BGH,
Urt. v. 31.1.2002 - 4 StR 417/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 417/01
vom
31. Januar 2002
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 31.
Januar 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Maatz,
Dr. Kuckein, Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic, Richter
am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter, Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das
Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 1. Juni 2001 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem
Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt
die Staatskasse. Der Angeklagte trägt die Kosten seines
Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen
notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten - nach Beschränkung der
Strafverfolgung (§ 154a Abs. 1, 2 StPO) - wegen versuchten
Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung und versuchten Totschlags in Tateinheit mit
gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, ihm die
Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die
Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von zwei Jahren
keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil wendet sich
die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts
gestützten Revision insoweit, als das Landgericht den
Angeklagten im ersten Fall ("Messereinsatz") nicht wegen versuchten
Heimtücke-, und im zweiten Fall ("absichtlich
herbeigeführter Unfall") nicht wegen versuchten
Verdeckungsmordes verurteilt und es in beiden Fällen minder
schwere Fälle nach § 213 2. Alt. StGB angenommen hat.
Das Rechtsmittel wird vom Generalbundesanwalt nicht vertreten. Der
Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts. Beide
Revisionen haben keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen lebte der Angeklagte in einer harmonischen
Ehe, bis er im Januar/Februar des Jahres 2000 mit - der später
geschädigten - Tiziana W. eine intime Beziehung einging. Etwa
im Juni 2000 waren sich beide über eine gemeinsame Zukunft
einig. Sie informierten ihre jeweiligen Ehepartner hierüber,
zogen aus den ehelichen Wohnungen aus, mieteten ab September 2000 eine
Wohnung an und kauften dafür Möbel. Am 6. August 2000
stellte der Angeklagte seinen Eltern Frau W. als seine neue
Lebenspartnerin vor. Obwohl Tiziana W. den Glauben des Angeklagten an
eine gemeinsame Zukunft bestärkte, war sie sich ab Mitte Juli
2000 nicht mehr sicher, ob sie wirklich mit dem Angeklagten
zusammenziehen sollte. Sie scheute die endgültige Trennung von
ihrem Ehemann; sie überlegte daher, zunächst eine
eigene Wohnung zu beziehen, und deutete dies gesprächsweise
auch dem Angeklagten gegenüber an, der derartige
Überlegungen jedoch verdrängte.
Am Abend des 8. August 2000 teilte Frau W. dem Angeklagten in einem
Café mit, sie könne sich nicht von ihrem Ehemann
lösen, und es sei vielleicht besser, wenn jeder seine eigene
Wohnung hätte. Beide gingen danach zum Pkw des Angeklagten.
Sie unterhielten sich in dem Fahrzeug, und Frau W. bat den Angeklagten,
sie nach Hause zu fahren. Der Angeklagte stieg zunächst aus
und rauchte eine Zigarette. In "affektiver Anspannung" faßte
er dann den Entschluß, "die Zeugin W. aufgrund seiner starken
Enttäuschung und Verärgerung über ihr
Verhalten mittels eines Ausbeinmessers, das sich in einem Schubfach
unter dem Fahrersitz seines Pkws befand, und an das (er) sich nunmehr
erinnerte, zu stechen, wobei er es für möglich hielt,
daß (sie) dadurch getötet werden konnte". Er war
dabei "in einer derartigen inneren Erregung, daß er sich
hinsichtlich der weiteren Umstände, insbesondere über
die Ausnutzung der gegebenen Situation keine Gedanken machte". Er
ergriff das Messer - mit einer Klingenlänge von ca. 14 cm -
und fügte Frau W. an der linken Seite ihres Halses -
unmittelbar neben der Halsschlagader - eine ca. 8 cm tiefe Stichwunde
zu, ohne hierbei jedoch lebenswichtige Organe zu verletzen. Er
verhinderte dann, daß die aufschreiende Frau das Fahrzeug
verließ. Sie fragte ihn, warum er das getan habe; er
antwortete, "daß sie sein ganzes Leben zerstört
habe". Als sie ihn bat, sie ins Krankenhaus zu fahren, war der
Angeklagte unschlüssig, was er tun sollte. Er befand sich "in
einer besonderen gefühlsmäßigen Situation",
denn er liebte Frau W. immer noch. Er zündete sich eine
Zigarette an, versuchte, seine Gedanken zu ordnen, und sagte ihr,
daß sie jetzt sehen würde, wozu sie ihn bringe. Nach
kurzer Zeit entschloß er sich, "durch einen zweiten Stich dem
Leben der Zeugin W. ein Ende zu setzen". Welche "weiteren Motive neben
der vorhandenen Enttäuschung und Verärgerung
über (ihr) Verhalten den Angeklagten zu diesem
Entschluß kommen ließen", konnte das Schwurgericht
nicht aufklären. Der Angeklagte ergriff erneut das Messer und
zielte bewußt und gewollt auf den Bauch von Frau W. , um sie
zu töten. Diese konnte sich jedoch nach rechts wegdrehen, so
daß der Stich nicht den Bauchbereich, sondern ihre linke
Thoraxseite traf und dort eine 8 cm tiefe Wunde verursachte. Durch den
Stich wurden zwar keine lebenswichtigen Organe verletzt, der Angeklagte
hielt es jedoch für möglich, daß Frau W.
