BGH,
Urt. v. 30.10.2008 - 4 StR 352/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 352/08
vom
30. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30.
Oktober 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Magdeburg vom 28. März 2008 wird verworfen.
2. Die Angeklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die
Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen
Rechts rügt. Sie beanstandet insbesondere die Annahme des
mordqualifizierenden Merkmals der Tötung aus niedrigen
Beweggründen. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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I.
Im Januar 2007 wurde die Angeklagte nach einem intimen Kontakt mit
einer Diskothekenbekanntschaft schwanger. Dies wollte sie jedoch nicht
wahrhaben. Vielmehr hielt sie ihre Schwangerschaft selbst
gegenüber ihrer engsten Umgebung - so auch gegenüber
ihrem heutigen Verlobten, der bereits seinerzeit mit ihr zusammen im
Haus ihrer Eltern lebte - geheim. Als sie in der ersten Oktoberwoche
Kindsbewegungen in ihrem Körper feststellte, beschloss sie
für sich, dass sie dieses Kind "nicht haben wollte".
Alternative Möglichkeiten wie die Freigabe zur Adoption oder
die Abgabe in einer Babyklappe verwarf sie. Dass sie bereits in diesem
Zeitpunkt vorhatte, das Kind zu töten, vermochte das
Landgericht nicht festzustellen. In der Nacht zum 18. Oktober 2007
brachte sie
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im Badezimmer - ohne dass ihr heutiger Verlobter davon etwas mitbekam -
einen männlichen Säugling zur Welt.
Spätestens in diesem Augenblick entschloss sie sich, das Kind
zu töten. "Sie befürchtete, ihr bisheriges Leben, das
sich im Wesentlichen dadurch auszeichnete, dass sie keinerlei
Verantwortung für sich oder andere trug, in den Tag hinein
lebte und von ihren Eltern unterstützt wurde, nicht fortsetzen
zu können. Sie fühlte sich zu jung für ein
Kind und wollte 'noch etwas erleben' ... . Daneben spielte auch die
untergeordnete und diffuse Angst davor eine Rolle, dass ihr heutiger
Verlobter die Beziehung zu ihr beenden würde. Dies wollte die
Angeklagte verhindern". Sie nahm das Kind und warf es über
einen hölzernen Sichtschutz hinweg in den hinter dem
elterlichen Anwesen entlang führenden Mühlgraben. In
diesem Zeitpunkt war das Kind nicht ausschließbar infolge
Einatmens von zu viel Fruchtwasser bereits verstorben. Die Angeklagte
selbst ging jedoch bis zum Schluss davon aus, dass das Kind noch lebe.
II.
1. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe aus niedrigen
Beweggründen im Sinne des Mordtatbestandes des § 211
Abs. 2 StGB gehandelt, begegnet entgegen der Auffassung der Revision,
der der Generalbundesanwalt beigetreten ist, keinen rechtlichen
Bedenken.
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a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig"
sind und - in deutlich weiterreichendem Maße als ein
Totschlag - verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer
Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren
für die Handlungsantriebe des Täters
maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der
Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner
Persönlichkeit zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 47, 128, 130
m.w.N.). Bei den insoweit zu
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treffenden Wertungen steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu,
den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen
ausfüllen kann (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige
Beweggründe 47; Senatsurteil vom 19. Juni 2008 - 4 StR
105/08). Danach ist die Annahme niedriger Beweggründe hier aus
revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Die Angeklagte wollte, als sie sich zur Tötung des Kindes
entschloss, nach ihren eigenen Angaben "noch etwas erleben" und jetzt
noch nicht die Verantwortung für ein Kind übernehmen.
Demgegenüber war - wie das Landgericht mit
tragfähiger Begründung ausgeführt hat - die
diffuse Angst der Angeklagten, ihr heutiger Verlobter könne
sich wegen des Kindes womöglich von ihr trennen, nur von
untergeordneter Bedeutung. Vielmehr wollte die Angeklagte nach der
rechtsfehlerfrei gewonnenen Überzeugung des Landgerichts
"entscheidungslenkend" das Kind als "Störfaktor" beseitigen,
um ihr bisheriges Leben in gewohnter Form fortsetzten zu
können. Dass der Täter auch eigene Interessen
verfolgt, ist zwar der Regelfall der vorsätzlichen
Tötung eines Anderen und rechtfertigt deshalb noch nicht ohne
Weiteres die Qualifikation der Tat als Mord. Deshalb wird auch nach
Aufhebung des § 217 StGB a.F. durch das 6. StrRG (vgl. dazu
BTDrucks 13/8587 S. 34) in den Fällen der Kindstötung
die Annahme von Mord nur ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl.
Senatsurteil vom 19. Juni 2008 - 4 StR 105/08). Anders verhält
es sich jedoch, wenn die Tat von besonders krasser Selbstsucht
geprägt ist. So liegt es hier.
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b) Ein durchgreifender Rechtsfehler ergibt sich auch nicht daraus, dass
das Landgericht nicht ausdrücklich erörtert hat, dass
die Angeklagte die Umstände, die die Niedrigkeit ihrer
Beweggründe ausmachen, im Tatzeitpunkt in ihrer Bedeutung
für die Tatausführung in ihr Bewusstsein aufgenommen
und erkannt hat. Näherer Ausführungen hierzu bedurfte
es vorliegend nicht. Die An-
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geklagte war im Tatzeitpunkt trotz der Belastung durch die Geburt nach
den Ausführungen des gehörten psychiatrischen
Sachverständigen, denen die Kammer gefolgt ist und gegen die
auch die Revision nichts einwendet, uneingeschränkt
schuldfähig. Sie hat sich zudem im Laufe des Verfahrens
mehrfach ausdrücklich zu dem festgestellten, von Eigensucht
geprägten Motiv bekannt. Mag manches - wie der
Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat zu bedenken
gegeben hat - in dem Verhalten und in den Äußerungen
der Angeklagten auch für eine gewisse Naivität und
Unreife sprechen, vermag dies gleichwohl die subjektive Tatseite nicht
ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Denn die Angeklagte hat sich auch im
Nachhinein nicht etwa von ihren sie bei der Tat beherrschenden
Beweggründen distanziert, sondern hat noch in der
Hauptverhandlung "schnippisch und zumeist genervt" auf ihrem Standpunkt
beharrt. Unter diesen Umständen hat der Umstand, dass die
Angeklagte nach den Ausführungen des psychiatrischen
Sachverständigen eine hohe Impulsivität und eine
Neigung zum Blockieren aufweist, für die innere Tatseite
ersichtlich keine Bedeutung. Hinzu kommt, dass auch die Art und Weise
der Tatausführung selbst (der Wurf des Kindes über
die Holzbarriere hinweg in den Mühlgraben) eine erschreckende
„Wegwerfmentalität“ offenbart.
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2. Der in Anbetracht der Tatumstände vergleichsweise milde
Strafausspruch weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil der
Angeklagten auf.
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Damit hat es bei dem angefochtenen Urteil sein Bewenden.
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Tepperwien Maatz Kuckein
Athing Mutzbauer |