicht überleben (UA S. 15), bedeutet
nicht etwa, daß
die Jugendkammer sich erst für diesen Zeitpunkt von einem
bedingten Tötungsvorsatz
aller Angeklagter - im Sinne einer Unterlassungstat - überzeugt
hätte. Die unmittelbar anschließende
Erörterung ihrer Vorstellungen
während der Verletzungshandlungen und die eindeutigen
Ausführungen zur
Erörterung des bedingten Tötungsvorsatzes im Rahmen
von Beweiswürdigung
(UA S. 33 f.) und rechtlicher Würdigung (UA S. 39) belegen,
daß die
Jugendkammer sich von einem bedingten Tötungsvorsatz aller
Angeklagter
für den Zeitpunkt der Verletzungshandlungen überzeugt
hat und mit der genannten
Wendung lediglich darüber hinausgehend die Vorstellung der
Angeklagten
von einem beendeten Versuch belegen wollte.
c) Die Annahme der Voraussetzungen des Mordmerkmals der niedrigen
Beweggründe ist ersichtlich rechtsfehlerfrei, und zwar auch
bei dem Angeklagten
B (vgl. BGHSt 47, 128, 131; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige
Beweggründe 27; BGH NStZ 1999, 129, 130). Sie werden
für die gegebene
Fallgestaltung auch durch das Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 21
StGB nicht in Frage gestellt (vgl. BGHR aaO; BGH NStZ-RR 2003, 78, 79;
vgl. auch BGHSt aaO S. 133).
d) Die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom
für alle
Angeklagte - auch den Angeklagten L - beendeten Versuch hat die
Jugendkammer zutreffend verneint.
2. Auch die Rechtsfolgenaussprüche sind frei von
durchgreifenden
Rechtsfehlern zum Nachteil aller Angeklagter. Der Senat
beschränkt sich auf
die Anmerkung, daß die gegen die Angeklagten S und B
verhängten
milden Jugendstrafen, deren Vollstreckung sogar jeweils zur
Bewährung
ausgesetzt wurde, als erzieherisch allermindestens gebotene Sanktion
- 15 -
selbst bei bloßer Verurteilung dieser Angeklagter wegen
gefährlicher Körperverletzung
nicht hätten unterschritten werden dürfen.
Basdorf Häger Gerhardt
Brause Schaal |