infolge der beiden Stichwunden und des von ihm erkannten hohen
Blutverlustes in der Folgezeit sterben würde, falls sie keine
ärztliche Hilfe erhielte. Ihrer Bitte, sie ins Krankenhaus zu
bringen, gab der Angeklagte zwar vor nachzukommen; er fuhr jedoch auf
die Autobahn und sagte ihr, nachdem sie ihn wiederholt gebeten hatte,
sie irgendwo herauszulassen, "er müsse immer weiterfahren, bis
der Tank leer sei". Als nach mehrstündiger Fahrt -
während der der Angeklagte in seinem Empfinden zwischen
Verärgerung und Enttäuschung, aber auch tiefer
Zuneigung zu Frau W. schwankte - der Tankinhalt fast verbraucht war,
sah er sich zu einer Entscheidung gedrängt. In einem
Gefühl der Ausweglosigkeit und Verzweiflung beschloß
er, sich und seiner Beifahrerin "mittels eines bewußt
herbeigeführten Unfalls das Leben zu nehmen". Er fuhr sodann -
gegen 03.30 Uhr - mit einer Geschwindigkeit von ca. 120 km/h
bewußt und gewollt ungebremst gegen die linke Leitplanke,
wodurch das Fahrzeug nach rechts abgewiesen wurde, sich mehrfach
überschlug und auf dem Standstreifen mit Totalschaden zum
Stehen kam.
Durch den Unfall erlitt Frau W. weitere Verletzungen. Sie konnte jedoch
den Pkw verlassen und ein Fahrzeug anhalten, dessen Insassen Hilfe
herbeiholten. Während sie wartete, kam der Angeklagte auf sie
zu, wobei er das Messer in der Hand hielt, und sagte zu ihr: "
´Bitte verrate mich nicht´ ". Auf Aufforderung von
Frau W. warf er sodann das Messer in ein Gebüsch.
2. Das Landgericht hat das Geschehen hinsichtlich der beiden
Messerstiche als natürliche Handlungseinheit gewertet. Vom
(beendeten) Tötungsversuch nach dem zweiten Stich sei der
Angeklagte nicht strafbefreiend zurückgetreten, weil er die
Vollendung der Tat nicht verhindert habe und er sich auch nicht
freiwillig und ernsthaft bemüht habe, dies zu tun. Die
absichtliche Herbeiführung des Unfalls stehe zu dem ersten
Tatkomplex (Messereinsatz) in Tatmehrheit (§ 53 StGB), weil
dieses Tatgeschehen aufgrund eines neuen Entschlusses erfolgt sei und
zwischen dem ersten und dem zweiten Tatkomplex ein Zeitraum von
mindestens drei Stunden gelegen habe. Auch hier sei der Angeklagte von
dem Tötungsversuch nicht strafbefreiend
zurückgetreten; der Versuch sei nämlich gescheitert
gewesen, weil das Fahrzeug als Tatmittel nicht mehr zur
Verfügung gestanden habe und "durch die vor Ort bereits
anwesenden Personen, die die Zeugin W. angehalten hatte, ... der
Angeklagte auch nicht mehr auf die Zeugin W. unbeobachtet und
ungehindert (habe) einwirken (können)" (UA 50).
Mordmerkmale seien mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit
nicht festzustellen: Es lägen keine niedrigen
Beweggründe vor, weil die Motivation des Angeklagten zu den
Tötungsversuchen nicht als auf tiefster Stufe stehend
angesehen werden könne. Heimtücke habe zwar beim
ersten Messerstich objektiv vorgelegen; es habe aber nicht festgestellt
werden können, daß der Angeklagte bei dem "spontan
affektiv" geprägten Geschehen die Arg- und Wehrlosigkeit des
Opfers bewußt zur Tat ausgenutzt habe. Nach dem ersten
Messerstich und vor dem Unfallgeschehen sei Frau W. nicht mehr arglos
gewesen. Eine Verdeckungsabsicht sei nicht nachzuweisen: Der zweite
Messerstich sei Teil einer einheitlichen Straftat gewesen;
außerdem sei sowohl hier als auch bei dem beabsichtigten
Unfall, bei dem er sich selbst das Leben habe nehmen wollen, ein Wille
des Angeklagten zur Verdeckung einer anderen Straftat nicht sicher
feststellbar.
II.
1. Revision der Staatsanwaltschaft
a) Die Begründung, mit der das Landgericht Mordmerkmale
verneint hat, hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Soweit die Staatsanwaltschaft meint, beim ersten Messerstich habe sich
der Angeklagte nicht spontan zur Tat entschlossen, versucht sie, die
Beweise anders als das Landgericht zu würdigen. Damit kann sie
im Revisionsverfahren jedoch nicht gehört werden;
durchgreifende Beweiswürdigungsfehler zeigt die
Staatsanwaltschaft weder auf noch sind solche ersichtlich (vgl. hierzu
BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2; BGH NStZ 1999,
205). Das Landgericht bewegt sich vielmehr im Rahmen möglicher
und damit vom Revisionsgericht hinzunehmender tatrichterlicher
Beweiswürdigung. Da das Schwurgericht nicht feststellen
konnte, daß der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit des
Tatopfers vor dem ersten Stich bewußt zur Tat ausgenutzt hat
(UA 38), kam eine Verurteilung wegen versuchten (Heimtücke-)
Mordes nicht in Betracht (vgl. BGHSt 6, 120, 121; BGH NStZ 1984, 20,
21; 1997, 490, 491; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke
1, 26; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2000 - 1 StR 406/00).
Auch das Mordmerkmal "um eine andere Straftat zu verdecken" hat das
Landgericht ohne Rechtsfehler verneint: Die Annahme, der zweifach mit
Tötungsvorsatz vorgenommene Einsatz des Messers innerhalb
weniger Minuten sei als natürliche Handlungseinheit und damit
der zweite Stich als Teil einer einheitlichen Tat anzusehen (vgl.
hierzu BGH NStZ 1990, 385; 1992, 127, 128; 2000, 498 f.; BGH, Urteil
vom 12. Juni 2001 - 5 StR 432/00: keine Verdeckung), wird von den
rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen getragen; ebenso auch die
Wertung, dem Angeklagten, der sich selbst habe töten wollen,
habe unter den gegebenen Umständen auch beim zweiten
Tatkomplex eine Verdeckungsabsicht nicht nachgewiesen werden
können (UA 46 f., 49). Was die Beschwerdeführerin
hiergegen einwendet, erschöpft sich in dem
unzulässigen Versuch, die tatrichterliche Würdigung
durch eine eigene zu ersetzen.
b) Die Angriffe der Revision zu den Strafzumessungserwägungen
des Landgerichts greifen ebenfalls nicht durch. Das Landgericht hat in
einer Gesamtwürdigung ausführlich erörtert,
warum es jeweils einen minder schweren Fall des versuchten Totschlags
für gegeben erachtet. Auch insoweit hat die
Beschwerdeführerin keinen durchgreifenden Rechtsfehler
aufzuzeigen vermocht.
2. Revision des Angeklagten
a) Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten auf. Das Schwurgericht hat mit rechtsfehlerfreien
Erwägungen (UA 50 f.) das nach mehrstündiger Fahrt
auf der Autobahn aufgrund neuen (erweiterten) Entschlusses (mit einem
anderen Tatmittel) eingeleitete Geschehen, das zu dem Unfall
führte, als neue, weitere Tat gewertet (vgl. hierzu BGH,
Urteil vom 12. Juni 2001 - 5 StR 432/00; Tröndle/Fischer StGB
50. Aufl. vor § 52 Rdn. 2 a ff. m. w. N.).
Auch die Verneinung strafbefreienden Rücktritts von den beiden
Totschlagsversuchen hält rechtlicher
Überprüfung stand: Nach der gefestigten
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kommt es für die
Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch und damit
für die Voraussetzungen eines strafbefreienden
Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten
Ausführungshandlung - in bezug auf die Tat im Sinne des
materiell-rechtlichen Straftatbestandes (vgl. BGHSt 33, 142, 144) -
davon ausgeht oder er es zumindest für möglich
hält, daß ohne sein weiteres Zutun der
tatbestandsmäßige "Erfolg" eintritt (BGH NStE Nr. 38
zu § 24 StGB m.w.N.). Bei einem fehlgeschlagenen Versuch ist
ein Rücktritt ausgeschlossen (BGHSt 34, 53, 56; 39, 221, 228,
232; BGH, Beschluß vom 18. April 2000 - 5 StR 603/99;
Tröndle/Fischer aaO § 24 Rdn. 6).
Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der
Angeklagte es nach dem zweiten Messerstich für
möglich hielt, Frau W. werde infolge der beiden Stichwunden
ohne ärztliche Hilfe sterben. Daher wären
hinsichtlich des Messereinsatzes für einen strafbefreienden
Rücktritt aktive Rettungsbemühungen erforderlich
gewesen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt., Satz 2 StGB; vgl. BGH
NStZ 1993, 279 f.), die der Angeklagte jedoch nicht unternommen hat.
Der neuerliche Tötungsversuch mit dem Pkw war gescheitert; ein
strafbefreiender Rücktritt war daher insoweit nicht
möglich; das Messer - oder andere Tatmittel - konnte der
Angeklagte nach dem Unfall wegen der "vor Ort bereits anwesenden
Personen" nicht mehr einsetzen (UA 50).
b) Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls der
Überprüfung stand; die sorgfältigen
Erwägungen des Landgerichts hierzu lassen keinen Rechtsfehler
erkennen.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanovic Ernemann
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